Zum Hauptinhalt springen

WM in Katar schauen? Ja oder nein?

Der Elisen-Lebkuchen liegt wieder im Supermarkt, die Temperaturen sinken so langsam unter 15 Grad und bald ist dann auch der erste Advent. Wir alle wissen, was das bedeutet: Endlich wieder WM! Fussi, Schland, 80 Millionen Bundestrainer aber nur ein Rudi Völler.

Problem: Eigentlich darf man diese WM nicht schauen. Warum, ist bekannt.

Daher zunächst einmal etwas Positives: Ich denke, dass mehr Menschen in Deutschland (und auch weltweit) als wir bisher ahnen, diese WM trotz großer Lust auf Fussball bewusst nicht verfolgen werden. Das wird die Fifa hart treffen, denn ihr einziger Rohstoff ist Aufmerksamkeit, den sie mithilfe von Werbung und Senderechten in viel zu viel Geld transformiert.

Laut einer aktuellen Umfrage der Sportschau wollen beeindruckende 56 Prozent der Deutschen gar kein Spiel schauen. Da sind natürlich auch die dabei, die ohnehin kein Fussball schauen und auch solche, die dann doch mal ein bisschen mitgucken, wenn es denn schon läuft. Oder wenn Deutschland im Halbfinale gegen England spielt. Außerdem ist bei diesen 56 Prozent sicher auch etwas von dem dabei, was Soziolgen in der Befragungs-Methodik „soziale Erwünschtheit“ nennen.

Wie auch immer, trotzdem ein interessanter Wert. Weitere 15 Prozent wollen weniger Spiele als bei anderen Weltmeisterschaften anschauen und nur 18 Prozent der Befragten gaben an, ebenso viele wie sonst zu gucken. Zwei Prozent möchten indes mehr Spiele beobachten. Aber da haben vielleicht auch einfach nur Uli Hoeneß und Sigmar Gabriel geantwortet.

Ich würde mich persönlich zu den „Einknickern“ zählen. Also zu denen, die behaupten, sie wollen nichts schauen und dann aber doch zumindest bei den bedeutenden oder auch den deutschen Spielen mitfiebern. Ich schaue fast nie Bundesliga – aber ich liebe große Fussballturniere. Damit ich dieser Leidenschaft nicht erliege, war ich clever oder auch dumm genug, öffentlich 2000 Euro für Ärzte ohne Grenzen zu versprechen, wenn ich mir auch nur eine Übertragung ansehe.

Zu diesem Verspreche stehe ich natürlich – doch zum Ärger für Ärzte ohne Grenzen versuche ich mich erst mal, an meinen Verzicht zu halten. Na ja … vielleicht mache ich auch noch eine Spendensammlung, so dass die 2000 Euro ankommen, auch wenn ich kein Spiel gesehen habe. Win win. Aber grundsätzlich steht mein Vorhaben, keine WM zu schauen so fest wie Neuer im Tor.

Ich finde es allerdings auch vollkommen legitim, sich die WM anzuschauen. Erst Recht, wenn Nachwuchs-Fussballfans im Haus leben. Dem Kleinen im Messi-Trikot Deutschland gegen Spanien zu verbieten, weil das veranstaltende Land böse ist (außer man braucht dringend Gas), das würde ich nicht über das Herz bringen.

Und auch sonst ist es okay für mich, wenn jemand dieses Jahr die WM schaut. Wir treffen dauernd moralisch zweifelhafte Entscheidungen und wer denkt, er sei davon komplett frei, sollte mal in seinen Kleiderschrank schauen oder überprüfen, wo und wie die neue Bettwäsche, die Sneaker oder das Handy gefertigt wurde. Und vielleicht bringt es ja tatsächlich zumindest in manchen Bereichen des Wüstenstaats etwas, wenn während der WM möglichst viele Augen auf Katar ruhen. Einen Angriffskrieg werden sie in dieser Zeit vermutlich eher nicht starten.

Es gibt aber eine Sache, die mich wirklich ein bisschen stört – oder vielmehr, bei der ich denke, da wäre doch mehr drin gewesen. Es ist diese „Wir werden die WM zeigen – aber gleichzeitig auch kritisch berichten“-Einstellung der meisten Medien, insbesondere der Öffentlich-Rechtlichen. Die ist wie das 49-Euro-Ticket: Ein ganz netter Kompromiss, der aber ein bisschen zu lahm ist, wenn man wirklich ein Zeichen setzen will. Klar ist es gut, wenn in Deutschland nicht nur einfach die Fussballweltmeisterschaft abgefeiert, sondern kritisch begleitet wird.

Aber wir hätten auch ein Zeichen setzen können, das zumindest die Fifa deutlich zum Nachdenken gebracht hätte. Die WM nicht ausstrahlen also? Nein, das halte ich für übertrieben. Ihr wisst doch, der kleine Junge im Messi-Trikot – der natürlich auch ein Mädchen sein kann, weil wir haben fucking 2022. Na ja … und die ganzen anderen Fussballfans, die das neben dem kleinen Messi-Fan sehr gerne sehen wollen. Ich bin lange genug Vater um zu wissen, dass strenge Verbote eher das letzte Mittel der Erziehung sein sollten. Außerdem haben die Öffentlich-Rechtlichen quasi einen Sendeauftrag für derlei sportliche Großereignisse. Ob das wirklich sinnvoll und noch zeitgemäß ist, das ist eine andere Diskussion, aber so ist es aktuell nun mal.

Ich hätte daher einen anderen Vorschlag: Die WM wird gezeigt, aber nur in den dritten Programmen. Die kann jeder, der will, empfangen und anschauen. Die Grundversorgung ist also gesichert. Und im Hauptprogramm wäre dann Platz gewesen für die ganzen angekündigten kritischen Reportagen und Talks. Oh, wie sehr sich die Fifa darüber geärgert hätte! Ich hätte es geliebt. Ein ausgestreckter Mittelfinger Richtung Fussballweltverband auf einem Sendeplatz, auf dem sonst Wiederholungen von „Morden im Norden“ und „Giraffe, Erdmännchen und Co.“ laufen.

Da die Öffentlich-Rechtlichen aber leider eher für absurde Bürokratie und nicht für allzu mutige Ideen bekannt sind, wird das natürlich leider nix. So wie mit es mit mir und der WM vermutlich nix werden wird.

Außer die Ärzte ohne Grenzen bitten mich wirklich sehr freundlich, ein Spiel anzuschauen. Dann wäre ich ja quasi gezwungen.

Zeit, dass sich was dreht

Peter

P.S.
Um mir den Verzicht auf die Spiele ein bisschen einfacher zu machen, werde ich – so weit es zeitlich passt – während aller deutschen Spiele live auf Insta Dinge machen. Kochen, Basteln, Lesen, Nähen, Reden, keine Ahnung. Wenn ihr dabei sein wollt, hier geht es zu meinem Profil (Öffnet in neuem Fenster).

Und:
Dieser Newsletter hat aktuell ungefähr 2850 Abonnenten und genau 136 zahlende Mitglieder. Damit er langfristig weiterbetrieben wird, sollten es irgendwann mindestens 200 zahlende Mitglieder werden. Wenn er dir also öfter ein bisschen Freude bereitet und du es dir leisten kannst, werde gerne Mitglied.

Ansonsten hilft es mir aber auch sehr, wenn du diesen Newsletter persönlich oder in den sozialen Medien weiterempfiehlst. Und mir ist noch wichtig zu sagen: Grundsätzlich freue ich mich über jeden, der hier mitliest. Das bleibt dauerhaft absolut kostenlos. Nur wer etwas zahlen kann und möchte, darf das herzlich gerne tun.

Übrigens: Nur zahlende Mitglieder erfahren hier drunter, ob ich mal im Verein Fussball gespielt habe und wenn ja, auf welcher Position.

Gemeine Paywall!

Unterstützer*in werden (Öffnet in neuem Fenster)

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Wittkamp to go und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden