#61 Bezahlbarer Wohnraum - Gebäudetyp E
Bezahlbarer Wohnraum ist insbesondere in städtischen Ballungsgebieten ein drängendes Problem. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: hohe Bodenpreise, steigende Bau- und Projektkosten sowie hohe Finanzierungskosten.
In diesem Beitrag sollen neue Möglichkeiten erörtert werden, um die Bau- und Projektkosten zu senken. Dabei muss der Bauherr aber grundsätzliche Entscheidungen abwägen ⚖️ (vgl. mein Fazit). Der Gesetzgeber kann nur Handlungsoptionen geben. Jeder trägt selber die Verantwortung für sein Tun.
Bei Wohnprojekten wird häufig durch die Reduzierung der Wohnfläche für die Eigennutzung und gleichzeitigem Teilen der Gemeinschaftsflächen eine Lösung gefunden. Für gelegentliche größere Familienfeiern, Übernachtungsgäste oder handwerkliche Tätigkeiten müssen keine eigenen Flächen oder Räume vorgehalten werden. Das Sharing-Konzept ist sowohl kosten- als auch ressourcensparend.
Künftig soll es weitere Möglichkeiten geben: Auf Initiative der Bundesarchitektenkammer, der Bundesingenieurkammer und des GdW Bundesverband deutscher Wohnung und Immobilienunternehmen e.V. wurde der Gebäudetyp E angeregt, der als "einfach" oder "experimentell" klassifiziert werden kann. Ziel ist es, regulatorische Erleichterungen zu schaffen, um mehr Innovation im Wohnungsbau zu fördern.
Dafür sind Gesetzesänderungen auf verschiedenen Ebenen notwendig.
1. "Baustandards" senken
Die Forderung richtet sich sowohl an das Bundesministerium für Bau und Heimat, als auch an das Bundesministerium der Justiz. Die nachfolgenden Ausführungen sind derzeit noch nicht normiert, sondern stellen lediglich den aktuellen Diskussionsstand dar.
a) die BGB-Änderung
Hierbei geht es um die Abweichung von den „anerkannten Regeln der Technik“ (= aRdT) durch vertragliche Vereinbarungen. Bei den aRdT handelt es sich um Regeln für die Ausführung baulicher Leistungen, die als theoretisch richtig anerkannt sind und sich nach der Mehrheit der maßgeblichen Fachleute in der Praxis bewährt haben.
Diese sind nicht zwingend identisch mit den DIN-Normen, von denen es Hunderte gibt.
Über den Bürokratiewahnsinn finden Sie eine interessante SWR-Story unter
Die Einhaltung einer DIN-Vorschrift stellt rechtlich lediglich eine widerlegbare Vermutung dar.
Die aRdT können sicherheitstechnische Festlegungen betreffen oder Ausstattungs- und Komfortmerkmale beschreiben.
Nach gegenwärtiger Gesetzeslage hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber eine Bauleistung zum Zeitpunkt der Abnahme frei von Sachmängeln zu verschaffen.
„Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.”
Während § 13 Abs. 1 VOB die Einhaltung der aRdT explizit fordert, wird die Einhaltung der aRdT bei § 633 BGB als stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung von der Rechtsprechung gefordert. Der Schutz des unkundigen Bestellers einer Bauleistung soll dadurch gewahrt werden.
Dies hat bislang zur Folge, dass ein Auftragnehmer für die Nichteinhaltung der aRdT haftet - obwohl es keinen Schaden gibt und das Gebäude funktionstüchtig ist. Dies führt unweigerlich dazu, dass Innovationen unterbleiben (müssen). Das ist unsinnig!
Schon jetzt könnte ein Planer oder ein Handwerker von den aRdT abweichen, wenn der Vertragspartner / Auftraggeber umfassend und präzise aufgeklärt wird, welche Auswirkungen durch die Abweichung entstehen könnten. Abstriche in Funktion und Nutzung, Qualität und Komfortstandard, Risiken und Folgen müssen benannt werden. Die Darlegung und Beweislast für die erfolgte Aufklärung trägt der Auftragnehmer.
Gerade bei Arbeiten im Bestand entsprechen die Bestandsbauwerke regelmäßig nicht mehr den aRdT. Je umfangreicher und eingriffsintensiver die Arbeiten sind, desto mehr spricht für die Schaffung / Einhaltung der aktuellen aRdT. Dies ist sicherlich ein Grund, warum Sanierungen von Bestandsobjekten so unbeliebt sind, da hier ein erhebliches Haftungsrisiko für Planer und Bauhandwerker besteht. So kann keine “Umbaukultur” entstehen!
Der geplante § 650a Abs. 3 BGB des Justizministerium wurde am 06.11.24 durch den Regierungsentwurf textlich geändert.
✅ Ohne ausdrückliche Vereinbarung gäbe es keine Pflicht mehr zur Einhaltung von Komfortstandards. Der Verbraucher wäre auf die Abweichung von den aRdT hinzuweisen.
Der neue Absatz 3 gilt für auch für Planerverträge und Bauträgerverträge.
✅ Für fachkundige Unternehmen würde der neue § 650o BGB weitere Erleichterungen bringen. Als fachkundige Unternehmer gelten natürliche oder juristische Personen, die aufgrund einer technischen Ausbildung über entsprechende Kenntnisse der im Baugewerbe einschlägigen anerkannten Regeln der Technik verfügen.
Für alle privaten Häuslebauer, Wohnprojekte und Genossenschaften mit ehrenamtlichen Vorständen spielt der § 650o BGB somit keine Rolle. Ich verzichte deshalb hier auf weitere Ausführungen.
Es ist jedoch völlig ungewiss, ob noch - bis zur Neuwahl im Februar 25 - irgendwelche Gesetze vom Parlament verabschiedet werden. Insofern bleibt es bei den umfassenden und ausführlichen Aufklärungspflicht über die Abweichung von den aRdT.
b) Leitlinien und Empfehlungen durch das Bundesbauministerium
Die obigen Ausführungen sind wichtig für alle Jurist:innen, aber für juristische Laien wenig hilfreich. Deshalb ist es erfreulich, dass das Bundesbauministerium eine Leitlinie (Öffnet in neuem Fenster) herausgegeben hat.
https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/veroeffentlichungen/bauen/gebaeudetyp-e-leitlinie.pdf?__blob=publicationFile&v=7 (Öffnet in neuem Fenster)Die Leitlinie gibt textliche Empfehlungen zur vertraglichen Vereinbarung und zeigt dies an Beispielen im Neubau und beim Bauen im Bestand.
Standardformulare für Planer oder Baufirmen können dies nicht abbilden. Verträge müssen bedarfsgerechter gestaltet werden. Eine frühzeitige und offene Kommunikation und eine eindeutige individuelle Vertragsgestaltung sind notwendig, um das Potenzial für den Gebäudetyp E ausschöpfen zu können.
2. bauordnungsrechtliche Erleichterungen
Das Bauordnungsrecht stellt ein Gefahrenabwehrrecht auf Länderebene dar. Bauliche Anlagen dürfen die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährden. Dabei sind allgemein anerkannte Regeln der Technik zu beachten, die den Schutz von Leben, Gesundheit und den natürlichen Lebensgrundlagen betreffen.
Bei der Bauministerkonferenz im November 2023 wurde beschlossen, dass in den Baunormen eine Trennung zwischen bauaufsichtlichen Mindestanforderungen und weitergehenden Anforderungen vorgenommen werden soll. Zukünftig kann auf die bauaufsichtlichen Mindestanforderungen verwiesen werden, um die hohen Baukosten zu senken. Die Bauaufsichtsbehörde soll Abweichungen von gesetzlichen Anforderungen zulassen, sofern diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung sowie der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarschaftlichen Belange mit den sonstigen öffentlichen Interessen vereinbar sind. Zudem sollen neue Bau- und Wohnformen praktisch erprobt werden (Innovationsklausel).
Zahlreiche Bauvorhaben werden zudem verfahrensfrei gestellt.
Die genauen Regelungen sind im jeweiligen Bundesland zu prüfen:
Bayern (Öffnet in neuem Fenster)
Sachsen (Öffnet in neuem Fenster)
NRW (Öffnet in neuem Fenster)
Bei den Kommunen stößt dies auf wenig Begeisterung, da dies als Eingriff in ihre Planungshoheit betrachtet wird.
Pilotprojekte
In mehreren Bundesländern werden derzeit Pilotprojekte zum Gebäudetyp E wissenschaftlich begleitet. Ziel dieser Projekte ist es, zu prüfen, ob durch normabweichende und innovative Lösungen das Planen und Bauen erleichtert sowie Kosten gespart werden können. Zudem soll ermittelt werden, wo weiterer gesetzlicher Handlungsbedarf besteht. Einige Bauherren beabsichtigen beispielsweise, einen reduzierten Schallschutz oder eine vereinfachte Haustechnik umzusetzen, alternative Baustoffe zu verwenden oder einen geringeren Stellplatzschlüssel auszuprobieren.
Dafür wurde in Bayern der Art. 63 der Bayerischen Bauordnung (Öffnet in neuem Fenster) von einer Ermessensvorschrift in eine Sollvorschrift umgewandelt, sodass nun Abweichungen regelmäßig zugelassen werden sollen, insbesondere bei Vorhaben zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen.
KfW 296 (Öffnet in neuem Fenster)
Wer klimafreundlichen Neubau im Niedrigpreissegment für Wohnungen anstrebt, sollte die neue KfW-Förderung (KNN-WG) im Blick behalten:
Quelle: Energietage (Öffnet in neuem Fenster)
💡Mein Fazit
Aufgrund der politischen Lage Ende 2024 ist unklar, ob und wann die geplanten BGB-Änderung wirksam wird. Bis sie zudem eine messbare Wirkung am Wohnungsmarkt entfalten, würde noch einige Zeit vergehen. Planer und Handwerker können schon im Rahmen des geltenden Rechtes (leider mit Aufwand) preiswertes Bauen mit den Bauherren thematisieren.
Ich wünsche mir, dass Bauherren ihre Entscheidungen gut abwägen und nicht nur die einmalige kurzfristige Kostenersparnis betrachten.
Sollen nachhaltige und gesunde Baumaterialien 🪵 bewusst und innovativ eingesetzt werden? Interessanter Förderaufruf » Link zum Bundesbauministerium (Öffnet in neuem Fenster).
Wie klimaresilient sollen unsere Gebäude sein?
Können wir uns Baukultur leisten? Impulse » Post 2023 (Öffnet in neuem Fenster)
Spannend wird die Diskussion, ob Barrierefreiheit 👨🦽 “nur” als verzichtbare Komfortanforderung bewertet wird.
Es ist Aufgabe der Berater:innen, die Bauherren bei der schwierigen Entscheidungsfindung angemessen zu begleiten: Kostensparen 💰 oder ganzheitliche Konzepte für Generationen 👨👦🦔🥬 👩👦?
Selbstbestimmung ist immer herausfordernd!
Und damit sind wir wieder bei der Leistungsphase 0 (Zielfindungsphase) eines Architekten, deren Bedeutung meist unterschätzt wird.
Wer gerne einen Podcast zum Thema hört:
LINK zum Podcast Bauhysik+ (Öffnet in neuem Fenster)
Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin, Wohnprojektberater
https://wonderl.ink/@angelika.maj_rml (Öffnet in neuem Fenster)