Die Erregungsgesellschaft
Der Bundespräsident will, dass wir mehr miteinander reden. Aber einen Gedanken hat er nicht ganz zu Ende gedacht.
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Alexander van der Bellen, Österreichs Bundespräsident, hat bei den Salzburger Festspielen ein Rede gehalten, in der er uns ermunterte, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir älteren Herrschaften kennen noch die alte Volksweisheit: „Beim Reden kommen die Leut zsam.“ Van der Bellen meinte aber auch, man solle sich nicht in den jeweils eigenen Blasen auf Social Media verpuppen, sondern auch anderen Leuten „folgen“, also Menschen mit anderen Ansichten. Ich habe so meine Zweifel, ob das ein guter Ratschlag ist. Die Sozialen Medien, die man mit gutem Recht auch „asoziale Medien“ nennen kann, sind nun gar nicht gut dazu geeignet, einander zuzuhören, sondern eher dafür gemacht, einander anzuschnauzen. Sie leben von der Provokation, auch von der Erregung. Sie belohnen das Zerwürfnis und bestrafen den Dialog. Was einem wütend macht, wird geteilt. Was einem zu Nachdenken bringt, geht selten viral. Die rotzige Beschimpfung findet Aufmerksamkeit. Für längere Betrachtungen ist sowieso kein Platz. Weil die Erregung und der Hader belohnt wird, hat das auch eine ansteckende Wirkung. Das heißt: Wut wird entstehen, sogar dort, wo vorher noch gar keine Wut war. Ich denke, der Bundespräsident kann begründeten Widerspruch ertragen, deshalb mein Einwand: Wenn sich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten auf Social Media folgen, wird der Geifer und die Gereiztheit in unserer Gesellschaft nicht weniger, sondern mehr. Ich rege mich beispielsweise weniger auf, wenn ich von Brüllaffen weniger mitbekomme.
Man kommuniziert auf Social Media sowieso anders, als wenn man jemanden gegenübersitzt und in die Augen schaut. Wenn man echten Menschen gegenüber sitzt wird man begründete Einwände der Gegenseite eher annehmen, auch wenn man grundsätzlich bei der eigenen Meinung bleibt.
Aber mit dieser psychologischen Eigenart der Tech-Kommunikation ist es ja noch nicht getan. Weil das Dauerfeuer die Erregung begünstigt, wissen alle, die eine freie Gesellschaft zerstören wollen, dass man mit Falschnachrichten, Halbwahrheiten und grotesken Überspitzungen die Menschen gegeneinander aufhussen kann. Dass sie noch nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, alles auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen zu können. Deswegen sind diese Werkzeuge letztlich ein Geschenk Gottes für alle Dialogzerstörer und Husser. Trolls machen sich einen Spaß daraus, möglichst viele Leute zur Weißglut zu bringen.
Cynthia Fleury, eine französische Philosophin und Psychiatrieprofessorin, hat ein vielbeachtetes Buch geschrieben, das eben auch auf Deutsch erschienen ist. „Hier liegt Bitterkeit begraben“. Fleury nimmt sich des „Grollens“ an, der Wut, die in unserer Gesellschaft hochsteigen, die, auch da, wo sie durchaus begründete Anlässe haben, viel zu schnell in Starrsinn, Aggression, Böswilligkeit umschlagen. Was immer mehr unserer Zeitgenossen im Griff hat, ist eine tiefsitzende „Verbitterung“, die übrigens nicht nur für uns alle als Gemeinschaft schlecht ist, sondern vor allem für jene, die von ihr befallen sind. Sie pumpen sich auf mit „Frustration“ und „negativer Energie“, und kehren das als sprachliche Aggression und Wort-Gewalttätigkeit nach draußen. Schlagzeilen bekommen mehr Klicks, wenn sie erregen. Populistische Brandstifter machen damit ihre politischen Geschäfte.
Wie man dem beikommen kann? Mit einem anderen Gefühl vielleicht. Denn wegen dieser ganzen negativen Energie wächst zugleich auch die Sehnsucht nach Hoffnung.