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#66 Die Bedeutung der Leistungsphase Null = Zielfindungsphase fĂĽr Baugruppen

Eine Baugruppe, die gemeinsam planen und bauen will, muss vier Themen gleichzeitig angehen:

  1. Rechtsform und Gesellschaftsrecht

  2. Grundstück erwerben, Gebäude bauen

  3. Finanzierung

  4. Gruppenbildung

Diese Bereiche beeinflussen sich gegenseitig: Größe; Zuschnitt und Ausstattung der Wohnungen und Gemeinschaftsräume wirken auf die Baukosten, die individuell und insgesamt finanziert werden müssen. Die Finanzierungsmöglichkeiten der Mitglieder bestimmen die Gruppenzusammensetzung und beeinflussen die Wahl der Rechtsform. Alle Themen müssen harmonisiert werden, da jede Änderung weitreichende Auswirkungen hat. Ein linearer Prozess ist daher nicht möglich.

Wenn sich Gruppenmitglieder zunächst nur kennenlernen und gemeinsam planen wollen, ohne die finanziellen Möglichkeiten zu kennen, riskieren sie, dass Mitglieder später aussteigen. Dies könnte die Gruppenfindung und Planung erheblich zurückwerfen. Je individueller die Planungen, desto schwieriger wird es, passende Menschen zu finden.

Obige Skizze soll verdeutlichen, dass eine gleichzeitige Klärung aller Themen nötig ist, um eine Schieflage zu vermeiden: Sonst scheitert das Projekt oder Einzelne steigen aus.

Die Mitglieder von Baugruppen bringen oft nur individuelle Bauerfahrungen mit; nur wenige verfügen über juristische Kenntnisse im Baurecht. Die komplexen Kosteneinflüsse beim Planen, Bauen und Bewirtschaften sind oft unbekannt. Leitbilder der Gruppen vermischen bauliche und soziale Komponenten oft durch oberflächliche Schlagworte. Über finanzielle Möglichkeiten wird selten offen gesprochen.

Gruppen sind oft begeistert, wenn ein Architekt oder Projektentwickler das Konzept übernimmt – oft ohne vertragliche Regelung und zunächst kostenfrei.

Ein vorpreschender Architekt oder Projektentwickler hilft weder sich selbst noch der Gruppe. Die strukturierte DurchfĂĽhrung der Leistungsphase 0 / Zielfindungsphase ist aus vielerlei GrĂĽnden und auch methodisch geeignet, ein Wohnprojekt zĂĽgig und effizient zu realisieren.

“Wer schnell sein will, muss langsam gehen.”

Juristische Grundlage fĂĽr die Leistungsphase 0

Seit 2018 ist der Architektenvertrag im Werkvertragsrecht (BGB) verankert. Die HOAI beschreibt nur die Leistungen in verschiedenen Phasen und hat seit 2021 ihren verbindlichen Preischarakter verloren.

In der frühen Projektphase ist § 650p Abs. 2 BGB entscheidend:

(1) Durch einen Architekten- oder Ingenieurvertrag wird der Unternehmer verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und AusfĂĽhrung des Bauwerks oder der AuĂźenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Ăśberwachungsziele zu erreichen.

(2) Soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Unternehmer zunächst eine Planungsgrundlage zur Ermittlung dieser Ziele zu erstellen. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor.

Ohne Planungsgrundlage bzw. Zustimmung zur Planungsgrundlage gibt es ein Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB. (Öffnet in neuem Fenster)Der vorpreschende Architekt verliert seinen Honoraranspruch aus dem Architektenvertrag und hat allenfalls einen Vergütungsanspruch für die erbrachte Leistung. Diese Architektenleistung gilt jedoch als mangelhaft, wenn sie mit den vereinbarten Planungszielen nicht übereinstimmt.

Das Leitbild einer Baugruppe ist noch keine Planungsgrundlage fĂĽr vertragliche Planungs- und Ăśberwachungsziele des Architekten.

Es gibt keine festen Regeln oder Checklisten. Eine Baugruppe muss anders behandelt werden als ein privater Häuslebauer oder ein Unternehmer mit klaren Vorgaben zu seiner Fabrikationshalle.

Statt mit kostenlosen Entwürfen überzeugen zu wollen, sollte der Berater die Besonderheiten der Baugruppen berücksichtigen. Ohne belastbare Planungsgrundlage bleiben viele Projekte in der Visionsphase. Ästhetische Entwürfe wecken zunächst Begeisterung, führen aber oft zu Enttäuschungen, wenn Kostenberechnungen vorliegen. Kündigungen und Honorarstreitigkeiten sind häufige Folgen.

Nur wenn individuelle Bedürfnisse, Anforderungen der Gruppe und finanzielle Möglichkeiten zu einem tragfähigen Konzept verschmelzen, gelingt das Projekt. Wenn Gruppenmitglieder nur ihre Wohnung optimieren wollen, steigen die Projektkosten und der Abstimmungsstress.

Die strukturierte Leistungsphase 0 schafft eine faktenbasierte Planungsgrundlage, die dennoch eine Flexibilität bei wichtigem Änderungsbedarf erlaubt. Die Gruppe findet sich schneller, klärt zügiger die Finanzierung und kann auf einen geordneten Prozess vertrauen.

Wie gelingt eine Leistungsphase 0 aus formaler Sicht?

Jeder Bauherr muss seine Vorstellungen zu Qualität, Quantität und Zeit erst finden. Setzt sich “der Bauherr” aus vielen Individuen zusammen, ist die Findungsphase ungleich schwerer. Die Baugruppe sollte fachlich und methodisch begleitet werden, ohne dass der Architekt oder Projektentwickler zu viel Einfluss nimmt.

Eine Kick-off-Veranstaltung ist sinnvoll.

Neben den Gruppenmitgliedern sollten Fachleute aus verschiedenen Disziplinen oder konkurrierende Fachleute eingeladen werden. Ein pauschaler Tagessatz für die Beteiligung könnte vereinbart werden.

Die Gruppenmitglieder erhalten Einblick in die Komplexität von Bauvorhaben und ihre Einflussmöglichkeiten auf Qualität und Preis. Fachleute präsentieren ihr Wissen und ihre Empathie. Angesichts der Anforderungen an funktionale und nachhaltige Gebäude helfen Zusatzqualifikationen bei Ideenfindung und Abwägung. Die Gruppe entwickelt nebenbei ein Bewusstsein für ihre Rolle.

Die gezielte Gesprächsführung trägt eine hohe Verantwortung für das Gelingen dieser Phase. Individuelle Bedürfnisse sollen Beachtung finden und gleichzeitig ein Konsens angestrebt werden. Kostentreibende Ideen sind zu benennen, langfristige Auswirkungen zu beleuchten und innovative Ansätze zu fördern. Herausforderungen müssen benannt werden und gleichzeitig das Interesse am „Mitmachen“ gestärkt werden. Diese Gesprächsführung ist keine einfache Moderation und bedarf vielfältiger Erfahrungen mit Baugruppen.

Das Ergebnis der Zielfindungsphase sollte die Entscheidung der Gruppe sein, ob das Projekt fortgesetzt wird.

Gleichzeitig können die nächsten Schritte vorbereitet werden. Dazu gehört die Gestaltung eines Bauherrnmanagement, das mit den Entscheidungsmethoden einer Gruppe in der jeweiligen Rechtsform harmonieren muss - eine perfekte Vorbereitung für den Abschluss alle Bauverträge.

Auf Basis der Planungsgrundlagen könnte ein kleiner Wettbewerb für den besten Entwurf ausgelobt werden. Gruppen sollten sich grundsätzlich nicht zu früh an einen Architekten oder Projektentwickler binden. Verzichten Baugruppen auf eine strukturierte Leistungsphase 0, verhindert der vorpreschende Projektentwickler eine bedarfsgerechte Planung, die alle Mitglieder berücksichtigt und das Optimum aus dem „Wohnprojekt“ herausholt. Bereits in der Planung entscheiden sich die meisten Kostenfaktoren – sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb.

Da bei Bauprojekten ein Scheitern nicht ausgeschlossen werden kann, sind Stufenverträge oder Verträge mit optionalen Bausteinen mit den Professionellen anzustreben. Teure Kündigungen sind so vermeidbar. Den wenigsten Baugruppen ist das finanzielle Risiko aus § 648 BGB bekannt: “Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen”.

Fachliche Aspekte

Mir fehlt das Fachwissen für die vielfältigen baulichen Varianten und Entscheidungsmöglichkeiten beim Bauen. Die Vor- und Nachteile können nur Fachleute erläutern. Die Entscheidung trifft der Bauherr.

Ich interessiere mich aber fĂĽr die Trendthemen und die aktuellen Herausforderungen.

So weiß ich, dass die Entscheidung für ein schlüsselfertiges Holzhaus bei einem Fertighaushersteller frühzeitig erfolgen muss. Der Hersteller macht seine eigene integrierte Werkplanung. Die Planungs- und Bauabläufe unterscheiden sich erheblich zum klassischen Hausbau mit Einzelvergabe.

Diese Grundsatzentscheidung gehört schon in die Leistungsphase 0, um unnötige Doppelleistungen zu vermeiden.

Darüber hinaus sind vielfältige Aspekte zur Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Nachhaltigkeit, Klimaresilienz ect zu überdenken. Billiges Bauen kann langfristig teuerer werden. Das Wohlbefinden auch künftiger Bewohner:innen und in allen Lebensphasen ist wichtig, denn jedes Gebäude überdauert seine Bauherren.

Material zu einige Themenaspekte (serielles Bauen, mehrgeschossiger Holzhausbau, Kühle Konzepte, uä) habe ich hinter der Paywall in einem Padlet zusammengestellt.

Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin, Wohnprojektberaterin

https://wonderl.ink/@angelika.maj_rml (Ă–ffnet in neuem Fenster)


Hier geht es weiter zum Padlet. Jede:r kann weitere Infos fĂĽr die Community hochladen. Geteiltes Wissen hilft uns allen.

https://padlet.com/majchrzak_rummel/offener-austausch_lph0_themen-2psg6945u9vxnddn (Ă–ffnet in neuem Fenster)

 

Kategorie juristische Fachthemen