Bundesangstwahl 2025: im Kollaps gewinnt, wer Ängste politisiert

24/02/2025
Liebe Leute,
zuerst einmal: guten Morgen an diesem Montagmorgen nach der Wahl, der viel, viel schlimmer hätte ausgehen können.
What had to happen
Klar, ein paar Rahmenbedingungen waren gesetzt und würden sich auch im Wahlergebnis spiegeln, wie zum Beispiel der harte Rechtsruck (Irrationalisierung, Arschlochisierung, Faschisierung, etc.), die Tatsache, dass Klimaschutz over isch (wie viele larmoyante Feuilleton-Artikel haben wir gelesen, die sich fragten, “warum redet niemand vom Klima?” - larmoyant, weil die offensichtliche Antwort ist: weil niemand die Wahrheit übers Klima sagen oder hören will), und, dass das deutsche Parteiensystem wie überall auf der Welt hart am fragmentieren ist, und zersplitterte Parteiensysteme machen üblicherweise stabiles Regieren nicht so ganz einfach, und instabiles Regieren spielt leider zur Zeit den Rechten in die Hände.
Es war also von Anfang an klar, dass wir heute morgen in einem Land aufwachen würden, das den stärksten (elektoralen) Rechtsruck der Nachkriegsgeschichte erlebt hat, das sich in den vergangenen Monaten immer krasser der “schamfreien Arschlochigkeit” hingegeben hat, die es seit 1945 nicht mehr unproblematisch fühlen durfte. Ein Beispiel: Merzens schaumgeifernde Wahlkampfabschlussrede, in der er ankündigte, er "werde Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denke und 'alle Tassen im Schrank' habe (Öffnet in neuem Fenster)". Ach Mann, Fritze: Sag doch gleich "Deutschland, aber normal", wie es Deine Koa-Partner*innen des Herzens jetzt schon tun. Deine Rede war so widerlich, dass das Zentrum für Politische Schönheit Dich darauf tatsächlich als “Arschloch (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnete. Dazu kurz: liebes ZPS, lots of respect for what you do, aber wenn Ihr von Fritze “twoplanes” Merz wegen angeblicher Beleidigung angezeigt werden wollt, müsst Ihr Euch hinten anstellen (Öffnet in neuem Fenster) ;)
Wichtige Trostpreise
Genau, weil klar war: der Rechtsruck ist da, Klima isch over, das Parteiensystem zersplittert, und weil aus dem Lager der Linksgrünversifften keine wirklich überzeugende Gegenstory zu hören war, muss ich sagen, dass der Wahlabend den bestmöglichen Outcome innerhalb einer Scheißkonstellation war, den ich mir erhoffen konnte.
Abgesehen von emotional wirklich relevanten Trostpreisen wie den endgültigen Ausschied von Chrissy “Cayenne” Lindner aus der Politik (Öffnet in neuem Fenster) (dito Olaf “Brechmitteleinsatz” Scholz) stehen folgende drei Elemente für mich als politisch besonders relevant dar:
Mit den Freien Wählern, dem BSW (deren 4,97% ebenfalls sehr befriedigend sind, ich verspüre eine warme, wohlige Häme, wenn ich an Lady Voldemort und ihre Death Eaters denke, die jetzt ganz überrascht sind, dass es keine Pfründe zu verteilen gibt, weshalb der Laden auch pronto implodieren wird) und der FDP sind 13,5% strukturell zum rechten Lager zu zählenden Wähler*innen nicht im Bundestag repräsentiert. Da haben wir einfach Glück gehabt.
Die Linke – und trotz all der Konflikte, die ich mit Linken hatte (sowohl bei der Arbeit in der Rosa Luxemburg Stiftung, als auch im politischen Kampf der Klimabewegung, die Linken zu einer überzeugenden Kraft für Klimagerechtigkeit zu machen, was sie, sorry Gösta, einfach nicht wurde), ist das immer noch die Partei, der ich am nächsten stehe – ist stark im Bundestag vertreten, weshalb dieser links nicht bei meiner alten Freundin Kathrin Henneberger aufhören wird, von der ich, von der die Klimabewegung ohnehin ziemlich enttäuscht ist, sondern mit lauten, antifaschistischen und humanistischen Stimmen aus der Linken. Aber to be clear: diese Rolle wird die Linke nicht spielen, weil sie so wahnsinnig humanistisch ist, sondern, weil sie die einzige demokratisch Partei ist, von der klar ist, dass Merz nicht mit ihr regieren wird. Wer in einer Arschlochgesellschaft regiert, regiert diese als Arschloch, oder eben nicht. Nur, wer nicht versucht, die Arschlochgesellschaft zu regieren, kann als ihr kritisches Korrektiv fungieren. Darauf setze ich bei der Linken, trotz meiner historischen Erfahrung mit der Partei.
Zum linken Wahlergebnis gleich noch mehr.
Eine Zweierkoalition ist möglich. Das ist wichtig, weil die kommende Regierung einen unmöglichen Spagat zwischen Verdrängung und Arschlochisierung versuchen werden muss – das Land rückt nach rechts, und der Bundestag wird relativ zum Land eher links stehen (vgl. die 13,5% FW, BSW und FDP, die nicht repräsentiert sind, auf links ist das weniger) – und deshalb grundsätzlich instabil sein wird. Je schneller die nächste Wahl, desto besser für die AfD, und wir können davon ausgehen, dass eine Zweierkoa stabiler sein würde, als eine Dreierkoalition mit den verhassten Grünen. Und weil es auf der Welt kaum zwei staatstragendere Parteien als die Union und die SPD gibt, werden die sich länger zusammenhalten, als alle anderen möglichen Konstellationen. Das ist gut, es gibt uns mehr Zeit zur Vorbereitung auf die Wahl, die irgendwann zwischen 2027 und 2029 stattfinden wird, in der Schwarz-Braun (oder Braun-Schwarz) die wahrscheinlichste Koalition sein wird.
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Des elektoralen Pudels Kern: Zukunftsangst
Jetzt aber zum zentralen und vermutlich nicht überraschendem Punkt, den ich zum Wahlergebnis machen will: es beweist meiner Meinung nach, dass im Kollaps, in der ständig weitere Kreise ziehenden Multifuckup-Katastrophe die politische Kraft gewinnt, die es am stärksten und überzeugendsten schafft, Zukunftsängste aufzunehmen, zu politisieren, und in die Richtung ihres politischen Projekts zu artikulieren, hinzulenken.
Wie ich schon bei der Europawahl letztes Jahr argumentierte (Öffnet in neuem Fenster), als es um die plötzlich nach rechts tickenden junge Wähler*innengeneration ging, ist im Kollaps Angst vor der Zukunft total rational, und wie wir im Titelbild dieses Textes sehen, teilt Deutschland meine Gefühle hier: 83% sind beunruhigt, nur 12% sind zuversichtlich. Deswegen ist es tatsächlich auch nur emotional., nur durch Verweis auf grüne und sozialdemokratische Verdrängung, anstatt politstrategisch zu erklären, dass die Grünen und die Sozen einen total lahmen, Harris-Style “weiter so, trotz allem, Zuversicht!”-Wahlkampf fuhren. Nicht, weil sie dachten “über Angst reden ist immer falsch”, denn diese dämliche Annahme weichgespülter politischer Kommunikationsberater*innen ist schon sehr lange widerlegt, sondern weil sie selbst nicht in der Lage waren und sind, sich mit dem Scheitern der “Mitte” auseinanderzusetzen, mit dem Scheitern ihrer Normalität.
Verloren haben also SPD und Grüne, verloren haben die Parteien, die bisher regiert haben, verloren haben die, die nicht in der Lage waren, adäquat auf die teils rationalen, teils irrationalen aber immer als real gefühlten Zukunftsängste der Menschen einzugehen.
Gewonnen haben AfD und Union, Linke und BSW (remember: letztere halt “nur” 4,97%, gnihihihi): AfD, Union und BSW haben vor allem mit Angst vor Migrant*innen und Migration gearbeitet, der Aufschwung der Linken war weniger ihrem guten Wahlkampf geschuldet, sondern eher der aktiven Mithilfe von Merz und Musk. Merz, weil er den antifaschistischen Menschen hierzulande nochmal gezeigt hat, wie nah wir am Faschismus sind (die Linken Umfragewerte explodieren vor allem seit Merzens Tabubruch im Bundestag; Musk, weil er dem verstaubten Antimilliardärswahlkampf der Linken Bedeutung gegeben hat – denn Musk zeigt, dass wir vor Milliardär*innen Angst haben müssen, dass ihre politische Macht zerstört, und sie als Milliardäre abgeschafft, verboten, gecancelt werden müssen. Merz und Musk haben uns Angst gemacht vor faschistischen Milliardären, und erst in dem Zusammenhang konnte der linke Wahlkampf richtig verfangen.
Witzig ist, dass über dieses Thema bisher kaum gesprochen wird, auch nicht in den Wahlauswertungen, die ich bisher gesehen habe. Naja, “witzig”: vorhersehbar. Denn wir sind mehrheitlich immer noch eine Verdrängungsgesellschaft, und die kann zwar fühlen, aber nicht artikulieren, was sie fühlt, denn genau davor hat sie Angst. Angst, Zukunftsangst, hat diesen Wahlkampf entschieden. Aber uns das einzugestehen, würde uns zwingen, uns mit den Gründen für diese Ängste auseinanderzusetzen. Und darauf haben wir weiterhin keinen Bock, werden ihn mehrheitlich auch nie haben. Dann doch lieber mit voller Wucht in den Thanatos. Burn it all, so it doesn't scare you (Öffnet in neuem Fenster). Makes total sense.
Ich weiß, das wird auf Linksgrün ungern gehört, wir haben irgendwie ein wenig Angst vor Ängsten, weil wir wissen, dass diese leicht auf irrational gewendet werden, auf Sündenböcke projiziert werden können, und diese Sündenböcke sind nur selten Milliardäre. Aber seit Jahren zeigt sich, dass die Rechten besser die Zukunftsängste organisieren, die viele Menschen rationalerweise fühlen, und damit Wahlen gewinnen. Wir sollten diese Lektion endlich lernen, verdammt nochmal.
Trotzdem: vergesst die Trostpreise nicht. Kein Lindner, keine FDP, keine Lady Voldemort im Bundestag, und unser Wahlbezirk wird jetzt im Bundestag von einem Genossen direkt repräsentiert.
Hätte schlimmer laufen können.
Mit ein wenig erleichterten Grüßen,
Euer Tadzio