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Klimakommunikation: Handreichungen für Fehlbahre

Hallo! Komm rein! Setz dich!

Willkommen im Newsletter der Superredaktion – die monatliche Ration konstruktive Perspektiven, positive Botschaften und konkrete Anpackmaterialien für Menschen mit Reichweite und Bock auf Zukunft.

Zum Einstieg ein paar gute Nachrichten.

  • In China bleiben Autohändler in nie gesehenem Ausmaß auf Verbrennern sitzen (Öffnet in neuem Fenster), während die dortige E-Auto-Branche Rekorde feiert. Gute Nachricht fürs Klima, nicht so gute für die E-Fuel-Apologeten und “Aber China!”-Rufer.

  • Das Europäische Parlament hat das Herzstück des Europäischen Green Deal beschlossen (Öffnet in neuem Fenster). Vor allem die darin enthaltene Verschärfung des Emissionshandels ist ein Riesenschritt: Nun sind 85% statt wie bisher 40% aller europäischen Emissionen gedeckelt. (Wie der Emissionshandel funktioniert und warum er wichtig und wirkungsvoll ist, kann man in unserem Newsletter vom Februar (Öffnet in neuem Fenster) nachlesen).

  • Laut aktuellen Hochrechnungen (Öffnet in neuem Fenster) hat die Realität zumindest in Sachen Energiewende die Politik längst überholt:

    • Solarstrom-Kapazitäten werden 2030 fast doppelt so groß sein, wie es für die Erfüllung des 2030er Klimaziels von 40% erneuerbare Energie nötig wäre.

    • Verbaute Wärmepumpen werden die Mindestmenge um über 20 Millionen Stück überschreiten.

    • Insgesamt steuern wir europaweit auf 45% Erneuerbare bis 2030 zu, vielleicht sogar 50%, wenn wir uns anstrengen.

    • Und auch wenn hierzulande so laut gestritten wird, dass man den Eindruck gewinnt, es gehe weder vor noch zurück, passiert gleichzeitig so einiges:

https://twitter.com/bmwk/status/1651470135746605058 (Öffnet in neuem Fenster)

Gut? Gut. Dann auf ins Thema des Monats:

Was sagen!

Mal angenommen, du hast ordentlich Reichweite, und dir hören eine Menge Leute zu, die sonst für Klimathemen vielleicht nicht so erreichbar sind, und irgendwie möchtest du gern was tun. Und angenommen, nur mal angenommen, du machst in deinem Leben klimamäßig nicht alles richtig, so ein paar Gewohnheiten, die sich eingeschliffen haben, ein paar Privilegien, die du nutzt, naja, du weißt es ja auch, eigentlich nicht dolle, du arbeitest dran, aber nicht so einfach.

Lieber den Ball flach halten?

Bitte nicht. Und wie nicht? Gut, dass du fragst.

In aller Kürze:

https://twitter.com/superredaktion/status/1650530597268226048 (Öffnet in neuem Fenster)

Für alles Weitere möchten wir bitte zunächst mit deinem inneren Zensor sprechen.

Warum auch Unperfekte sich engagieren dürfen

“Ja, in den Urlaub in ferne Länder fliegen ist superschön, ich mach’s ja auch, und es würde mir schwerfallen, ganz darauf zu verzichten. Aber was, wenn wir das System so umbauen, dass gelegentliche Flugreisen ökologisch vertretbar werden, durch einen angemessenen CO2-Preis zum Beispiel?”

Alle unsere Klimawesten sind schmutzig.

Wir haben alle unsere Schwächen, die eine isst supergerne Fleisch, der andere fliegt für den Urlaub in die Sonne, manche mögen Autofahren richtig dolle – und oft sind wir schon überfordert damit, überhaupt zu wissen, welche Konsumentscheidung jetzt die “richtige” ist.

Natürlich gibt es einen moralischen Imperativ, kritisch auf den Fußabdruck des eigenen Lebensstils zu schauen - und ja, tendenziell ist da umso mehr Luft nach oben (aber auch umso mehr Potential, etwas zu erreichen), je mehr Privilegien und Wohlstand man hat (Öffnet in neuem Fenster).

Das ist ein wichtiges, komplexes Thema, mit dem es sich zu beschäftigen lohnt. Für diesen Rundbrief soll der Schwerpunkt aber anderswo liegen: Wir brauchen reichweitenstarke, privilegierte Menschen, die sich trauen, sich für die Erhaltung des Planeten einzusetzen, auch und gerade bevor ihnen die persönliche Transformation zu Klimaheiligen gelingt – denn die Zeit drängt. Halten wir also fest:

Wenn es ein absolut reines Gewissen bräuchte, um sich für das Klima starkmachen zu dürfen, dann wäre es sehr, sehr still im Klimaschutz.

Das kann unmöglich das sein, was wir wollen.

Im Übrigen: Tolle Vorbilder, zu denen man uneingeschränkt aufschauen kann, funktionieren für viele von uns, aber gewiss nicht für alle. Und Menschen, bei denen sehr konsequente Lebensstile und Botschaften weniger für Inspiration als für Abwehrreaktionen sorgen, sind viel eher erreichbar durch Personen, mit denen sie sich auf Augenhöhe fühlen können: normale Menschen mit guten Absichten, denen sie nicht immer gerecht werden.

Unser persönliches Verhalten ist Teil des Problems - aber der größere Hebel liegt woanders.

Wenn alle Menschen bei uns von heute auf morgen ihr Konsumverhalten komplett Richtung klimaheilig umstellen würden - keine Flüge, keine tierischen Lebensmittel, Ökostrom, Energiesparen, das ganze Programm – dann wären wir damit, so lässt eine bei Perspective Daily (Öffnet in neuem Fenster) anschaulich zusammengefasste Studie aus Frankreich (Öffnet in neuem Fenster) vermuten, dem Pariser Klimaziel um die 10 Prozentpunkte näher. Und das auch nur, wenn wirklich alle freiwillig mitmachen, realistisch ist das selbstverständlich null.

Weitere 10 Prozentpunkte Potential liegen in Änderungen, die Investitionen erfordern: Umstellung auf Elektroautos, Wärmesanierung, CO2-neutrale Heizungen etc.

Und der Rest? Den haben wir nicht in der Hand, nicht als Einzelmenschen jedenfalls. Hier braucht es strukturelle Veränderungen in Industrie, in der Landwirtschaft, im Transportwesen, die wir nur als Gesellschaft, nur politisch herbeiführen können.

Das Reduktionspotential im “System” ist also um ein Vielfaches größer als das von Einzelnen. Das heißt: Natürlich ist individuelles Verhalten wichtig, auch über das konkrete CO2-Einsparpotential hinaus, weil es Mitmenschen inspirieren und die Wirtschaft zum notwendigen Umbau mit-animieren kann. Persönliche CO2-Einsparungen erkaufen uns außerdem Zeit, um die wirklich großen Hebel in Bewegung zu setzen.

Aber halten wir uns nicht zu lang damit auf, uns selbst oder andere für individuelle Klima-Verfehlungen an den Pranger zu stellen (oder für ihr Gegenteil auf einen Sockel). Konzentrieren wir uns lieber darauf, den Druck nach oben weiterzugeben, denn in einer fossil betriebenen Gesellschaft kann niemand seinen persönlichen Fußabdruck so weit verkleinern, dass die Welt davon nachhaltig würde.

Der erste Online-Rechner, mit dem ein Mensch seinen individuellen ökologischen Fußabdruck ausrechnen konnte und der damit suggerierte, die Klimakrise sei allein eine Frage des persönlichen Konsums, erschien übrigens 2004 auf der Webseite des Erdölkonzerns BP (Öffnet in neuem Fenster).

https://twitter.com/superredaktion/status/1650746683389517913 (Öffnet in neuem Fenster)

Wo geheuchelt wird, da fallen Späne

“Ich esse total gerne Steak; ich nehme mir oft vor, es seltener zu tun, aber dann bestell ich doch wieder eins, wenn sich die Gelegenheit bietet. Eine weniger klimaschädliche Landwirtschaft, eine ehrliche Preisgestaltung, in der auch die Umweltkosten mit drin sind, und ja, dann halt auch ein teureres Steak - das würde mir helfen. Dann gäbe es seltener Steak, aber mit besserem Gewissen und vielleicht auch bewussterem Genuss.”

Natürlich, sagst du jetzt hoffentlich, dürfen und sollen sich auch Menschen zur Klimakrise äußern, die nicht als Heilige leben, und also darf und soll auch ich! Und dann tust du’s. Und dann findest du heraus, dass viele andere das ganz anders sehen, irgendwas Klimaschädliches aus deiner Biographie ausbuddeln und laut “Heuchelei!” rufen. Das ist unschön, auch wenn die oben genannten Argumente vielleicht helfen, damit umzugehen.

Heuchelei, das ist nun wirklich eine spannende Sache. Denn wir mögen offenbar wirklich keine Heuchler*innen, und zwar über ein rational leicht erklärbares Maß hinaus; warum das so ist, ist in der Psychologie umstritten. Eine Studie aus Yale, hier zusammengefasst bei (Öffnet in neuem Fenster)klimafakten.de (Öffnet in neuem Fenster), zeigt:

Wenn eine Person einen Regelbruch kritisiert, den sie selbst gelegentlich begeht, macht sie sich damit bei anderen viel unbeliebter, als wenn sie die Regel stillschweigend bricht – oder über ihren Regelbruch lügt.

Denn wenn eine Person ein Verhalten kritisiert, hören wir implizit die Nachricht mit, dass diese Person sich dieses Verhaltens niemals schuldig macht – ein falsches, oft von der sendenden Person gar nicht beabsichtigtes Signal, das für uns aber offenbar lauter klingt, als wenn sie es explizit formuliert hätte. Will heißen: Wir unterstellen einer Person, die sagt “Energieverschwendung ist nicht so gut”, ein energiesparenderes Leben als einer, die sagt “Ich verschwende niemals Energie!”

Weiterhin bringt offenbar die öffentliche Missbilligung unmoralischen Handelns einen besonders großen Prestigegewinn. Wer also öffentlich missbilligt, ohne selbst “unschuldig” zu sein, ermogelt sich in der Wahrnehmung der Mitmenschen diesen Prestigegewinn, und daher rührt die Irritation.

Aber ehrliche Heuchelei finden wir eigentlich ganz gut

Der wichtigste Punkt jedoch, und das ist die gute Nachricht: Wir verzeihen die komplette Heuchelei-Geschichte, wenn beim Heucheln gleich mit eingeräumt wird, dass die heuchelnde Person in der geheuchelten Angelegenheit auch nicht immer ganz korrekt unterwegs ist.

“Das Ausmaß, in dem Menschen einem 'ehrlichen Heuchler' vergeben, hat uns verblüfft", sagt Psychologin Jillian Jordan, die Hauptautorin der Studie.

Wenn du dich also aus dem Fenster lehnen möchtest und in deinem Leben nicht so klima-konsequent wie Greta Thunberg bist, hier ein Rat aus der Forschung: Wer über Klimawandel spricht und mehr Klimaschutz fordert, sollte erwähnen, dass er oder sie selbst auch nicht immer klimaschonend handelt. Damit wird das falsche Signal über das eigene Verhalten, das die Menschen bei moralischen Aussagen offenbar immer mitlesen, korrigiert und die unverhältnismäßig große Irritation, die Heuchelei auslöst, vermieden.

https://twitter.com/superredaktion/status/1650766863364677632 (Öffnet in neuem Fenster)

Mit großer Macht kommt große Verantwortung, hat mein Vater immer gesagt

“Ich weiß, dass ich mehr Geld habe als die meisten. Wenn ich es auf eine Weise ausgebe, die dem Klima mehr schadet als die meisten, fände ich es nur gerecht, wenn ich dafür auch mehr zahlen müsste als die meisten.”

Vor denjenigen, die sich faktenunabhängig entschlossen haben, dich laut doof zu finden, wird dich alles hier Beschriebene nicht schützen. Aber du darfst davon ausgehen, dass diese Maßnahmen die Reichweite deiner Botschaft vergrößern und die Zahl der kritischen Stimmen vermindern werden.

Und auf der Plusseite?

Als Leonardo DiCaprio einen großen Teil seiner Dankesrede bei den Oscars 2016 dem Klima widmete, sorgte das (trotz seines bekannten Faibles für Yachten und Privatjets) für eine gigantische Aufmerksamkeitsspitze (Öffnet in neuem Fenster): Es gab die dritthöchste Häufung von Suchanfragen zum Thema bei Google seit Beginn der Aufzeichnungen; auf Twitter versechsfachte sich die Zahl der entsprechenden Tweets.

Eine Nummer kleiner, dafür in den Auswirkungen konkreter: Norwegen ist weltweit das Land mit den meisten Elektroautos auf den Straßen; 2020 waren dort zwei Drittel aller verkauften Neuwagen elektrisch – eine Entwicklung, die 1995 ihren Anfang nahm, als Morten Harket von A-Ha gemeinsam mit einem Umweltaktivisten mit einem auf Elektro umgerüsteten Fiat Panda quer durchs Land fuhr (Öffnet in neuem Fenster), demonstrativ falsch parkte, Mautgebühren verweigerte, ein riesiges Medienecho erreichte und so die Debatte um E-Mobilität in die Mitte des politischen Diskurses hievte.

Klima-Kipppunkte machen uns Angst. Soziale Kipppunkte (Öffnet in neuem Fenster) hingegen machen uns Hoffnung. Gerade reichweitenstarke Kommunikator*innen, denen viele Menschen zuhören, können einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, dass wir als Gesellschaft die Kipppunkte erreichen, die wir brauchen, um die Kipppunkte zu vermeiden, die uns die Zukunft kosten könnten.

Die Empfehlung des Monats

Ganz passend zum Thema: Luisa Neubauer als Überraschungsgast bei Kurt Krömer im Podcast (Spotify (Öffnet in neuem Fenster) / Apple (Öffnet in neuem Fenster) / YouTube (Öffnet in neuem Fenster)); das sehr ehrliche Gespräch dreht sich um persönliche versus politische Verantwortung, auch um Reichweite und den moralischen Imperativ, sie zu nutzen. Beide sagen kluge Sachen. Zwei besonders zitierfähige: “Lieber Doppelmoral als gar keine Moral” und “Wenn du gar nichts machst, bist du ein Aktivist fürs Weiter-so.”

Kurt Krömer - Feelings. Mit Luisa Neubauer. Das Bild zeigt Krömer in dreifacher Ausfertigung, er macht unterschiedliche lustige Gesichter.

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