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Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann

Der vollkommen subjektive Newsletter über Medien, Digitalgedöns und extrem viel Privatleben. Heute: Bands und Redaktionen haben ähnliche Probleme. Um sie zu lösen, müssen sie Arroganz und Bitterkeit über Bord werfen.

Letztes Jahr hatten wir mit unserer Band einen seltsamen Moment. Moritz wollte lieber mehr Funk machen, Martin war frisch verknallt und hatte irgendwie anderes im Kopf. Glücklich waren wir vier Freunde aber noch sehr miteinander: Wir hatten uns als Gruppe eingespielt und waren theoretisch ein Winning Team. Über 90% der Bands scheitern schon in frühen Phasen an persönlichen Zerwürfnissen. Sollte es bei uns an banalen handfesten Gründen scheitern?

In unserer Wahrnehmung sind Bands feste Ensembles: Besteht die Band beipielsweise aus drei Mitgliedern, hat man auch zu dritt auf Fotos, auf der Bühne und bei Terminen zu erscheinen. Wenn ein Mitglied fehlt, muss etwas schief gegangen sein.


Aber it's not the 60's anymore (schade – meine Lieblingsmusik) und wenn du nicht gerade was mit harten Gitarren machst, sind einige deiner Instrumente gut ersetz- oder austauschbar – und damit auch die Menschen, die sie spielen. Bands lassen sich heute gut als Projektgruppen oder Task Forces verstehen: Mitglieder werden Collaborators, die von der Projektleitung (zum Beispiel für eine Aufnahme im Studio) hinzu gerufen werden oder aus eigenen Stücken an einer Stelle im Prozess (zum Beispiel beim Songwriting) andocken, weil sie meinen, etwas beitragen zu können. Noch dazu ist das Arrangement vieler populärer Songs heute so simpel, dass – mit Verlaub – jeder Depp einspringen könnte. Andere Qualitäten wie Netzwerk, Tech- oder Marketing-Skills werden wichtiger. Das Wichtigste aber, um drin zu bleiben: Es liegen Mut und Teamgeist in der Luft. Man kann zusammen etwas reißen.

Es ist unbequem, eine bewährte Denke über Bord zu werfen. Für uns war es das letztes Jahr. Wir mussten uns die Frage stellen, was eine Band eigentlich ist. Wir haben festgestellt, dass wir alle nur Gastmusiker:innen sind, die super zusammen arbeiten können, sich aber nicht an jedem Punkt der Reise dringend gegenseitig in genau dieser Aufstellung, mit genau diesen Skills brauchen. Und wir haben akzeptiert, dass Musikmachen nur ein winziger Teil des Jobs ist. Der, der nicht einmal das tragende Geschäftsmodell wäre, wenn wir eines bräuchten.

Hier kommt der Twist: Genau dieser Knoten ist in vielen hiesigen Redaktionen noch nicht geplatzt. Ihre Aufstellung und ihr Geschäftsmodell bleiben starr und homogen (journalistische Ausbildung, Elternhaus mit Kiesauffahrt). Mit Marketing und Vertrieb spricht man noch immer nicht so gerne. Marketing ist leidig, aber man macht es, weil es den CVD beeindruckt, wenn man ein paar Buzzwords kennt.

Wie haben sich Journalist:innen angepasst, als Creators vor über 10 Jahren begannen, an ihrem Ast zu sägen? Sie haben sich neue Formate angeeignet, können jetzt Multimedia. Slow clap?


Bissl mau, ne? Vielleicht ist es Zeit, der Sache ins Auge zu blicken und zu erkennen, dass man als Journalist:in auch nicht mehr ist als ein sehr sorgfältiger Creator. Statt zu heulen, dass niemand für geilen Journalismus zahlen will, muss man sich vielleicht einen eigenen Überbau klöppeln, der das für einen selbst eigentlich Geile finanziert.

Das könnte schmerzhaft sein. Weil es plötzlich noch weniger um die Kunst oder ums Handwerk geht. Weil dieser Überbau vielleicht bissl billig aussieht. Weil er sehr wahrscheinlich nur indirekt etwas mit Journalismus zu tun hat (Stichwort bezahlte Mitgliedschaft für Zugang zu einem Netzwerk und Kollaboration). Weil die Redaktion selbst nicht mehr der Kern, sondern nur ein Rädchen des großen Ganzen ist. Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann.

Medienunternehmen könnten sich gut als Projektgruppe oder Task Force verstehen: Teammitglieder werden Collaborators, die von der Projektleitung hinzu gerufen werden oder aus eigenen Stücken an einer Stelle im Prozess andocken, weil sie meinen, etwas beitragen zu können. Noch dazu ist das Arrangement vieler Artikel heute so simpel, dass – mit Verlaub – jeder Depp (alias KI) einspringen könnte. Andere Skills und Erzählformen, die, bei denen Herz und Seele nachweisbar sind, werden wichtiger. Das Wichtigste aber, um drin zu bleiben: Es liegen Mut und Teamgeist in der Luft. Man kann zusammen etwas reißen.

Das war die 29. Ausgabe des vollkommen subjektiven Newsletters über Medien, digitales Gedöns und extrem viel Privatleben. Zu Themen wie dem heutigen berate ich meistens unabhängige Medienmacher:innen, aber auch Stiftungen und Wirtschaft. Ich helfe ihnen, ihren Geschäftskern zu finden, sich richtig aufzustellen und eine Kommunikationsstrategie zu erarbeiten, die wirklich dazu passt. Und Schreiben kann ich auch. Buche mich, wie du noch nie jemanden gebucht hast. (Öffnet in neuem Fenster)

https://www.youtube.com/watch?v=4IkFgq8jjgA (Öffnet in neuem Fenster)