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Dinge, die ich sonst nicht tue

Schon seit einer Woche hatte ich das Gefühl, als würde ich innerlich schweben. Alles flatterte, alles wehte, ich war aufgeregt. Aufgeregt, weil wir in den Urlaub fahren würden. URLAUB. Wie das schon klingt, fast ein bisschen absurd nach dieser Pandemie. Und es würde sich nicht mal um einen gewöhnlichen Urlaub handeln, sondern um einen ausgewachsenen Roadtrip. Natürlich nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel.  Oh, wie sehr hatte ich dieses Gefühl von Freiheit herbei gesehnt, wie sehr wollte ich Routen planen und Unterkünfte buchen, wie sehr wollte ich den Sog des Neuen fühlen. Und auf einmal war ich aufgeregt, hatte fast ein wenig Angst. Vor dem Neuen? Vor dem Unbekannten? Vor Dingen, die ich nicht kannte?

Das Meer zieht an mir

Wenn ich Lust habe auf Tanzen (Öffnet in neuem Fenster), dann zieht die Stadt an meinem Rockzipfel. Aber dieses Mal ist es anders, an mir zieht das Fernweh, der Sommer, das Meer. Im wahrsten Sinne des Wortes: Das Meer zieht an mir, mehr denn je. Warme, salzige Luft sind schon immer das, wonach ich mich sehne. Dort fühle ich mich frei und stark – unbesiegbar. In der sengenden Hitze südlicher Gefilde werde ich geheilt (Öffnet in neuem Fenster). Klingt komisch, ist aber so. Klar kann die Hitze auch krank machen. Ich hatte auch schon Sonnenbrand und mal einen schlimmen Sonnenstich. Aber die Sonne klärt mich auch. Sie zwingt mich in die Knie. Beschränkt mich auf das Nötigste. Unter ihrem Einfluss werde ich ruhig. Nur wenn sie mich brutzelt, schaffe ich es nichts zutun.

Sonne und Natur sind stärker als alle meine Dämonen. Es stand also fest, wir müssen in die Natur. Nach einem Corona-Jahr in der Stadt kam es uns nicht in den Sinn, in ein Flugzeug zu steigen. Gut, dass wir im vergangenen Jahr ein neues Zelt gekauft hatten. Also ein Roadtrip, nur wohin könnten wir schon fahren? Im April war noch nichts planbar. Und diese Dämonen aus dem Alltag machten es nicht einfacher, sie wollten mir tagein, tagaus erklären, was ich zu tun habe und wie ich sein soll. Oder anders funktionieren muss. Aber ich wusste, die Sonne mit ihrer Wärme reinigt mich, befreit mich von meinen Ängsten und Zweifeln. Ist es das, was das Reisen jetzt wieder umso wichtiger macht? Dass wir uns Ängsten und Zweifeln stellen, dass wir wieder mutig werden? Raus mit uns in die Welt! Sie ist noch immer da!

Es ist wie in der Sauna: Das Reisen und die Sonne (in meinem Fall) zwingt all das Schlechte aus mir heraus. Schwitzt Zweifel, Grau, Kälte, und Ängste an die Oberfläche. Dann ein Sprung ins offene, raue Meer. Jede Welle könne mich, je nachdem wie stark sie ist, umhauen. Ich tauche und schwimme um mein Leben. Tue Dinge, die ich sonst nicht tue. Denn ich fürchte mich meistens vor der offenen See. Ich hätte keine Chance, wollte die Welle mich mitreißen. Ich trete dem Meer mit Demut gegenüber. Es zwingt mich dazu, zu überlegen, was kann ich? Was will ich? Wie will ich leben? (Öffnet in neuem Fenster)

Freisein wie das Meer

Und ich komme zu dem Schluss, dass ich freisein will, wie das Meer. Hier und dort und überall. Und auch meine Arbeit soll geprägt sein von einem freien Willen. Frei von Zeit und Ort. Schon immer wollte ich viel reisen, das wird mir in dieser Woche vor der neuen Reise wieder bewusst. Und beim Reisen wollte ich Zeit haben zum Schreiben und das soll meine Arbeit sein. Ich habe eine Weile gebraucht, mir das einzugestehen und mich zu trauen, dann habe ich es gewagt und durch Corona wieder verloren. Jetzt, wo wieder alles besser wird, erinnere ich mich daran. Und wir beschließen bis nach Italien zu reisen. Über Bayern und den Gardasee hinein in die Tiefen der Toskana. So weit, dass es bis nach Rom nur noch eine Stunde wäre.

Die ganzen Sommerferien werden wir unterwegs sein, auf der Straße, im Zelt, in den kleinen Pensionen am Rande der Route. Das erste Mal seitdem ich mich getraut habe, selbstständig zu sein. Das bedeutet, dass wird die erste Reise, wo ich auch schreiben und publizieren werde. Wie wird es sein, schreibend zu reisen? Wird es mir Freude bereiten? Werde ich den ewig verhassten Druck empfinden, der mich viele Jahre gelähmt hat? Oder finde ich vielleicht genau das Freiheitsgefühl, nachdem ich schon lange suche?

Schwerelos im Zelt

Und dann fahren wir los, die Route steht. Ich schwebe wieder, wie schon vor einer Woche. Beim Fahren wechseln wir uns ab und das Kind schwebt auch mit Bibi und Tina über Felder, Wiesen und Abenteuer. Manchmal schweben sie auf Kartoffelbrei und sind schon am Ziel, bevor wir überhaupt von der Autobahn abgefahren sind. Kartoffelbrei ist Bibi Blocksbergs Hexenbesen. Unser erster Zwischenstopp führt uns an den äußersten Zipfel Bayerns in einen Ort namens Marktl. Ein Papst ist hier geboren. Aber als Berliner Heiden wissen wir das natürlich nicht, sehr zur Enttäuschung eines Papst-Fans, der doch ausgerechnet uns im Ort nach dem Weg zum besagte Geburtshaus fragt. Wir wissen es natürlich nicht.

Wir finden einen wunderbaren kleinen, nahezu paradiesischen Campingplatz am Fuße eines Hügels mit einem See im Hintergrund. Einen See, den wir einmal täglich durchschwimmen und an dem wir die ersten drei Tage beinahe Tag und Nacht verbringen. Ständig schwimmen ist übrigens etwas, was ich sonst nie tue. Aber diese Schwerelosigkeit ist so gut. Und Reisen erst. Es ist so wichtig, genau, ich wiederhole mich: weil wir hier Dinge tun, die wir sonst nicht tun. Ich liege abends im Zelt und statt meine mitgebrachte Bibliothek zu wälzen, lausche ich den Grillen, Fröschen und Mäusen. Ich bin fast traurig, wenn ich einschlafe. Lieber möchte ich weiter ihren Geschichten zuhören.

Sprung ins Ungewisse

Das Leben wird beim Reisen realer. Ich schreibe unter einem Lindenbaum und kann mein Glück kaum fassen. Ich male mit meiner Tochter aus und als sie keine Lust mehr hat, male ich das Bild alleine zu Ende. Wir leihen ein Stand Up Paddle aus und ich springe entzückt vom SUP in den See, ich kichere und huste, weil ich mich verschlucke. Wir beobachten Glühwürmchen und das nur, weil ich auf einmal gerne nachts aufs Klo gehe. Die Ruhe auf dem nächtlichen Campingplatz ist magisch. Ich stehe sogar alleine auf, als ich aufwache, weil der Himmel von Blitzen durchzogen wird. Eine Hälfte des Nachtzeltes ist schwarz und blitzt, die andere leuchtet von Sternen durchzogen. Es ist so unheimlich und doch so faszinierend und ich kann mich kaum von dem Anblick lösen.

Als das Gewitter mit einem Tag Verspätung doch endlich kommt, haben wir einen Fußballabend in einer bayrischen Vereinskneipe hinter uns. Wir schaffen einen Tag Sprühregen und den Temperatursturz von 30 auf 15 Grad mit Wandern in deutschen Dschungeln und zu Aussichtspunkten, aber dann reicht es. Es kribbelt, wir wollen wieder schweben und beschließen, eher als geplant, unser Zelt hier abzubrechen.

Dimitrij Kapitelmann schreibt in der ZEIT: „Ich liebe das am Reisen, Teil von Gegebenheiten zu werden, mit denen ich normalerweise nichts zu tun haben würde. Mir hat die Querverstreuung des Seins so krass gefehlt im Lockdown.“

Ich bin auch verstreut mit mir, mit all den Menschen hier auf dem Campingplatz, aber vor allem mit der Natur und mit meinen zwei allerliebsten Reisegefährten. Ich stimme dir zu Dimitrij.

Der Sonne hinterher

Im strömenden Regen packen wir alles zusammen. Im Kofferraum ein pitschnasses Zelt, aber die Brennerautobahn schon vor unserem inneren Auge. Wir beschließen vor dem Gardasee noch einmal in Südtirol zu halten, einfach so, weil wir es können und weil die Menschen hier auch ihre Touristen so vermisst haben, las ich kürzlich. Und da sitze ich nun am Küchentisch eines alten Bauernhofes mit Blick auf einen noch älteren Kirchturm, ich höre „Muh“ und „Iaaaah“ und schreibe diesen Text.

Während dieser ganzen ersten drei Tage auf dem Campingplatz empfand ich eine solche innere Ruhe, wie ich sie seit über einem Jahr nicht gefühlt habe. Diese Ruhe folgt mir, sie gibt mir Frieden und das ist es, warum Reisen so wichtig ist. Egal wie wir reisen, ob im All inclusive Hotel, in der Ferienwohnung, mit dem Rad oder eben auf der Straße mit einem Zelt – wir verändern unseren Blick. Und ein letztes Mal: Wir machen Dinge, die wir sonst nicht tun und das ist so entscheidend. Vor allem für das nach Hause kommen.

Lasst euch mitziehen von der Energie des Reisens und kommt raus aus euren Häusern. Die Welt ist da, war nie weg, traut euch wieder und vor allem fühlt euch leicht&lebendig, Eure Heli

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