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Nicht alles, was eine Fahne hat, ist queer: Über die Kommerzialisierung des Pride Month

Der Pride Month wird von Jahr zu Jahr immer mehr zu einer Zeit, in der sich vor allem westliche Unternehmen eine Art Wettbewerb zu liefern scheinen, wer mehr Regenbogenflaggen auf bzw. in seinen Produkten integrieren kann. Von der bunten Mayonnaise über den Pride Whopper bis hin zu unzähligen, in Regenbogenfarben getauchten, Firmenlogos - so viel performative Unterstützung, da kann einem schon schwindelig werden.

Und wütend. Denn - wie zahlreiche Stimmen in den letzten Jahren angemerkt haben - die Kommodifizierung von Pride und Queer erreicht jeden Juni ihren Höhepunkt. Man könnte denken, die queere(n) Bewegung(en) hätte alles erreicht: Akzeptanz soweit das Auge reicht. Doch bleibt bei vielen der eifrigsten Fahnenschwenker*innen bei genauerem Blick wenig mehr als Selbstdarstellung übrig. 

Die Flagge wird meist nur in Ländern und Märkten (denn darum geht es ja eigentlich) gehisst, in denen den Marken kein großer Backlash droht. Gewinne aus Pride-Artikeln werden häufig nicht an queere Organisationen gespendet. Mitunter werden sie sogar in Billiglohnländern unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt, was dem Grundgedanken der queeren Bewegung auf perfideste Art zuwider läuft. 

Das Bild der queeren Community, das in solchen Kampagnen inszeniert wird, ist ein verzerrtes. Normschön, able-bodied, meist jung und ohne sichtbares Begehren strahlen uns unsere (vermeintlichen) Repräsentat*innen von Plakaten und Posts entgegen. Wiedererkennungswert gering. 

Es wird eine Queerness behauptet, die kein Gedächtnis hat, die den Alltag struktureller Diskriminierung nicht kennt und sich selbst feiert, als gäbe es kein Morgen, als hätte ein Gestern nie existiert. Als könnten wir uns alle ohne Angst im öffentlichen Raum bewegen; als würden wir von Unternehmen hofiert, jeder unserer Schritte enthusiastisch beklatscht.

Doch die Bühne, auf der dieses performative Virtue Signaling geschieht, ist klar umrissen. Am Abend des 30.06. wird sie wieder abgebaut. Der Alltag queerer Menschen, die steigende Anzahl queer-feindlicher Übergriffe, die entwürdigenden, verleumderischen Kampagnen, die gerade gegen das Selbstbestimmungsgesetz gefahren werden, interessieren nicht. Denn wer zu klar Stellung bezieht, läuft Risiko, Zielgruppen zu verprellen.

An vielen Stellen liest man dieser Tage zurecht den Slogan Queer is a riot. Er soll innerhalb all dieser Einverleibungen daran erinnern, dass es eigentlich darum geht, die Dinge in Frage zu stellen, am binären (Geschlechter-)System zu rütteln und Sichtbarkeiten zu schaffen. Denn wenn eines aus der queeren Geschichte offenkundig geworden sein sollte, dann, dass wir wehrhaft bleiben müssen. Unsere Rechte, unsere gesellschaftliche wie politische Anerkennung, müssen täglich neu verhandelt werden.

Leere Performativität, die sich schlussendlich nur der Gewinnmaximierung verpflichtet fühlt, sollte uns nicht von unserer Wehrhaftigkeit ablenken. Ein Burger mit zwei gleichen Hälften, von einer zweifelhaften Fast-Food-Kette angeboten, ist kein Indikator für die Akzeptanz queerer Menschen. Im Gegenteil, er ist ein Wachruf dafür, die Deutungshoheit über uns, unsere Geschichte und unsere Anliegen nicht kampflos aufzugeben. 

Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht auch Unternehmen gibt, die mehr als Symbolpolitik betreiben und welche die Sorgen und Nöte der queeren Community ernstnehmen und adressieren. Dies ist in der Regel aber weniger sichtbar, denn dazu gehört weit mehr, als sein Logo einzufärben. (Tobi)

Kategorie Essays

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