Antisemitismusexperten und Cyberkriminelle
Hallo,
eigentlich habe ich befürchtet, euch in dieser Woche gar nicht so viel schreiben zu können. Feiertage hier und da, das sind eigentlich eher ruhige Wochen. Aber so wirklich ruhig war es in dieser Woche nicht.
Sehr aufgeregt habe ich mich in einem Kommentar (Öffnet in neuem Fenster)über Hubert Aiwanger. Der Typ, der ganz bestimmt nicht mehr Minister wäre, wenn Markus Söder irgendeinen Wertekompass hätte, und dessen Partei sicher nicht gestärkt aus der Landtagswahl in Bayern gegangen wäre, wenn Deutschland nur einen Hauch so geschichtsbewusst wäre, wie an Gedenktagen gerne getan wird. Dieser Typ erzählt in einen Interview ernsthaft etwas darüber, dass man “Unsinn” ins Land gelassen hätte und Antisemitismus totgeschwiegen wurde. Als über das Nazi-Flugblatt aus seiner Familie gesprochen wurde, war´s ihm nicht Recht. Aber über den Antisemitismus der andern, da quatscht er gerne. Das ist nicht neu, aber bei Aiwanger ist’s schon besonders ätzend. Vor ein paar Jahren hätte ein Kerl wie Aiwanger vielleicht noch zurücktreten müssen. Aber gesellschaftlich ist hier einfach eine Menge passiert.
2005 wurde Kurt Julius Goldstein das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er sei “Deutscher, Jude und Kommunist” sagte der damals 90-Jährige über sich selbst und wunderte sich, dass er geehrt wird. Ob einer wie Kurt Goldstein, der Auschwitz und Buchenwald überlebte, heute noch geehrt würde, da kann man ein großes Fragezeichen machen. In seinem Geburtsort, sollte eine winzige, neue Straße nach ihm benannt werden. Matthias Helferich, Bundestagsabgeordneter und für die AfD in der Bezirksvertretung Dortmund-Scharnhorst, äußerte dort Bedenken. Nach dem NS war Goldstein schließlich in der DDR tätig. Für die CDU Grund genug die Straßenbenennung zu verschieben. Brandmauern? Kampf gegen Antisemitismus? Ich sehe da nicht mehr viel. Hier mein Text über das unwürdige Schauspiel. (Öffnet in neuem Fenster)
Wo wir hier gedanklich gerade in Dortmund sind. Immerhin, der Bundesgerichtshof (Öffnet in neuem Fenster) hat ein Urteil bestätigt. Vier Nazis, die gerufen haben, “Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!”, sind jetzt rechtskräftige Volksverhetzer.
Genug vom rechten Antisemitismus für heute. Ist euch schon aufgefallen, dass viele “israelkritische” Linke, gerade besonders sensibel sind, wenn es um rechten Antisemitismus geht? Da wird in den letzten Wochen sehr mit dem Finger drauf gezeigt. Eine altbewährte Abwehrstrategie. Achtet mal drauf. Mir schwant für den 9. November übles.
“Das Einzige, was ich zum Abschluss dieses Textes sagen kann, ist Folgendes: Wenn die Linke ohne die Juden auskommen will, können wir sie nicht daran hindern. Wenn das so ist, dann müssen wir eben auch ohne sie auskommen.”
aus: Brief eines linken französischen Juden, an alle die es hören wollen (Öffnet in neuem Fenster)
Wenig hat mich in dieser Woche so beeindruckt wie dieser Brief. Ich mag darüber gar nicht viel schreiben, außer dass wir Linken uns solche Botschaften durch den Kopf gehen lassen sollten.
Welche Auswirkungen Antisemitismus hat, kann man mittlerweile sogar beim Basketball erleben. Mittwochabend hat der israelische Club Hapoel Holon in Bonn ein Auswärtsspiel bestritten und knapp gewonnen. Das Spiel musste aber ohne Zuschauer stattfinden, Sprengstoffhunde haben die Halle durchsucht und ungenutzte Räume wurden von der Polizei versiegelt. Das alles nur, weil israelische Sportler in Deutschland gefährdet sind. Wer sich darüber einen besseren Eindruck verschaffen mag, sollte diesen Beitrag (Öffnet in neuem Fenster) vom WDR anschauen.
Im Kontext Antisemitismus ist auch dieser Beitrag (Öffnet in neuem Fenster) über die DITIB sehr empfehlenswert. In Wuppertal sind ja viele Lokalpolitiker*innen noch immer der Meinung, man müsse die hiesige Gemeinde getrennt von der türkischen Mutterorganisation betrachten.
Lasst mich über meine heißgeliebte Heimatstadt Lüdenscheid schreiben. Irgendwie ist es mir noch immer nicht gelungen, mal für eine lange Reportage dorthin zu fahren. Deswegen jetzt hier das Schlimmste in Kürze. Eigentlich ist Lüdenscheid ganz okay, 70.000 Einwohner, eine Kneipe, aus der man nicht schreiend weglaufen muss, und man bekommt in der Stadt auch um 11 Uhr abends noch einen Döner oder ne Pizza. Da kann man leben. Gut, auch als ich noch da gewohnt habe, war man ohne Auto aufgeschmissen. Mit der Bahn nach Dortmund dauert es anderthalb Stunden, die Verbindung gibt es stündlich. Für Kids, die jetzt in Lüdenscheid leben, muss sich das nach goldenen Zeiten anhören. Denn seit der Flut im Juli 2021 fährt kein Zug mehr nach Dortmund. Was mit der Verbindung nach Köln ist, die es früher nicht gab, verstehe ich nicht so genau. Aber gefühlt wird da auch mehr gebaut und repariert als gefahren. Seit Dezember 2021 ist es für Autofahrer*innen allerdings auch nicht viel schöner in der Stadt. Die Sperrung der Rahmedetalbrücke hat dazu geführt, dass die Stadt zur Ausweichstrecke für den gesamten Autobahnverkehr zwischen Frankfurt und dem Ruhrgebiet geworden ist. Die Stadt ist ein riesiger Stau geworden. Als Bonus für die Einwohner*innen kommt jetzt noch hinzu, dass sie nicht mal mehr einen Personalausweis beantragen können. Die meisten anderen Dienstleistungen, für die man Ämter braucht, fallen ebenfalls aus. Lüdenscheid ist, genau wie die Verwaltung von 71 weiteren Städten und fünf Kreisen, von einem Cyberangriff betroffen. Was dazu bekannt ist, und welche Folgen so ein Angriff haben kann, habe ich aufgeschrieben: Cyberangriff in Südwestfalen (Öffnet in neuem Fenster)
Ich hoffe, ihr arbeitet in keiner südwestfälischen Verwaltung und euch macht auch sonst nichts zu viel Ärger. Schönes Wochenende!