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Spoiler: Wenn Du den Artikel zu Ende gelesen hast, wirst Du froh sein, wieder in Deiner Haut zu stecken. In den kommenden Minuten schlüpfst Du nämlich in die Rolle eines äußerst erfolgreichen Lobbyisten.
Warum zur Hölle Du das tun solltest? Um eine Ahnung davon zu bekommen, wieso wir aktuell im Kampf gegen die Klimakrise da stehen, wo wir stehen. Und um ein Gefühl für die Dimensionen zu entwickeln, in denen fossile Konzerne die Öffentlichkeit manipuliert und getäuscht haben.
Den Protagonisten (also “Dich”) haben wir uns ausgedacht. Alle anderen genannten Personen, Institutionen, Berichte, Werbungen und Zahlen sind real.
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#17 #Lobbyismus #Perspektivwechsel
Du gegen die Welt
Warum wird Klimaschutz immer wieder ausgebremst? Schlüpfe in die Schuhe eines Lobbyisten und erlebe mit, wie die fossile Industrie über Jahrzehnte die Öffentlichkeit manipuliert. ~ Lesezeit 7 Minuten
Stell dir vor, du sitzt mit einer qualmenden Lucky zwischen den Fingern auf einem Chesterfield-Sessel. Du arbeitest für einen der größten amerikanischen Mineralölkonzerne. Und man kann es nicht anders sagen – es läuft bei dir. Die Wirtschaft boomt, ihr erschließt laufend neue Ölfelder und trotz deiner jungen Jahre sollst du bald Aktien deiner Firma bekommen, zusätzlich zu deinem beneidenswerten Gehalt.
Es ist November 1959 und es gibt etwas zu feiern – heute ist der 100. Geburtstag (Öffnet in neuem Fenster) der amerikanischen Ölindustrie. Du schüttest dir noch einen Drink ins Glas und nimmst dir ein Häppchen vom Tablett der Kellnerin. Du lachst, als ein anwesender Politiker einen Spruch reißt, der 60 Jahre später einen veritablen Shitstorm nach sich gezogen hätte.
Plötzlich steht ein Mann auf und stellt sich vor die versammelten 300 Gäste ans Rednerpult. Es ist kein geringerer als der Physiker Edward Teller, Mitentwickler der Atombombe. Heute redet er über die Energie der Zukunft. Du traust deinen Ohren kaum, als Teller von einem unsichtbaren Gas erzählt, das entsteht, wenn man fossile Energieträger verbrennt und das einen sogenannten Treibhauseffekt verstärkt, der die Erde erwärmt.
Vor dir räuspert sich ein Mann mit Hornbrille und fragt Teller, welche konkreten Gefahren dadurch auf die Menschheit zukommen werden. Du verdrehst die Augen und verstehst kaum, was der Physiker da antwortet. Irgendwas mit einem exponentiellen Anstieg der CO₂-Konzentration, die in “parts per million” gemessen wird. Doch dann wird Teller (Öffnet in neuem Fenster) auf einmal konkreter, als es sich irgendjemand im Raum hätte vorstellen können:
“Wenn die Temperatur auch nur um ein paar Grad steigt, würden die Eiskappen schmelzen und New York und alle anderen Küstenregionen der Welt im Wasser versinken.”
Gut, dass du einen Drink in der Hand hast. Ausgerechnet heute, am 100. Geburtstag der Öl-Industrie legt euch ein Wissenschaftler nahe, euer komplettes Geschäftsmodell zu hinterfragen. Falls nicht würdet ihr eine nie dagewesene Klimakrise verursachen. Wie gehst du mit dieser Info um?
A) Du verbündest dich mit anderen Konzernen und Politikern*, um eine frühzeitige Energie- und Antriebswende zu schaffen, bevor es zu einer globalen Klimakrise kommt.
B) Du startest die kühnste Desinformationskampagne des Jahrhunderts.
*In diesem Artikel gendern wir bewusst nicht, da der beschriebene Lobbyismus zum größten Teil von Männern initiiert wird.
Phase 1: Beweisaufnahme
An die erste Alternative ist überhaupt nicht zu denken. Wo käme man hin, wenn die Leute wieder elektrische Autos fahren würden – so wie Anfang des Jahrhunderts. In New York war 1910 noch die Hälfte aller Fahrzeuge elektrisch. Komplett verdrängt wurde dieses Hirngespinst erst durch deutlich günstigeres Rohöl, das mutige Konzerne wie deiner in den folgenden Jahrzehnten aus dem Boden förderten. Abgesehen davon gibt es ja vielleicht bald neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass alles doch gar nicht so schlimm ist wie dieser Edward Teller behauptet hat. Also erstmal: Business as usual.
1968, knapp zehn Jahre später, hältst du einen Bericht (Öffnet in neuem Fenster) des Stanford Research Institute in der Hand:
“Es ist so gut wie sicher, dass bis zum Jahr 2000 signifikante Temperaturveränderungen auftreten. Der Schaden an unserer Umwelt wäre schwerwiegend.”
Die Prognosen zu den Auswirkungen von CO₂ lassen so gut wie keinen Zweifel zu. Woran man jetzt nur noch arbeiten müsse, seien Systeme, um die Emissionen unter Kontrolle zu bringen. Völlig weltfremd, denkst du dir. Welche Systeme sollen das sein? Etwa diese Photovoltaik-Zellen, von denen ein paar Spinner behaupten, sie können Energie aus Sonnenstrahlen gewinnen?
Du hältst es für Geldverschwendung, aber 1973 gründet deine Firma Exxon tatsächlich die Solar Power Corporation, um diese Technologie weiter zu verfolgen. Als einige Jahre später der Ölpreis immer weiter fällt und im Vergleich dazu die Kosten für die emissionsfreie Solarenergie laut internem Report noch in den Sternen stehen, war der Spuk zum Glück schnell wieder vorbei und die Corporation wurde verkauft.
Um Sicherheit über die nahende Klimakrise zu bekommen, beauftragst du als nächstes eigene Wissenschaftler. 1979 hältst du einen internen Report (Öffnet in neuem Fenster) in der Hand – mit dem vertrauenswürdigen Logo deiner Firma darauf. Haben deine Jungs mit ihren Klimamodellen die Panikmache der anderen Wissenschaftler also widerlegt? Du überfliegst die erste Seite:
“Steigendes CO₂ in der Atmosphäre ein weltweites Problem... Drastische Veränderungen im Energieverbrauch notwendig… Dramatische globale Klimaveränderungen in den nächsten 75 Jahren”.
Internes Memo von Exxon 1979. 📸: www.climatefiles.com
Endlich erkennst du die geballte Gefahr dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse. Du musst unbedingt handeln, bevor es zu spät ist. Wenn die breite Öffentlichkeit von den Erkenntnissen mitbekommt, seid ihr geliefert.
Phase 2: Desinformation
Du sitzt an deinem Schreibtisch und denkst nach. Wie könnt ihr den Menschen beibringen, dass der Klimawandel nicht real ist? Am besten schaltet ihr Anzeigen in großen Zeitungen. Das, was du mit deinem Team kreierst, wird der Guardian (Öffnet in neuem Fenster) später “eine der umfassendsten Klima-Leugnungs-Kampagnen aller Zeiten” nennen.
Du möchtest die Leute zunächst emotional abholen. Worauf reagieren sie wohl am allergischsten? Klar, die eigenen Kinder – that’s it. Ihr suggeriert, dass Schulkinder systematisch mit Weltuntergangsszenarien manipuliert werden. Hungersnöte, Treibhauseffekt, Zerstörung der Ozonschicht – alles Panikmache, alles Hysterie. Ab in die New York Times damit!
New York Times 1984. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
Apropos Schule: Damit die Klimawandel-Skepsis auch nachhaltig wirkt, müsst ihr ran an die Bildung der Kinder. Systematisch schicken Ölkonzerne wie deiner Vertreterinnen und Vertreter an Schulen, beeinflussen das Curriculum und stellen kostenlose Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Bis das Ausmaß eurer Manipulation von einer Investigativ-Journalistin aufgedeckt wird (Öffnet in neuem Fenster), vergehen bestimmt noch ein paar Jahrzehnte.
Mittlerweile hat der Weltklimarat (IPCC) seine ersten beiden Sachstandsberichte herausgebracht. Fundierteste Klimaforschung auf Hunderten Seiten, in denen alle Details der Krise detailliert aufgeführt werden. Ihr müsst unbedingt tiefen Zweifel an diesen aufkommenden Klimawissenschaften säen.
Ihr schaltet Anzeigen, in denen ihr den IPCC als “UN-gesponsert” und “unsicher” darstellt und CO₂ als lebenswichtiges Gas. Das läuft doch schon ganz gut, denkst du dir, während du im Wall Street Journal blätterst und eure als Infoartikel getarnten Anzeigen begutachtest.
Links: New York Times 1997; rechts: New York Times, Wall Street Journal und weitere 2000. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
Phase 3: Politisierung
Ende der 90er passt du deine Strategie etwas an. Das reine Klimawandel-Leugnen klappt nicht mehr so gut wie früher, dafür ist das Thema mittlerweile international zu groß. Länder wie Deutschland forcieren sogar eine Abkehr vom CO₂-Ausstoß. In Berlin findet 1995 die COP-1 statt, der erste Weltklimagipfel, auf dem die diplomatischen Grundlagen für das Kyoto-Protokoll geschaffen werden – mit dabei, die deutsche Umweltministerin Angela Merkel.
Mittlerweile habt ihr die Global Climate Coalition ins Leben gerufen. Ein Zusammenschluss aus allen namhaften Unternehmen der fossilen Industrie wie BP, Shell und Chevron aber auch DaimlerChrysler und Ford. Euer primäres Ziel: Klimaschutz-Maßnahmen verhindern. Im Zuge der Kyoto-Konferenz greift ihr tief in die Taschen. Ihr investiert 13 Millionen US-Dollar in eine Kampagne, die Präsident Bush Angst vor dem Zerfall der amerikanischen Wirtschaft machen soll. Mit vollem Erfolg. Als einziges großes Industrieland unterzeichnen die USA 1997 das Kyoto-Protokoll nicht.
Anzeige der "Globald Climate Coalition" 1997. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
Überhaupt funktioniert die Politisierung der Klimakrise wunderbar. Eure Befürworter kommen vor allem aus den Reihen der Republikaner. Gemeinsam schafft ihr es, die Erzählung zu etablieren, dass Klimawissenschaft links sei. Und dass Forscher politisch motivierte Ziele wie eine Umverteilung des Reichtums verfolgen oder sich zumindest von linken Kräften dafür instrumentalisieren lassen.
Phase 4: Greenwashing
Du bist mittlerweile ein Meister der Desinformation. Dein Konzern hat dich sogar gerade befördert. Kopfschmerzen macht dir nur, dass ihr immer häufiger in den Fokus der Öffentlichkeit geratet. Von euch verursachte Umweltkatastrophen (Öffnet in neuem Fenster) sind da wenig hilfreich.
Da kommt dir eine geniale Idee. Du spielst den Ball einfach zurück – nicht ihr verbraucht schließlich das ganze Öl, sondern die einzelnen Menschen. In einer neuen Kampagne zeichnet ihr das Bild der individuellen Verantwortung. Abgeguckt hast du dir den Geistesblitz von der Tabakindustrie. Die war ihrer eigenen Darstellung nach schließlich auch nur “Gefangene” der riesigen Nachfrage nach Zigaretten.
Werbeanzeigen von BP 2004-2006. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
BP, der größte britische Mineralölkonzern, springt auf den Zug auf und vermarktet das Konzept des Carbon Footprint. Das ist der CO₂-Fußabdruck einer einzelnen Person. Das Budget der Kampagne: über 100 Millionen US-Dollar. Die Message: Nicht die fossilen Unternehmen sind schuld an den hohen Emissionen, sondern die Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrem Individualkonsum. Außerdem tun die Konzerne ja auch ein bisschen was, um das Klima zu schützen.
Das bringt dich auf deinen nächsten Coup. Lange bevor das Wort Greenwashing im Duden steht, schaltest du mit Exxon schon die ersten Anzeigen zu sauberem Biotreibstoff. Aus Algen, irgendwann in der Zukunft, vielleicht. In Wahrheit macht ihr und die anderen fossilen Konzerne natürlich weiterhin fast alle Umsätze mit Öl, Kohle und Gas.
New York Times 2009. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
New York Times 2018. 📸: The Guardian (Öffnet in neuem Fenster)
Phase 5: Vernetzung
So langsam macht dir allerdings der europäische Markt Sorgen. Der Ausbau der Solar- und Windenergie nimmt dort Fahrt auf. Mit den beeindruckenden Erfolgen auf deinem CV, wirst von einem europäischen Ölkonzern abgeworben. Brüssel, Berlin – here you come.
Das von Ölkonzernen mitfinanzierte Heartland Insitute, das gegen Klimaschutz lobbyiert, vernetzt dich mit dem deutschen Pendant EIKE (Europäisches Institut für Klima & Energie). Hier fühlst du dich direkt wohl. Systematisch verbreitet EIKE wissenschaftsfeindliche Inhalte (Öffnet in neuem Fenster) und ist bestens vernetzt zu Politikern der AfD aber auch zur CDU und der FDP (Öffnet in neuem Fenster).
Was du an Europa besonders magst: Die Lobby-Gesetze sind viel lascher als in den USA. Du musst weder Spenden noch die Inhalte deiner Treffen mit Politikern offenlegen. Außerdem gefallen dir die Machtverhältnisse in Brüssel. Das Budget der fossilen Konzerne für Lobbyarbeit ist rund zehnmal größer als das der Umweltorganisationen. So lässt es sich arbeiten.
Seit neuestem schreibst du sogar an Gesetzen mit. Das hast du dir von einigen Kollegen aus Deutschland abgeguckt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz bestand zunächst nur aus fünf Seiten. Nach Mitwirkung von Lobbyisten waren es 140.
Phase 6: Erfolg
Dann passiert etwas, womit du nicht gerechnet hättest. Der Weltklimagipfel in Paris 2015 endet mit einem völkerrechtlich bindenden Klimaabkommen. Beinahe wäre dir die Flasche Single Malt Whiskey aus der Hand gerutscht. Der IPCC ist mit seinen wissenschaftlichen Erkentnissen bei der Weltgemeinschaft durchgedrungen – FUCK!
Doch kurz darauf kommt es besser, als du es dir je hättest erträumen können. Donald John Trump, Klimawandelleugner und Best Buddy der fossilen Industrie wird amerikanischer Präsident. Er kündigt direkt den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen an und ernennt den Geschäftsführer von ExxonMobil Rex Tillerson zum Außenminister.
Genau 62 Jahre nachdem dich das erste Mal ein Wissenschaftler vor der nahenden Klimakrise gewarnt hat, sitzt du auf deiner bequemen Couch und guckst Nachrichten. Deine Haare sind mittlerweile genauso weiß wie der Rauch deiner Lucky. Als du zufällig BBC einschaltest, läuft ein Bericht über die COP-26 in Glasgow – mittlerweile der 26. Weltklimagipfel.
Die genauen Ergebnisse interessieren dich nicht besonders. Die Beschlüsse werden wohl ohnehin von Lobbyisten in den einzelnen Staaten gebremst oder aufgeweicht. Aber eine Sache macht dich neugierig. Es geht um die Anzahl Delegierter pro Land. Platz zwei: Brasilien, Platz drei: die Türkei. Auf dem ersten Platz ist jedoch kein Staat. Die meisten Delegierten stellen die fossilen Konzerne.
Well done, sagst du leise und bläst den Rauch deiner Zigarette in die Luft. Well done.
Wären die fossilen Konzerne ein Land, hätten sie die meisten Deligierten auf der COP-26 gehabt. 📸: BBC (Öffnet in neuem Fenster)
Wake up. Dein Lobby-Alptraum ist vorbei.
Wenn Du Dich weiter in das Thema einlesen willst, können wir Dir das Buch “Die Klimaschmutzlobby (Öffnet in neuem Fenster)” sowie diesen Guardian-Artikel (Öffnet in neuem Fenster) ans Herz legen. Beides hat als Inspiration und Quelle für diese Ausgabe gedient. Über die Verflechtungen von Lobbyismus und Politik in Deutschland hat YouTuber Rezo (Öffnet in neuem Fenster) ein sehenswertes Video produziert.
Die nächste Treibhauspost bekommst Du wieder in 14 Tagen.
Schönes Wochenende
Julien
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