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Onlinedating II: Was ich über Männer gelernt habe

Weitere Erfahrungen nach fast drei Jahren Onlinedating auf einem Sexportal

Der Frühling steht vor der Tür, Zeit der Romantik. Was läge also näher als nach Onlinedating I (Öffnet in neuem Fenster) und Romantische Anziehung in Zeiten des Patriarchats (Öffnet in neuem Fenster) einen weiteren Blick auf das (Zwischen-)Menschliche zu werfen?

Seit dem letzten Text hat sich nichts wesentlich geändert. Ich bin immer noch auf dieser einen Datingplattform für Sexkontakte angemeldet. Nicht etwa, weil ich reine Sexkontakte suche, sondern weil herkömmliche Datingportale kaum Möglichkeiten bieten, Sexualität in der Wichtigkeit zu behandeln, die sie in den meisten Partnerschaften hat. Neben einigen berauschenden Begegnungen hat mir diese Zeit einige bemerkenswerte Beobachtungen beschert (erster Teil hier (Öffnet in neuem Fenster)).
Sie sind natürlich subjektiv und einseitig, weil ich als heterosexuelle Frau mit ziemlich genauen Wünschen nur einen winzigen Ausschnitt der Männer sehe. Aber innerhalb dieser Gruppe sind die beobachteten Muster so häufig, dass ich sie gefühlt in jedem zweiten Männerprofil finde.

Wahllosigkeit und Alzheimer

Viele Männer scheinen so inflationär viele Frauen anzuschreiben, dass sie sich nicht an die Frauenprofile erinnern. Erkennbar ist das daran, dass ich regelmäßig von Männern angeschrieben werde, denen ich schon einmal, mitunter sogar mehrfach einen Korb gegeben habe. Während ich selbst so wenige Männer anschreibe, dass ich mich mitunter auch nach Jahren noch an sie erinnere (und daran, ob ich einen Korb bekommen habe), scheinen Männer schrotschussmäßig Frauen anzuschreiben, ohne diese richtig wahrzunehmen. Vor der schieren Menge eigener Anschreiben verschwimmen die Frauenprofile – und ihre jeweiligen Reaktionen.
Man muss schon sehr angestrengt die Augen zusammenkneifen, um hier die Parallele zu den Mustern der Female Choice zu ignorieren. Vorausgesetzt natürlich, diese Männer leiden nicht zufällig alle an Alzheimer. Ich weiß natürlich auch nicht, wie vergesslich und wahllos andere Frauen sind, aber eine gewisse Beliebigkeit männlichen Interesses ist nach meiner Erfahrung kaum von der Hand zu weisen.

Ich empfinde das durchaus als respektlos, weil es offenbart, dass diese Männer Frauen nicht als Individuen wahrnehmen, sondern in erster Linie als Geschlecht, als Ansammlung von Körperöffnungen. Dass die allermeisten Profiltexte nicht lesen, sondern nach einem oberflächlichen Blick auf die Fotos generische Copy+Paste-Nachrichten verschicken, fühlt sich für mich an, als hätte ich keinee Bedeutung als Mensch.
Das wäre auf einem Sexportal okay, wenn die jeweiligen Männer nur anonyme One-Night-Stands suchen würden, aber das Gegenteil ist der Fall. In fast allen Profilen steht, wie wichtig den Männern es ist, sich auch jenseits der Bettkante mit der Frau gut zu verstehen. Reden zu können. Spaß haben. Ausgehen. Und natürlich, dass beim Sex "beide auf ihre Kosten kommen" (eine Formulierung, bei der mir immer die Kotzbröckchen hochkommen).
Diese Männer suchen also durchaus Frauen, deren Persönlichkeit sie anziehend finden. Und vor dem Hintergrund ist das wahllose Vergessen, mit wem man schon einmal geschrieben hat, und das Desinteresse an Profiltexten schon etwas …. kontraintuitiv.

Schrödingers Suche

Apropos Suchen: Viele Männer betonen ausdrücklich, nichts zu suchen. Egal, ob die Männer als Singles, in fester (treuer) oder offener Partnerschaft leben, ist für sie wichtig zu betonen, dass ihnen nichts fehlt.

Diese Männer spielen das eigene Bedürfnis nach sexueller Erfüllung herunter. Sie wollen nicht, es steckt schon im Wort Bedürfnis, sexuell bedürftig wirken. Denn Bedürftigkeit bedeutet, dass es etwas gibt, das man sich nicht selbst geben kann, man also auf Externes (andere Menschen, Schicksal, Zufall, wasauchimmer) angewiesen ist. Und ein abhängiger Mann, ein Mann ohne Kontrolle? Das geht in dieser toxischen Welt gar nicht.

Männer müssen (vielleicht wollen Sie auch) die kleinste autarke Einheit in einer Welt sein. Self-made. Macher. Herren der Lage. Eigeninitiativ.
Nichts torpediert diesen (Selbst-)Anspruch so sehr wie die Sexualität eines Mannes. Ein Trieb, der ihn vollkommen machtlos macht, weil seine Erfüllung wie kein anderer von einer zweiten Person (im heterosexuellen Fall von einer Frau) abhängig ist. Von ihrer Geneigtheit, ihrem Urteil, ihrer Stimmung (hat hier jemand schon wieder Female Choice gesagt?).

Ich meine damit natürlich nicht, dass Männer keine Kontrolle über ihren Sextrieb und ihr Sexverhalten haben, die haben die meisten und der Rest sollte sie haben. Aber darüber, ob die Bedürfnisse, die mit dem Trieb einhergehen, Erfüllung finden, haben sie keine. Der Mann, dessen Selbstbild auch die Unabhängigkeit von anderen beinhaltet, lernt früh: Wer ficken will, muss freundlich sein.
Wer sexuelle Erfüllung sucht, muss sich in komplexe Interaktionen mit anderen Menschen begeben und kann am Ende nur hoffen, dass der begehrte Mensch einwilligt. Das ist die absolute Machtlosigkeit.

Das gilt natürlich für alle Bedürfnisse, aber gerade bei emotionalen und sexuellen liegt der Schlüssel weniger im eigenen Tun als vielmehr in dem Quäntchin Magie, das eben dazu führt, dass zwei sich toll finden. Und komm mir da niemand mit "Die müssen sich nur nicht wie Arschlöcher verhalten, dann klappt es auch". Das ist eine Lüge. In der Friendzone jeder Frau, die so etwas hat, wimmelt es von netten, sensiblen, respektvollen Männern, die selten als (Sex-)Partner ausgewählt werden, obwohl sich Frauen in ihrer Gegenwart durchaus wohlfühlen.

Frauen leben selbstverständlich auch in dieser Abhängigkeit, aber sie hatten in der gesamten sesshaften Zivilisation nie die Kontrolle. Sie lebten immer in Abhängigkeit. Während die gesellschaftliche Norm Frauen immer in diese Abhängigkeit bezwungen hat, hat sie Männern eingeredet, sie hätten es in der Hand. Alles. Reichtum, Familie, Karriere, Status. Ohnmacht, Hilflosigkeit, Kontrollverlust sind für Männer extrem schwierige Empfindungen. (Passend dazu neulich einen tollen Artikel zur Frage "Why do so many men destroy what they can't control?" (Öffnet in neuem Fenster) gelesen, aber das nur nebenbei.)

Wenn man also nicht die Kontrolle hat, die Erfüllung eigener Bedürfnisse zu erreichen, negiert man sie. Ach, im Grunde könnte ich auch ohne, es fehlt mir ja nicht wirklich. Und deshalb ist es total easy, wenn ich es nicht bekomme. Ich suche, aber suche nicht.

Verachtung unter Männern

Was mich persönlich immer wieder seltsam betroffen macht, ist die Verachtung, die Männer anderen Männern entgegen bringen.
In vielen Profilen distanzieren sich Männer ausdrücklich von anderen Männern. Nicht nur von Arschlochverhalten wie dem Versenden von Dickpics – das lässt sich ja noch als feministische Reflektion oder wenigstens Stil deuten. Sondern allgemein von dem, was andere Männer ihrer Meinung nach antreibt.

Es ist schwierig, Beispiele dafür zu finden, weil es oft nur zwischen den Zeilen mitschwingt. Die Männer betonen, sie seien nicht notgeil, sie würden niemanden mit Anschreiben bombardieren und überhaupt seien sie anders als ihre Geschlechtsgenossen. Sie verachten andere Männer für ihre Versuche, Erfüllung für ihre sexuellen Bedürfnisse zu bekommen. Da kommen wir natürlich direkt zurück zum vorherigen Punkt, denn womöglich steckt darin auch Verachtung für die eigenen Bedürfnisse.

Ohne Frage: Viel männliches Verhalten im Datingskontext ist unter aller Kanone und absolut inakzeptabel. Respektlosigkeit, Plattheit, Aggression, Übergriffigkeit – das führt bei mir, wie vermutlich bei fast allen Frauen zum sofortigen Block, mitunter mit einem Hinweis, warum ich blocke, weil ich den Männern spiegeln will, welches Verhalten den Ausschlag gab. Aber es gibt auch Männer, die zwar inflationär Frauen anschreiben und dabei freundlich bleiben. Bei denen einfach die besagte Magie fehlt.

Und irgendwie kommt es mir falsch vor, diesen Männern mit Verachtung zu begegnen – sowohl als Frau wie als Mann. Wenn ich diesen Männern eine Absage schicke, achte ich darauf, ebenso freundlich zu sein. Schließlich können sie nichts dafür, dass es schon die drölfzigste Absage diese Woche ist. Viele Männer hingegen scheinen voller Fremdscham für ihre Geschlechtsgenossen zu sein – vielleicht auch, weil diese im Gegensatz zu ihnen selbst ihre Bedürfnisse nicht wegleugnen.

In "Female Choice" (Öffnet in neuem Fenster) habe ich geschrieben "Jedes Männchen ist sich [bei der Partnerwahl] am nächsten, Kooperation gibt es [dabei] ausgesprochen selten". An diesen Satz muss ich immer wieder denken, wenn mir die Männerverachtung von Männern begegnet.

Ich halte Empathie, also die Einfühlung in die Situation eines anderen Menschen, auch wenn sie nicht meiner eigenen entspricht, für eine der wichtigsten Eigenschaften auf dem Weg zu einer besseren und gerechteren Welt. Aber wo soll man da anfangen, wenn viele Männer nicht nur keine Einfühlung für Frauen und Minderheiten aufbringen, sondern noch nicht einmal für ihre eigene heterosexuelle Geschlechtsnorm?

Ach, es ist und bleibt schwierig. Ich berichte weiter.

(Teaserbild (Öffnet in neuem Fenster) by rawpixel.com (Öffnet in neuem Fenster))

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Kategorie Liebe, Dating & Sex

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