Ich bin softer als Softeis
Ich habe noch nicht einmal eine harte Schale.
Heimlich weinen kann ich bestens. Das Problem ist die Aftermath. Denn ich kann zwar leise weinen, aber nicht, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Augen geschwollen, der Mund zittrig, die Wangen gerötet. Ich verbrachte meine Kindheit damit, meine Tränen zu unterdrücken. Meine Mutter bat mich oft, nicht so “sensibel” zu sein. Ich solle mir nicht alles zu Herzen nehmen. Ich begann mich für meine Softness zu schämen. Ich versuchte alles, um mich vom Weinen abzuhalten. Ich zählte bis 100. Ich konzentrierte mich auf Gegenstände im Zimmer. Ich klopfte mit meinen Fingerkuppen gegen Oberflächen. Ich summte eine Melodie. Ich presste mir die Augen zu. Nichts half. Ich empfand Tränen als ein Zeichen von Schwäche und ich wollte so gern stark sein.
Diese völlig verzerrte Idee von Stärke war durchtränkt von patriarchalen Werten. Ich dachte früher, eine starke Person ist für andere da, unterdrückt ihre Gefühle und hat Kraft, wenn keiner mehr kann. Das liegt wohl daran, dass sich die Frauen in meiner Familie nie aussuchen konnten, ob sie gerade genug Energie hatten oder ob sie eine Pause brauchten. Damit wurden sie zum ungewollten Vorbild eines auf Dauer unerreichbaren Ziels. Eine große Rolle in der Unterdrückung meiner Bedürfnisse spielte die Tatsache, dass meine Eltern in bitterer Armut in Ex-Jugoslawien aufwuchsen. Ich musste nicht schon als Kind arbeiten, damit die Familie über die Runden kommt. Ich hatte saubere Klamotten, ein Dach über dem Kopf, Zugang zu Bildung und Eltern, die aus Liebe zu meinen Geschwistern und mir Tag und Nacht arbeiteten. Was für Bedürfnisse wurden da nicht gestillt?
Also weinte ich heimlich. War ich mit einer Situation überfordert, schämte ich mich dafür. Es brauchte viele Jahre, bis ich begriff, dass ich an meinem Selbstbild arbeiten musste. Ich wollte mich dem Charakterzug hingeben, den ich ein Leben lang als größte Schwäche empfunden hatte: meine Softness.
Mit Einsicht kommt Veränderung. Weil ich mittlerweile Meisterin der Softness bin, will ich euch diesen Weg erleichtern, sodass wir alle weich geklopfter als das Wiener Schnitzel sind. Lasst diesen Text als euren flauschigen Schnitzelklopfer sein und seid soft zu euch und anderen.
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