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Aussichten auf den Bürgerkrieg

Über die "molekulare Gewalt", die Angstlust vor und an der Desintegration und den Intellektuellen Hans Magnus Enzensberger.

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Hans Magnus Enzensberger ist gestorben, und bevor ich heute ein paar Takte darüber sage, eine kleine Einschaltung in eigener Sache, die wir aber, wie sie werden sehen können, mit der Sache Enzensberger bestens zu verweben vermögen. Also: Manche von Ihnen wissen, dass ich viele Jahre lang einen Videoblog auf der Webseite des „Standard“ betrieben habe, „FS Misik“ hieß dieser. Kommentare, Gedankenströme, Wutausbrüche, leise Ironisierungen des Weltgeschehens, Suadas, Wörterfälle oder auch Videoberichte von meinen Reisen, von Flüchtlingslagern über den US-Wahlkampf bis zu Reports aus dem Inneren der griechischen Syriza-Regierung. 2019 wurde das Format eingestellt. Jetzt ist es zurück. Diese Form, die eine große Freiheit hat in Hinblick auf Genre und auf den stilistischen Ausdruck, ist mir schon abgegangen. Künftig können Sie sie alle zwei Wochen auf dem Portal „Zackzack“ sehen. Die erste Folge ist seit Samstag online, bitte schön, hier geht’s lang: 

https://www.youtube.com/watch?v=yAcYQeLuVR4 (Öffnet in neuem Fenster)

Nun zurück zu Enzensberger. Eine der älteren Folgen der Videoreihe trägt den Titel „Aussichten auf den Bürgerkrieg“, und wer das publizistische Werk von Hans Magnus Enzensberger mit gelegentlicher Aufmerksamkeit verfolgt hat, erinnert sich an den Großessay, den Enzensberger 1993 bei Suhrkamp herausbrachte, von dem ich mir diesen Titel geklaut habe. Damals wurde dieser und ein paar andere Texte Enzensbergers als Symptome einer kultur-konservativen Wendung des Intellektuellen angesehen. Ganz falsch ist das nicht gewesen, andererseits auch nicht ganz richtig, denn Enzensbergers Stärke lag ja immer darin, Witterung aufzunehmen, zu erspüren, was so in der Luft lag, sich andeutete, und das, was kaum noch merkbar war, auch zu übertreiben.

Enzensberger war das, was man so den Großintellektuellen nennt, in diese Rolle ist er in den 1960er Jahren hineingewachsen. Der Intellektuelle in Nachkriegsdeutschland war ja gerne auch als „Gewissen der Nation“ modelliert worden, und wie die Süddeutsche am Wochenende schreibt, lag Enzensberger natürlich nichts ferner als das zu sein.  Hier zum Nachruf von Kurt Kister (Öffnet in neuem Fenster).

Heute hat das Wort „Intellektueller“ (und „Großintellektueller“ sowieso) ja so einen faulen Geruch, das war aber vor ein paar Jahrzehnten noch anders. Die „Intellektuellen“-Figur wurde ja dekonstruiert, was heißt, sie wurde in die Hand genommen, hin und her gedreht, von allen Seiten betrachtet und einem kritischen Blick ausgesetzt, es wurde an ihr herum geknetet, bis sie zerbröselte. Also mit dem Intellektuellen wurde das gemacht, was die Intellektuellen mit allem tun, er wurde der nagenden Kritik ausgesetzt. Eine Art Selbstverdauung, sozusagen, der Intellektuelle kaut am Intellektuellen rum, bis keiner mehr ein Intellektueller sein will. 

Vor diesem Dekonstruktionsprozess war das so: Der oder die Intellektuelle hat das Gewicht, die Statur und das Renommée, das er/sie auf irgendeinem Feld erlangte – als Philosoph, als Autorin, als Romancier –, in Interventionen ins Öffentliche investiert. Der Intellektuelle, den man dann als „Gewissen der Nation“ apostrophierte, wollte die herrschenden Diskurse beeinflussen, was heißt, er wollte an den nächsten herrschenden Diskursen mitschrauben; er griff vielleicht die herrschende Macht an, um selbst zu einer Art von Macht zu werden; demgegenüber gab es immer jenes Modell des Intellektuellen, das herrschende Diskurse primär stören wollte, und sei es nur als Ironiker. Das ist jetzt natürlich arg schematisch von mir, dazwischen gab es immer die schönsten Abstufungen und Grautöne. Enzensberger, der Poet, Essayist, Verfasser von Denkschriften, die prägende Gestalt, etwa als Gründer des „Kursbuches“, er gehörte eher zur zweiteren Gattung... 

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