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Doppelfolge

Vorweg

Ich erwarte von euch, dass ihr ab jetzt solidarischer seid bzw. ich bitte euch darum. Teilt in sozialen Medien und Chatgruppen ohne langes Zaudern oder absurdes Nachdenken darüber, was das mit eurem public image macht, aktivistische Inhalte, in denen auf aktuelle Fälle struktureller Gewalt gegen Menschen – Frauen, Queere, BIPoC, Behinderte, Arme, Alte, Minderjährige – und Initiativen zu deren Überwindung hingewiesen wird. Vor allem aber greift sofort ein, wenn in eurer Gegenwart, egal ob in der physischen Realität oder im Netz, Menschen diskriminierend angegriffen werden. Zumindest Hilfe holen geht immer. Und passt ab jetzt noch viel besser auf, dass ihr nicht selbst Menschen diskriminiert. Haltet euch nicht für gut – das macht nur bis zur Ignoranz bequem und träge –, handelt lieber als Mitmenschen. 

Für Malte und alle Menschen, die euch gebraucht hätten, jetzt gerade brauchen und noch brauchen werden.

Noch mehr vorweg 

Bei einer Veranstaltung am Wochenende habe ich darüber nachgedacht, was es gegenwärtig bedeutet, in einem linken Verlag zu arbeiten. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dies zeitgemäß nur dann geschieht, wenn man das Publizieren im Kollektiv nicht nur zwischen Buchdeckeln und E-Book-Dateigrenzen, sondern offen und plattformübergreifend denkt. 

Das gilt aber gar nicht nur für Verlagsmitarbeiter*innen, sondern für alle Menschen, die sich als sozial verstehen. Im Idealfall publiziert ihr im Kollektiv, wann immer ihr online geht. Seht euch zugewandt und interessiert um, teilt großzügig, nehmt, aber gebt auch. 

Da ist keine phantasmatische »Arbeiterklasse« mehr, für die ihr selbstbeauftragt kämpft, aber es existieren real sehr viele, ganz unterschiedliche Menschen, die nicht gewohnheitsmäßig übersehen und -hört werden wollen. In sozialen Medien auf Augenhöhe mit anderen interagieren, ihnen zuhören, ihre Inhalte teilen und beherzigen, sich beeinflussen lassen und dies reflektieren sowie kommunizieren: das ist instantanes Publizieren im Kollektiv.

Etwas Altes: Stasis- und Flowmenschen 

Bei vielen der leeren Debatten muss ich an eine Typologisierung denken, die ich 2017 in einem Vortragstext (Öffnet in neuem Fenster) entworfen habe: zum einen »Stasismenschen« und zum anderen »Flowmenschen«. Erstere wollen alles so lassen, wie es ist, wobei es oft gar nicht mehr so ist, wie sie denken, dass es ist, oder es war niemals so, sie sind nur daran gewöhnt, es für gegeben zu halten. Letztere können Veränderung per se besser ertragen bzw. mögen sie sogar, wenn sie etwas Positives impliziert. Mischformen sind eher unwahrscheinlich, aber manchmal bleiben Flowmenschen irgendwann hängen und sind von da an Stasismenschen. 

Vielleicht müsste man mal darüber diskutieren, wie man Konservativen plausibel machen könnte, dass sie durchaus Vieles beim Alten lassen dürfen, wenn sie ohne Tamtam bei den Basics (verwirklichte Menschenrechte für alle) mitziehen würden. 

Vielleicht müsste man auch mal überlegen, wie man es in einer demokratischen Gesellschaft strukturell verankert, dass kein Mensch mehr unnötig exklusiv in sehr engen Familien-, Dorf-, Kiez- und auch Klassenstrukturen aufwächst; wenn alle mal länger rauskommen und sich als Fremde erfahren, gibt es automatisch weniger »hier und da«, »die und wir«. Staatlich komplett subventionierte Auslandsaufenthalte in jungen Jahren, sei es als Schul- oder Ausbildungsaustausch, könnten da Wunder bewirken, nur dass die positiven Veränderungen dann gar kein Wunder wären. Das sollte aber nicht zwangsverordnet geschehen, denn sonst wären es nur weitere Bundesjugendspiele, die für manche Jugendliche die Hölle sind. 

(Oh, das war eigentlich etwas Neues, aber auch wieder nicht, denn das mit dem Schulaustausch habe ich schon vor vielen Jahren auf Twitter geschrieben.)

Noch etwas Altes: Eigenverantwortung Eigeneinordnung

Man muss sich nicht für unnötig diskriminierende, objektifizierende Coolness oder Witzigkeit der Vergangenheit hassen, aber es ist wichtig, sich einzugestehen, dass man nach heutigem Wissen so nicht mehr denken, sprechen, handeln würde. Und wenn man eine öffentliche Person ist, empfiehlt es sich sehr, das auch mal öffentlich zu sagen, um der Verboomerung der Welt entgegenzuwirken. 

Hoffentlich wird es bald normal sein, in der Rückschau problematisch gewordene Arbeit eigenverantwortlich einzuordnen, man macht ja schließlich auch freiwillig Fortbildungen – noch aber ist es erwähnens- und lobenswert. 

(Das war auch nichts im klassischen Sinne Altes, aber so ist das halt im Zeitalter des Instantanen, wozu auch gehört, dass ich über das Instantane so schreibe, als gäbe es dazu bereits ein ganzes Buch, dabei muss ich das immer noch schreiben.)

Etwas Neues: Die unheimliche Angst, ein falsches Emoji zu benutzen

Kürzlich habe ich auf Twitter einer Userin zum neuen Baby gratuliert und die guten Wünsche mit einem roten Herz-Emoji beendet. Dabei beobachtete ich an mir, dass ich – nicht zum ersten Mal – dabei einen kurzen Angstmoment hatte, nur ja nicht versehentlich ein anderes Emoji zu erwischen, in diesem Fall eines, das etwas Negatives oder Trauriges ausdrückt. Ich finde das interessant, denn es hat so eine irrationale Note, so, als müsste man befürchten, wie eine böse Fee durch eine falsche Gabe dämonischen Schaden anzurichten. 

Anschlussgedanke: In der Jetztzeit sind böse Feen, die eine misogyne Vorstellung darstellten, durch Internettrolle abgelöst worden, die eine misogyne Vorstellung geben. Böse Feen hatten es angeblich auf Menschenleben abgesehen, Internettrolle aber kosten in erster Linie Menschen Lebenszeit. 

Noch etwas Neues: Goldenes Haar

Ich bin selbst fast gar nicht körpermodifiziert, aber Gold- und Diamantenhaare finde ich schon ziemlich überzeugend. Deshalb unterstütze ich die kürzlich in einer Insta-Story (also jetzt nicht mehr nachlesbar) formulierten Erwägungen von Schwartz (Öffnet in neuem Fenster), sich so wie der mexikanische Rapper Dan Sur (Öffnet in neuem Fenster) eine Edelmetallfrisur machen zu lassen. 

Ich selbst bleibe, glaube ich, hexenkonservativ bei den guten alten Schlangen.

Trotzdem beschäftigen mich die Goldhaare gedanklich sehr: Ich stelle mir vor, dass es ziemlich unangenehm, wenn nicht lebensgefährlich werden könnte, damit nachts von der S-Bahn nach Hause zu gehen, also etwa so wie für eine random Frau oder queere Person. – Flashback: Ich blieb mal, als mich ein »Was sich liebt, das neckt sich«-Romantik-Dude in der 6. Klasse in eine Ecke drängte, mit einem Ohrring in einem Feuerlöscher hängen, und obwohl es nicht zum Äußersten, dem Ohrläppchenriss, sondern nur einer lebhaften Vorstellung davon kam, bin ich auf Basis dieser Erfahrung sicher, dass es besonders furchtbar ist, wenn einem Parkräuber die fest in der Kopfhaut verankerten 24-Karat-Goldhaare ausreißen. Aber vielleicht stellt sich dieses Problem gar nicht, weil man mit Geschmeidehaaren bestimmt ohnehin ganz automatisch nur noch Limousine oder zumindest Taxi fährt. 

Anschlussgedanke: Was ist eigentlich mit den demokratieschreddernden Clickbaitmedien los, dass sie noch nicht gegen die Jugend aufwiegeln, die 24/7 Uber fährt und Essen bestellt? Wahrscheinlich haben deren Themenfinder*innen schlicht nichts davon mitbekommen, weil ihre eigenen Kinder im Seilschaftenzukunfts-Internat sind und sie viel zu sehr hassen, um ihnen irgendwas Interessantes zu erzählen. 

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Halb Mensch, halb Mensch.« – Ianina Ilitcheva, @blutundkaffee (2012–2016) (Öffnet in neuem Fenster)

Noch etwas Geborgtes: Noch ein Zitat

»Diese anderen Kinder – diese Kinder, die zu anderen gemacht werden – gibt es nämlich tatsächlich. Sie hören uns zu, wie wir über trans und nicht-binäre Menschen sprechen, wie wir über schwule und lesbische Menschen sprechen, wie wir über behinderte, arme oder rassifizierte Menschen sprechen. Wie wir urteilen über Stimmen, Körper, Leben. Sie hören auch, wie wir über sie sprechen, während sie nach oben und nach unten schauen und sich fragen, wer sie sind und sein möchten in dieser Gesellschaft, die wir jeden Tag aufs Neue erschaffen.« – Asal Dardan, »Ihre Körper gehen uns nichts an (Öffnet in neuem Fenster)«, in: Die Presse, 3.9.2022, 09:00 

[Lest unbedingt den ganzen Text, er ist allemal einen Tagespass für 1,90 € wert.]

Etwas Uncooles: Digitale Trennungsmasse

Früher hatten Paare nach der Trennung nur gemeinsame Kinder, Haustiere, Immobilien oder Schulden, heute müssen sie zusätzlich damit klarkommen, durch gemeinsam betriebene Domains, Startups und Twitterbots aneinander gekettet zu sein.

Noch etwas Uncooles: Die Angst, vom Schlag getroffen zu werden

In letzter Zeit neigen manche viel jüngere und manche viel ältere meiner Familienmitglieder vermehrt dazu, derart irrationale Dinge zu mir zu sagen, dass ich buchstäblich Angst habe, mich könnte der Schlag treffen. Es ist fast wie im Internet, wenn ein Troll mit irgendeinem besonders ärgerlichen Quatsch vor einem auftaucht und einem die Lebenszeit stiehlt, nur dass man nahe Angehörige nicht so leicht muten oder blocken kann. Und irgendwie möchte man das ja auch nicht.

Bitte nicht missverstehen, ich liebe sie alle und tue auch gern Carearbeit für sie bzw. manche Carearbeit tue ich gern, andere tue ich, weil sie halt getan werden muss. Aber ich habe als selbstständige Person, die nun endlich mal ein paar Sachen schaffen möchte, die ewig lange liegengeblieben sind, keine Ressourcen für Carearbeit, die nur daraus entsteht, dass andere sich irrational verhalten und damit unnötig Probleme erzeugen. 

Ähnlich wie beim Korrekturlesen von konzeptueller digitaler Literatur erzeugen diese hermeneutischen Kollapsmomente (Habe ich richtig gehört? Habe ich richtig gesehen?) einen spezifischen Kopfschmerz, er sitzt im Schädel ebenfalls mittig, aber etwas weiter in Richtung Stirn als der Codeliteraturkopfschmerz.

Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen, sind Menschen schon gestorben, weil sie jungerwachsenen Kindern oder sie schon immer und jetzt noch ärger parentisierenden Elternteilen zuhören mussten? 

Was mir Halt gibt: 

1. Momente elterlicher/kindlicher Solidarität mit meinem Mann: wenn man es einfach weglacht – klappt natürlich nicht immer, manchmal fallen wir uns auch in den Rücken, das passiert schnell mal, wenn man gerade akut angeschlagen ist

2. Austausch mit anderen Müttern, deren Kinder einen Hauch älter sind, die einem also positive Entwicklungsmöglichkeit andeuten können

3. der im besten Sinne überdrehte Chat mit einer befreundeten anderen Mutter, die exakt in der gleichen Situation ist; wir sind füreinander aktuell eine Art selbsttragender Bogen aus sehr losen Steinen

– Wenn ich solche persönlichen Sachen schreibe, gerade über Krisen und Abstrusitäten, bekomme ich viele Rückmeldungen, dass das Leser*innen guttut. Deshalb mache ich es auch weiterhin, und weil ich selbst immer wieder in Situationen lande, auf die ich kein bisschen vorbereitet bin, obwohl ich dann bald feststelle, dass sie keinesfalls einzigartig sind.  

Würden besagte nahe Verwandte einen Newsletter schreiben, stünde darin vermutlich, wie übertrieben aka irrational ich in letzter Zeit reagiere. Am Sonntag habe ich zum Beispiel im Garten »ICH KANN NICHT MEHR!« geschrien und damit vermutlich Nachbarschaftsgeschichte geschrieben. Ja, das wirkte bestimmt sehr irrational, aber vielleicht ist es das nicht mehr so ganz, wenn man weiß, dass mir gerade im Hof eine Person mit Schuhgröße 46 in meinen Innenraumschlappen in Schuhgröße 38 entgegengekommen war, die daran absolut nichts problematisch fand. Noch am Samstag hatte ich Menschen gegenüber behauptet, dass meine Kinder mit ihren Freund*innen konsequent Ey-Dicker-Sprache sprechen, aber bei mir sofort switchen. Nun aber sagte Schuhgröße 46 »Häh, Dicker, was ist los mit dir?« zu mir, und irgendwie hat mich in diesem Moment der Schlag getroffen, ich bin nur nicht gestorben. 

Rubrikloses und noch mehr Rubrikloses

Was könnte genau 25 Jahre, nachdem Lady Di von Medien zu Tode gehetzt wurde, daran problematisch sein, Meghan Markle als Rebellions-Poserin und Vamp anzuteasern? 

»Sie können eine größere Größe für fette Füße wählen.«

Es gibt zur Zeit nichts, was mich häufiger zum Lachen bringt als automatische Übersetzungen in Produktwerbung.

Es ist bestimmt mittlerweile ziemlich im Netz rumgegangen, aber weil ich darüber laut im Flix-Bus lachen musste, hier für alle, die es verpasst haben. Meine Freundin G., die es mir schickte, meinte, sie hätte auch nach 15 Minuten noch gelacht.

https://twitter.com/punished_cait/status/1565498888399765504 (Öffnet in neuem Fenster)

Meine Geniefluencer-Kampagne 

Ja, klar, ist es toll, Harry Styles oder Dua Lipa als Brand-Ambassador*innen zu haben, aber die Präraffaelitischen Girls wollen sich nicht beschweren, schließlich betreiben sie ihre fashionablen Unternehmungen im »Land der Dichter und Denker«, und was würde da besser zur Marke passen als Dichter und Denker. – Willst auch du wie ein Dichter und Denker aussehen? Get the DuD-Look.

Wenn ihr mehr über die Brand-Ambassodoren* des House of Girlssplaining erfahren wollt, lest hier weiter (Öffnet in neuem Fenster). Die Shirts gibt es bei Supergeek (Öffnet in neuem Fenster).

* Deutsch aussprechen.

Internet-Einkaufsbummel mit FrauFrohmann

So so, ich soll also einem Club beitreten, um eine Hose in einer bestimmten Farbe kaufen zu dürfen. Kapitalismus, du vermagst mich immer noch zu überraschen.

Instagramwerbung richtet sich jetzt ausdrücklich an Katzen. Zeitgemäß!

#KulturImWandel

Dieses cute Stillleben habe ich in einem stationären Supermarkt entdeckt und möchte daraus einen Internettrend machen: 

Dekoriert beim Einkaufen, was das Zeug hält.
Macht ein Foto.
Postet es.
Hashtag #DiscounterArt  

Räumt dann aber bitte schön wieder auf, denn #ArschgeigenKunst auf Kosten von schlecht bezahlten Menschen gibt es schon mehr als genug. 

Falls #DiscounterArt längst ein Internettrend sein sollte, sorry.

Präraffaelitische Girls erklären Megalonäre, Vol. 13 und 14

Zurück zum Transhumanismus und zum traurig trägen, trans Menschen ausschließenen Humanismus; wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

Wie vor einer Weile angekündigt, gibt es als Coverbild jetzt immer eine Zeichnung aus meiner Reihe Personal Icons. Es handelt sich dabei um Medienbilder, die vielleicht nicht immer sehr viele Menschen – dann wären es »Schlagbilder« im Sinne Aby Warburgs –, aber mich ganz persönlich wie ein Schlag getrofffen haben. Wenn ihr die jeweilige Vorlage nicht erkennt und euch das stresst, könnt ihr gern per Mail nachfragen. Ich freue mich auch über anderes Feedback (info@frohmannverlag.de).

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