Welche Demokratie will die AfD?
Huhu,
wir haben diese Woche viele Nachrichten von euch zum Thema AfD-Verbotsverfahren bekommen - vielen Dank! Wir wollen einige eurer Positionen und Argumente hier auch im Newsletter teilen, weil wir sie sehr interessant, und manche auch ganz konkret weitergedacht finden.
Wenn ihr dazu (oder zu einem anderen Thema) noch was loswerden oder ergänzen wollt, schreibt uns gern: wierechtereden@proton.me (Öffnet in neuem Fenster). Wir würden uns freuen, öfter eine kleine Leser:innen-Brief-Rubrik einzubauen.
Inhaltlich dreht es sich heute noch einmal um Demokratie. Vergangene Woche haben wir für euch aufgeschrieben, wieso sich die AfD gern als großes “Demokratieprojekt (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnet und was dahintersteckt.
Heute wollen wir das Ganze weiterdrehen und den Demokratiebegriff näher beleuchten, den die AfD verwendet. Denn darunter versteht sie sehr wahrscheinlich etwas anderes als du!
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Passt aufeinander auf!
Bevor wir diese Woche ins Thema starten, möchten wir uns für die vielen Nachrichten von euch bedanken, die ihr uns zu einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD geschickt habt.
Das Thema bewegt euch offensichtlich sehr (und uns natürlich auch), aber es gibt unter euch ganz unterschiedliche Positionen, die wir an dieser Stelle kurz vorstellen wollen.
Diejenigen von euch, die sich für ein Verbotsverfahren aussprechen, belegen das oft mit AfD-Zitaten. Manche Aussagen seien in ihrer Menschenfeindlichkeit “kaum zu überbieten”, hat beispielsweise eine Person geschrieben.
Andere schreiben, dass sie jetzt lange genug gehört hätten, dass man die AfD politisch stellen müsse - während sie aber gleichzeitig keine politische Antwort auf die Strategien der AfD sehen würden.
Wer hingegen weniger von einem Verbotsverfahren überzeugt ist, hat oft so etwas geschrieben: “Ich befürchte, dass die AfD durch ein Verbotsverfahren in eine Märtyrerrolle gedrängt wird.”
Ganz ähnlich sieht das auch Matthias. Er hat uns eine lange Mail geschrieben, in der wir viel Interessantes gelesen haben, auch wenn wir nicht in jedem Punkt übereinstimmen. Trotzdem haben wir ihn gefragt, ob wir seinen Text veröffentlichen dürfen. Wir dürfen:
“Hallo zusammen,
generell ist die Prüfung eines Verbots der AfD aus meiner Sicht keine schlechte Maßnahme, wenn man mögliche taktische Fragen vernachlässigt. Wenn man jedoch die dadurch entstehende Propagandamöglichkeit der AfD, ihrer umgebenden Gruppierungen und ihrer Anhänger berücksichtigt, halte ich das Verbot der Partei aber für eine schlechte Idee. Solcher Druck durch ein längeres Verbotsverfahren bringt generell noch mehr harten Zulauf, besonders wenn die Propagandamaschine so groß und fachlich so gut ist.
Parallel zum Verbotsverfahren (aber auch sonst) müsste im Rahmen der politischen Verortung der Wähler eine sinnvolle Parteialternative zur AfD bereitgestellt werden. Eine Partei, die noch rechtsstaatlich demokratisch ist, aber autoritäre Werte im Rahmen der Demokratie tolerieren und autoritär orientierten Menschen eine Heimat bieten kann. Dafür müsste die CSU oder eine ähnliche Partei bundesweit antreten, denn die CDU kann den Spagat nicht schaffen.
Lösungsvorschlag: Da nicht alle Parteimitglieder und gewählten Führungskräfte der AfD rechtsradikal und Verfassungsfeinde sind und noch weniger sich selbst dafür halten, sollte man gegen rechtsradikale Einzelpersonen vorgehen.
Nachweislich rechtsradikalen Verfassungsfeinden sollte mit entsprechenden rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren das passive Wahlrecht aberkannt werden und die Betätigung in Parteien wenn möglich verboten werden. Das ist auch mühevoll und Kleinarbeit und bisher nicht üblich, aber es ist ein differenzierender werte- und rechtsbasierter Prozess. Damit zerstört man das Machtgefüge und setzt Richtlinien, was in einer Gesellschaft und Partei geht und was nicht.
Gleichzeitig sollte es wo immer möglich Unvereinbarkeitsklauseln und Kündigungsmöglichkeiten im Arbeitsrecht geben. Die Mitgliedschaft in einer als verfassungsfeindlich eingestuften Landespartei oder kleineren Einheit sollte dazu führen, dass man weder Beamter, noch Angestellter im öffentlichen Dienst mit Personal- und Führungsverantwortung, noch Lehrer, Erzieher sein kann, wenn man in de AfD aktiv ist. Auch in der Privatwirtschaft sollte man nicht Tätigkeiten ausüben dürfen, die eine besondere Zuverlässigkeit und Vertrauensstellung erfordern oder bei denen man Geheimnisträger ist.
In der Privatwirtschaft sind solche Berufseinschränkungen z. B. schon für Scientology-Mitglieder umgesetzt worden. Wer sich in der AfD engagiert, muss wissen, dass es auch ihn genau deshalb treffen kann, weil er/sie in solch einem radikalen Landesverband Mitglied oder generell in der AfD sind.
Demokratische Kleinarbeit ohne Heilsversprechen mit Haltung und Wehrhaftigkeit ist aus meiner Sicht ein demokratiekonformes Mittel. Wahlrechtseinschränkungen müssen jeden treffen können, der die liberale Demokratie abschaffen will. Wir müssen die Hardliner vom Rest trennen und klar beschränken - Spaltarbeit zugunsten der Demokratie.
Es kann sein, dass in einigen Bereichen noch die rechtlichen Voraussetzungen verändert werden müssen. Aber die Art der Gefahren für den Rechtsstaat sind auch neu. Die Absicherung des Rechtsstaates und z. B. des Bundesverfassungsgerichtes gegen rechte Übernahmen laufen schon. Das muss auch beim Wahlrecht fortgesetzt werden.”
Vielen Dank nochmals an Matthias für diese Nachricht.
Ergänzen wollen wir noch ein Statement, das diese Woche viral gegangen ist. Denn ob ein AfD-Verbotsverfahren nun berechtigt ist oder nicht, das sollten doch nicht Politiker:innen entscheiden, sondern die Expert:innen, also die höchsten Jurist:innen Deutschlands im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das hat zumindest der Jurist und Journalist Ronen Steinke bei “Hart aber Fair” gesagt (ab Minute zwölf (Öffnet in neuem Fenster)). Dort erklärt er, an eine CDU-Politikerin gerichtet, die den fraktionsübergreifenden Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren nicht unterstützt: “Ich finde es befremdlich, wenn man aus parteipolitischen Überlegungen sagt: ‘Wir sperren den Weg nach Karlsruhe ab.’” Stattdessen würdigt Steinke die Haltung der Antragstellenden in eben diesem Gruppenantrag (der Voraussetzung für die Erstprüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht ist): „Ich finde im Gruppenantrag steht dazu ein sehr schöner Satz: ‚Wir im Bundestag halten es für unsere Verantwortung, den Richterinnen und Richtern in Karlsruhe damit überhaupt zu ermöglichen, darauf zu schauen.‘“ Denn das sei für Politiker:innen, so Steinke, die einzige Rolle, die sie hier hätten.
Worum geht’s?
Vergangene Woche haben wir aufgeschrieben (Öffnet in neuem Fenster), dass sich die AfD schon seit Jahren immer wieder als besonders demokratische Partei darstellt. So nennt sie sich beispielsweise “Demokratiebeleber”, “größtes Demokratieprojekt der letzten Jahre” oder sie missbraucht die Willy-Brandt-Losung “Mehr Demokratie wagen” für eigene Kampagnen und ihre parlamentarische Arbeit.
Das alles macht sie einerseits, um sich selbst als normale wählbare Partei darzustellen, als gleichwertige Mitstreiterin im demokratischen Parteienwettbewerb. Andererseits will die AfD damit vermutlich schon jetzt auf ihre Anhänger:innen einwirken und so die Argumente entkräften, die im Laufe eines möglichen Verbotsverfahren öffentlich diskutiert werden könnten. Denn diese Vorwürfe wird allesamt einen, dass sie der AfD vorwerfen, gegen die Freiheitliche demokratische Grundordnung zu sein.
Die Strategie dahinter
Die AfD hantiert strategisch aber noch auf andere Weise mit dem Demokratie-Begriff. Sie verdreht ihn in ihren Argumentationen und Erzählungen seit Jahren schon immer wieder, bis seine eigentliche Bedeutung vollkommen ausgehöhlt ist.
❌ Begriffsumdeutung: menschenverachtend und dabei demokratisch?
Das ist, ganz grundsätzlich, ein wiederkehrendes rhetorisches Muster der Neuen Rechten und der AfD als ihrem parlamentarischen Arm. Auch wir haben das schon beschrieben: Immer wieder werden Begriffe und Zuschreibungen gekapert und in einen anderen Kontext gestellt (hier erklären wir dieses Vorgehen am Beispiel des Begriffs “Remigration (Öffnet in neuem Fenster)”).
Auch mit Demokratie macht das die Neue Rechte. Aufgeschlüsselt hat das beispielsweise die Soziologin Franziska Schutzbach schon vor einigen Jahren in diesem Interview (Öffnet in neuem Fenster). Schutzbach hat ein Buch zu rechtspopulistischen Strategien mit Schwerpunkt AfD verfasst.
In dem Gespräch erklärt sie, dass es ein Ziel von rechtspopulistischen Akteuren wie der AfD sei, “Vorurteile, Lügen und Hass gesellschaftsfähig” zu machen. Der neurechte Dreh daran: Diese menschenfeindlichen Positionen würden als liberale Werte oder Ausdruck von Meinungsvielfalt inszeniert - um es in etwas anderen Worten zu sagen: als demokratische Praxis. Wie AfD und Co. das erreichen, erklärt Schutzbach am Unterschied zwischen “klassischem Rassismus” und Rechtspopulismus:
“Der klassische Rassismus sagt zum Beispiel: ‘Muslime sind genetisch oder kulturell bedingt gewalttätig.’’ Der Rechtspopulismus sagt aber: ‘Wenn wir das nicht mehr sagen dürfen, ist die Meinungsvielfalt in Gefahr.’”
Was hier also laut Schutzbach geschieht: “Hass und Lügen werden zur Stütze der Demokratie stilisiert.” Das Gefährliche daran: Auf diese Weise würden Menschen nach rechts rücken, ohne dass es für sie nach rechts aussehe. Darunter seien deshalb Menschen, die sich selbst nicht als rechts begreifen würden, noch nicht mal als konservativ, sondern ihrem Selbstverständnis nach vermeintlich die Demokratie verteidigen wollen. Hier wird also nicht nur demokratischen Akteuren der Begriff Demokratie entrissen, seine Bedeutung wird auch noch ins Gegenteil verkehrt.
Letztlich geht es laut Schutzbach darum, auf diese Weise demokratische Prinzipien wie gesellschaftliche Vielfalt und soziale Gleichheit zu delegitimieren, weil die Neue Rechte zu einer ungleichen, einer “naturgegebenen” und “hierarchisch gegliederten Gesellschaft” zurückwill.
Ganz konkret zeigt sich dieses Vorhaben unter anderem in den “andauernden Klagen über Political Correctness und Gleichmacherei”, so drückt es Schutzbach aus. Dadurch sollen demokratische Grundprämissen wie Menschenrechte, Antidiskriminierung und Gleichstellung als totalitär und “nicht der Natur entsprechend” geframt werden. Als “demokratisch” wird somit ein Verhalten dargestellt, das mindestens rücksichtslos ist.
🗳️ Eine antidemokratische Demokratie?
Der Soziologie Robert Feustel, den wir bereits vergangene Woche zu diesem Thema zitiert haben, geht noch weiter. Er sagt (Öffnet in neuem Fenster), dass die AfD der gegenwärtigen Demokratie wesentliche Merkmale entreißen wolle - “einerseits die Minderheitenrechte, was zu einer Art Tyrannei der weißen Mehrheit führen würde, und auch so was wie Aushandlungs- und Vermittlungsprozesse sind dann kein Thema mehr”.
Man könnte also sagen, dass die AfD den Demokratie-Begriff nicht nur missbraucht, um das gesellschaftliche Miteinander zu verrohen, sondern auch, dass sie damit eine grundsätzliche Veränderung des Politischen vorbereiten will. Feustel sagt es so:
“Den Leuten von der AfD, vor allem Björn Höcke, geht es um eine Art gelenkte oder geführte Scheindemokratie. Wir kennen das schon, das hat mit Demokratie, wie wir sie kennen, wie wir sie vielleicht auch wollen, ganz wenig zu tun. Und dennoch besetzen natürlich rechte Kräfte den Begriff Demokratie für sich.”
Das heißt: Wenn die AfD, oder zumindest einige einflussreiche Akteure wie Björn Höcke, von Demokratie sprechen, dann meinen sie nicht die parlamentarische Demokratie.
Welche Demokratieform das sein könnte, darüber hat die Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl schon öfter gesprochen. Ihr zufolge gibt es eine in neurechten Kreisen beliebte “Demokratie”, die auf einer alten Ideologie fußt - erdacht von Carl Schmitt. Er lebte von 1888 bis 1985 und wird zur Konservativen Revolution gezählt, einem Netzwerk von extrem rechten Intellektuellen, das vor allem während der Weimarer Republik aktiv war. “Schmitt ist einer der zentralen Denker der extremen Rechten und von Sezession abwärts wird er wie ein Heiliger verehrt, die Identitären pappen ihn auf T-Shirts und auch Parteien graben ihn wieder aus”, hat Strobl einmal geschrieben (Öffnet in neuem Fenster).
Wer mehr zu Schmitt durchlesen möchte, findet eine gute erste Übersicht (Öffnet in neuem Fenster) bei der “Gegneranalyse” des Zentrum für Liberale Moderne. Dort wird auch die “identitäre Demokratie” Schmitts erklärt. Die Grundlage dafür bildet seine Verachtung für den Parlamentarismus, der ein “Ausfluss liberaler Ideologie” sei - also nicht in der Lage, verschiedene Weltanschauungen miteinander zu versöhnen. Denn in Parlamenten gebe es Schmitt zufolge “nur noch Meinungs- und Interessenfronten, aber keinen Platz für Argumente, keinen Willen zum wirklichen Gespräch, schon gar nicht zur Einigung”.
Aus diesem Grund schrieb Schmitt gegen Liberalismus, also gegen Pluralismus, Diskussionen und Gewaltenteilung an, die Schmitt als die Ursachen für die “Schwäche und Entscheidungsunfähigkeit des gegenwärtigen parlamentarischen Systems” ausgemacht hatte. Dem entgegen setzte Schmitt seine “identitäre Demokratie”. Der Name leitet sich ab aus der Überlegung, dass es eine Identität aus Regierenden und Regierten geben müsse, die “im Gegensatz zum endlosen Gespräch im Parlament, direkt vom Volk legitimierte Entscheidungen” möglich mache.
Getroffen werden diese Entscheidungen von einem “demokratischen Führer”, der aber nicht gewählt wird, sondern vom Volk durch “Akklamation (Öffnet in neuem Fenster)” berufen. Dahinter steht das “Führerprinzip”. Ein Führer, der die Macht innehat. Es gibt keine Gewaltenteilung, keine Parlamente. Warum das in der Theorie von Schmitt dennoch demokratisch sein soll, erklärt Strobl so (Öffnet in neuem Fenster):
“Die Voraussetzung dafür ist, dass es eine direkte Verbindung zwischen Volk und Führer gibt. Das ist nach Schmitt die reinste Form der politischen Willensausübung, weil sich so ein gebildeter Volkswillen direkt und ohne Filter in einer Person abbildet – im Führer.“ Man benötige deshalb emotionale und metaphysische Kategorien, um zu erklären, wie diese Verbindung zustande komme.
Es soll laut Schmitt aber nicht nur eine emotionale Einheit zwischen Führer und Geführten geben, sondern auch eine “rassische Einheit”. Strobl sagt: “Diese Form der Demokratie funktioniert nur, wenn die Geführten möglichst homogen sind. Der Volkswille bildet sich nur ab, wenn das Volk wirklich ‚das Volk‘ und nicht zersetzt oder manipuliert ist - was in rechtsextremen und faschistischen Vorstellungen ja passiert.”
Schmitt selbst hat dazu in einem seiner Werke geschrieben: “Zur Demokratie gehört notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.”
Was dahinter steckt erklärt Natascha Strobl zuletzt so: “Die Idee dahinter ist eine, die so typisch für das Staatsverständnis der extremen Rechten bis zum Faschismus ist: Konflikt ist etwas Schlechtes. Jeder potentielle innere Konflikt muss abgedreht werden. Nach innen muss Eintracht herrschen. Das ist antidemokratisch. Denn Demokratie hat ja als Grundidee den (kanalisierten, moderierten und durch Repräsentation legitimierten) Konflikt, der friedlich ausverhandelt wird.”
Die identitäre Demokratie trägt also nur im Namen Demokratie, ist im Kern aber antidemokratisch, weil sie unter anderem gesellschaftliche “Ausschlusskriterien” propagiert. Das “Volk” wird in wünschenswerte und nicht-wünschenswerte Menschen geteilt, die dazugehören oder nicht dazugehören und deshalb raus müssen.
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