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Folge 60 

Etwas Altes: Schöneberg-Erinnerung

In Schöneberg war ich sehr oft, als ich noch ziemlich neu in Berlin lebte: Mit meinen damals besten Freunden Wolfgang und Guido ging ich, wenn wir mal wieder die Uni schwänzten oder im Anschluss an ein Seminar, ins Petite Europe, ins Café M, ins Andere Ufer (heute Neues Ufer), in den Strudel (dessen Betreiber ich absurderweise neulich auf einer Pankower Party kennlernte, damals war er nur der Mann an der Bar von dem Laden, in den ich besonders gern ging) und oft auch zwischen dem einen oder anderen Cafébesuch ins damals neu eröffnete Habibi. 

Die legendäre Titanic mit der Zonen-Gaby, die eine geschälte Gurke in der Hand hielt, aber »Meine erste Banane« als Text unter sich stehen hatte, war noch nicht sehr lange erschienen. Meine Güte, fand ich das damals witzig, meine Güte, ist mir das heute unangenehm, denn es ist einfach nur misogynes, klassistisches, imperialistisches Mobbing. Mich selbst hat damals natürlich niemand verarscht, indem er mir eine Boulette in die Hand drückte und »Meine erste Falafel« drunter schrieb. Weil man das engstirnige Nichtchecken von Dingen, die andere für selbstverständlich halten, ja als coole, christlich geprägte, weiße Westdeutsche niemals sich selbst oder Menschen aus der eigenen Gruppe zuschrieb. Dabei gab es im historischen Vergleich wirklich wenig Piefigeres als unsere auf Style (aka Konsumieren der »richtigen« Printmagazine, Platten und Markenklamotten) basierende Coolness. Auch wenn das in den frühen 90ern schon weniger wichtig geworden war, hatte uns die darüber kultivierte Arroganz noch nicht ganz verlassen. Manche bis heute nicht. 

Etwas Neues: Der Bruch mit sich selbst (Umsehen lernen, Folge 100.000.872.673)

Die 1968er mussten »nur« mit ihren Nazivätern brechen, heute ist die Sache deutlich komplizierter geworden, denn ein Bruch mit sich selbst steht an. Nicht für alle, aber für viele. Wer in den 1980ern und -90ern sozialisiert wurde (Problem siehe oben) und in den 2020ern noch gesellschaftlich brauchbar sein möchte, muss wohl oder übel sein cooles aka zu kaltes Ich aufgeben, das sich zu allem und vor allem allen in ironischen Sicherheitsabstand begibt. Um angemessen auf die Klimakatastrophe und globale soziale Ungerechtigkeit zu reagieren, benötigen Menschen ein mitfühlendes und warmes Ich. Cool bleiben, bis alle tot sind, ist, das wird rational einleuchten, einfach keine Option. Es muss also mit dem oder, besser, einem alten Selbst gebrochen werden, um Raum für eine neues Ich zu schaffen, das keine »Wir« mehr setzt, sondern sich als Teil einer Gemeinschaft aller Menschen, besser, aller Lebewesen fühlt. 

Das ist ganz schön viel verlangt, wenn der Impuls dazu nicht aus einem selbst kommt, weil man glücklicherweise im Laufe der Zeit mehr und mehr Erfahrungen gemacht hat, die dies plausibel machen. Wer es als berechtigte Forderung entgegen geschrien bekommt, sagt, man kann es jeden Tag beobachten, meist »Nö, also wirklich nicht, nicht in diesem Ton, jetzt reicht es mir«. Die Betonung liegt aber auf »berechtigt«, und das Schreien ist schnell damit erklärt, dass Menschen, die etwas schon x-mal ruhig und sachlich gesagt haben und nicht gehört wurden, eben irgendwann schreien. 

OK, Boomer, OK, Generation X, ihr müsst jetzt bitte sofort aufhören, coole alte Fotos von früher zu posten und eisern nur mit denen zu sprechen, die euch nach dem Mund reden. Klar, könnt ihr hoffen, dass die alte coole Weltordnung gerade noch so eben für die Dauer eures biologischen Lebens hält, aber viele von euch haben doch auch Kinder bzw. Verstand und ein Gewissen. Atmet jetzt einfach kurz durch und lasst sie durch, diese Gefühle. Nicht wieder warten, bis nur gewalttätiger Zorn rauskommt. Weint doch mal, weil Kinder aus Krisengebieten im Mittelmeer ertrinken. (Das ist nämlich die Voraussetzung, dass ihr was dagegen unternehmen werdet.) Ihr dürft trotzdem weiterhin Tränen in den Augen und eine brechende Stimme haben, weil gerade einer eurer Fußballhelden gestorben ist. Aber bitte nicht nur bei Sportereignissen, denn das ist extrem creepy. Seid endlich Menschen und nicht nur irgendwelche altmodischen Images. So findet ihr auch wieder Anschluss an die Gegenwart, an Bewegung und Veränderung. Es ist auch ganz und gar nicht so, dass die von euch hämisch Abgetanen (»XYZ-Lobby«, »XYZ-Gaga«) euch nicht mehr mitspielen lassen würden, in Wirklichkeiten warten sie ungeduldig darauf, dass ihr endlich die Kurve kriegt. Damit wir dann alle zusammen die Welt reparieren können. Ihr werdet sofort belohnt, versprochen, denn ihr spürt wieder was, ihr lebt wieder, ihr erlebt sogar ganz neue Sachen: Gefühle. No risc und trotzdem fun. Ja, eure Angst vor dem Tod ist unfassbar groß, aber sie lässt sich mildern, indem man sich selbst als Mitmensch begreift, als Teil von etwas, nicht nur als immer über andere urteilende Erhabenheit. Es ist überhaupt kein Problem, im fortgeschrittenen Alter noch zugewandter, sanfter, lieber zu werden. Und eure Urangst, dann nicht mehr witzig zu sein, könnt ihr auch streichen. Arschgeigenwitze (siehe oben) sind seit mindestens zehn Jahren humorkritisch überholt. 

Ihr schafft das, los jetzt. 

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Ich gehe nicht viel spazieren, (...) laufe drinnen herum, um meine eigenen Sehenswürdigkeiten zu erkunden, die ich schon lange besuchen wollte, aber nie dazugekommen bin.« – Karina Papp, Über–, in: REALITÄTEN (Öffnet in neuem Fenster)

Etwas Uncooles: Traumamomente in Kinderunterhaltung

Eben im Bus dudelte in einem Kinderwagen eine Spieluhr. Flashback. Das Baby ist da. Du willst ihm, Mütter, das weißt du, machen so was, ein Schlaflied singen und versuchst, dich zu erinnern. Also gut, Guten Abend, gut Nacht. Du bist nicht die größte Sängerin, aber das Kind hat ja noch keinen Vergleich. Mal sehen, ob du den Text noch kannst. Du singst los. Guten Abend, gutNacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt [häh?], schlupf unter die Deck. Und dann stockt dir der Atem, kalter Schweiß bildet sich auf deiner Stirn, du erinnerst dich, aber so etwas kannst du doch unmöglich singen, was ist das denn bitte für ein Horrortext, auf keinen Fall wirst du singen Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt, morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Das ist doch hier nicht Rosemarys Baby, sondern dein wunderschönes Neugeborenes, das einfach nur gut schlafen soll – und in diesem Moment beginnt deine leuchtende Karriere als instantane Kinderunterhaltungszensorin, denn nicht die Kunst ist frei, sondern der Mensch im Umgang mit ihr: Morgen früh, wenn es hellt, wirst du wieder geweckt, morgen früh, wenn es hellt, wirst du wieder geweckt.

Rubrikloses

Stimmt ihr mir zu, dass das komplett fiktional wirkt, wie so eine Indiana-Jones-Phantasie für Premiummenschen.

Ich kann ganz klar sagen, dass ich ausschließlich für Schmuckstücke in Museen einbrechen würde. Ist auch garantiert viel weniger stressig, sich anschließend daran zu erfreuen. Nicht so ein Aufriss wie mit weltbekannten Gemälden. Wenn dich hier jemand fragt, woher, sagst du einfach: Etsy.

Präraffaelitische Girls erklären Megalonäre, Vol. 11

Zurück zu den Buchclubs, zu den Dudeclubs, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,         
FrauFrohmann

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