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Bitte ausgewogen

Hallo.

Das ist die achte Ausgabe von „Newsgierig“, dem Newsletter zur Arbeit von Journalistinnen und Journalisten (kurz: Journos). In kleinen Häppchen bekommst Du bis Ende August 2024 direkten Einblick in die Welt der Medien.

Die Frage heute lautet: Geht das nicht sachlicher?

Erst vor einigen Tagen habe ich wieder ein solches Gespräch geführt: Dass Journos anders arbeiten sollten (Öffnet in neuem Fenster), ausgewogener zum Beispiel. Und, ja, ich sehe auch regelmäßig, dass die Grenze zwischen Information und Meinung verwischt.

Insa van den Berg, Frau mit roten Haaren und Brille, kneift die Augen zusammen und schaut in die Ferne.

Nun leben wir in einer Zeit, in der Meinungen jederzeit und laut und (fast) überall und von (fast) allen geäußert werden können – unter anderem, weil die sogenannten sozialen Medien es möglich machen. Oft wundere ich mich wirklich, wer alles meint, des Rätsels Lösung zu haben. Nach dem Motto: Schreiben habe ich in der Schule gelernt, kann ich! Dass professionelles Schreiben etwas anderes ist, geschenkt.

In meiner Wirklichkeit sollten Menschen sich eine Weile mit einem Thema beschäftigt und es von verschiedenen Seiten betrachtet haben, bevor sie ihren Senf dazugeben – aber das ist auch nur eine Meinung.

Dass Menschen zunehmend Schwierigkeiten haben zwischen Werturteil und Tatsachen zu unterscheiden, merke ich in meinen Trainings. Das Wetter ist „gut“ – kann heißen, dass die Sonne scheint oder dass es heftig regnet. Es liegt im Auge des Betrachters, die Umstände zu bewerten.

Überprüfe Dich doch einmal selbst: Wie objektiv bist Du? 🤓

Informieren, weniger kommentieren

Für Journos gibt es ein Trennungsgebot. Es besagt, dass in informierenden Darstellungsformen wie zum Beispiel der Nachricht oder dem Bericht die persönliche Meinung des Autors nichts zu suchen hat, wobei in meinungsäußernden Gattungen wie dem Kommentar oder in der Rezension die Einschätzung der Autorin im Mittelpunkt stehen sollte. Diese Aufteilung entspricht den Aufgaben von Journos. Wir hatten die Schubladen in Folge 1 (Öffnet in neuem Fenster), wie Du Dich vielleicht erinnerst.

Wenn Journos bei informierenden Texten wie der Nachricht also möglichst objektiv berichten sollen, meint das: das Thema nicht einseitig darstellen, die Gegenseite zu Wort kommen lassen. Das ärgert manche Leserinnen, Zuhörer, Zuschauerinnen. Sie finden es unerträglich, dass sich jemand mit einer – ihrer Auffassung nach – unerträglichen Position in den Medien darstellen kann.

Aber: Es gehört zum journalistischen Handwerkszeug 🔨🔧🧰 , dass mehrere Facetten beleuchtet werden, damit das Publikum sich umfassend informieren kann. Es ist nicht notwendig und oft auch gar nicht möglich, alle Perspektiven vollständig darzustellen, aber mehrere.

Falsche Ausgewogenheit

False balance“ hingegen versuchen professionelle Journos zu vermeiden. Von dem Phänomen ist die Rede, wenn zwei Einschätzungen als gleichwertig dargestellt werden, von denen eine wissenschaftlich völlig haltlos ist. Beim Publikum kann so der Eindruck entstehen, dass beide gleiche Berechtigung hätten.

„Angenommen, eine Astrophysikerin sagt in einer Talkshow, die Erde sei eine Kugel. Dann sitzt da noch einer, der behauptet, die Erde sei eine Scheibe. Die Wahrheit liegt verdammt noch mal nicht in der Mitte. Wenn von zwei Aussagen eine völliger Unsinn ist, darf der Journalismus den Unsinn nicht genauso zu Wort kommen lassen wie die Wahrheit. Da muss Journalismus ansetzen – und von da darf er nicht weggehen.“ - Moderator Dirk Steffens (Öffnet in neuem Fenster)

Was ebenfalls manche Leute nervt, ist der Konjunktiv („sei“). Sie denken, damit würde die Äußerung in Zweifel gezogen oder als unwahr dargestellt. Aber Journos verwenden die Möglichkeitsform auch, um eine Äußerung in indirekter Rede zu wiederholen – statt in wörtlicher Rede.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck der „mutmaßlichen Täter“. Journos achten damit die Unschuldsvermutung, denn nur ein Gericht kann feststellen, ob jemand die Tat verübt hat. Vor einem Urteil ist es deshalb handwerklich korrekt, zu sagen, jemand „könne“ etwas verbrochen haben. 

Wer die Berichterstattung vieler verschiedener Medien und Journos sehr häufig als unausgewogen ansieht, könnte politisch bereits stark positioniert sein. Zumindest legt das der sogenannte „Hostile Media Effekt (Öffnet in neuem Fenster)“ nahe.

Mich interessiert sehr, welchen Medien Du vertraust und warum. Ich freue mich über Deine Antwort auf diese Mail!

Bis nächste Woche!

Viele Grüße von Insa

Wer hier schreibt?

Ich bin Insa van den Berg.
Journalistin, Seminarleiterin, Moderatorin, Sachbuch-Autorin.
Neugierig, stur, streng, aber zumeist freundlich im Ton.

Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren für verschiedene Medien und Medienkanäle, bin bei Zeitungen groß geworden, schreibe für Online-Magazine. Ich kenne eine Menge schwarzer Schafe in diesem Beruf und etliche brillante Kolleginnen und Kollegen.

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