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Tagebuch: Warum ein Roman? Teil 5

Ja, ok, es sind wieder einige Wochen vergangen.
Manche Tage wollen nicht enden, aber die Zeit rast dahin.

Es tut mir leid, dass ich nichts von mir habe hören lassen.
Lesen tut das im Moment sowieso niemand.
Aber das ist mir egal.
Diese Aufzeichnungen sind mein Vermächtnis.
Wie eine Flaschenpost, die statt im Meer in den Wellen des globalen Netzes treibt.
Eines Tages wird sie jemand finden, sofern es diesen Tag noch geben wird.
Ich kann das nur hoffen, aufhalten kann ich es nicht. 

Man spürt es schon

Was ist nur los mit der Welt?, könnte man denken.
Wenn man ahnungslos ist. 

Die letzten Tage waren aufregend.
Für uns alle.
Und surreal.

Als wäre die Pandemie nicht Heimsuchung genug, walzen sich auch noch Flutwellen wie apokalyptische Reiter durch einige Regionen Deutschlands.
Und von diesen Bedrohungen hatte der Alte damals in Gambia gesprochen.
"Der Schädel ist nur der Anfang", wiederholte er ständig. 

Irgendwie will ich es immer noch nicht wahrhaben.
Obwohl die Beweise eindeutig sind.
Ich selbst habe sie zutage gefördert.
Und wünschte, ich hätte es nicht getan.
Hätte es auf sich beruhen lassen.
Aber das konnte ich nicht.

Das Leben ist weise.
Nichts über die Zukunft zu wissen, ist eine Gunst des Schichsals.
Nur wir Menschen wollen das nicht wahrhaben.

Jede Nacht taucht der Alte in meinen Träumen auf und ermahnt mich.
Ich kriege ihn einfach nicht aus dem Kopf.
Diese traurigen Augen, das hagere Gesicht, die knochige Gestalt.
„Bringen Sie die Geschichte zu Ende. Die Menschheit muss es erfahren“, das ist seine immerwährende Botschaft.

Und er sagte damals in Afrika: „Der Verfall wird kommen. Zuerst unmerklich, dann mit voller Wucht.“

Immer wieder Afrika

Nach dem ersten Urlaub in Ostafrika, bei dem ich den Schweizer kennenlernte, reiste ich nach Äthiopien.
Nicht das einzige Mal.
Aber das war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Es ging in die Wolayita Zone, nach Sodo, einer kleinen Handelsstadt.
Dort am Mount Damot, dem Schicksalsberg der Geschichte, suchte ich in Staub und Geröll nach Spuren.
Genauer gesagt nach Gräbern.

Ich wollte ihn finden, den verschollenen Bruder.
Den Urmenschenforscher.
Der mit seinem Kollegen und Freund, einem Wissenschaftler aus Wien, an jenem Berg nach etwas Seltsamen suchte, Anfang der 1980er Jahre.
Kurz bevor ausländische Forscher keine Grabungsgenehmigungen mehr für Äthiopien erhielten.

Damals mit dabei war ein kleines Expeditionsteam.
Sowie zwei Frauen, eine aus Äthiopien, die andere aus Eritrea.
Almaz und Simret.
Beide vermutlich tot.
Ich hatte nichts in meinen Händen.
Nur die Geschichte.
Und meine Gedanken, getrieben von Hinweisen und Vermutungen.

Es war äußerst schwierig, überhaupt etwas zu finden.
Der Berg starrte mich an, verhöhnte mich, gab nichts preis.
Es war, als erwiderte er meinen Blick, höhnisch grinsend.
Ich wusste, dass er ein Geheimnis in sich trug.
Und ich wollte es ihm abringen.

Die Menschen vor Ort waren extrem freundlich, sie unterstützten mich.
Aber zu den damaligen Ausgrabungen am Berg wollte keiner etwas sagen.  
Sie taten so, also ob sie sich nicht erinnern würden, aber in ihren Augen konnte ich es sehen.
Die Angst.

Norwegen und die Frage: Was wird nur aus uns?

„Beobachte genau, schau hin – die Menschen werden immer seltsamer werden, unaufhaltsam. Es ist unausweichlich.“
Das erfuhr ich im norwegischen Hammerfest, nachdem ich zuerst in Kirkenes an der russischen Grenze gewesen war.
Die Worte stammen von einem Polarforscher, den ich im Altersheim von Hammerfest besucht habe.
Er gab mir den letzten Hinweis, dank seiner Frau Edda.

Ja, die liebe Edda.
Eine starke Frau, eine Wikingerfigur, eine Schildmaid.
Sie weinte, als wir ihren Mann aufsuchten.
"Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst, hat alles von seiner Größe und Würde verloren.  Das kann ich dem Leben nicht verzeihen."
Hendrik Larsson, der einstige Hüne und charismatische Wissenschaftler, leidet seit Jahren an Parkinson; die Krankheit frisst sich durch seinen Körper, lähmt alles, macht ihn zur Leidensfigur.  

Warum ich überhaupt in Norwegen war?
Die Beweise führten mich dorthin.
Tja, der Forscher aus Hammerfest und der rätselhafte Patient aus Kirgenes.

Woher ich die Beweise habe?
Darüber will ich nur das Nötigste sagen.
Aber nicht jetzt.
So viel: Das Institut für psychische Erkrankungen im ehemaligen Ost-Berlin gibt es nicht mehr.
Da war keine Spur zu finden, nichts, wie vom Erdboden verschluckt, als hätte diese Einrichtung nie existiert.

Aber ich konnte eine Mitarbeiterin aufspüren, die Anfang der 1980er Jahre in einem Krankenhaus in West-Berlin gearbeitet hatte, in der Abteilung für Gehirnerkrankungen.
Sie ist eine wichtige Zeugin, saß damals bei einer Nachtschicht am Empfang, als ein junger, schwerkranker Mann eingeliefert wurde.
Wohl aus jenem geheimnisvollen DDR-Institut, denn er wurde begleitet von ostdeutschen und russischen Ärzten.
Ohne Papiere, keine offizielle Aufnahme, alles streng geheim gehalten.  
Von dem Arzt behandelt, dessen Schwester ich in Marburg kennengelernt hatte.
Das hatte ich schon erwähnt, mehr darüber will ich ein anderes Mal erzählen.  

Ursprünglich kam der Patient aus Kirgenes.
War also Norweger, arbeitete anscheinend für russische Auftraggeber.
Es ging um Bohrungen im Eis.
Forschungen im Erdmantel.
Sie suchten nach Bodenschätzen.
Doch das alles stellte sich erst später heraus.  

Es ist wie ein Sog.
Zieht mich nach unten.
Das Ganze.
Wieder einmal.
Nein, ich möchte jetzt an etwas anderes denken.
Bitte.

Ich melde mich wieder.
Auf bald.
Euer OWS

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Teaser-Bild: Jr Korpa/unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

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