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Feminismus und Männerhass

Feministinnen wird oft unterstellt, sie würden Männer hassen. Hass ist ein großes Wort. Zeit für eine schonungslose Selbstbefragung.

Valerie Solanas war gewissermaßen die Vorlage für die Idee der männerhassenden Feministin. Als radikale Feministin veröffentlichte sie ihr S.C.U.M Manifesto (Öffnet in neuem Fenster) (scum steht für Society for Cutting Up Men, ist aber auch das Wort für Abschaum), in dem sie nicht weniger als die Vernichtung des männlichen Geschlechts forderte. Heute dient der Vorwurf des Männerhasses eher als Totschlagargument. Man sagt ja auch, jemand ist „blind vor Hass“. Wer hasst, argumentiert nicht. Hass fußt nicht in real existierenden Umständen, sondern in anekdotischer Evidenz und Bauchgefühl. Hass muss man deshalb nicht ernstnehmen.

Würde man mich fragen, ob ich Männer (im Sinne einer abstrakten Größe) hasse, würde ich ohne zu zögern Nein sagen. Hass ist ein fürchterlich großes Wort, das impliziert, dass es eine Art Nemesis im eigenen Leben gibt, etwas, worüber man ständig mit den Zähnen knirscht, das man am liebsten weghaben will aus dieser Welt. Früher hatte ich zwar einen ziemlichen Aggressionspegel in mir, aber heute macht mich kaum noch etwas wütend (Hashtag #Therapiehilft).

Begehren ist nicht Respektieren

Ich bin eine heterosexuelle Frau, und Männlichkeit (was auch immer man darunter verstehen will) wirkt auf vielerlei Arten körperlich und geistig anziehend auf mich. Also kann ich Männer ja gar nicht hassen, richtig? Falsch. Denn das ist der gleiche argumentative Dreh, den Männer oft verwenden, um sich selbst von ihrem Sexismus und ihrer Misogynie reinzuwaschen. Ich sehe einen wohlhabenden Unternehmensboss vor mir, der Sachen sagt wie „Ich liebe Frauen“ oder „Ich umgebe mich gerne mit Frauen“ und scheinbar oder tatsächlich glaubt, das würde ihn zu einem „Frauenfreund““ machen. Obwohl in seiner Firma alle Chefsessel männlich besetzt sind. Obwohl weibliche Angestellte weniger verdienen. Und obwohl er im Beruf wie im Privatleben Frauen nie als Problemlöserin, sondern immer nur als Spielzeug oder Belastung gesehen hat. Aber „er liebt die Frauen“. Na ja.

Es bringt also nichts, hier zu bekennen, dass niemand so umarmen kann wie ein Mann und ein ästhetischer Männerkörper für mich das beste Aphrodisiakum ist. Jemanden zu begehren ist nicht dasselbe wie ihn zu respektieren.

Allein über die sexuelle Orientierung kommt man da nicht weiter. Aber sie kann vielleicht als Einstieg dienen, denn die meisten Männerkontakte habe ich über mein Onlinedating. Ich bin freiwillig auf der Plattform, ich habe gute wie schlechte Erfahrungen gemacht, faszinierende und langweilige Männer kennengelernt. Und doch ertappe ich mich dabei, dass mich ein überwiegend negatives Gefühl überkommt, wenn ich an Dating denke. Ich habe sogar irgendwann einmal getwittert „Nichts bringt meinen Respekt vor Männern so sehr an seine Grenzen wie Onlinedating.“ Sinngemäß. Ist das Hass? Mal gucken.

Die von mir sehr geschätzten Annika Brockschmidt und Rebekka Endler haben sich bereits via Podcast (Öffnet in neuem Fenster) und Instagram (Öffnet in neuem Fenster) mit dem Vorwurf des Männerhasses befasst. Auslöser war ein Artikel von Rolf Neukirch (Öffnet in neuem Fenster), Ressortleiter beim Spiegel. Annika und Rebekka beweisen in ihrem Podcast mehr Langmut als ich vermutlich je in mir hatte, ich könnte Männer nicht, wie sie im IG-Post schreiben: „zum letzten Mal zum Wasserloch führen“.

Denn ich spüre eine große Genervtheit, mich mit den immer gleichen Mustern zu befassen. Muster sind für mich Phänomene, die so häufig auftreten, dass man ihnen regelmäßig begegnet, ohne danach zu suchen. Man kann gerne so viel #notallmenen und wegen Verallgemeinerungsverdacht DiFfeReNziRT auf jede Ausnahme von der Regel hinweisen, aber Fakt ist doch, dass man in verschiedenen Menschengruppen, egal nach welchen Kriterien man sie zusammenfasst, Gemeinsamkeiten findet, die eben öfter vorkommen als andere Eigenschaften.

Boys will be what they’re taught

Einige der Muster von Männern auf Datingplattformen habe ich hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster) schon einmal aufgeschrieben.

Neben diesen gibt es aber auch noch unangenehmere Muster. Die Mehrheit betreibt Onlinedating wie plattestes Catcalling. „Hey Sexy, tolle Fotos. Ich bin gerade in der Stadt und habe einen großen Penis. Lust, mich zu treffen?“ Kurze Zurufe, ähnlich dem Hinterherpfeifen auf der Straße. Ähnliche Nachrichten machen die Mehrheit aller Zuschriften aus. Dazu kommen kommunikative und emotionale Defizite, die Unfähigkeit, ein Gespräch aktiv zu gestalten oder im Bedarfsfall klar zu beenden. Stattdessen: Ghosting, also das ängstliche Ausweichen vor einem Satz, der unter Umständen zu Disharmonie führen könnte. Diese Konfliktscheu, dieses Vermeidungsverhalten, zeigt mir, dass da jemand nie gelernt hat, schwierige Gefühle auszuhalten. Dass er seine inneren Konflikte und Verhaltensautomatismen nicht nur nicht aufgelöst hat, sondern sich vermutlich gar nicht damit befasst hat.

Diese Defizite sind zumindest in meiner Generation nicht die Schuld der Männer, sie sind ja noch in einer Zeit sozialisiert, in der ein „Ureinwohner“ keinen Schmerz kennt, in der Raufen, Ruppigkeit, aggressives Ausnutzen der Schwächen anderer gesellschaftlich gar nicht als Defizit, sondern als wünschenswerte „Durchsetzungsfähigkeit“ gefördert wurde. Männer, die sich den Schmerz verbeißen, die privates Leiden komplett verdrängen, die überhaupt nicht im Kontakt mit sich selbst und ihren Gefühlen sind, waren etwas Tolles. Alles, was Aggressivität voraussetzte, wurde verstärkt, alles, was stille Introspektion und Selbsterfahrung bedeutete, als unmännlich verspottet. Wen wundert es, dass Männer, die bis 1980 geboren wurden, im sozialen und romantisch-sexuellen Miteinander oft völlig hilflos sind?

Es wundert mich nicht und oft empfinde ich ein gewisses Mitgefühl, weil ich mir ein Leben in dieser Selbstdistanz nicht nur sehr steril, sondern auch sehr schwierig vorstelle. Denn je mehr man etwas vor sich und der Welt verbergen zu versucht, desto angreifbarer ist das eigene Leben und man findet sich wahlweise entweder in ständiger Abwehrhaltung oder Gefühlstaubheit. Ich hasse Männer nicht für diesen emotionale Selbstblindheit, die ja eine Form von Unreife ist. Ich glaube, Männer bezahlen einen sehr, sehr hohen Preis dafür, sich für beruflichen Erfolg in diesem unsozialen und unemotionalen Selbst aufzuhalten. Denn sie haben im Krisenfall oft niemanden, mit dem sie sprechen können. Die gesellschaftlich propagierte Härte gegen sich selbst hindert sie daran, sich Hilfe zu suchen, Frieden mit der eigenen Verletzlichkeit zu schließen und emotional tiefe und wahrhaftige Verbindungen zu anderen einzugehen.

Aber weil auch andere unter dieser Unreife leiden, wenn man einen solchen Mann zum Chef, Vater oder Lebenspartner hat, erwarte ich von Männern so viel Verantwortung, dass sie an sich arbeiten, und die Defizite, die unverschuldet durch Prägung entstanden sind, aufzuholen. Ich habe nach gut 35 Jahren Dating keine Lust und keine Energie mehr, über diese Prägung hinwegzusehen, Verständnis aufzubringen, Hände zu reichen.

Gleiches gilt im beruflichen und wirtschaftlichen Kontext. Männer haben Jahrhunderte Zeit gehabt, Märkte und Wirtschaft ganz nach ihren Werten und Vorstellungen zu gestalten, eine sehr lange Zeit. Das Ergebnis ist in den westlichen Ländern ein gewisser Lebensstandard, das sicherlich, aber das Ergebnis ist auch eine ausgebeutete Südhalbkugel, ein Planet, auf dem immer größere Gebiete unbewohnbar werden, ein hyperaggressiver Expansionswille, der in den meisten Branchen wenige Global Player hervorbringt, statt echten Wettbewerb. Ohne wirkliche Konkurrenz haben diese Global Player natürlich große gesellschaftliche Macht. Die immer weiter auseinanderklaffende Arm-Reich-Schere ist auch auf die Gier und die Bereitschaft, andere auszubeuten, indem man sie geringstmöglich bezahlt, zurückzuführen. Die große Rechnung von Politik und Unternehmen, der Trickle-down-Effekt, nach dem automatisch Wohlstand zu den einfachen Bürgern durchsickert, wenn man Unternehmen fördert, ging nicht auf.

Will sagen: Männer haben es versucht, und es ist nur zum Teil und zu einem für die gesamte Weltordnung unfassbar hohen Preis geglückt. Das ewige Wachstumsdogma, das Streben nach immer höheren Gewinnen (von denen die normalsterbliche Belegschaft nur einen winzigen Bruchteil sieht), die Fantasie vom „Marktführer“, das Drücken der Produktionskosten zu Lasten der Gehälter und der Produktqualität – all das sind männliche Werte aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, die längst vergangen ist. Und wenn ich heute mitbekomme, wie Männer an diesen Werten kleben, wie die BWL-Justusse immer noch vom Reichwerden und der Gewinnmaximierung labern, ja, dann spüre ich eine gewisse Wut in mir. Denn Reichtum und andere für sich malochen lassen, sind diesen Bübchen Chiffren für jenes ominöse „Alpha“, das sie an die Spitze setzen und bei Frauen attraktiv machen soll.

Ich spüre Wut über so viel Veränderungsresistenz, aber auch Wut über so viel Egoismus.

Wut ist nicht Hass

Als ich das erste Mal von einem erwachsenen Mann begrabscht wurde, war ich elf Jahre alt, und fühlte mich trotz der proppevollen S-Bahn, in der das passierte, vollkommen hilflos. Und die Tatsache, dass junge Mädchen solche Dinge heute immer noch genauso erleben, fast 40 Jahre später, macht mich müde, so müde. Es macht mich müde, dass Frauen, die gewalttätige Partner und Ex-Partner anzeigen, heute in vielen Fällen von Polizei und Gerichten immer noch nicht ernst genommen werden. Es macht mich müde, dass der Politik nichts einfällt, um Frauen zu beschützen. Dass immer noch gilt: Der gefährlichste Raum für eine Frau, in dem das Risiko, dass sie zum Opfer von Gewalt wird, am höchsten ist, ist immer noch die Beziehung und nicht der dunkle Park. Es macht mich müde, dass viele Männer glauben, nur weil sie selbst nicht gewalttätig sind, seien sie nicht Teil einer Gesellschaft, die Gewalt von Männern gegen Frauen bagatellisiert und relativiert. Denn wer als Mann vor anderen Männer nie den Mund aufmacht, wenn abfällige Bemerkungen über Frauen gemacht werden oder Typen sich brüsten, eine Frau „rumgekriegt“ zu haben, die sich erst „geziert“ hat – der ist Teil des Problems.

Ich halte es für richtig, Menschen egal welchen Geschlechts erst einmal unvoreingenommen, respektvoll und herzlich zu begegnen. Aber je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir, in bestimmten Situationen nicht schon vorauseilend die Augen zu verdrehen, weil ich weiß, dass ich in Kürze mit Gedanken und/oder Verhalten konfrontiert werde, die den Absender als emotional unreif ausweisen und an ein Männlichkeitsbild geklammert, unter dem die gesamte Welt ächzt – auch die Männer selbst.

Wir Frauen erleben tagtäglich, dass dieses Verhalten nicht respektabel ist, und wir haben – Feminismus sei Lob und Preis! – mittlerweile einen Status erreicht, in dem wir uns entsprechend verhalten können. Wir müssen heute weit weniger Scheiße von Männern fressen und wir tun es nicht. Wir klagen an, wir protestieren, wir verweigern die Rolle als Mutter und Partnerin. Sex ja, Feministinnen haben auch Bedürfnisse, aber zu unseren Regeln, nicht zu denen der Männer. Und es waren die Regeln der Männer, die uns sagten, wir sollten sexuell anständig sein und keinen zu hohen Bodycount haben.

Wir Feministinnen weigern uns, „Boys will be boys“ still zu akzeptieren. Wer respektiert werden will, sollte sich wie ein anständiger Erwachsener benehmen, sollte einen Teil seiner Zeit mit seiner Persönlichkeitsentwicklung verbringen. Und nein, Justus, damit meine ich nicht den 1000-Euro-Workshop von Kollegah, wie man ein Alphamann wird. Die männliche Zivilisation will uns Frauen leise haben, seit Jahrtausenden. Sie will uns pflegeleicht, anspruchslos, duldsam, gefällig, leidensfähig und stets zur Unterordnung bereit. Stets bereit, sinnbildlich einen Schritt zurückzutreten, wenn ein Mann die Bühne betritt. Wir adressieren dabei nicht nur kriminelle und gewalttätige Männer, sondern auch die stillen Mitläufer und/oder Mitwisser. Männer, die hinnehmen, die sich raushalten, die dem ganzen Thema nicht zu nahe kommen wollen, weil es auch an ihrem Selbstbild und/oder ihrer Beziehung etwas ändern könnte.

Wann darf man als Frau von diesen Verhaltensweisen, Eigenschaften und Defiziten genervt sein? Wann darf man als Frau den nach Geld und Macht strebenden Jünglingen den Respekt versagen? Wann darf man Catcaller abstoßend finden oder emotional unreifen Männern ihre emotionale Unreife vor den Latz knallen? Wann darf man Männern die Genervtheit über Muster zumuten, auf die Frauen jeden gottverdammten Tag ungewollt stoßen? Wenn man ihnen seit 2 Jahren immer wieder begegnet? Seit 7 Jahren? Seit 35? Wann?

Wann darf man als Frau die Schnauze gestrichen voll haben von „typisch männlichen“ Charakteristika, ohne dass irgendwo ein privilegierter weißer Mann pikiert die Nase über so viel Männerhass rümpft?

Die Antwort ist natürlich „Nie“. Wir dürfen das alles nie tun. Wir sollen in unserem Kampf für mehr Gerechtigkeit bitte genauso gefällig und freundlich sein, wie man es seit Jahrtausenden von uns erwartet. Aber vielleicht ist die Zeit der Freundlichkeit auch einfach vorbei. Vielleicht wird Frauen langsam klar, dass freundliches Fragen und geduldiges Warten, auch mal an die Reihe zu kommen, nichts bringt.

Und dass es nichts bringt, ist nicht die Schuld der Frauen, sondern die von Männern, die der Idee von Macht, Geld und einem unangetasteten Selbstbild mehr abgewinnen können als der von Gerechtigkeit.

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Kategorie Feminismus & Patriarchat

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