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“Nie wieder” ist der 23. Februar

Hallo alle,

nach einer Dezember-Pause bin ich wieder da. Ein frohes neues Jahr. Ich hoffe, ihr habt die letzten Wochen gut überstanden. Es mangelte ja nicht an Krisen.

Ich habe keinen Neujahresvorsatz. Ich habe aber einen Wunsch für dieses Jahr: Dass Nazis eine auf die Fresse bekommen. Und das funktioniert unter anderem an der Wahlurne. Am 23. Februar finden die Bundestagswahlen statt. Wer stimmberechtigt ist, sollte wählen gehen. Ich werde es definitiv tun. Weil wir wirklich keine guten Aussichten haben:

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Screenshot aus wahlrecht.de

Was steht da, unter der neusten Umfrage vom 15. Januar? 30 Prozent für einen Merz und 21 Prozent für die AfD. Leute!? Das ist Faschismus! Gruselig. Keine Überraschung, dennoch gruselig. Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Wir. Wir müssen es.

Ja, W-I-R. Für dieses Jahr wünsche ich mir mehr Zusammenhalt, mehr Liebe – freundschaftlich, momoschaftlich, ästhetisch. Mehr Gemeinschaft, stärkere Bündnisse. Ein Wir, mit all unseren Unterschieden.

Das “Wir” wird geächtet. Das Wort werfe die Frage auf, um wen es überhaupt gehe, wer überhaupt gemeint sei, sagte mir einst eine meiner Deutschlehrer*innen. In der taz erschien vor kurzem ein Essay, der behauptete, dass “wir” Individualitäten auslösche – ihm gehe es um Quantität, es ächte Differenz. Das mag für eine bestimmte Auslegung des Wortes (beziehungsweise des Verständnisses) eines Wirs richtig sein. Gemeinschaft als den Feind von Freiheit abzutun, ist allerdings neoliberale Laberei. Es sind nämlich die Gemeinschaften, die uns schützen und retten. Wölfe wissen es.

Ich hatte in der vorigen Ausgabe im November geschrieben, dass ich nicht wüsste, welche Partei ich bei den kommenden Bundestagswahlen wählen würde. Das hat sich inzwischen geändert. Ich werde ____Trommelwirbel___ Die Linke wählen (an dieser Stelle googelte ich “Welches Geräusch macht Tabubruch?”, aber leider ergebnislos).

Wir brauchen eine starke linke Opposition im Bundestag, daher ist es unfassbar wichtig, dass Die Linke ganz viele Stimmen bekommt. Wenn wir ständig “Nie wieder” sagen, dann müssen wir auch verstehen, dass “Nie wieder” nicht irgendeine ferne Zukunft markiert, sondern den heutigen Tag. Nie wieder ist spätestens der 23. Februar. Und eine rechte Mitte wird uns kein “Nie wieder” gewährleisten.

Ein kurz zusammengefasstes (Öffnet in neuem Fenster), und ein ausführliches Wahlprogramm (Öffnet in neuem Fenster) von der Partei “Die Linke” findet sich online.

Natürlich reicht das nicht, alle paar Jahre mal eine Stimme abzugeben. Aber ich sehe auch definitiv nicht, woher die Ungläubigkeit so vieler Menschen stammt, dass nichts an den Umständen zu ändern sei. Wir sind doch die Opposition. Und das bedeutet auch eine Pflicht. Wir sind an der Verantwortung, die Arbeit der gewählten Politiker*innen kritisch zu begleiten, ganz unabhängig davon, welcher Partei sie angehören. Selbst wenn es diejenigen sind, die wir selbst gewählt haben, ist es unsere Aufgabe, uns immer wieder einzumischen. Sie zu erinnern, dass sie dafür gewählt worden sind, das Leben von Menschen besser zu machen, aber doch nicht dafür, die Interessen von Großkonzernen und Superreichen zu vertreten. Und uns selbst müssen wir daran erinnern, dass wir politische Subjekte sind und Macht haben. Vor allem, wenn wir zusammen stehen.

Themenwechsel. Geht Kultur ohne Politik? Laut Victor Willis, dem Lead der Band Village People, wohl schon. Er schrieb am 13. Februar auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster): “We are announcing today that VILLAGE PEOPLE have accepted an invitation from President Elect Trump's campaign to participate in inaugural activities, including at least one event with President Elect Trump. We know this wont make some of you happy to hear however we believe that music is to be performed without regard to politics. “ [sic!]

Ich finde ja, dass das nicht geht. Dass eigentlich nichts von der Politik losgelöst betrachtet werden kann. Aber ich verstehe schon, dass eine Band, die heute eigentlich kaum noch eine Bedeutung hat und nur noch mit der Vergangenheit assoziiert ist, jede Gelegenheit nutzen möchte, um Schlagzeilen zu machen. Ob man dafür unbedingt einen superreichen, faschistischen Straftäter wie Trump legitimieren muss, scheint eher eine moralische Frage.

Die November-Ausgabe handelte von einem Thema, das ich persönlich nicht für kontrovers gehalten hätte, es aber scheinbar wohl war. Nach der Veröffentlichung gab es nicht nur sehr viele hässliche Insta-Kommentare, sondern auch ein paar Abmeldungen und Kündigungen. Das Letztere ist okay, wir müssen uns nicht immer zustimmen und sich abzumelden oder die Mitgliedschaft zu kündigen ist euer gutes Recht. Allerdings möchte ich in dieser Ausgabe ein paar Missverständnisse aus dem Weg räumen.

Ich hatte in der vorigen Ausgabe geschrieben, dass die Debatte um “Abschiebungen im großen Stil” nach dem 7. Oktober antisemitisch sind, weil sie im Kern nicht die Bekämpfung dessen beabsichtigen, sondern ihn bloß für eine andere Form des Rassismus instrumentalisieren. Deutlich machte ich das am Beispiel der Ausbürgerungen und Remigration. Diese Ausgabe erschien noch bevor Friedrich Merz die Ausbürgerung “straffälliger” Doppelstaat-Angehörigen forderte und die AfD “Abschiebetickets” in zehntausenden Briefkasten einwarf. Es ist nicht schön, dass die eigenen düsteren Zukunftsvorstellungen so schnell wahr werden. Ich kann mir ein “I told you so” dennoch nicht verkneifen.

Politische Debatten in Deutschland werden von rechten Ideen geprägt und dominiert, weil die Mitte der deutschen Gesellschaft politisch rechts steht – das ist nicht meine subjektive, persönliche Meinung, sondern ein wissenschaftlicher Fakt (Öffnet in neuem Fenster). Das bedeutet, dass in diesem Klima auch die Deutungshoheit über beinahe alles bei Rechten liegt.

In der aktuellen Debatte über den sogenannten “Nahostkonflikt” und Antisemitismus geht es nicht um Antisemitismus, sondern um den Aufbau einer neuen, exklusiven deutschen Identität. Oder wollen wir hier ernsthaft behaupten, dass es beispielsweise dem Medienkonzern Axel Springer wirklich um die Bekämpfung von Antisemitismus geht, wenn Welt, Bild und Co. ständig über den vermeintlichen Antisemitismus bestimmter Gruppen berichten? Selbstverständlich nicht.

Also, wenn ich schreibe, dass eine “falsche” Gefällt-mir-Angabe auf Social Media zu einer Ausbürgerung und einer Ausweisung führen könnte – wenn man zum Beispiel einen kritischen Post über die Politik der israelischen Regierung mit Gefällt-mir markiert, das als antisemitisch ausgelegt und als Ausrede herangezogen werden kann, um die Person auszubürgern und auszuweisen – dann verwechselt mein Text nicht die Begriffe Antisemitismus und Israel-Kritik miteinander, sondern meint genau das, was da steht. Er meint genau das, was Merz und die AfD sagen und vorhaben.

Mein Text sagt, dass Deutschland den Begriff Antisemitismus aus einem rechten Standpunkt definiert – dass ein bestimmter Staat niemals kritisiert werden dürfte, egal welche Verbrechen er zu verantworten hat, selbst wenn es bedeutet, dass sich Deutschland gegen internationales Recht wehren muss. Der Text sagt, dass die Diskriminierungsform Antisemitismus Merz und der AfD herzlich egal ist, wir Kanaken aber nicht. Wir sind ihnen nicht egal, sondern ein Dorn im Auge.

Wusstet ihr, dass in Abschiebezentren der USA die festgenommenen Menschen Zwangsarbeit (Öffnet in neuem Fenster) ausgesetzt werden, mit der Profit gemacht wird? Abschiebungen sind vor allem eins: Lukrativ. Sie zahlen uns gerade “normale” Gehälter. Wenn sie aber unsere Existenz einmal kriminalisiert haben, müssen sie uns nichts mehr geben. See the bigger picture, please.

And stay fabulous.

Liebe Grüße
Sibel Schick

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