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Handlungsfähigkeit und Lebensfreude: Leben jenseits der Verdrängung

22.08.2024


Liebe Leute,

wie Ihr wisst, versuche ich seit geraumer Zeit, spätestens seit „Dr. Just Collapse (Öffnet in neuem Fenster)“, die Story von der Kollapsakzeptanz so zu erzählen, dass dabei klar wird: es geht hier nicht nur darum, eine Scheißrealität ohne Verdrängung und ohne magisches Denken zu konfrontieren, was megaanstrengend klingt; es geht bei der Kollapsakzeptanz und beim solidarischen Kollapsaktivismus auch darum, Leben zu verbessern – die Anderer, aber auch unsere eigenen. Glaubt mir, das ist gar kein leichter Pitch, weil er immer wieder auf die empörten Verdrängungsreaktionen der Verdrängungsgesellschaft trifft, sowohl ihres Partei-, als auch ihres Bewegungsflügels: so nach dem Motto „Nein! Wer vom Kollaps spricht, muss von der Lebensfreude schweigen, denn wer der Recht hat, dann hat Verdrängung wirklich gar keinen Mehrwert mehr, dann ist sie, dann sind wir einfach nur noch irrational, unethisch und kindisch. Und das darf nicht sein.“

Making collapse acceptance sexy again, das ist seit Ende letzten Jahres meine challenge, und vor einigen Wochen durfte ich dem DLF Kultur ein Interview geben (Öffnet in neuem Fenster), für eine knuffige, angenehm ideosynkratische Show mit dem Titel „Echtzeit“. Thema war „Verdrängung“, der Moderator hatte irgendwo meinen Dr. Just Collapse-Text gelesen, und wollte mit mir darüber sprechen, wie ich es jetzt eigentlich mit der Verdrängung halte, ob die nun im allgemeinen schlecht wäre – und wie es jenseits der Verdrängung aussieht.

Das unten verschriftlichte (danke Udo!) Gespräch wurde, glaube ich zumindest, eines meiner besten Interviews seit langem. In ihm schaffe ich es, mit dem Support des wohlmeinend fragenden Moderators, endlich eine kohärente, halbwegs knackige Story zu erzählen, in der die Welt der just collapse-Aktivist*innen als die schönere, die bessere, die vernünftigere erscheint, als die der Verdränger*innen. Und nur so können wir die Klimabewegung, können wir Teile der Gesellschaft davon überzeugen, mit der Verdrängung aufzuhören: wenn wir zeigen, was nicht verdrängen bringt, welchen „Mehrwert“ (forgive me, my fellow marxists ;)) unsere Kollapsakzeptanz für uns hat.



Echtzeit: Vielleicht klären wir erst mal Ihre Position in Sachen Klimakollaps. Glauben Sie noch daran, dass die Menschheit die weitere Klimaerwärmung stoppen wird?

TM: Nach 16 Jahren Klimapolitik, Klimaaktivismus, klimapolitischer Arbeit im Allgemeinen bin ich überzeugt davon, dass sie das nicht tun wird.

Wir reden jetzt über das Thema spätestens seit Mitte der 90er (als der Spiegel das berühmte Titelbild mit dem abgesoffenen Kölner Dom druckte) über Klimawandel und Klimaschutz, eventuell seit Ende der 80er. Und in all diesen Zeiten hat sich eins nicht geändert, nämlich dass Treibhausgasemissionen und Wirtschaftswachstum zusammenhängen. Wir wollen mehr Wirtschaftswachstum, weil wir mehr Jobs haben wollen, mehr Steuern, mehr Wohlstand. Also treiben wir den Prozess voran, der auch das Klima zerstört.

Wir haben also mehrheitlich einfach gesagt: „nein, wir schützen das Klima nicht, sondern wir schützen lieber unsere Wirtschaft. Punkt.“ Und das sagen Mehrheiten auch in allen anderen reichen Ländern der Welt.

Echtzeit: Aber was heißt das für Sie? Also wie reagieren Sie darauf? Es gibt ja verschiedene Strategien, manche Menschen verdrängen den Gedanken an die Klimakatastrophe, indem sie auch einfach keine Nachrichten mehr konsumieren. News Avoidance könnte man das nennen, frei nach dem Motto, was ich nicht sehe, ist nicht da. Wie ist das bei Ihnen?

TM: Ich habe mein erwachsenes Leben, genauer gesagt die letzten 15 bis 20 Jahre, dem Kampf für Klimagerechtigkeit und für Klimaschutz gewidmet. Das Anerkennen der Tatsache, dass meine Versuche, das Klima zu schützen, gescheitert sind – oder genauer gesagt, die Gesellschaft daran zu erinnern, ihre Versprechen zu erfüllen, das Klima zu schützen, denn es ist natürlich total naiv anzunehmen, dass 5000 Ende-Gelände-Aktivistinnen 80 Millionen Deutsche dazu bringen können, sich selbst, fundamental ihre Gesellschaft und ihr Leben zu transformieren – hat mich in eine krasse Depression gestürzt. Im Kern ging es um den Verlust meines Glaubens an eine bessere Zukunft.

Diese Zukunft, die sich die europäische Aufklärung seit Jahrhunderten ausmalte, die ist verschwunden. Und als das verschwand, verschwand einfach die Bedeutung meines Handelns. Die daraus resultierende Depression dauerte von Anfang *21 bis Ende '22.

Und Anfang 2023 ist was passiert, nämlich Lützerath, das kleine Dorf im Rheinland, von dem mittlerweile, glaube ich, alle in Deutschland wissen, dass es es das nicht mehr gibt, wurde von der Klimabewegung zur Zone a Defendre gemacht, zum „Ort, den es zu verteidigen gilt“, gegen den fossilkapitalistischen Wahnsinn, gegen diese Tagebaue, die 2023 natürlich schon ein totaler Wahnsinn waren. Die Klimabewegung mobilisierte zum letzten Gefecht, zu ihrem Alamo nach Lützerath. Und am Ende werden wir ja auch besiegt. Die Häuser werden alle zerstört.

Ich habe in der letzten besetzten Steinstruktur gewohnt, bis wir da rausgeworfen wurden. Und das Interessante war, ich war total gestärkt. Und zwar durch die Gemeinschaft, die ich mit den Menschen gefunden habe, mit denen zusammen ich Lützerath verteidigt habe. Das waren teilweise Leute, die ich kannte, das waren teilweise völlig neue Leute. Und mir laufen jetzt hier Schauer über die Arme. Ich bin angekommen in Lützerath wie ein Telefon, das keinen Akku mehr hat, also ohne einen Balken auf dem Akku.

Und jeden Tag, den wir da in diesem Haus zusammen waren, und jeden Tag schloss sich der Ring der Polizei enger, dieser Belagerungsring enger, bekam ich mehr Kraft durch die Gemeinschaft der Menschen, mit denen zusammen ich versuchte, ein kleines Bisschen den Kollaps aufzuhalten. Oder zumindest an diesem Ort zu sagen, hier wollen wir noch gutes Leben ermöglichen. Und danach begann ich wirklich den Aufstieg aus der Depression.

Ein halbes Jahr später war ich dann in Schweden, wo ich mit Menschen zusammengearbeitet habe, die Aktivismus sozusagen nicht mehr gegen den Kollaps, sondern Aktivismus im Kollaps designen. Die fragen okay, wir stellen uns mal darauf ein, was passiert, wenn das Klima nicht geschützt wird. Zum Beispiel, wie handelt eine Klimabewegung in der Hitzewelle in der Großstadt?

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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

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Echtzeit: Aber ist das nicht auch eine Art von, ja, man ist dann so ein bisschen fast der Cousin vom Doomscroller? Also auf gut Deutsch, man beschäftigt sich die ganze Zeit nur mit den Katastrophen, mit den schlechten Nachrichten. Der Doomscroller, ich glaube, der hat so ein, also derjenige, der sich durch sein Handy stundenlang und immer die neuesten Horrornachrichten so durchzieht. Ich glaube, der hat so einen Schauer, wegen dieser Angst oder dieser Beklemmung, die da ausgelöst wird. Was ist dann der Unterschied bei euch?

Der Doomscroller betreibt reinen Medienkonsum. Uns dagegen geht es um Ermächtigung. Es geht um Selbstwirksamkeit. Der Doomscroller ist passiv, nimmt nur die Nachrichten wahr und sagt, okay, the world is gonna fucking end. Die Just Collapse-Aktivist*innen sagen, wir sehen diese Situation, wir erkennen die an und wir überlegen uns jetzt, wie man in der Situation handlungsfähig werden kann. Jetzt geht es nicht mehr um Aktivismus gegen die Klimakatastrophe, jetzt geht es um Klimagerechtigkeitsaktivismus in der Klimakatastrophe. Und da ist so viel zu tun, weil zum Beispiel: eine Hitzewelle. Wen betrifft die, wer stirbt da, wer leidet? Das sind Obdachlose, das sind Menschen mit Vorerkrankungen, das sind arme und alte Menschen.

Das sind ganz klare Gerechtigkeitsthemen. Und wir sind ja nicht nur eine Klimaschutzbewegung, wir haben immer gesagt, wir sind eine Klimagerechtigkeitsbewegung. Und wenn jetzt also in der Klimakatastrophe wieder die mehr leiden, die am wenigsten dazu beigetragen haben, dann ist es unser verdammter Job, unsere Berufung, da was zu machen, aber es gibt eben auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Als es Ende Mai die Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg gab, passierten zwei Dinge in der Bewegung. Einerseits fand da dieser... problematische Hungerstreik statt, wo man dann auch die Bilder von Wolly und den anderen Hungerstreikenden sah, und die sahen dann abgemärgelt und total entmächtig aus. Man hat denen angesehen, wie selbstunwirksam sie in dem Moment waren.

Und ich habe gleichzeitig ein Foto gesehen von drei Fridays for Future-Aktivist*innen. Die haben irgendwie Sandsäcke geschippt, im Rahmen der Hochwasserkatastrophe. Und man hat ihnen auf dem Foto angesehen: die wussten, ich mache hier gerade was Nützliches. In ihren Gesichtern stand klar die Einsicht, „hey, das ist jetzt nicht mehr nur noch Klimastreik, das ist wieder was Richtiges.“ Da sah ich, das ist die Ermächtigung und das ist eben die Erzählung, die ich den verdrängenden Menschen mitgeben will.

Mein Punkt ist jetzt, ja, da muss man durch. Ich nenne es den River of Shit. Da muss man durchschwimmen. Trauer ist immer scheiße. Es gibt literally keine Art und Weise, Trauer angenehm zu gestalten. Man kann es noch ein bisschen festlich machen, aber Trauer ist immer erst mal Trauer. Da muss man durch, durch die Trauer ob des Verlierens der Zukunft. Aber wenn man da mal durch ist, eröffnen sich ganz neue und unerwartete positive emotionale Zustände.

Ich habe gerade neulich mit ein paar Freundinnen gesprochen, die sagen, seitdem sie Kollapsakzeptanz entwickelt haben, können sie sich wieder viel mehr über die Natur freuen. Sie können sich viel mehr über kleine Dinge freuen, zum Beispiel sagte die eine, „Ich gehe mit meiner Transtochter zum CSD in einer Kleinstadt in Brandenburg, und ich weiß natürlich, dass es irgendwann nicht mehr möglich sein wird, aber jedes Mal, wenn wir das noch tun können, fühlt sich das wie ein Fest an.

Aber das ist ja eine völlig neue Erzählung. Also immerhin in Österreich, der österreichische Ableger von der letzten Generation, der hat gerade seine Aktivitäten eingestellt, weil es nichts gebracht hat, zu wenig Resonanz erzeugt hat. Aber wenn ich das jetzt richtig verstehe, Sie empfehlen in Sachen Klima nicht mehr zu verdrängen. Also auf gut Deutsch, wir akzeptieren das, wir schaffen das nicht mehr. Wir haben es bereits gegen die Wand gefahren. Und können trotzdem das Leben genießen?

Ja, es geht darum, das Leben trotz alledem genießen zu können. Aber ich sage nicht einfach nur: „akzeptiert den Kollaps und lebt euer Leben weiter, tanzt auf dem Vulkan“ und so. Sondern ich sage, in der Akzeptanz der Realität liegt eine wahnsinnige Quelle von Kraft und auch Zuversicht. Weil wenn ich die Realität verdränge, dann muss ich jeden Tag mehr verdrängen. Man muss sich Verdrängung als physikalischen Prozess vorstellen: wenn ich verdränge, schwächt mich das, weil die Energie, die ich aufbringe, um gewusstes nicht zu wissen, steht nun nicht mehr für andere Aktivitäten zur Verfügung. Wenn ich erstmal die ganze Kraft, die ich fürs Verdrängen aufwende, wieder in mir habe, bin ich erstmal viel mehr bei mir. Ich muss mich nicht mehr im psychologischen Sinne spalten.

Ich kann die Realität einfach anerkennen und versuchen, in ihr handlungsfähig zu werden. Wenn ich anerkenne, zum Beispiel in der Straße, in der ich lebe, dass es da Trockenheitsdynamiken geben wird, kann ich dann anfangen, in jedem Haus rumzulaufen und zu sagen, „hey, lass uns mal zusammenarbeiten, um diesen Baum am Leben zu erhalten“. Da gibt es wahnsinnig viele Möglichkeiten, die Welt immer noch zu einem besseren Ort zu machen, auf eine gemeinsame Art und Weise, und sich dadurch gut und stark und wirkmächtig zu fühlen, das Leben mit Bedeutung und Schönheit zu füllen.

Und darum geht es ja. Wir wollen im Grunde die Leben leben, die wir leben wollen. Deswegen verdrängen wir. Und mein Punkt ist: stellt euch auf eine neue Situation ein, dann könnt ihr darin auch wieder handlungsfähig werden. Aber verdrängt die nicht, weil sonst werdet ihr immer dümmer, immer aggressiver und dann werdet ihr am Ende wie die rechten Klimaleugner. Und da wollt ihr nun wirklich nicht hin.

Vielen Dank, Tadzio Müller. Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps, wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben, so heißt das Buch, das der Politikwissenschaftler und Klimaaktivist geschrieben hat. Es soll im Oktober erscheinen.



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