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Post vom Wochenendrebell

Was man noch schreiben darf

Ich habe meine erste Mauer gebaut und kann Begeisterung für Mauern nun noch weniger nachvollziehen. Ich hege den Verdacht, dass dies auch in der Tatsache begründet ist, dass Mauerbauerbefürworter*innen in der Regel sich selbst als aktive*n Mauerbauer*innen in Konsequenz ihrer Mauerbauerbefürwortung ausschließen können. Das Problem wäre mit einem Schlag gelöst, wenn dem nicht so wäre. Was eine Scheissarbeit. Meine Fresse. 

Wir haben einen kleinen Garten mit einer Hanglage bestehend aus drei Ebenen, die jeweils von einer Natursteinmauer geschützt wurden. Zwei der Mauern sind in den Jahren porös geworden und viele lose Stellen traten aus, so dass die Mauer Jahr für Jahr niedriger wurde bis sie schlussendlich nicht mehr ausreichte um den Hang zu stützen und ich zwei der Mauern einreissen musste.

Schon da dünkte es mir, dass Mauern einreissen, einer Tätigkeit, der ich durchaus bei sinnvoller Konsequenz gerne nachkomme, schon nicht die Freude mitbrachte, die ich erwartet habe. Sieht man von der ersten drei bis viermütigen Hochmotivationsphase einmal ab, war die Arbeit auch schon zum Kotzen.

Vielleicht muss man wissen, dass ich harte körperliche Arbeit auf diesem Niveau nahezu gar nicht kenne, aber zum Glück hatte ich meinen Schwager an meiner Seite, dem ich assistieren durfte, denn zu meinen körperlichen Unzulänglichkeiten gesellt sich natürlich auch das Vakuum an technischem Wissen wie man eine Mauer baut. Die gesamte Familie war so überzeugt, dass dies kein Projekt sein sollte, bei dem Papsi das Kommando führt. Mein Schwager hatte von der gesamten Planung, über die Bestellung bis zur tatsächlichen technischen Ausführung, alle Fäden in der Hand. Ich musste nur Kies schleppen und Beton anrühren, aber ich war an dem Abend nur noch ein Lappen. Ich hab das nicht selten, dass ich abends nur noch ein Lappen bin, aber zumeist ist es die Kopfarbeit, die einen aussaugt und einen auch nicht zur Ruhe kommen lässt.

Ich bin nach dem Mauerbau noch unter die Dusche, lag kurze Zeit später um und habe tief und fest geschlafen. Normalerweise brauche ich abends noch einen Podcast zum Einschlafen oder eine Serie, um überhaupt erst einmal runter zu kommen und um das Gedankenkarussel wenigstens eine Runde langsamer fahren zu lassen. Die Mauer hat mich fertig gemacht und von der Erfahrung werde ich mich wohl erst erholen, wenn der Rest des Gartens fertig ist und ich auf der Mauer sitzend mit Jason ein Malzbier schlürfen werde. Der wollte nicht helfen, bzw. seiner Aussage nach konnte er es nicht, weil so viel für den Blog und für die Wochenendrebellenprojekte zu tun ist, womit er recht hat. Trotzdem hätte ihm körperliche Aktivität auch mal ganz gut getan.

Rückblickend gelernt habe ich, dass es nicht schadet viele Tätigkeiten leibhaftig erlebt zu haben. Im Zuge der häufig falsch ausbalancierten Berichterstattung passiert es ja sehr häufig, dass der Meinung von Mauerbauerbefürwortern ohne einer Spur von Mauerbaukenntnissen eine gleichhohe Gewichtung in der Aussagekraft gegeben wird, wie einer*einem ausgebildeten Mauerbauenden, einer*einem staatlich geprüften Mauerbaufachwirt*in oder einer*einem Professor*in für Mauerbau.

Ein nach journalistischen Mindeststandards arbeitendes Medium würde die Meinungsäußerungen und Statements von Mauerbefürworter Horst, 56, Kioskbesitzer in Bottrop und Professor Dr. Änage, Leiter des Forschungsinsituts für Mauerbau zumindest vorab einordnen. Führt die zu bauende Mauer durch Horsts Garten? Das wäre zumindest schon einmal eine Erklärung, warum Horst überhaupt gefragt wurde. Welche Kompetenz brächte dann ein Herr Professor für Mauerbau mit?

Als ich so Kies schaufelte habe ich überlegt wie man das Image des Mauerbaus wieder aufpolieren kann. Grundsätzlich sollte jede*r die Freiheit haben Mauern zu bauen, sofern sie*er bis zum Bauende den Betonmischer selbst bedient oder Kies schaufelt. 

Aber das löst ja nicht das Problem. Es geht ja eher um die Mauerbaukompetenz, die sehr vielschichtig sein kann. Vielleicht brauche ich explizit die Meinung zu einem Randaspekt, ich kann mich also gezielt auf die Suche machen nach jemandem, der vielleicht nur den rechtlichen Part des Mauerbaus in und auswendig beherrscht und somit nicht nur Meinung, sondern tatsächlich vorhandene Kompetenz erhalten. Das ist ein so unschätzbarer Wert und ich habe wirklich schon häufig Menschen mit Expertise befragt.

Aber wie löse ich das, wenn ich nicht aktiv auf der Suche nach einer Information bin, sondern für die Mehrheit grundlegende gesellschaftliche Informationen erhalten möchte, parallel dazu aber auch viele Menschen Nachrichten in ihrer Ausrichtung mehr und mehr via Social Media-Algorithmus konsumieren?

Wessen Aussage zu welchem Thema muss ich mir anhören? Bei wem kann ich mich verlassen, dass Meinung deutlich erkennbar oder gekennzeichnet ist? Wer sorgt für die Verlässlichkeit bei der reinen Übermittlung von Informationen und stellt sicher, dass es sich eindeutig um Fakten oder zumindest den aktuellsten Stand der Wissenschaft handelt? Woher weiß ich, welche erwähnten Studien mit anerkannten wissenschaftlichen Methodiken durchgefürhrt wurde und dass zum Zitat aus einer Studien nicht entscheidender Kontext unterschlagen wird. Es ist schwer geworden sich ein Bild zu machen.

Wir reden seit Jahren davon, dass der Medienkonsum sich brachial verändert und sich auch Aufmerksamkeiten auf völlig frei erfundene oder absichtlich missinterpretierte Aussagen bündeln, die viral getriggert plötzlich Reichweiten erzielen, von denen viele große deutsche Tageszeitungen nur träumen können. 

Tag für Tag gibt es mehr mögliche Quellen, die Meinung klug als faktische Aussage zu verkaufen wissen und das wissenschaftlich belegte, faktische Fundament erodieren lassen. Eine wirklich signifikante Menge an Menschen hat scheinbar nicht den Anspruch verantwortungsvoll informiert zu werden, sondern sucht aktiv die Bestätigung eines alternativen Mediums, welches bestätigt, dass die Erde eine Scheibe ist oder irgendeinen anderen Unsinn mundgerecht aufbereitet. Das ist halt schon auch ein Riesengeschäft.

Ich vermisse konservative, werterhaltende Medien, die bewusst auf polarisierende Meinung oder auch auf unverhohlene Provokation vollständig verzichten (können) und Medien, die deutlich mehr nach dem ganz konkreten Ablauf eines Mauerbaus hinterfragen oder dessen Intention, den Sinn, den Zweck, die Kosten, den Kostenträger oder den Profiteuer des Mauerbaus recherchieren. Ich möchte im Spektrum einen Artikel über die Statik im Kontext Mauerbau lesen und meine Tageszeitung darf vom Bau livetickern und mich vorab in einer Serie über die Konsistenz von Kalksandsteinen aufklären. Wegen mir kann die Zeit auch fragen ob wir Mauern bauen sollen oder nicht, aber spätestens dort müsste dann eben auch eine deutlichere Kennzeichnung von Meinung erfolgen oder eben umgekehrt der Spektrum-Artikel nach Prüfung mit einem Faktensiegel versehen werden. 

Wenn dem so wäre, dann fände ich Mauerbau trotzdem scheisse, aber vielleicht bin ich in manchen Belangen auch einfach eine faule Sau, dem sein Medienkonsum schon in der Vorsortierung zu anstrengend ist. Wenn ich allerdings nicht faul bin, sondern auch Medien in ihrem Einwirken auf mich gerne bequem konsumiere, dann dürfte es demografisch betrachtet auch mehr und mehr Schwierigkeiten geben, denn via Youtube sind für Jugendliche entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte rechtlich gar nicht verfolgbar. Das sorgt mich ein wenig. 

Was man noch sagen darf

kommod (Öffnet in neuem Fenster)

Was man noch hören darf

Matze Hielscher hatte Neven Subotic zu Gast in seinem Podcast "Hotel Matze". Wer noch nicht so an Podcasts rankommt, dem lege ich diese Folge sehr ans Herz. 

Host Hielscher ist nahezu immer ein sehr einfühlsamer und angenehmer Gastgeber, aber in dieser Folge ist es ihm nicht nur gelungen ein unheimlich gutes Gespräch mit vielen tiefen Ausflügen zuzulassen, er rief auch hörbar beeindruckt von Nevens Gedanken und Taten rund um die Stiftungsarbeit zu einer Spendenaktion auf, die bereits bei über 21.000 € liegt. Hier (Öffnet in neuem Fenster) kannst du die Podcastfolge hören und wenn dir die Folge gefällt, kannst du hier die Spendenaktion unterstützen. (Öffnet in neuem Fenster) 

Was man noch lesen darf

Schwerpunktanalyse 2020 „Alternative Medien und Influencer als Multiplikatoren von Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien“

Link zur Schwerpunktanalyse auf der Seite der Kommission für Jugendmedienschutz (Öffnet in neuem Fenster)

Was man noch wissen darf

Bergfestmails erscheinen nach kostenloser Anmeldung jeden Montag in deinem Posteingang. Bergfestmails dienen mir als Überdrussventil und machen als Blogbeitrag zumeist keinen Sinn. Was man in der Post der Wochenendrebellen findet, folgt keinem festem Muster, ist manchmal lang und manchmal kurz, manchmal rantig, manchmal grau. Gleichzeitig nutzen wir die Wochenendrebellenpost um über unser Treiben auf dem Laufenden zu halten und am Schluss der Post ein Wochenendrebellen-Update zu geben.

Nach wochenendrebellischer Manier machen wir vieles, aber vieles eben auch nicht richtig, weil wir dem Chaos noch immer nicht Herr geworden sind. Aber wir arbeiten daran. Chaos ist Markenkern der Wochenendrebellen. Aus dem Chaos heraus können sehr sinnvolle Ideen entstehen. Unsere Idee ist, die Welt zu verbessern und daran arbeiten wir ebenfalls. Magst du uns helfen? (Öffnet in neuem Fenster)

Passt auf euch auf.

Mirco

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