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Remote Life Croatia und ein bisschen Kulturkritik

Ich kann es nicht mehr erwarten, aus der Stadt rauszukommen.

Pünktlich zu Beginn des 2. Halbjahres verlasse ich Wien am 1. Juli in der Hoffnung, dass die zweite Hälfte das rausholt, was die erste verbrochen hat. Nach Kroatien sind es von hier nur knappe vier Stunden, so lange, wie man nach München bräuchte, aber wer will bitteschön dorthin, wenn er richtiges Meer haben kann?

Dann doch lieber Richtung Süden fahren und beobachten, wie der Hatschek Einzug in die Sprache erhält, wie sich die Landschaft und das Klima langsam verändern. Die Währung verändert sich seit Januar dieses Jahres übrigens nicht mehr, denn Kroatien ist seitdem Mitglied des Schengenraums. Bye bye, Kuna.

*

Das Auto ist bis oben vollgepackt mit literally all meinen Sachen. Mit Janas Hundetasche, mit meiner Sporttasche, der Yoga-Matte und zwei 5 kg Hanteln, mit einem Klamotten-Backpack und einem Klamotten-Trolley, mit dem externen Monitor und meinem grauen Rains-Rucksack mit Laptop, Kosmetik und anderem Zeug, das ich vermeintlich brauche, wenn ich mehrere Monate kein festes Zuhause habe. Der Kofferraum meines dunkelblauen Golfs geht gerade noch so zu. Dafür habe ich nach drei Tagen Packerei jetzt wirklich alles bei mir. Ich könnte locker sechs oder sieben Monate weg sein, ohne, dass mir etwas fehlen würde. Sogar den Reiskocher habe ich eingepackt, ich Übermutti.

Als ich bei dem Haus in Cesarica ankomme, ist es bereits dunkel. Halb zehn Uhr abends. Es befindet sich auf einem Hügel, etwa 300 Meter entfernt vom Meer in der Nähe des Nationalparks. Ein Hirtenhund begrüßt mich bellend aus der Ferne. Die kroatische Besitzerin sagt, er sei relativ ungefährlich. Huch. Wo bin ich denn hier? Dann erinnere ich mich wieder, dass ich die Einöde beim Buchen bewusst gewählt habe. Einen Ort fernab des gängigen Tourismus, den keiner kennt.

Ich wollte dorthin, wo keine Menschen sind, mich niemand erreichen kann. Mein Handy abdrehen, die Geschehnisse der letzten Monate in der brütenden Hitze verarbeiten und täglich so lange in den Ozean starren, wie ich das für richtig halte.

Bis mich die Langeweile des Sommers packt und zwangsläufig zurück zum Schreiben führt.

Dass ich im Urlaub angekommen bin, merke ich ein paar Tage später daran, dass ich wieder ohne Druck auf der Brust atmen kann. Dass ich langsam bei mir selbst, in meinem Zentrum ankomme (wo auch immer das ganz genau sein soll).

What a f*king year this has been so far.

Inzwischen sind einige Unannehmlichkeiten glücklicherweise wieder weggefallen. Ich muss mich daran erinnern, dass ich keine Angst haben brauche. Dass sie weg sind, dass er weg ist, dass meine Wohnung wieder mir gehört.

Dass mir nichts passieren kann. Dass ich safe bin, auch, wenn mein Nervensystem mir manchmal etwas anderes suggeriert, wenn ich nicht aufpasse. Die größte Angst ist sowieso in meinem Kopf, immer. Die Panik, dass mir etwas entgleitet.

Dass es irgendjemand schafft, mir mein Leben wegzunehmen. Meine Freiheit.

Der nächste Supermarkt liegt 45 Minuten entfernt.

Die ersten Tage esse ich das Gemüse aus dem Minimarkt in Karlobag, das noch nicht verschimmelt ist. So ist das, fernab des Massentourismus. Für ein ordentliches Frühstück muss eins erst das Gebirge überqueren. Dafür bekomme ich von meinen Hosts jeden zweiten Tag eine große Portion Slivovic serviert. Nazdravlje!

Mein Körper liebt die Hitze. Jeden Morgen, wenn ich aus meinem Apartment im 1. Stock vorbei an meinen getrockneten Bikinis in den Garten gehe, atme ich endless summer vacation vibes ein. Ich blicke auf das Meer, die dahinterliegende Mondlandschaft der Insel Pag und fühle mich leicht.

Ich darf einen ganzen Monat in Kroatien bleiben, einen ganzen Monat! Was ist das für ein Glück! Ich vermisse die Großstädte kein Stück, nicht die unerträgliche Hitze, die vom Beton ausgestrahlt wird, nicht die Achseln in der U-Bahn, nicht die überfüllten Bäder und nicht die stickige Luft in der Wohnung.

Ich will nicht wieder weg hier und bekomme akute Panik, wenn ich nur daran denke, irgendwann wieder abreisen zu müssen. Es ist nicht nur der Fakt, dass ich Urlaub habe (denn, sind wir mal ehrlich, ich lese und schreibe sowieso spätestens nach einer Woche wieder), sondern der way of living remotely, der mich schon seit Langem fasziniert – und glücklich macht.

Ich rekapituliere. 

2020 war ich knapp einen Monat in Dänemark (zu kalt, aber naja), 2021 drei Monate in Sachsen und einen Monat in Meck-Pomm (very ... german, aber hey!) und zwei Wochen in Italien. 2022 dann das erste Mal Tenerife (life changing) und ein ganzer Monat Italien im Sommer – und dieses Jahr zähle ich bereits einen Monat Tenerife (zu kurz!), einen Monat Kroatien (zu kurz!) und einen halben Monat Schweden im August, der noch bevorsteht.

Remote zu leben bedeutet, mich ganz auf mich selbst, meine Erholung, Mental Health und mein kreatives Schaffen als Autorin konzentrieren zu können. Statt auf: Bürokratie, Briefe vom Amt, Freunde-Treffen-Koordinierungsspielchen oder Sporttermine. Ich schaffe es in der Großstadt einfach nicht, „bei mir“ zu bleiben, weil die Ablenkungen und Kontakte im außen mich stark im Griff haben. Da hilft kein Handyabdrehen, kein sich in der Wohnung einsperren (irgendwer klingelt immer) und auch kein Stündchen im Park.

Es ist einfach. nicht. dasselbe.
The noise gets to me.

Es ist nicht dasselbe wie hier unbeschwert und termin-frei ans Meer zu gehen und hinaus in den Ozean zu schwimmen, es nicht dasselbe wie mit Jana stundenlang beim Pool zu lesen und es ist nicht dasselbe wie mir meine Zeit zum Schreiben so einzuteilen, wie es mir passt, statt meiner „Umgebung“.

Wer jetzt denkt: „Ja Bixe, das kann aber letztlich auch nicht jede*r machen! Ist ja schließlich auch teuer und wer kann sich schon monatelang doppelte Miete leisten?“ Dem muss ich antworten: Ja, es ist verdammt viel Arbeit und Orga, sich dieses Leben zu leisten und es wurde auch mir nicht „geschenkt“. Ich plane meine Abwesenheiten inzwischen 6 bis 9 Monate im Voraus (nix da mit Spontanität), kümmere mich immer um Mieter oder andere Wohnraum-Sharing-Optionen (sehr aufwendig) und muss mit einer Menge beruflichem, materiellen und finanziellem Risiko leben. Ich lebe aus meinem Auto, ich lebe aus dem Koffer. Ständig.

Je mehr Erfahrung ich in der Herausforderung „Remote Life“ sammle, desto größer wird die Lust, auf dem Blog über „behind the scenes“ zu berichten. Weiterzugeben, wie ich es als einst Vollzeit Vor-Ort arbeitende Journalistin geschafft habe, mir interessante Alternativen zum klassischen Office-Job, Hausbauen und Kinderkriegen aufzubauen.

Von A bis Z. Von A wie Abreise bis Z wie Zukunftsängste, von D wie … Dummheiten, die man über die Jahre zu vermeiden lernte bis F wie Freundschaften (auf Distanz).

Denn auch das gehört dazu:

Seine geliebten Menschen immer wieder zu enttäuschen und für eine gewisse Zeit zurückzulassen, weil man sich dafür entscheidet, wegzugehen – und das eigene Leben radikal zu priorisieren.

Sich nicht nach jemand anderes Lebensplänen zu richten, sondern seinen eigenen Rhythmus nach eigenen Bedürfnissen zu etablieren.

Wie klingt das für dich? Würdest du soetwas gerne lesen?

Der Kulturteil: Was ich diesen Juli gebinged habe

Auszeit bedeutet für mich: Popkulturzeit. Zum Glück habe ich vorab noch ein bisschen recherchiert und mir das richtige Buch für lange Poolsessions geholt.

Must-Read: „I’m Glad My Mom Died“ von Jennette McCurdy

Mein Buch des Monats war auf jeden Fall „I’m Glad My Mom Died“ von Jennette McCurdy. Ich bin grundsätzlich sehr skeptisch, was international gehypte Bestseller angeht – aber in diesem Fall hat es sich sowas von gelohnt, reinzulesen.

Das Memoir handelt von Jennettes Kindheit als Child Actor und ihrer narzisstischen Mutter, die das ganze S00n-to-be-Promi-Vorhaben gegen den Willen ihrer Tochter pushte. Jennette war das Lieblingskind, das gute Kind, das Kind, das seiner Mutter jeden Wunsch von den Lippen ablas und alles versuchte, um nicht anzuecken. Weder bei den TV-Produzenten, noch ihrer Familie.

Mit gravierenden psychischen Folgen. Jennette entwickelte „dank“ ihrer Mutter bereits mit 11 Jahren eine Essstörung, da sie so lange wie möglich körperlich als Kind durchgehen sollte; sie spielte in einer Serie mit, für die sie sich schämte und wusste nicht, wie sie gesunde Beziehungen zu Männern aufbauen sollte.

Wie denn auch?

Wer emotional und physisch missbraucht wird, kennt weder seine eigenen Grenzen noch die seines Gegenübers. Literarisch ist das Memoir imho deshalb so spannend, weil Jennette im Präsens schreibt. Dadurch nehmen wir ihre Perspektive immer aus dem jeweiligen Alter wahr, in dem sie sich befand – und nicht aus einer bereits reflektierten Gegenwart.

Erst mit der Zeit webt die Autorin ihre fortschreitende Selbstreflexion in den Text ein, sodass man als Leserin immer wieder staunt, wie sich Jennettes Perspektive auf die eigene Umgebung, das eigene Aufwachsen und auch auf die Beziehung zur Mutter verändert.

Das Buch ist deshalb so wichtig, weil wir die Beziehung zu unseren Müttern (und auch Großmüttern!) viel zu oft verzerren. Weil es ein Tabu darstellt, zu sagen: Meine Mutter hat mich missbraucht. Meine Mutter hat mich emotional so zerstört, dass ich den Rest meines Lebens mit den Folgen zu kämpfen haben werde. Jennette McCurdy hat großen Mut bewiesen, ihre eigene Lebensgeschichte (und Recovery!) derart schonungslos zu offenbaren – und damit vielen jungen Frauen einen Gefallen getan, die selbst gerade mit ihrer eigenen Mutter struggeln.

Absolutes Must-Read

Lily-Rose Depp und The Weeknd in THE IDOL: Match des Jahrhunderts oder peinliche Shitshow?

Kennt ihr das, man schaut eine Serie und weiß: irgendwas ist off, aber man kann’s nicht genau sagen? So ging es mir mit der ebenfalls SUPER gehypten HBO-Serie „The Idol“. Wie soll die Serie auch nicht gehyped werden, schließlich spielt JOHNNY DEPPS Nepo-Baby + The Weeknd mit.

Darum geht’s: The Idol erzählt die Geschichte des Popstars Jocelyn (Lily-Rose Depp). Nach einem Nervenzusammenbruch während ihrer letzten Tournee versucht Jocelyn verzweifelt, ihre Karriere wieder in Schwung zu bringen und ihre Position als Amerikas größter und most-sexiest Popstar zurückzugewinnen. Ihre Manager glauben allerdings nicht so ganz daran und lassen sie immer wieder spüren, wie ersetzbar sie ist. Dann lernt sie den Produzenten Tedors (The Weeknd) kennen, der Jocelyn nicht nur einen unverwechselbaren Sound verpasst, sondern sie auch sexuell … naja, missbraucht? Oder sagen wir zumindest emotional stark einnimmt („There is a powerful voice inside of you“ 😉).

"Funfact": Der Clubbesitzer saß bereits einige Jahre im Gefängnis, weil er seine Ex-Freundin gewürgt haben soll und solche Dinge. Aber Jocelyn ist nicht das typische Opfer, wie uns Euphora-Regisseur Sam Levinson auf Teufel komm raus beweisen möchte. Nein, am Ende ist es sogar SIE, die die Fäden in ihrer manipulativen Hand hält, Musikbiz-Konkurrenten auffliegen und Tedros von ihrem Grundstück entfernen lässt.

Meine Meinung: Ich liebe liebe liebe Lily-Rose Depp seit dieser Serie. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern auch eine unglaublich fähige Schauspielerin, die singt und tanzt wie einst nicht mal Britney Spears (Öffnet in neuem Fenster).

How come she doesn’t have a music career at this point? Ich wäre auf jeden Fall zu ihrem Konzert gegangen, um mir diese sicken Moves live anzusehen. Die Rolle des Miley-Cyrus’esken Superstars habe ich ihr auf jeden Fall mehr als abgenommen. Alleine wegen des Soundtracks, der Szenerie und Lily-Rose Depp lohnt sich die Serie bereits. Auch the Weeknd hat – für einen Erstdarsteller– imho eine solide Leistung gebracht. Schließlich spielt er einen Psychopathen, was selbst so manchen Oskar-Darsteller an seine Grenzen bringt. Ich mochte den Vibe zwischen Lily-Rose und The Weeknd. Die beiden könnten ziemlich sicher auch im echten Leben eine toxische Beziehung führen. :P

So, und für eine fundierte Kritik möchte ich gerne an Youtuberin Mina Le verweisen. Die hat nämlich auf Youtube das Video „the idol is the worst show of the year“ (Öffnet in neuem Fenster) released – und hat wenig überraschend einiges am Cast, am Writing und dem Male Gaze auszusetzen.

  1. Musste Lily-Rose wirklich ständig halbnackt sein?

  2. Warum zieht sich die Show ab der 3. Folge derart in die Länge?

  3. Hätten die Produzenten manche Szenen besser kürzen sollen?

  4. Und was ist eigentlich alles falsch an der Perspektive von Ober-Perv Sam Levinson?

Look, The Idol ist ganz sicher keine feministische Serie. Lily-Rose wird (eigentlich wie der ganze Cast bis auf das Management und The Weeknd) hypersexualisiert (Öffnet in neuem Fenster). Die toxische Beziehung wird stellenweise stark romantisiert, und überhaupt scheint die ganze Serie nur aus Muschi-Shots zu bestehen. Aber hey: Muss jede Serie auf Zwang pc sein (wir sind hier schließlich nicht bei Netflix lol)? Ich fand es ehrlich gesagt ganz refreshing, dass es in The Idol keine super-woken Consent-Dialoge gab.

That’s real life! Toxic relationships will exist and thrive. And so does mental illness.

Ich konnte es jedenfalls irgendwo schon ganz gut nachvollziehen, dass sich die einsame Jocelyn in ihrer Villa nach einem Mann sehnte, der sie aus der ganzen Scheiße rettet. Ja klar, sie hätte sich auch selbst „retten“ und einen feministischen Go-Fuck-Yourself Song á la „Good for you“ von Olivia Rodriguez oder „Flowers“ von Miley Cyrus schreiben können. Aber .... hatten wir davon nicht eh genug? Müssen Frauen in Serien immer die starke, super-feministische und zugleich nette Heroine spielen, damit die Audience zufrieden ist?

I dunno. Sagt mir doch gerne per Mail oder Insta, wie ihr die Serie fandet. Ich habe sie jedenfalls sicher nicht als schlechteste Show des Jahres abgespeichert. Das ist für mich ungeschlagen die 2. Staffel von Sex and the City – and Just Like That.

Cringe des Monats: TikTok-Techno

Ich halte mich kurz ok, aber TikTok Techno (ARTE Tracks) (Öffnet in neuem Fenster) ist das Schlimmste, was ich dieses Jahr auf Social Media gesehen habe. Kleine Techno-Babys, die sich in Harness-Couture besonders hort vorkommen (wie man auf Wienerisch sagt) und eine einst bewusst öffentlichkeits-vermeidende Szene via peinlichen Videos in den Mainstream bringen.

Bald ist Techno so underground wie Helene Fischer. Danke dafür!

Frage: Was hat das alles noch mit Techno zu tun, sobald ehemalige Szene-Erkennungsmerkmale als Fast-Fashion-Pieces bei Shein produziert werden? Am Ende kriegen wir noch eine BDSM-Kollektion bei H&M, wetten? Ich kann die Choker und kurzen schwarzen Höschen in der Berliner Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr ertragen (ohne mich dabei extrem fremdzuschämen). Vor allem, wenn die Kiddos keine Ahnung haben, was sie da eigentlich tragen und welche Bedeutung diese Kleidung einst für Marginalisierte hatte. Zum Glück kommen in dieser ARTE Tracks Doku auch ein paar queere Szene-Kenner*innen zu Wort, die das TikTok Techno Phänomen ebenfalls kritisch sehen.

Ok Boomer, I’m out.

Achso, bis auf eine Sache noch: Mein Rezept des Monats!

Blumenkohl im Ganzen aus dem Ofen

  1. Blumenkohl (BK) mit dem Strunk nach oben in kochendes Salzwasser setzen.

  2. Topf mit dem Topfdeckel abdecken und den BK ca. 7 Minuten kochen lassen.

  3. Dann den BK herausnehmen und mit dem Strunk nach unten in eine Auflaufform setzen.

  4. BK nach Geschmack würzen und Olivenöl darüberträufeln.

  5. Anschließend BK im heißen Backofen bei 220 °C Umluft ca. 20 Minuten garen.

Das ganze Rezept findet ihr hier (Öffnet in neuem Fenster). Geht super einfach, und wird am besten mit Hummus und Schafskäse serviert.

Bussis, danke fürs Durchhalten – und bis zum nächsten 1. des Monats.

Eure

Groschenphilosophin

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