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Schmerzen im Gesäß

In meinem  letzten Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) habe ich darüber gesprochen, wie traditionelle Einstellungsprozesse oft zum Nachteil von neurodiversen Menschen gestaltet werden.

Heute geht es um einen Skill, der fast gar nicht abgefragt wird, und dennoch so essentiell ist, dass ganze Karrieren alleine darauf aufbauen. Eine Fähigkeit, die oftmals einen großen Teil unseres Arbeitsalltags ausmacht. Und natürlich sind neurodiverse Menschen oft sagenhaft schlecht darin.

Der Meeting-Raum. Ort des Grauens. 

Es geht um Meeting-Fähigkeit. Also die Fähigkeit, nach endlos langen Terminen immer noch die eigentliche Arbeit hinzukriegen. Nach dem fünften Meeting des Tages immer noch einen kohärenten Satz rausbekommen zu können. Überhaupt erstmal lange genug an einem langen Tisch sitzen zu können, auch wenn schon längst das Papier vom Wasserfläschchen abgepopelt ist. Und die Kosten für Recovery können hoch sein. Es gibt nicht wenige Menschen, die brauchen doppelt so lange wie das Meeting dauert, um wieder klar zu kommen und sich ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen.

Die meetingfähigsten Menschen gehen in die Spitzenpolitik, werden Minister*innen und Kanzlerin. (Deshalb ist man oft auch so erstaunt über mangelnde Sachkompetenz, das ist nämlich nur Nebensache und kann genau wie alles andere auch ausgesessen werden.)

Das gleiche gilt aber auch für Unternehmen, und da wird es problematisch. Denn einerseits bevorzugt eine Meetingstarke Kultur eben vor allem die, die das können. Andererseits fragen wir das gar nicht erst ab (wie auch).

Und wenn wir lauter Meetings machen, und die eigentlich fachkompetentesten davon massiv ausgebremst werden, dann wird das Unternehmen nicht nur während des Meetings unproduktiv, sondern auch davor und danach. Task Switching ist aufwändig. Und selbst die neurotypischsten Menschen kennen den Satz “Das lohnt sich jetzt nicht, noch irgendwas anzufangen ich habe in 30 Minuten ein Meeting”. Bei Menschen, die eine ganze Zeit lang brauchen, um sich einer Aufgabe zu widmen, die erstmal in ihre Materie “abtauchen” müssen, oder bei jenen, die dann besonders gut sind, wenn sie ungestört arbeiten können, ist das besonders toxisch. Das muss übrigens kein hoch-innovativer Algorithmus oder ein besonders komplexes juristisches Vertragswerk sein. Als ich 16 war, habe ich als Schülerjob Zahlen abgetippt. Ich war dann besonders effektiv, wenn ich mich in einen Flow-Zustand reintippen konnte. Wenn mich 2 Stunden lang alle in Ruhe gelassen haben.

Egal von welcher Seite man es betrachtet, es kommt nicht viel gutes dabei rum, wenn man sich zu oft trifft, um Dinge zu besprechen, die man hätte auch in einer E-Mail erledigen können. Vor allem aber benachteiligt es all jene, die sensorisch sensibel, introvertiert, leise sind.

Grenzen setzen!

Die Lösung ist dabei so einfach. Begrenzung. Man könnte zum Beispiel ein Meeting-Budget machen, das nicht überschritten werden darf (Ausnahmen müssen kompliziert beantragt werden), oder ganze Tage, an denen einfach kein Meeting stattfinden darf. Die allseits bekannte Meeting-Uhr (z.B. Meeting Meter (Öffnet in neuem Fenster)), die allen im Raum vorführt, wie teuer das schon wieder ist, ist natürlich auch eine Möglichkeit, aber sie zählt eben nicht mit, wie viel Energie die einzelnen Leute in ihre Recovery stecken müssen.

Und selten wurden Produkte deshalb besser, weil eine Entscheidung in einem Meeting durchgeboxt wurde. Weil dann eben nicht die Idee gewonnen hat, sondern der Mensch dahinter.

Nicht alle Meetings lassen sich natürlich vermeiden. In diesem Fall kann man aber auch dafür sorgen, dass man Leuten (besonders jenen, die neurodivers sind) Tools an die Hand gibt, um den Tag besser überstehen zu können. Klare Pausenregeln. Die Möglichkeit in der Videokonferenz das Bild abzuschalten. Bewegung, Meetings im Stehen, es gibt zig Varianten.

Mich würde interessieren, wie es dir damit geht. Was macht dein Team gut, wo ist es besonders furchtbar? Schreib mir, ich sammle die besten Ideen für einen zukünftigen Newsletter.

Im endeffekt gilt aber: Ob’s die Produktivität ist oder einfach der Respekt vor neurodiversen Mitmenschen. Macht mal weniger Meetings aus. Ende der Durchsage, bis bald.

Dein

Julian

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