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Strategie der radikalen Flanke 2.0: Klimaungehorsam für Alle!

Liebe Leute,

Lützerath “worked”. Die Klimabewegung ist wieder eine Bewegung, sie flattert mehr nicht einflügelig und ungeliebt über den deutschen Autobahnen, sondern hat wieder einen radikalen, und einen moderaten Flügel – und das spannende daran ist: beide Flügel sind seit Lützerath ungehorsam. Das macht uns wieder strategiefähig, und beginnt, die Frage zu beantworten, wie wir im Kontext des unausweichlichen, eigentlich jetzt schon laufenden transnationalen Großangriffs der Verdrängungsgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster) auf die Klimabewegung reagieren werden: mit. Mehr. Klimaungehorsam! Einerseits vom cool-ungehorsamen, andererseits vom störend-ungehorsamen Flügel.

Bewegungsmacht statt “Grünen”-Debatte

Aber first things first, weil, viele von uns stecken immer noch in der Parteiendebatte, die auch ich ziemlich aktiv vorangetrieben habe: in meinen letzten Texten ging es viel um die “Grünen (Öffnet in neuem Fenster)”, ging es viel darum, wie wir nach Lützerath und vor den Wahlen im 1. Quartal 2023 diese als politischen Hebel oder auch Transmissionsriemen nutzen, um unsere neugefundende Bewegungsmacht ins politische System zu übersetzen – side note an die vielen Grünen-Verteidiger*innen, die mmer wieder fragten, warum es denn nun “mehr gegen die Grünen, als gegen die FDP & Union” ginge: weil es in der Politik, und die betreiben wir ja auch als Bewegung, nicht um Haltungsnoten geht, sondern um Macht, um force im physikalischen Sinne, und wer nur begrenzte Kraft hat, überlegt sich seit Archimedes nunmal, wo diese anzusetzen sei, und da ist bei den Grünen eben mehr Hebelwirkung, als bei der Union, q.e.d..

However, wie ich immer wieder schreibe: Wählen ist wichtig, klar, aber “wen soll ich wählen?” ist nicht die wichtigste politische Frage, die sich ein klimabewegter Mensch stellen kann, und Wahlen sind traditionell von Bewegungen (die meist “klare”, sprich, einfache Forderungen zu einer begrenzten Zahl von Themen stellen) nicht besonders leicht zu beeinflussen, ist die Entscheidung zur Wahl einer Partei doch eine komplexe, und es ist extrem schwierig, Wahlentscheidungen direkt an spezifische Positionen einzelner Parteien zu koppeln.

Anders gesagt, die Frage “sollen, und wenn ja, wie können wir die 'Grünen' für Lützerath bestrafen?” ist nur eine Unterkategorie der viel wichtigeren, der zentralen Frage: welche strategischen Schlussfolgerungen zieht die Klimabewegung aus Lützerath, wie nutzen wir den Aufwind, den wir auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bekommen haben, um weiter Bewegungsmacht aufzubauen, und somit die Umsetzung unserer Positionen durch die eigene Praxis und durch welche Partei auch immer dann und dort an der Regierung ist, zu ermöglichen?

Die Klimabewegung nach Lützerath

Zuerst zur Prämisse der Frage, also der Aussage, dass “Lützerath” die gesellschaftliche Breite und Kraft der Klimabewegung nicht nur wieder unter Beweis gestellt, sondern sie sogar erweitert hat. Da wäre zuerst der empirisch messbare “Lützerath Effekt (Öffnet in neuem Fenster)”: der Anteil der Bevölkerung, dessen klimapolitische Erwartungen von “keiner Partei” abgeholt werden, stieg von 12% auf 17% an, was andeutet, dass die (potenzielle) gesellschaftliche Basis der Klimabewegung sich deutlich erweitert hat. Positiver gesprochen, aber bloß anekdotisch belegt (ein Gespräch mit meinem Gras-Dealer (Öffnet in neuem Fenster), einem typisch-neuköllner “bildungsfernen” jungen Mann, der sich bei dafür mir bedankte, dass ich in Lützerath war; die lächelnden Gesichter sowohl bei Kund*innen als auch Angestellten in der Apotheke, als ich Lützerath erwähnte; meine Nichte, die ich bisher noch nie als “Aktivistin” kannte, die ich dann aber plötzlich und unerwartet während der epischen Schlammschlacht von Lützerath traf) würde ich sagen, dass wir als gesellschaftlicher Akteur seit Lützerath wieder einen deutlich besseren Ruf haben, als im Jahr 2022, wo die völlig richtigen & weitestgehend exzellent kommunizierten Aktionen der Letzten Generation von der Verdrängungsgesellschaft derartig stark abgelehnt wurden (Öffnet in neuem Fenster), dass am Ende der Eindruck dastand: Klimaaktivismus ist etwas, das einfach nur nervt (Öffnet in neuem Fenster). Diesen Druck, diese Abneigung der Mehrheitsgesellschaft haben wir alle gespürt, und ich glaube, viele von uns haben darunter gelitten.

However, seit Lützerath sind wir wieder stärker in der Lage, Klimaaktivismus als eine nicht nur vernünftige, sondern hoffnungsvolle, gar inspirierende Sache zu framen (darzustellen), weil dieser Diskurs in der Bevölkerung nun wieder einen Nährboden findet: die Bilder aus Lützerath sprachen einfach eine zu deutliche Sprache (Öffnet in neuem Fenster). Auf der einen Seite die stabile Einigkeit der Bewegung, die sich, wie der Hambi gezeigt hat, aus der gemeinsamen Verteidigung eines physischen Ortes zwar nicht notwendigerweise ergibt, aber doch deutlich einfacher herzustellen ist (Öffnet in neuem Fenster), als dies bei einem Kampf für eine Policy zum Beispiel der Fall ist; auf der anderen Seite das klare Framing: Leben vs. Tod, Gut vs. Böse, vernünftig vs. normalwahnsinnig.

Und hier ist es natürlich relevant, über “Polizeigewalt” zu sprechen, liebe IL Frankfurt (Öffnet in neuem Fenster), nicht, weil es wahnsinnig überraschend ist, dass Cops Kapitalinteressen mit Gewalt verteidigen, oder weil es unsererseits keine Militanz gab, sondern, weil die Klimabewegung in Deutschland noch nie so brutal vermöbelt wurde, und diese Erfahrung für viele Tausende einschneidend war und sein wird. Denn das gehört auch zur Story von Lützerath: (beinahe) niemand war da, um “gehorsam” von Keyenberg zum Kundgebungsort mitten im matschigen Feld zu laufen, um dann dort stehen zu bleiben. Nein, es waren 35.000 Menschen dort, um Lützerath zu befreien, und die meisten davon nahmen in irgendeiner Form auch am Versuch teil, den Zaun zu erreichen und zu überwinden.

Wenn also (nur?) in der gemeinsamen Verteidigung eines Ortes gegen den fossilkapitalistischen Normalwahnsinn eine geeinte, beliebte, und in der Breite ungehorsame Klimabewegung entstehen kann – bedeutet dass dann nicht, ist es dann nicht für die Klimabewegung absolut notwendig, Widerstandsnester zu schaffen, Orte, an denen wir geeint stehen, und von der Gesellschaft als “die Guten”, als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Rationalität gesehen werden können? Dies wäre genau die Art von Arbeit, die zum Beispiel Ende Gelände, Fridays For Future und die seit dem Hambi stetig stärker und zentraler werdenden anarchistischen Teile der Klimabewegung gut unter sich aufteilen könnten – zum Beispiel in der Bekämpfung von Autobahnneubauten (wie z.B. bei der Berliner A100, oder dem Kampf um den #Fecherbleibt in Frankfurt), oder des Neubaus fossiler Gasinfrastruktur – während die Letzte Generation weiter ihre Strategie der Störung der gesellschaftlichen Normalität fährt.

Strategie der radikalen Flanke 2.0

Das könnte dann eine neue Arbeitsteilung in der Klimabewegung sein: die Letzte Generation zieht ihre kluge Strategie durch, macht weiter ihr Ding als “radical (in diesem Sinne: störende) flank” der Bewegung (hat tip Andreas Malm), während die anderen den “inspirierenden” Teil übernehmen, die epischen Kämpfe Gut vs. Böse, aber eben, und das muss seit Lützerath klar sein: ungehorsam. Orte lassen sich nicht durch große Demos und Petitionen allein verteidigen – nur die Drohung, und die Durchführung, massiver Regelbrüche kann einer profit- und machtgetriebenen Gegenseite möglicherweise Einhalt gebieten.

Die Arbeitsteilung wäre dann eine zwischen zwei ungehorsamen Flügeln der Bewegung, einem, der sagt “wenn Ihr keinen Klimaschutz macht, legen wir Euren Alltag lahm – wir tun dies nicht, weil wir wollen, sondern, weil ihr uns dazu zwingt”, und einem, der sagt “schaut mal, wie toll, wichtig und richtig Klimaschutz ist, wieviel Spaß er macht - & wie sehr er im gesellschaftlichen Allgemeininteresse agiert”

Zwei ungehorsame Flügel – einen coolen, einen störenden. Einer sagt: hey, kommt mit uns den Ausbau fossiler Gasinfrastrukturen blockieren &/ friedlich sabotieren, weil, ist notwendig, richtig und geil; ein anderer, der sagt: da Ihr Euch leider nicht unseren megacoolen Blockaden fossiler Energieinfrastruktur und anderer normalwahnsinniger Projekte wie Autobahnen angeschlossen habt, müssen wir jetzt leider eben diesen normalwahnsinnigen Alltag blockieren. Sorry, your call, you apparently made the wrong one.

Wie seht Ihr das? Ich freu mich auf die strategischen Debatten, in denen ich endlich mal wieder nicht verzweifelt bin :)

Liebe Grüße

Euer Tadzio

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