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Hallo alle,

gestern wäre Ferhat Unvar 25 geworden.

Fünfundzwanzig.

Ferhat Unvar wurde am 19. Februar 2020 in Hanau von einem Rassisten ermordet, mit ihm acht weitere Menschen, ebenso wegen Rassismus: Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu. Wir dürfen ihre Namen nicht vergessen, denn: „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“[1]

Erinnern ist auch eine Form des Widerstandes. So schrieb Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat und politische Aktivistin, am 14. November 2021 auf Twitter: „Ich schwöre es dir, ich werde das niemals zulassen.“ 

https://twitter.com/TemizUnvar/status/1459827141512777730 (Öffnet in neuem Fenster)

Nach dem rechtsextremen Anschlag in Hanau gründete Serpil Temiz Unvar die Bildungsinitiative Ferhat Unvar in Hanau. Am 14. November 2021, also gestern, wurde das erste Jubiläum deren Gründung gefeiert und ihre Räumlichkeiten wurden eröffnet. Zugleich startete die Bildungsiniative eine Kampagne zur Finanzierung ihrer Räume, ihres Personals und zur Ermöglichung ihrer Projekte: Eine rassismuskritische Bildung. U.a. braucht die Initiative zwei Festangestellte, außerdem müssen natürlich auch die Miete und weitere Kosten gestemmt werden.

Wer kann, soll die Bildungsinitiative Ferhat Unvar finanziell unterstützen, am liebsten dauerhaft. Demokratisierungsprojekte in Deutschland kämpfen nämlich ständig ums Überleben – das ist eine Schande. Über den folgenden Link könnt ihr die Bildungsinitiative Ferhat Unvar finanziell unterstützen: https://www.betterplace.org/de/projects/88173-bildungsinitiative-ferhat-unvar (Öffnet in neuem Fenster). Wer kein Geld hat, kann den Link über die eigenen Kanäle verbreiten helfen.

Folgt der Bildungsiniative Ferhat Unvar auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster) und Instagram (Öffnet in neuem Fenster).

[1] Ferhat Unvar, 17.10.2015

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Im Oktober ist der Newsletter Saure Zeiten wegen Krankheit (Öffnet in neuem Fenster) ausgefallen. Diesen Monat geht es weiter mit einer neuen Rubrik: Drei Fragen. Ich freue mich sehr, dass wir den Auftakt wir mit der wunderbaren Autorin Asal Dardan machen dürfen. Die Kolumne des Monats schrieb Nina Fuchs, die Initiatorin des Vereins Kein Opfer e.V.

Was hast du immer in der Tasche dabei?
Asal Dardan: Ich bin ein bisschen schusselig, also kommt es schon mal vor, dass ich ohne Telefon oder Portemonnaie oder Schlüssel unterwegs bin. Aber eigentlich sollten  diese Dinge immer dabei sein, ebenso wie ein Buch, ein Lippenstift und Zahnseide.

Hast du ein Kleidungsstück, das eine besondere Bedeutung für dich hat?
Asal Dardan: Ich habe ein Seidentuch, es ist schwarz-weiß gemustert und gehörte meiner Großmutter. Sie hat es als Kopftuch getragen, ich trage es jedes Mal um den Hals, wenn ich merke, dass ich eine Erkältung kriege. Oder wenn ich mich müde und down fühle. Ich war ihr nicht sehr nah, aber das Tuch erinnert mich an die Verbindung zwischen ihr und meiner eigenen Mutter.

Was fehlt dir während der Pandemie am meisten?
Asal Dardan: Mir fehlt die Unbeschwertheit und Spontanität, sich mal vollen Räumen und vielen fremden Menschen auszusetzen. Aber da ich erst in der Pandemie von Öland wieder nach Berlin gezogen bin, hab ich trotz der Situation einiges dazugewonnen. Ich bin viel näher zu meinen Freund*innen und anderem, das mir wichtig ist und in meinen Augen ein gutes Leben ausmacht.

Folgt Asal Dardan auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster) und Instagram (Öffnet in neuem Fenster)

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Das Tabu im Tabu

Von Nina Fuchs

Inhaltswarnung: Sexualisierte Gewalt

Ganz, ganz langsam tut sich etwas in unserer Gesellschaft. Immer mehr Betroffene von sexualisierter Gewalt trauen sich, ihre Stimme zu erheben und über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Zu wissen, dass es so viele Betroffene gibt und das wir nicht alleine sind, macht es ein klein bisschen leichter.

Wir. Ja, ich gehöre auch dazu. Bereits vor #metoo habe ich begonnen, öffentlich meine Geschichte zu erzählen, weil ich mich von der Polizei so ungerecht behandelt gefühlt habe. Ich konnte es nicht ertragen, dass sie mich als Lügnerin abgestempelt, die Vergewaltigung verharmlost und die Existenz der K.-o.-Tropfen verleugnet haben. Mittlerweile habe ich dutzende Male darüber gesprochen, was mir widerfuhr, daher hat das Thema sexualisierte Gewalt einen festen Platz in meinem Leben. Ich wurde unfreiwillig zur Aktivistin.

Aber es gibt Dinge, über die ich nie spreche. Über die vielen Täter, die es in meinem Leben gegeben hat und für die ich nichts empfinde – keine Wut, keinen Hass, keine Verachtung, einfach nichts. Ein riesengroßes Gefühlsvakuum. Stattdessen habe ich ein anderes Gefühl: Schuld. Meine Schuldgefühle sind so groß und nehmen so viel Raum ein, dass sie keinen Platz mehr lassen für die Gefühle gegenüber diesen Männern, die mir auf unterschiedlichste Weise Gewalt angetan haben.

Die schlimmste Gewalt tat ich meiner Seele nämlich selbst an, indem ich die Verantwortung für die Gewaltaten anderer übernahm und mich selbst dafür verachtete. Wie sehr hasste, verabscheute und schämte ich mich, weil ich bei einer Vergewaltigung einen Orgasmus hatte. Ausgerechnet ich, die sonst solche Probleme hat, überhaupt beim Sex zu kommen? Ich konnte mich tagelang nicht mehr im Spiegel anschauen.

Erst viele, viele Jahre später erfuhr ich, dass das eine normale körperliche Reaktion ist, für die ich nichts kann und die ich nicht unter Kontrolle habe. Ich lernte, dass diese Reaktion kein Indikator dafür ist, dass ich Spaß hatte oder es sogar selbst wollte. Ich lernte, Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt nicht mehr als „schlechten Sex“ zu verharmlosen. Ich lernte anzuerkennen, dass die Verantwortung immer bei den Täter*innen liegt und eine Vergewaltigung auch dann eine Vergewaltigung ist, wenn ich die Person freiwillig in meine Wohnung ließ. Aber das wichtigste ist: Ich lernte, mir zu verzeihen und den Schmerz und die Trauer über das, was mir passiert ist, zuzulassen und Mitgefühl mit mir selbst zu haben.

Ich höre oder lese tagtäglich Geschichten von anderen Betroffenen und empfinde so viel Wut gegenüber diesen Menschen, die ihnen das angetan haben. Irgendwie tut es gut, diese Gefühle zu spüren, weil sie sich so richtig anfühlen, im Gegensatz zu den Gefühlen in Bezug auf meine eigenen Erfahrungen. Aber ich will mir keine Vorwürfe mehr machen, dass ich diesen Männern gegenüber keine negativen Gefühle habe. Ich will mir keine Vorwürfe mehr machen, dass diese Schuldgefühle immer noch da sind. Ich will mir einfach keine Vorwürfe mehr machen. Punkt.

Nina Fuchs ist Initiatorin, Mitgründerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins Kein Opfer e.V. und kämpft als feministische Aktivistin gegen sexualisierte Gewalt. Die gelernte Übersetzerin ist 38 Jahre alt und genießt es sehr, ortsunabhängig arbeiten zu können. Ob Amsterdam, Bali, oder Marokko – eine Alternative zu ihrem Zuhause in München für einige Monate oder Jahre ist ihr immer willkommen. Sie glaubt fest daran, dass es gemeinsam mit anderen wundervollen Aktivist*innen möglich ist, etwas in unserem Land zu bewegen.

Unbezahlte Werbung. Empfehlungen können sich wiederholen.

„Wir können mehr sein. Die Macht der Vielfalt“ – Aminata Touré

Die Grünen-Politikerin Aminata Touré kam 1992 in Neumünster als Kind von geflüchteten Eltern auf die Welt, seit 2017 sitzt sie im schleswig-holsteinischen Landtag. Bis zu ihren Teenager-Jahren war sie permanent mit der Gefahr, nach Mali abgeschoben zu werden, konfrontiert. Dabei lebte sie dort nie. Ihre alleinerziehende Mutter brachte Touré und ihren Geschwistern früh bei, dass sie als Schwarze Jugendliche und junge Frauen mehr leisten müssen, um dieselbe Anerkennung zu bekommen wie ihre weißen Kamerad*innen. Dass nicht-weiße Jugendliche im deutschen Schulsystem aufgrund rassistischer Einstellungen der Lehrkräfte benachteiligt werden und bei gleicher Leistung schlechtere Noten bekommen, wurde mehrfach wissenschaftlich belegt.

Tourés Buch macht die Ausschlüsse auf der politischen Landschaft Deutschlands sichtbar – und viel mehr. Ihre Sprache ist zugänglicher als viele Politiker*innen-Bücher. Auch ihre Gedichte sind hier zu lesen, die Einblicke über ihre Innenwelt liefern.

Touré, Aminata: Wir können mehr sein. Die Macht der Vielfalt. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021. 272 S., 14 €

„Wut und Böse“ – Ciani-Sophia Hoeder

Unter sechs Stichpunkten nimmt Ciani-Sophia Hoeder die unterschiedlichen Fragen, die Wut betreffen, auf die Lupe. Intersektionalfeministisch macht sie die Beziehung zwischen Wut und Diskriminierung sichtbar und denkt über ihr Potenzial nach.

„Wut und Böse“ ist ein Aufruf, die Grundemotion Wut umzudefinieren und aufzuwerten. Hoeder stellt klar, wozu Wut gut und notwendig ist. Das 14-Seiten starke Quellenverzeichnis ist zudem eine gute Sammlung von Texten zum Thema.

Hoeder, Ciani-Sophia: Wut und Böse. München: Hanser 2021. 206 S., 18 €

„Unbound. My Story of Liberation and the Birth oft the Me Too Movement” – Tarana Burke

Ermächtigung durch Empathie – das ist das Motto der US-amerikanischen Gemeinschaftsorganisatorin Tarana Burke. Sie gründete die »metoo«-Bewegung, die 2017 nach dem Aufruf der Schauspielerin Alyssa Milano das Thema sexualisierte Gewalt zu einer nachhaltigen internationalen Debatte machte. In ihrem Buch „Unbound. My Story of Liberation and the Birth oft the Me Too Movement” erzählt Tarana Burke die Geschichte, die zu der Gründung dieser Bewegung führte.

„Unbound” setzt kein Vorwissen über die Schwarze US-amerikanische Community heraus. Das Buch ist zwar zuerst einmal nur auf Englisch erhältlich, die Sprache ist allerdings leicht und verständlich.

Burke, Tarana: Unbound. My Story of Liberation and the Birth of the Me Too Movement. London: Headline 2021. 260 S., 14,99 £

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Sibel Schick

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