Reiche Eltern sind in erster Linie Reiche
Es sind einige Nullen, die hier wichtig sind. Bisher lag die Grenze, unter der Menschen Elterngeld bekamen, bei 300.000 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Paar. Jetzt soll diese Grenze laut Sparplänen der Bundesregierung auf 150.000 zu versteuerndes Einkommen pro Paar gesenkt werden. Das betrifft insgesamt circa 60.000 Eltern in Deutschland. Und es ist interessant zu sehen, wie laut die Personengruppe reiche Eltern ist. Denn, das ist wichtig ganz zu Beginn klarzustellen: Ja, die Eltern, um die es geht, sind reich. Das Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt bei 49.200 Euro brutto im Jahr. Ein Gehalt, das zum Beispiel für Beschäftigte zum Beispiel in Pflegeberufen oft unerreichbar ist.
Es gibt nun eine Petition von reichen Eltern, die sich dafür einsetzt, dass reiche Eltern über dem versteuerbaren Jahreseinkommen von 150.000 Euro weiterhin Elterngeld bekommen. Die, die sich gegen die Kürzung des Elterngeldes einsetzen, argumentieren unter anderem mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Hetero-Ehen. Bei den reichen Paaren würden dann vor allem Frauen zu Hause beim Kind bleiben, heißt es, weil sie weniger Geld als ihre Männer verdienen würden. Da stellt sich die Frage, was genau die Auswirkung ist, wenn bei diesem hohen Einkommen auf ein paar hundert Euro Elterngeld im Monat verzichtet werden muss. Ein Urlaub weniger im Jahr?
Einen interessanten Gedanken hat die Journalistin Saskia Hödl in einem Kommentar bei der taz (Öffnet in neuem Fenster) aufgeschrieben: Das Argument, dass die fehlenden 1.800 Euro Elterngeld bei Spitzenverdiener*innen nun dazu führen werden, dass noch weniger Väter Elternzeit nehmen, womit Rollenklischees weiter zementiert würden, geht leider komplett an der Ursache vorbei. Denn wer mit 150.000 Euro Haushaltseinkommen als Vater nichts übrig hat, um ein halbes Jahr bei seinem Kind zu bleiben, kann entweder nicht mit Geld umgehen oder ist ein schlechter Vater. Im schlimmsten Fall beides.
Wäre Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit für alle wirklich das Anliegen der Gegner:innen der Elterngeld-Kürzung, müssten sie sich mindestens so engagiert für andere gleichstellungspolitische Themen einsetzen, zum Beispiel die Abschaffung des Ehegattensplittings – oder für die Kindergrundsicherung. Eine fehlende Kindergrundsicherung bedeutet für Familien nämlich nicht nur einen Urlaub weniger im Jahr – sondern kein Geld für das Abendessen.
Während das Elterngeld für reiche Eltern ein nice to have ist, so kann es für von Armut betroffene Eltern der Grund für oder gegen ein Kind sein. Wo also bleibt die große Unterstützung der Petition zur Kindergrundsicherung, von der so viele Familien mehr betroffen sind? Wo bleibt die Unterstützung für pflegende Eltern? Dass es die nicht gibt, ist kein Wunder: Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind, haben keine Ressourcen, laut zu sein. Sie haben keine Lobby. Eine laute Lobby haben Menschen mit Geld und Zeit. Sie sind jetzt laut, sie geben Interviews, sie sammeln Unterschriften. Ihnen wird zugehört – auch, weil sie Geld haben. Denn Geld verstärkt Stimmen. Und wir als Gesellschaft hören Stimmen mit Geld gerne zu. Was sie sagen, muss wohl wahr sein, denn sie haben ja Geld. Leider trifft auch das Gegenteil zu – Menschen, die von Armut betroffen sind, werden stigmatisiert, als dumm, unwissend, faul. Ihre Petitionen verschwinden im Nirgendwo des Internets.
Diskutiert wird aktuell vor allem über das Elterngeld in Paarbeziehungen mit viel Geld. Die am stärksten steigende Familienform sind allerdings Alleinerziehende. Sie können sich nicht mit einer zweiten Person absprechen, wer auf Lohn verzichtet und wer mehr Care-Arbeit macht. Sie kommen in der Debatte so gut wie gar nicht vor, dabei geht es vor allem um ihr Wohlergehen, wenn wir eine gleichberechtigte Gesellschaft wollen. Dann muss für alle Menschen Wahlfreiheit bestehen, ob sie Kinder haben wollen oder nicht. Und es möglich sein, mit Kindern ohne Existenzängste zu leben, auch alleinerziehend. Für eine Alleinerziehende, die trotz mehrer Jobs von Armut betroffen ist, muss sich die derzeitige Diskussion wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen.
Anni W. , die Initiatorin von #IchbinArmutsbetroffen, sagt zur aktuellen Debatte: Wir sprechen hier von maximal 60.000 betroffenen Haushalten. Demgegenüber stehen Millionen armutsbetroffene Kinder. Währen ein Haushalt mit 150.000 Einkommen sparen kann, ist das in Haushalten mit armutsbetroffenen Kindern nicht möglich, unabhängig davon, ob es nun Haushalte von Erwerbslosen, Berenteten oder Millionen Berufstätigen sind. Wo bleibt da der Aufschrei? Wo bleiben da die Unterschriften auf Petitionen? Wo bleibt da die gesellschaftliche Verurteilung?
Wenn wir über Gleichberechtigung sprechen, geht es um gleiche Teilhabe für alle – unabhängig von Merkmalen wie Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderung, ethnischer oder eben sozio-ökonomischer Herkunft. Gleichberechtigung für alle erreichen wir nur, wenn wir solidarisch sind. Und Solidarität bedeutet nicht, sich für uns selbst und die Menschen, die uns selbst ähnlich sind, einzusetzen. Ja, wir brauchen eine bessere Familienpolitik, mehr Bildungsgerechtigkeit für Kinder, überhaupt mehr gerechtere Teilhabe-Chancen. Aber wenn wir solidarisch sein wollen, müssen wir mehrere Benachteiligungen zusammen denken.
Genau das ist die Grundlage von intersektionalem Feminismus; ein Begriff, den die Schwarze Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw prägte. Ungleichheit, so Crenshaw, ist nicht nur durch ein Merkmal bedingt, sondern durch mehrere. Zum Beispiel durch Geschlecht und Race und Klasse. Wenn wir das nicht zusammen denken, sorgen wir am Ende nicht für mehr strukturelle Gerechtigkeit, sondern bloß für eine Pseudo-Gerechtigkeit für einen kleinen Teil der Gesellschaft.
Wenn sich weiße, wohlhabende, nicht behinderte Frauen in Hetero-Beziehungen vor allem für sich selbst und alle, die ihnen ähnlich sind, einsetzen, verfestigen sie damit sogar noch die Ungleichheit. Denn im Zweifel setzen sie sich vor allem für sich selbst ein.
Die Autorin Nadia Shehadeh schreibt in ihrem Buch Anti-Girlboss (Öffnet in neuem Fenster): Die US-amerikanische Wissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin bell hooks betont, dass es seit "Anbeginn der (feministischen) Bewegung" vor allem Frauen aus den privilegierten Klassen waren, die ihre "Belange zu den Streitthemen erklären konnten. Bürgerliche Probleme – wie etwa die Unzufriedenheit der privilegierten weißen Hausfrauen – wurden zur "Krise aller Frauen" erklärt, obschon es nur "eine kleine Gruppe gebildeter weißer Frauen betraf".
In den Videos zur Elterngeld-Petition wurde von hart arbeitenden Menschen gesprochen, die sich ihr hohes Einkommen hart erarbeitet hätten – was in der Argumentation vergessen wurde, war die Frage, durch wessen Arbeitskraft dieser Wohlstand überhaupt erst möglich gemacht wird. Die Haushaltshilfen der Familien, die Erziehenden der Kinder. Es braucht sehr viele hart arbeitende Menschen dafür – und die meisten von ihnen leben mit sehr wenig Geld. Sie haben oft gar keine Entscheidungsmöglichkeiten, wer mit dem Kind zu Hause bleibt, ob eine Person in Teilzeit geht, weil für beides schlicht das Geld fehlt.
Wenn wir mehr Gleichberechtigung wollen, müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Haushaltshilfen gut von ihrem Lohn leben können und auch sie Arbeit und Familie problemlos miteinander vereinbaren können. Dann müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Erziehenden unserer Kinder so arbeiten können, dass sie nicht regelmäßig ausbrennen. Dann müssen wir uns dafür einsetzen, dass auch Pflegende ein Leben mit freien Entscheidungen leben können. Dann müssen wir uns dafür einsetzen, dass alle Menschen die gleichen Chancen bekommen (Kindergrundsicherung!). Gleichberechtigung wird unten entschieden, nicht oben.
Denn ein Girlboss macht noch keine gleichberechtigte Gesellschaft. Zwei Girlbosse auch nicht.
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