Folge 94
Vorweg
Das Interesse an Tasmanische-Teufel-Sanctuary-Fiktion ist bisher überschaubar. Nur drei von zehn notwendigen Stimmen erreicht. Ihr habt ganz offensichtlich kein Herz.
Etwas Altes: Das Römische Reich
Letzte Woche fragte ich meinen Sohn, ob er gerade mit seiner Ex viel Kontakt habe, und er meinte: »Nicht so, aber sie hat mich gestern angerufen und gefragt, wie oft ich an das Römische Reich denke. Ich habe gesagt: so ungefähr dreimal die Woche und sie hat sich totgelacht und gemeint: Was geht mit dir?«
Als ich mich dann einen Tag später selbst mit der Ex meines Sohnes traf, wir haben uns angefreundet, fragte ich sie ebenfalls nach dem aktuellen Kontaktstand. Sie meinte: »Nicht so viel, aber gestern habe ich ihn angerufen und gefragt, wie oft er an das Römische Reich denkt. Er so wie aus der Pistole geschossen: ungefähr dreimal die Woche.« – Zweistimmiges Lachen, weil wir beide so gut wie nie an das Römische Reich denken und schon die Frage abstrus finden. Sie erzählte mir daraufhin, dass das mit dem Römischen Reich ein Tiktok-Meme sei. (Mittlerweile gibt es dazu auch einen taz-Artikel (Öffnet in neuem Fenster).) In dem Meme geht es darum, wie Menschen, die keine cis Männer sind, es kaum fassen können, dass ihnen nahestehende cis Männer auf Nachfrage ganz selbstverständlich angeben, oft an das Römische Reich zu denken, meist folgen konkrete Zahlenangaben. Als ich später an dem Abend heimging, fragte ich zuhause meinen Mann: »Wie oft denkst du an das Römische Reich?« Er: »Schon so ungefähr zehnmal im Monat.«
Okay, Menschen haben mich ungefähr tausend Stunden meines Lebens mit leeren Debatten über Gendersternchen vom Leben abgehalten, während die meisten cis Männer, ohne dass jemaus davon wusste, quasi ununterbrochen an das Römische Reich denken? Das muss meines Erachtens gar nicht inhaltlich interpretiert werden, es ist irrelevant, ob und welche Masku-Phantasien dahinter stecken. Das kann von mir aus auch ganz unschuldig sein, es ist nur einfach KOMPLETT absurd. Ich habe seitdem einen Realitätsriss. Vielleicht haben »wir« in Wirklichkeit ganz andere Probleme, als »wir« jemals gedacht haben.
Morgen frage ich mal random cis Männer: Wann hat deine Mutter Geburtstag?
Etwas Neues: Kein Auto vor der Tür
Vor einigen Wochen verkauften wir unser letztes Auto im Leben. Es war schon lange beschlossene Sache, dass unser altes Familienauto, wenn es nicht mehr durch den TÜV geht, nicht ersetzt werden würde. Ab und zu ein Leihauto für Touren zum Baumarkt und etwa einmal im Quartal ein Taxi für spätnächtliches Heimkommen würden es auch tun. Ansonsten fahren wir alle Rad, Öffis und Zug, ich auch noch ganz gern Fernbus. Einen Führerschein habe ich eh nicht, aber profitierte doch bislang ab zu davon, im Regen mal eben schnell mit dem Auto zur S-Bahn gebracht zu werden.
Es hat gar nicht wehgetan. Statt eines Großeinkaufs gibt es nun pro Woche zwei, drei kleinere Einkäufe mit dem Rad. Wenn ich mal zu spät für eine mehrtägige Reise dran bin, fahre ich mit dem Rad zur S-Bahn und bitte meinen Sohn, es spätestens nachts heimzuholen.
Praktischerweise reicht MILES jetzt auch endlich bis zu uns, an den Arsch der Welt von Berlin. Dass es irgendwie ganz nett ist, beim Leihen verschiedene neue Autos ausprobieren zu können, stellte mein Mann schon vor einer Weile fest.
Es war ein krasser Anblick, auf einmal kein Auto mehr vor der Tür stehen zu haben. Natürlich musste der autosüchtige Nachbar aber in Minute eins erstmal direkt den frei gewordenen Parkplatz entern, er ist wirklich mit Mercedes-Cap auf der Glatze extra in seinen Mercedes gestiegen und hat diesen umgesetzt. So ein komplett unverstelltes Reviermarkieren finde ich ja schon fast wieder rührend.
Aber am nächsten Morgen, als die ordentlichen Menschen in ihren ordentlichen Autos zu ihren ordentlichen Jobs gefahren sind, war danach wirklich alles autoleer. Soweit ich vom Grundstück aus blicken konnte, war kein Auto zu sehen. Dieser Anblick und das Gefühl, das er in mir erzeugte, war komplett neu für mich. Ich habe immer in einer Autozeit gelebt und wurde als Kind so sozialisiert, dass es allein meine Verantwortung ist, mich nicht überfahren zu lassen und es als schicksalhaftes Glück zu empfinden, wenn eine Katze mal älter als fünf Jahre wurde.
Wegen einer Baustelle ist die Straße hier seit fast zwei Jahren Einbahnstraße, also extrem verkehrsberuhigt. Kinder malen mit Kreide Bilder auf die Straße, es ist wie im Himmel. Nein, es war. Die Baustelle ist letzte Woche ein Stück weitergezogen, und jetzt brettern wieder Autos durch. Ich hoffe, die Kreidekinder und meine kluge Katze verstehen, dass ihre Leben nun nachrangig zu beurteilen sind.
(Private Autos raus aus der Stadt. Natürlich Ausnahmen für Menschen, die ohne Auto nicht klarkommen können. Ich meine nicht Ulf.)
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Viele Jahre später las ich nachts Das Kapital. Manchmal war ich dabei auch angetrunken, wenn ich vorher ausgegangen war, oder einfach übermüdet. Ich saß an meinem Schreibtisch mit dem dicken blauen Buch und dachte: Es ist nicht schwer. Es sind Worte, wenn du jedes Wort in einem Satz verstehst, wirst du auch den Satz begreifen, wenn du die Sätze in einem Absatz verstanden hast, durchdringst du eine Sinneinheit. Ganz gleich, wie kompliziert ein Gedanke ist, wie unbekannt ein Wort, wie viele Seiten ein Text hat, wenn du so vorgehst, ganz bei dir bist, dich nicht hetzen lässt – da ist ja die ganze Nacht, da sind viele ganze Nächte – gibt es nichts, keinen einzigen Text, der jemals verfasst worden ist, den du nicht verstehen wirst.«
– Bücher, aus denen im NewFrohmanntic zitiert wird, sind Bücher, die ich sehr zur Lektüre empfehle.
Etwas Unheimliches: Wokes Ghosting
Ein unter Linken boomendes Phänomen, das Rechten die Lach- und Freudentränen in die Augen treiben muss – es gibt leider unglaublich viele solcher Phänomene –, ist wokes Ghosting. Damit meine ich, dass gestandene Streiter*innen für Menschenrechte schlagartig aufhören, sachlich richtige und wichtige Anliegen anderer in Büchern oder Vorträgen zu zitieren und in sozialen Medien zu unterstützen, sobald es persönlichen Krach oder auch nur Unmut gegeben hat. Gestern noch Schulter an Schulter gegen soziale Ungerechtigkeit, heute radikales Unsichtbarmachen der Arbeit der anderen Person. Als würden Denker*innen sich schlagartig in Richard David Precht verwandeln, sobald sie eine*n privat enttäuschen. Gestern noch alles geherzt, geteilt und emojireich kommentiert, heute eisiges Schweigen. Um sich aggressiv nicht zu zitieren, braucht es keine Professur. Rechte Trolle sind also im Grunde gar nicht notwendig, um die politische Linke zu vereinzeln.
Wie oft sich Menschen, die sich übers Netz kennengelernt und sehr angefreundet haben, später komplett over the top überwerfen und danach ghosten, sehe ich ohnehin mit wachsendem Entsetzen. War nicht mal der Plan, im Netz Strukturen zu bilden, die sich von coolem Pausenhof-Mobbing unterscheiden?
Aktuell sehe ich aber nur, wie sich neue coole Cliquen bilden, die auf andere sich neu bildende coole Cliquen schimpfen, während unabhängigere Strukturen den Bach runtergehen. Nazis machen es sich derweil in aller Ruhe gemütlich. Ja, das Private ist politisch, aber das Politische sollte dringend weniger kleinlich persönlich werden.
Rubrikloses
Als ich vor ein paar Jahren mal aus Quatsch für die Firma meines Mannes ein Meme mit deren Stockfotos entwickelt habe.
Cindy-Sherman-ohne-Cindy-Sherman-Vibe
Wenn sie noch ein Kissen »Gegen Faschismus« rausbringen, kaufe ich.
Putting myself first leider sofort ausverkauft
Präraffaelitische Girls erklären
Zurück zum Komfort, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
FrauFrohmann
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