#26 Gemeinnützigkeit und Gemeinwohl
Viele Wohnprojekte definieren sich als Projekt im Gemeinwohlinteresse.
Was heißt nun Gemeinwohl?
» aus der Sicht von Akteure aus der Zivilgesellschaft
Gemeinwohl wird verstanden als Gegenbegriff zu bloßen Einzel- oder Gruppeninteressen innerhalb einer Gemeinschaft. Die nähere inhaltliche Bestimmung ist von der politisch - soziologischen Haltung abhängig.
„Immer wird der Begriff ›Gemeinwohlorientierung‹ verwendet, wenn es darum geht, eine Abgrenzung zum konträren Begriff der ›Profitorientierung‹ deutlich zu machen. Gemeinwohlorientierung in der Stadtentwicklung bedeutet eindeutig, dass Projektentwicklungen nicht auf das vorrangige Ziel der Erwirtschaftung von Rendite für Einzelne oder eine Gruppe – für sogenannte ›Investor*innen‹ – ausgerichtet sein können, sondern dass als Entwicklungsziel in den Blick genommen wird, was das Projekt der Allgemeinheit bringt“ (aus Baustelle Gemeinwohl (Öffnet in neuem Fenster)).
Projekte, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, haben jedoch keine steuerlichen Vorteile und müssen sich den normalen Rechtsvorschriften der jeweiligen Rechtsform unterwerfen.
Es gibt Bestrebungen und Versuche, die kreativen Spielräume zu nutzen.
Das bekannteste Beispiel ist sicherlich das Modell „Miethäuser Syndikat“ auf Basis der GmbH.
Zwei andere Ansätze verfolgen das „Verantwortungseigentum“ von Purpose (Öffnet in neuem Fenster) oder die Gemeinwohl Ökonomie (Öffnet in neuem Fenster)
Die Werte der Gemeinwohl Ökonomie
Menschenwürde
Solidarität und Gerechtigkeit
ökologische Nachhaltigkeit und
Transparenz und Miteinander - Teilhabe
Lebensqualität und Zufriedenheit
harmonieren mit Prinzipien aus der Wohnprojekte-Szene.
Während bei Wohnprojekten eine ökonomische Wirkung mitunter verpönt ist („wir wollen keine Gewinne“ machen), sucht die Gemeinwohl Ökonomie eine sozial-ökonomischen Wirksamkeit. Rendite ist wichtig, um der Gemeinwohl-arbeit wieder zuzufließen. Initialkapital ist notwendig, aber die Finanzierung muss sich verselbständigen und verstetigen.
» aus der Sicht der Bundesregierung
Auch die Bundesregierung beschäftigt sich mit gemeinwohlorientierte Unternehmen (Öffnet in neuem Fenster). Gemeinwohlorientierte Unternehmen im Sinne der nationalen Strategie und im Einklang mit der Definition der Europäischen Kommission sind solche Unternehmen,
für die das soziale oder ökologische, gemeinwohlorientierte Ziel* Sinn und Zweck ihrer Geschäftstätigkeit darstellt;
deren Gewinne größtenteils wieder investiert werden, um dieses Ziel zu erreichen und
deren Organisationsstruktur oder Eigentumsverhältnisse dieses Ziel widerspiegeln, da sie auf Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiterbeteiligung basieren oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind.
*Die sozialen, ökologischen und gemeinwohlorientierten Ziele werden nicht weiter benannt, es wird jedoch in den Leitlinien der Strategie auf das Ziel der Nachhaltigkeit hingewiesen. Damit nimmt die nationale Strategie einen ausdrücklichen Bezug auf die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Öffnet in neuem Fenster), die im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen mit der „Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet wurde (Sustainable Development Goals, SDGs).
Für gemeinwohlorientierte Unternehmen gibt es Förderprogramme. Diese sind jedoch für die “Jungen Genossenschaften” unerreichbar. Die Programme sind nicht für Projekte aus der Zivilgesellschaft “gestrickt”.
Was heißt Gemeinützigkeit?
Wohnen, MiteinanderWohnen oder SichGegenseitigUnterstützen gilt nicht als gemeinnützig! Trotzdem kann ein ZUSÄTZLICHER gemeinnütziger Verein oder eine gGmbH für die ideellen Ziele eines Projektes hilfreich sein.
Mit der Gemeinnützigkeit sind steuerliche Vorteile verbunden, Spenden können eingeworben werden und werden beim Spender steuermindernd berücksichtigt. Die Gemeinnützigkeit öffnet Wege zu Fördermittel und Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Akteuren (Mittelweitergabe).
Die Anerkennung durch das Finanzamt als gemeinnützig ist von der Rechtsform unabhängig. Gemeinnützige Organisationen sollen die Allgemeinheit fördern und gerade nicht Individualinteressen oder eigenwirtschaftliche Zwecke der Bewohner:innen (hierzu gehört auch die gegenseitige Hilfe und Unterstützung (Nachbarschaftsverein).
Die gemeinnützigen Zwecke werden in § 52 AO namentlich genannt.
Der § 52 AO Gemeinnützige Zwecke (Öffnet in neuem Fenster) lautet:
(1) 1 Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. 2 Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugute kommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. 3 Eine Förderung der Allgemeinheit liegt nicht allein deswegen vor, weil eine Körperschaft ihre Mittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuführt.
(2) 1 Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen:
1. die Förderung von Wissenschaft und Forschung
2. die Förderung der Religion;
3. die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere die Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten, auch durch Krankenhäuser im Sinne des § 67, und von Tierseuchen;
4. die Förderung der Jugend- und Altenhilfe;
5. die Förderung von Kunst und Kultur;
6. die Förderung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege;
7. die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe;
8. die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder, des Umweltschutzes, einschließlich des Klimaschutzes, des Küstenschutzes und des Hochwasserschutzes;
9. die Förderung des Wohlfahrtswesens, insbesondere der Zwecke der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege, ihrer Unterverbände und ihrer angeschlossenen Einrichtungen und Anstalten;
10. die Förderung der Hilfe für politisch, rassistisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene, Kriegsbeschädigte und Kriegsgefangene, Zivilbeschädigte und Behinderte sowie Hilfe für Opfer von Straftaten; Förderung des Andenkens an Verfolgte, Kriegs- und Katastrophenopfer; Förderung des Suchdienstes für Vermisste, Förderung der Hilfe für Menschen, die auf Grund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden;
11. die Förderung der Rettung aus Lebensgefahr;
12. die Förderung des Feuer-, Arbeits-, Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Unfallverhütung;
13. die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens;
14. die Förderung des Tierschutzes;
15. die Förderung der Entwicklungszusammenarbeit;
16. die Förderung von Verbraucherberatung und Verbraucherschutz;
17. die Förderung der Fürsorge für Strafgefangene und ehemalige Strafgefangene;
18. die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern;
19. die Förderung des Schutzes von Ehe und Familie;
20. die Förderung der Kriminalprävention;
21. die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport);
22. die Förderung der Heimatpflege, Heimatkunde und der Ortsverschönerung;
23. die Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung, des Amateurfunkens, des Freifunks, des Modellflugs und des Hundesports;
24. die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;
25. die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke;
26. die Förderung der Unterhaltung und Pflege von Friedhöfen und die Förderung der Unterhaltung von Gedenkstätten für nichtbestattungspflichtige Kinder und Föten.
Ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Wohnprojekten könnte folgendermaßen beschrieben werden:
Denkbar wären auch eine Kombination mit Förderung des Naturschutzes und des Umweltschutzes, d.h. Engagement für die globale Aufgabenstellung, den Klimawandel zumindest abzumildern. Denkbar wäre auch die Verbindung mit Ortsverschönerung (der Verschönerungsaspekt umfasst auch grundlegende Maßnahmen für die Verbesserung der örtlichen Lebensqualität im Dorf bzw. im Stadtteil) oder Denkmalschutz.
Der jeweilige Zweck muss ausdrücklich in der Satzung zu sehen sein. Darüber hinaus müssen die Aktivitäten zur Erreichung des genannten Zweckes abstrakt beschrieben werden. Es reicht nicht aus, diesen Zweck einmal textlich niederzulegen, vielmehr muss der Zweck auch nachhaltig „gelebt“ werden. Ein gemeinnütziger Verein muss sehr achtsam sein, um nicht - durch operative Tätigkeit oder Mittelverwendung außerhalb der laut AO gedeckten Tätigkeit - die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Das Finanzamt prüft dies regelmäßig. Die Steuerbegünstigung kann auch nachträglich aberkannt werden. Dies führt zu Steuernachzahlungen und löst die Haftung des Vorstandes aus.
Fazit
Die Schaffung oder Verwaltung von (preiswerten, barrierefreien, nachbarschaftlichen, ... ) Wohnraum ist kein gemeinnütziger Zweck.
Damit sind Investition “in Steine” nicht förderfähig. Eine Sonderrolle nimmt der Zweckbetrieb nach § 68 AO ein (Schaffung / Verwaltung von Pflegeheim, Kindergarten ect).
Einzelmaßnahmen wie Ortsverschönerung oder Förderung des Naturschutzes und des Umweltschutzes, s. AO
oder
offene Aktivitäten in den Gemeinschaftsräumen wie Bildungsangebote, Mittagstisch für Senioren, s.AO
können gemeinnützig sein.
Somit sind Honorarkosten und Auslagen förderfähig, wenn der “richtige Fördermittelgeber” gefunden, die Anträge korrekt gestellt und die Bewilligungen erteilt werden (arbeitsintensiv).
Spenden oder Crowdfunding sind immer möglich. Auch diese müssen eingeworben werden (Fundraising).
Gemeinnützige Organisationen können auch kostenfreie Schulungen zur “Professionalisierung” oder Vernetzungsangebote in Anspruch nehmen:
» Organisationen für Bürgerschaftliches Engagement
» Haus des Stiftens (Öffnet in neuem Fenster) oder ähnliche
» Pfennigparade (Öffnet in neuem Fenster) oder ähnliche
Die Abgrenzung und Ergänzung von Gemeinwohl zu Gemeinnützigkeit sind wichtig für Wohnprojekte, die wirksam agieren wollen. Es lohnt sich Zeit und Energie in eine fruchtbare "Verschachtelung" zu investieren.
Ihre Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin, Projektberaterin