Keine Hausdurchsuchung und Antisemiten
Hallo,
ich bin heute früh um 05:56 wach geworden. Weil es geklingelt hat. Das war nicht schön. Hektisch habe ich den bellenden Hund gefangen und der Frau in die Arme gedrückt, habe die Schlafzimmertür zugeschlagen und bin in Richtung Sprechanlage gestolpert. Dabei habe ich mich umgeschaut, ob irgendwelche Kleidungsstücke in der Nähe liegen, die ich anziehen kann.
Wenn es morgens um 06:00 Uhr klingelt, was soll man dann anderes denken, als “Scheiße ne Hausdurchsuchung.” Gut, die Frau und ich, ganz ehrlich wir machen politisch quasi nix mehr. Keine Zeit, und bei meinem Job ist so ein bisschen Abstand ja auch nicht verkehrt. Aber im Denken ist sowas drin und man weiß ja auch nie so genau, was sich die Sicherheitsbehörden so einfallen lassen, wenn sie irgendwas konstruieren wollen. Außerdem gibt es ja durchaus auch bei Journalist*innen Hausdurchsuchungen, wenn die Polizei Fotos von irgendwelchen Protesten braucht.
An der Gegensprechanlage angekommen, sammelte ich mich um im ernstesten und geschäftsmäßigsten Ton “Weiermann, Ja?” zu sagen. Im Hinterkopf war ich froh, dass es nicht an der Wohnungstür bollerte, wenn müsste die Polizei also noch unten sein. Ich sah die Chance, zumindest eine Hose anzuhaben, wenn ich den Polizist*innen gegenüber stünde, und möglicherweise schon meinen lieben Anwalt (Öffnet in neuem Fenster) anrufen zu können. Übrigens auch absurd, ich wollte nie eine Person sein, die einen Anwalt hat. Einen Anwalt zu haben ist aber ganz gut, kürzlich hat er mir ein paar hundert Euro verschafft, nachdem “Lebensschützer*innen” Fotos, die ich gemacht hatte, ungefragt in ihrem Newsletter verwendet haben.
Aber ich schweife ab. Aus der Gegensprechanlage kamen mir keine Anweisungen entgegen, sondern die freundliche Frage, “Können sie aufmachen, damit ich Flyer von der Pizzeria verteilen kann?” Meine Antwort war weniger freundlich: “Alter, es ist 6 Uhr, spinnst du?” Die Tür habe ich nicht aufgemacht, offenbar hat der Mensch auch sonst nirgendwo geklingelt. Zumindest waren später keine Pizzaflyer im Briefkasten. Und ja, vielleicht war das der dritte Minijob von jemandem und der Mensch hat sonst einfach keine Zeit. Aber um die Uhrzeit klingeln, das geht doch nicht.
Diese hoffentlich unterhaltsame Anekdote erspart es euch, dass ich mich hier unnötig ausführlich über die ganzen elendigen Ereignisse der letzten Tage äußere. Ein paar Dinge wollen aber doch geschrieben werden. Nach dem Islamist*innen-Aufmarsch in Essen gibt es wieder eine Reihe nicht so durchdachter Vorschläge. Wegen des Vorschlags “Knüppel frei” habe ich mich mit Peter Tauber befasst. Wer wissen möchte, was der gerade so macht, mag diesen Text (Öffnet in neuem Fenster) lesen. Peter Tauber ist zum Glück nur Influencer, Herbert Reul hingegen ist Innenminister und könnte schlechte Vorschläge (Öffnet in neuem Fenster) auch umsetzen. Die Idee, Deutsch zur Pflichtsprache bei einer Demo zu machen, erscheint mir wenig durchdacht. Was ist denn, wenn ich zum Beispiel Taylor Swift von einem vierten Konzert in Gelsenkirchen überzeugen möchte? Natürlich wird auf meinen Plakaten dann stehen, “Taylor, please come to Schalke!” Und das will mir Reul verbieten?
Ein weiteres Ärgernis aus NRW, spielte sich in Siegen ab (Öffnet in neuem Fenster). Dort hat eine Handvoll Menschen spontan gegen eine Anti-Israel-Demo protestiert. Die Polizei wittert einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Neu ist das in NRW übrigens nicht: 2009 wurde eine Antifaschistin (Öffnet in neuem Fenster) in Bochum wegen eines sehr ähnlich gelagerten Vorfalls sogar verurteilt (Öffnet in neuem Fenster). Grüße gehen raus an “Katharina M.”, I still love you!
Wie man mit widerwärtigen Protesten wie in Essen umgehen sollte, habe ich übrigens auch aufgeschrieben. (Öffnet in neuem Fenster)
Ein bisschen intensiver habe ich mich mit dem Moscheeverband Ditib beschäftigt. Während die türkische Religionsbehörde und Präsident Erdogan mehr oder weniger offen zum heiligen Krieg gegen die Juden aufrufen, gibt sich die deutsche Ditib tolerant. Wie sehr das geheuchelt ist und was passieren müsste, damit man den Moscheeverband als unabhängige Religionsgemeinschaft ernst nehmen kann, steht hier:
“Ditib muss sich von der Religionsbehörde Diyanet trennen” (Öffnet in neuem Fenster)
Zum 9. November mag ich gar nicht mehr viel sagen. Ich bin ganz froh, dass ich den nd-Leser*innen auf der Titelseite ein paar Worte mitgeben konnte, was sie tun können, wenn sie “Nie wieder” auch nur ein bisschen ernst meinen: “Auf linken Antisemitismus haben wir einen Einfluss. Er findet in unserem Umfeld statt. Wenn wir das ‘Nie wieder’, das heute wieder oft zu hören ist, ernst nehmen, dann müssen wir eingreifen, wenn wir solche Tendenzen erleben.”
Solidarisch sein mit bedrohten Jüdinnen und Juden (Öffnet in neuem Fenster)
Zum Ende noch drei kurze Hinweise. In der Weltmetropole des Antifaschismus, gibt es morgen eine Kundgebung (Öffnet in neuem Fenster) gegen einen Anti-Israel-Aufmarsch. Ich finde das sehr gut.
Jagoda Marinic hat in ihrem Podcast (Öffnet in neuem Fenster) fast zwei Stunden mit Richard C. Schneider über Israel und Palästina gesprochen. Der ehemalige ARD-Korrespondent gehört zu den Menschen, die ich in Sachen Israel für eine der klügsten Stimmen halte. Immer abwägend und bedacht, aber sehr klar in seinen Aussagen. Anhören lohnt sich auf jeden Fall.
Für Abends auf dem Sofa kann ich euch “Parlament” (Öffnet in neuem Fenster) empfehlen. Satire, EU-Parlament, dies das. Die Deutschen sind alle vollkommen verrückt.
Beste Grüße
Sebastian
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