Das Hinterland ist zu ruhig
Am 13.12. fand im thüringischen Suhl ein sogenannter Bürgerdialog der in diesem Bundesland selbst vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD mit ihrem gerichtlich bestätigten Nazi Bjoern Hoecke statt.
Thüringen ist ein Bundesland, in dem die AfD in Umfragen regelmäßig an den 30% kratzt bzw. diese reißt, wo die Montagsspaziergänge inzwischen oft frei von Querdenkern und Schwurblern sind, sondern ganz den Nazis und Faschisten um Gruppen wie den „Freien Thüringern“ gehören. Diese Spaziergänge finden zumindest in meiner Heimatstadt gänzlich ohne Gegenprotest statt. Stellt man sich als Einzelperson diesem Mob mit Trommeln, Flaggen und eindeutigen Nazi-Parolen entgegen, sind die Drohungen eindeutig und der Polizeischutz nicht vorhanden. Ich lebe in meiner Heimatstadt mit einer Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt und gehe nach einem Montagsspaziergang nie auf direktem Weg nach Hause und nie ohne zumindest die Jacke zu wechseln.
Jetzt also Hoecke in Suhl, einer Stadt mit einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen, die aktuell von 1500 Menschen bewohnt wird, gelegen am Stadtrand mit schlechter Anbindung, direkt neben Suhls Waffenfabrik C. G. Haenel (https://www.cg-haenel.de/defence/), die halbautomatische Waffen, Sturm- und Scharfschützengewehre für den militärischen Einsatz produziert. Allein diese Tatsache lässt mir das Blut in den Adern gefrieren, aber damit bin ich wohl allein. Die Erstaufnahmeeinrichtung ist bereits mehrfach Ziel des rechten Mobs, von Demonstrationen und Angriffen geworden, Übergriffe auf geflüchtete Menschen in der Stadt sind ebenfalls belegt.
Die Zivilgesellschaft in Suhl ist sehr leise, Faschisten, Nazis und schweigende Mitläufer sind dagegen sehr laut.
Es sollte also klar sein, wie eine Veranstaltung u.a. mit einem Nazi wie Hoecke aufgenommen wird, die unter dem Motto „Asylchaos in Suhl“ steht und in weiser Voraussicht bereits das Congress Centrum Suhl (für Fragen und Kritik: https://www.suhl-ccs.de/kontakt/) anmietet, wo sich sonst Schlagersternchen, Martin Rütter & Co. die Klinke in die Hand geben.
Vom Bündnis für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus wurde zu Gegenprotest aufgerufen. Linke antifaschistische Gruppen der Region haben diesen Aufruf in Teilen aufgegriffen, aber die ganz große Mobilisation blieb aus. So versammelten sich am 13.12. ab 18:00 Uhr insgesamt maximal 50 – 60 Menschen gegenüber des Congress Zentrums. Die zwischen dem CCS und dem Versammlungsort gelegene breite Hauptverkehrsstraße durfte nicht überquert werden und auch als die Versammlung noch nicht offiziell eröffnet und Auflagen verlesen waren, hielten sich alle Teilnehmenden brav daran. Die Polizei war mit mehreren Einsatzfahrzeugen vor Ort und postierte sich natürlich auf Seiten der Gegendemonstranten, vielleicht auch um drüben bei den Nazis nicht in Gespräche mit Freunden und Familie verwickelt zu werden.
Es gibt Musik, einige Redebeiträge und Kinderpunsch, während diejenigen, die gekommen sind, um Hoeckes Hass und Hetze zu lauschen ungehindert den Veranstaltungssaal betreten können. Es wird nicht einmal versucht, wenigstens eine kurze Menschenkette um dem uns zugewiesenen Versammlungsort zu machen, damit die Rechten ein paar Meter weiter laufen müssen, es gibt keine Sprechchöre. Nichts. Stille. Völlige Aufgabe. Besucherinnen der AfD laufen mitten durch unsere kleine Gruppe, lachen uns aus, verhöhnen uns und es passiert nichts, nicht der Hauch von Gegenwehr. Es gibt keine organisierten Versuche, selbst zur Veranstaltung zu gelangen, die Eingänge wenigstens kurz zu blockieren, den Ablauf zu stören. Es spielt Musik, kämpferische Lieder inklusive der Internationalen und Bella Ciao, die beinahe schon wie Hohn und Spott klingen angesichts der Art und Weise dieses Gegenprotestes. Bei aller Kritik, angesichts der Umstände in Suhl bin ich dankbar, dass sich überhaupt Menschen für eine Gegenkundgebung finden und ich sage Danke an alle, die da waren. ABER: Wo ist der Mut? Wo ist echter Protest? Gegenwehr? Die Nazis haben uns gestern ausgelacht und sie hatten recht damit! Ich habe mich selten auf einer linken Protestkundgebung so einsam und verlassen gefühlt! Ich war schockiert und fassungslos und ich habe mehr Angst als zuvor, wenn ich an die kommenden Landtagswahlen und den Wahlkampf denke. Wenn das alles ist, haben wir bereits haushoch verloren, denn Protest und Widerstand sieht anders aus.
Kurz nach Beginn des Bürgerdialoges um 19:00 verließen auf einmal gut 100 Menschen das CCS, weil der Saal völlig überfüllt war und es keinen Platz mehr gab. Nach der ersten Verwirrung auf Seiten der Antifaschistinnen war das ein Moment, der für einen kurzen Augenblick etwas Dynamik versprach, als den enttäuschten Hoecke-Fans immerhin 3x ein „Alerta, Alerta Antifaschista“ entgegenschallte. Das war es aber auch. Einige versuchten, den Anhängern der rechten Ideologien noch Flyer und Infomaterial des Bündnisses hinterherzutragen. Ein ca. 70jähriger „alter, weißer Mann“, eigener Aussage nach überzeugtes CDU-Mitglied, pöbelte mich aufgrund meiner Antifa-Flagge an, um mir zu erklären, dass man sich ja anhören müsse, was Hoecke zu sagen hat, dass man mit ihm reden müsse und ich mir sicher nicht trauen würde „dort drüben“ Aussagen zu machen wie „Hoecke ist ein Nazi und mit Nazis redet man nicht“. Doch, das hätte ich sehr gerne getan, aber Zugang zur Versammlung war mir leider nicht möglich.
Nachdem der Bürgerdialog also störungsfrei eröffnet war, zeigten sich auf Seiten der Gegenkundgebung bereits erste Auflösungserscheinungen und Menschen verabschiedeten sich, obwohl noch ausreichend Kinderpunsch da war. Die Redebeiträge plätscherten vor sich hin, waren wenig kämpferisch, mutlos. Ein Mitarbeiter der Erstaufnahmeeinrichtung forderte die Stadt Suhl auf, ein Geschäft für die geflüchteten Menschen „oben bei der Unterkunft“ zu eröffnen, „wo sie eben Falafel, Kichererbsen und Halal einkaufen können, dann würden sie auch nicht so oft runter in die Stadt kommen“. So sieht sie also aus, die Integration, die von vermeintlich linken Menschen gefordert wird. Ich schwanke und bin mehrfach kurz davor, selbst spontan einen Redebeitrag anzubieten. Ich tue es nicht, weil ich befürchte, von „meiner“ Kundgebung zu fliegen und weil ich überzeugt bin, hier und heute nichts bewirken zu können. Das ist der einsamste Moment und Ort der Welt.
Kurz vor 20:00, der Bürgerdialog geht noch über 1 Stunde, registriere ich Bewegung, das Infomaterial wird verpackt, die Kannen mit dem Kinderpunsch ebenso, Lautis werden abgebaut, die Musik ist aus. Der Gegenprotest ist beendet und packt zusammen! Man habe keine Lust hier zu sein, „wenn die da aufgeputscht“ rauskommen und kalt ist es auch. Ist das euer Ernst!? Wie kalt wird es sein, wenn unser Ministerpräsident ein Nazi ist und wie stellt ihr euch den Wahlkampf vor?! Musikalische Begleitung für Faschisten auf dem Weg zur Regierungsübernahme!?
Ich bin fassungslos und verzweifelt, wütend, traurig, schockiert und auf der Heimfahrt fließen ein paar Tränen. Liebe Linke, wir müssen reden über Organisierung, Mut, Widerstand, Protest. Gestern haben wir uns zum Gespött gemacht und uns selbst weiter geschwächt. Vermutlich seht ihr das nicht so, weil ihr es nicht (mehr) anders kennt, weil Mutlosigkeit und Resignation die Oberhand haben, aber so kann es nicht funktionieren. So wird es nicht funktionieren! So haben wir Thüringen den Faschisten bereits überlassen, wir präsentieren es ihnen auf dem Silbertablett und übergeben die Schlüssel. Ich komme aus einer Stadt, in der Hoecke zweimal gezwungen wurde, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, in der Montagsspaziergänge trotz massiver Polizeigewalt, ständiger Hausdurchsuchungen wieder und wieder behindert wurden und so zu einem Ende kamen, in der AfD-Wahlkampfstände im wahrsten Sinne des Wortes abgeschirmt werden. Nein, wir sind dabei nicht Hunderte von Menschen, wir mobilisieren oft leidglich im mittleren zweistelligen Bereich, aber wir protestieren aus Überzeugung und mit der Zuversicht, dass jeder Widerstand hilft und wichtig ist. No pasarán kommt bei uns nicht nur vom Band und verkommt angesichts der Realität zu einem schlechten Witz, sondern wir versuchen tatsächlich, den Durchgang zu verwehren, friedlich, aber bestimmt!
Wenn wir unseren Protest hier vor Ort nicht ändern, brauchen wir ihn nicht zu führen, denn er hat den Namen nicht verdient!