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Der Mann ohne Eigenschaften

Der vollkommen subjektive Newsletter über Medien, Digitalgedöns und extrem viel Privatleben. Heute: Das Internet ist bald um etwas Humorlosigkeit reicher.


Es ist seltsam: Ich habe keine Angst vor Künstlicher Intelligenz. Hätte ich Angst vor Künstlicher Intelligenz, müsste ich Angst haben vor menschlicher Intelligenz. Und diese Angst wäre zwar sehr berechtigt, aber eben auch sinnlos.

Schon jetzt erwische ich mich dabei, wie ich den neuen ChatGPT (Öffnet in neuem Fenster) öffne, statt Google zu benutzen. Ich mag, dass das (zurecht viel gehypte) KI-Sprachmodell klare Antworten ausspuckt und recht galant auf meine Folgefragen reagiert. Ich mag, dass ich mich nicht erst entscheiden muss, auf welche Quelle ich draufklicken sollte und warum und dass ich nicht ständig bei der Grazia oder bei Chefkoch lande. Noch dazu sind seine Vorschläge – vor allem beim Texten – meistens wirklich gut. Wenn auch etwas rechthaberisch. Der Typ kann viel für mich tun.

Bedroht fühle ich mich als Marketing-Ulla und Texterin von ChatGPT nicht. Denn ChatGPT gestand mir gestern bei einem Glas Wein und einem Gespräch über Systemische Psychologie, dass er keinen Humor hätte. Entschüldigüng?! Wir haben 2023! Der Mann ohne Eigenschaften hat keine Chance auf dem Markt! Dabei war vorher alles so gut gelaufen mit uns.

Trotzdem ist der Bre tüchtig und schlau und so bleibt zu befürchten, dass Marketing-Leute dank ihm schon jetzt 1.000 Mal schneller arbeiten können. Das heißt: 1.000 Mal mehr nervige Call to Actions da draußen als sowieso schon. Und das will doch nun wirklich niemand. Wie James Laurain bei LinkedIn sagt (Öffnet in neuem Fenster): "Can we please make it HARDER for marketers to make things, please?!". 

Wie alle Männer ohne Eigenschaften vor ihm wird ChatGPT uns also das ganze Internet vollwichsen.

News, um am Stammtisch nicht völlig zu versagen

  • Ich werde extrem zugeschissen mit Jahresrückblicken und Prognosen aus der Branche. Es macht mich fertig, weil ich bis eben deswegen keinen klaren Gedanken fassen konnte und mich nur das Schreiben dieses Newsletters hier aus dieser Newsbukkake rausholen konnte. Hat aber echt 3 Anläufe gedauert, ich hatte nämlich heute etliche Aufhänger im Rennen. Manchmal ist das so. Da will man alles im Blick haben, sich nicht zum Deppen machen, und dann käut man eigentlich nur News und schlaue Gedanken wieder und hat am Ende alles und gar nichts gesagt. Kurzgesagt: Die meisten Rückblicke und Prognosen kannst du dir sparen. Glaub mir, du weißt das alles schon. Überrascht aber hat mich die Financial Renaissance in der Gen Z aus Instagrams Trendreport für 2023 (Öffnet in neuem Fenster) (siehe Grafik oben). Ich will sowas immer nicht glauben, aber ja, die Kids schieben nur noch Kohle doof hin und her, hüpfen von einer Blase zur anderen und was bleibt ihnen auch übrig, den armen Dingern! Dafür sind aber auch RAVES groß im Kommen. Alle Kids wollen laut Report nächstes Jahr auf jeden Fall auf einen Rave gehen, und das tröstet mich dann auch wieder.

  • Bei Meta gibt es Kontroversen nur noch vor der Tür. Mitarbeitende dürfen während der Arbeit nicht mehr über kontroverse politische Themen wie Abtreibung oder Waffen­kontrolle diskutieren, damit sie sich besser konzentrieren und gesund bleiben. Mit dieser Regelung sind sie in den USA nicht mal die ersten. Cool und normal. (Handelsblatt (Öffnet in neuem Fenster))

  • Zum ersten Mal hat die EU Regeln für Künstliche Intelligenz festgelegt. So soll KI nicht zur Bewertung von Menschen auf Grundlage ihres Verhaltens oder Charakters eingesetzt werden, sofern das zu Benachteiligungen führt. Besonders strengen Regeln ausgesetzt sind biometrische Erkennungssysteme und bei Wasser- und Stromversorgung eingesetzte Systeme. Ganz final durchgewunken ist die Kiste noch nicht, so richtig happy sind Verbraucherschützende auch nicht: zu viele Schlupflöcher. (Tagesschau (Öffnet in neuem Fenster))

  • Wer über 30 ist und nie eine Website mit Beepworld gebaut hat, hat nie wirklich im Internet gelebt. Dieser Tage erfuhr ich, dass der Gründer von Beepworld damals 16 Jahre alt war. Als er zum Gewerbeamt ging, mussten sich seine Eltern beim Jugendamt erstmal über mögliche Risiken aufklären lassen. Dann ging alles ganz flink, sein Vater stieg als Marketing-Berater mit ein und das Ding flog, bis es irgendwann halbsanft landete. Beepworld gibt's immernoch (Öffnet in neuem Fenster) – sogar mit altem Logo – und es werden noch immer täglich Homepages dort erstellt (Öffnet in neuem Fenster), die besonders in dieser besinnlichen Zeit das Herz erwärmen. Comic Sans lebt, wir haben nur nicht mehr nach ihr gesucht.

Das war die 25. Ausgabe des vollkommen subjektiven Newsletters über Medien, digitales Gedöns und extrem viel Privatleben. Sie hat extrem lange gedauert und hat mich viele Nerven gekostet, auch wenn man das manchmal beim Lesen vielleicht gar nicht so merkt. Umso mehr freue ich mich, wenn du dabei bleibst, den Beitrag teilst oder HEISE SCHEISE (Öffnet in neuem Fenster) empfiehlst.