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Folge 61 

Vorweg

Sorry, ich habe letzte Woche Sonntag verpasst, plötzlich war Montag und dann sofort wieder Freitag.

Etwas Altes: Protestkultur nach meinem Geschmack

Wusstet ihr, dass Cocktailringe, das sind diese möglichst klotzigen Ringe mit möglichst fettem Edelstein, ursprünglich ein protestkultureller Style waren? Man trug sie zuerst in den USA auf illegalen Partys während der Prohibitionszeit in den 1920ern, Partys, bei denen – wenig überraschend – Cocktails serviert wurden, weil man in denen nicht so genau schmeckte, dass minderwertiger Alkohol verwendet wurde. Mit den schamlos protzigen Ringen zeigte man, dass man Team Dekadenz, Luxus und irgendwie auch Fuck you war. 

Ich bin hin und her gerissen, wie ich das aus heutiger Sicht finde. Irgendwie hat das so eine unangenehme Lindner-Mit-Porsche-in-die-Apokalypse-Note. Aber schamlos protzige Ringe mit fetten Steinen, dagegen kann ich einfach nichts haben. 

Ab heute bedeuten Cocktailringe, wenn ich sie trage: Grundrechte, Glitzer und Glamour für alle. Chin chin.


Falls jemand spontan meine Protestkultur unterstützen möchte, wäre das hier (Öffnet in neuem Fenster) mein Stil.

Etwas Neues: Therapie als Netflixserie

Ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr es mich früher (20. Jahrhundert) belustigte, dass alle mir persönlich bekannten US-Amerikaner*innen »in Therapie« waren. Dann (21. Jahrhundert) waren irgendwann auch fast alle meine in Deutschland lebenden Freund*innen in Therapie. Ich war jetzt nicht mehr belustigt, aber selbst immer noch nicht in Therapie. Dabei bildete ich mir nicht ein, als Einzige seelisch intakt zu sein, aber lange Zeit konnte ich auf recht stabile Selbstheilungskräfte vertrauen. 

In der Pandemie bröckelte das, seither habe ich gelegentlich, manchmal auch für etwas längere Zeit, mit Angstattacken zu tun und kann dann nicht mehr gut kommunizieren, was extrem schlecht für meine Arbeit ist. Mein bewährtes Mittel gegen emotionale Instabilität, Blumen anstarren, funktioniert nicht mehr so gut, ich muss jetzt schon Bäume fällen, um die gleiche Wirkung zu erzielen, was auf Dauer meinem Garten empfindlich schaden wird. 

Was ich sagen möchte. Ich glaube, dass mittlerweile so gut wie alle Menschen auf der Welt therapeutische Hilfe brauchen könnten. (Sehr viele Menschen brauchen natürlich vorher vor allem erst mal sichere und würdige Lebensbedingungen.) So viel Therapie im klassischen Sinn kann es aber nicht geben. Deshalb schlage ich vor, dass jetzt in jede neue Netflixserie Figuren eingebaut werden, die Verhaltenstherapie für die gängigen menschlichen Probleme der Jetztzeit anbieten. In Echtzeit. So kann man weiter schön Serien glotzen und bekommt nebenbei Techniken nahegebracht, wie man sich bei der nächsten Angstattacke oder anderen mentalen Unwägbarkeiten selbst beistehen kann. 

Dafür zahle ich gern drei Euro mehr im Monat.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Many people repeat the past. I’m not interested. I prefer evolution.« –Issey Miyake 

Rest in Peace Power und herzlichen Dank für die Falten.

Etwas Uncooles: Das tote Bücherregal

Der zu fahlem Grau verblasste Einband der deutschen Ausgabe des Ulysses, die ausgewaschen grünen und lila Schutzumschläge der zwei Bände des Kino-Buchs von Deleuze. Dutzende, hunderte Bücher, die seit gefühlt mehr als zehn Jahren nicht mehr angefasst wurden und leblos vor sich hin gilben und bleichen.

Das Bücherregal in unserem Wohnzimmer gleicht verlassenen Zimmern oder Häusern in Horrorfilmen, in denen die Möbel für eine unbestimmte Zeit, in Wirklichkeit für immer, mit Tüchern vor Staub geschützt werden. Der Untergang des Hauses Usher als Bücherregal. Ist es vielleicht verflucht, weil der rechte Ex-Bekannte irgendwann anerkennend schnalzend daran vorüberging? Vermutlich.

Ganz anders die Bücherstapel in meinem Arbeitszimmer. Sie werden oft umgeschichtet, weil sie aus Büchern bestehen, die ich bald lesen will, lese, gelesen habe, noch exzerpieren will, immer wieder aufschlage. 

Vor einer Weile stand eine junge befreundete Person vor dem Regal im Wohnzimmer und besah sich die Titel. Sie blieb an einem Knausgård-Buch hängen und wollte es ausleihen, weil es ihr verhieß, gefühlvoll zu sein. Ich sagte »Auf keinen Fall liest du das« und rannte hoch ins Arbeitszimmer, um ihr ein Buch von Fatma Aydemir zu holen. Das war der Moment, als mir überhaupt erst auffiel, dass ich im Zentrum des Hauses ein Geisterregal stehen habe. 

Letzte Woche habe ich sehr viele Bücher aus dem Geisterregal ausgeräumt. Eine Kiste zu Momox, drei Kisten vor die Tür, nach zwei Tagen dann fast die kompletten drei Kisten in den Müll. Es gibt jetzt freien Stellplatz im Regal. Alles sehr aufregend.

Rubrikloses

Bitte, was? Ja, das ist nur trashige Online-Werbung für eine Bildbearbeitungs-App, aber Sprache hat Wirkung, und solche vorüberziehenden fragwürdigen Anblicke und Lektüren machen etwas mit einem, und zwar nicht immer, dass man kritisch darüber nachdenkt und es dann im NewFrohmanntic postet. So etwas sickert in Menschen ein, beeinflusst sie unter- und halbbewusst. Femizide basieren auf so einer Betrachtungsweise, ebenso das Ertrinkenlassen von flüchtenden Menschen. Gegenvorschlag: Betrachten Sie Menschen, die Sie kulturell falsch als störende Elemente zu betrachten gelernt haben, wieder als Menschen. 

Diese Woche würde ich für diese Brosche in ein Museum einbrechen.

Heute etwas friendly Spotlight für zwei tolle junge Menschen. 

Hier hat mich Francis auf Laseronia besucht:

Und dieses raffinierte Klappbild habe ich von Sixten geschenkt bekommen:

Präraffaelitische Girls erklären Megalonäre, Vol. 12

Zurück ins Megalodärspatriarchat, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

Ich freue mich über Empfehlungen für Newsletter (Öffnet in neuem Fenster), Verlagsshop (Öffnet in neuem Fenster) und Girls-Merch (Öffnet in neuem Fenster). Ihr kennt ja die dauerschwierige Indie-Lage.

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