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Wie nervig sind eigentlich Mücken? Wenn Du gerade einschlafen möchtest und sie mit der penetrantest möglichen Frequenz um Deine Ohren schwirren. Oder wenn sie Dich zerstechen, trotz Deiner zweiten Haut aus Autan.

Stiche und schlaflose Nächte sind aber längst nicht mehr die größten mückengemachten Probleme. Aufgrund der Klimakrise breiten sich hierzulande bestimmte Arten aus, die tropische Krankheiten übertragen können. Die Tigermücke zum Beispiel. 

Manuel hat recherchiert, wie gegen die Ausbreitung der Tigermücke vorgegangen wird. Der Artikel ist vor ein paar Wochen im österreichischen Magazin DATUM (Öffnet in neuem Fenster) erschienen.

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#Sommerausgabe #Klimafolgen #Invasive Arten

Zugestochen

Tigermücken sind Überträger tropischer Krankheiten. Dank der Klimakrise breiten sie sich hierzulande immer weiter aus. Wie Bürger*innen, Forschende und Behörden gegen die Vermehrung der invasiven Art kämpfen. Lesezeit: 1 Glas Eistee.

Es ist ein heißer Tag im August 2022, als sie durch die Berliner Kleingartenanlage schwirren. Sie wollen sich vermehren, sie müssen Eier legen, dafür brauchen sie Blut. Die meisten Mückenarten stechen tagsüber nicht, sie schon, auch mehrmals hintereinander und am liebsten Menschen. Plötzlich bemerken sie einen Mann, Oberkörper frei, auf einer Hollywood-Schaukel – und greifen an.

Der Angriff kommt unerwartet. Normalerweise, so erzählt es Stefan Gransow, wird er nie von Mücken überfallen. Doch an jenem Tag ist es anders, sein ganzer Rücken ist mit Stichen übersät. Er legt sich auf den Boden, um die Tiere im Anflug zu beobachten. Er will wissen, was ihn da gestochen hat. Als er die Angreifer sieht, erschrickt er. Klein und schwarz, mit auffälligen silbrig-weißen Streifen: das sind Asiatische Tigermücken.

Sofort werden Erinnerungen an seine Zeit als Entwicklungshelfer wach. An Honduras, Guatemala, Osttimor. Überall begegnete er Tigermücken. Er erinnert sich an die Szenen in Osttimor, als immer wieder, am Flughafen, im Park, plötzlich Menschen in Schutzanzügen auftauchten und Gift versprühten. Sie versuchten, die Populationen der Tigermücke einzudämmen. Aedes albopictus können schließlich 20 verschiedene Krankheits-Erreger übertragen, darunter das Dengue-, das Zika- und das Chikungunya-Virus, die bei Menschen allesamt gefährliche Fieber auslösen.

Gransow weiß zwar, dass die invasive Mückenart seit einigen Jahren auch in Süddeutschland vorkommt. Aber in Berlin? So viele, und genau hier, im Garten seiner Schwester? Sie können so weit im Norden doch nicht etwa überwintern?

Asiatische Tigermücken sind besonders klein, sie werden nur etwa 0,5 bis ein Zentimeter groß. 📸: Doreen Werner, ZALF.

Tigermücken, ursprünglich in Süd- und Südostasien beheimatet, werden über Handel und Tourismus immer wieder in andere Länder rund um den Globus eingeschleppt. So kamen sie in den 1990er-Jahren auch in Südeuropa an, wo sie sich von Italien aus vermehrten. Mittlerweile haben sie sich im ganzen Mittelmeerraum angesiedelt.

Das Problem: Reisende bringen immer wieder Dengue-, Chikungunya- oder andere in Europa bisher nicht verbreitete Viren mit. Heimische Mücken können diese nicht weitergeben. Werden die Infizierten aber hierzulande von Tigermücken gestochen, infizieren sich auch die Insekten – und verbreiten das Virus beim nächsten Stich weiter.

So kommt es immer wieder zu lokalen Epidemien, wie in Italien im Jahr 2007. Dort brach damals das Chikungunya-Fieber aus, knapp 200 Menschen infizierten sich. Auch bei Dengue und Zika kam es in Europa bereits zu Übertragungen durch die Tigermücke. In Österreich und Deutschland passierte das bislang noch nicht. 

Aber auch hier werden diese Krankheiten jedes Jahr zahlreich importiert. Im Jahr 2019, bevor durch die Corona-Pandemie das Reiseaufkommen stark einbrach, wurden in Deutschland 11 Zika-, 88 Chikungunya- und 1.176 Denguevirus-Erkrankungen registriert. In Österreich waren es 142 Fälle von Dengue- und 17 Fälle von Chikungunya-Fieber. So wird es zunehmend zum Problem, dass sich Tigermücken auch hier aufgrund der Erderhitzung wohler fühlen und sich immer weiter nach Norden ausbreiten.

Eindämmung als oberstes Ziel

Gransow weiß um die Gefahr und fragt sich, was er tun kann. Er recherchiert im Internet und stößt auf den „Mückenatlas“, ein Projekt, das Stechmückenarten in ganz Deutschland kartiert. Das Projekt basiert auf der Mithilfe von Bürger*innen, die jegliche Stechmücke einsenden sollen, wenn sie sie entdecken. Die Website ­beschreibt genau, wie man dabei vorgehen muss.

Also kehrt Gransow in den Garten zurück, setzt sich hin, mit einem kleinen Becher in der Hand, und wartet. Es dauert keine zwei Minuten, da landet eine Tigermücke auf seiner Jeans. Blitzschnell stülpt Gransow den Becher über das Tier und schiebt den Deckel drauf. Zuhause stellt er den Becher samt Mücke in die Tiefkühltruhe und lässt einen Tag verstreichen, bevor er das eingefrorene Insekt in ein Döschen gibt und schließlich per Post nach Müncheberg verschickt.

In Müncheberg, einer 7.000-Einwohner*innen-Stadt auf halbem Weg zwischen Berlin und der deutsch-polnischen Grenze, befindet sich das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Doreen Werner überwacht hier die Verbreitung von Stechmücken.

Im Jahr 2012 hat die Biologin Werner zusammen mit Forscher*innen des Greifswalder Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) den Mückenatlas ins Leben gerufen. Im Fokus des Projekts stehen alle Stechmückenarten in Deutschland, nicht nur die Asiatische Tigermücke. Doch auf sie wird besonders geschaut, ihre Eindämmung ist oberstes Ziel.

Ein großer Teil der beim Mückenatlas eingesandten Tiere wird aufbewahrt, zum Beispiel „genadelt“ wie hier in diesem Schaukasten. 📸: Jarno Müller, ZALF.

Es ist Ende März. Weißes Licht erfüllt den Raum in einem der zahlreichen kleinen Gebäude auf dem Gelände des ZALF. Werner, mittellange, blonde Haare und grüne Augen, eilt mit zwei Händen voller Briefumschläge und kleiner Päckchen durch die Tür und legt die Post auf den Tisch. Alles Einsendungen an den Mückenatlas – aber nichts im Vergleich zur Hochsaison. „Im Sommer haben wir 60 bis hundert Einsendungen pro Tag“, sagt Werner. Zuallererst müsse die Mückenart bestimmt werden.

Sie nimmt sich den Umschlag, der ganz oben auf dem Haufen liegt und öffnet ihn mit einer Schere. Der Mückenatlas kann nur dann Daten festhalten, wenn Menschen ihre Mückenfunde per Post einsenden. Sicher nicht alle Finder*innen machen sich die Mühe. Darum weiß Werner: Was der Mückenatlas kartiert, ist nur die Spitze des Eisbergs. Trotzdem entdecken Werner und das Team durch das Projekt immer wieder invasive Arten an neuen Fundorten.

Aus dem Umschlag holt Werner eine Streichholzschachtel hervor. Mit einer Pinzette nimmt sie eine Mücke aus der Schachtel und legt sie unter ein Mikroskop. Die Mücke ist dunkel mit hellen Streifen, auf ihren Flügeln ist ein Muster zu erkennen, und ihre Beine sind weiß geringelt. Eine Tigermücke?

„Eine Ringelschnake“, sagt Werner. Diese Mückenart ist weit verbreitet und zudem die größte Art in Deutschland. Aufgrund der Körperzeichnung und Ringelung an den Beinen wird sie gerne mit der Tigermücke verwechselt, obwohl diese viel kleiner ist und nur etwa 0,5 bis ein Zentimeter groß wird.

Biologin Doreen Werner überwacht die Verbreitung von Mücken. 📸: Jarno Müller, ZALF.

In Deutschland gibt es 52 Arten in der Familie der Stechmücken, ähnlich viele in Österreich, weltweit sind es mehr als 3.500. Neben Stechmücken gibt es noch zahlreiche andere Mückenfamilien, von denen die meisten kein Blut saugen, doch die sind für Werner und den Mückenatlas nicht interessant.

In Österreich wurden Tigermücken inzwischen schon in allen Bundesländern gefunden. In Deutschland haben sie sich momentan vor allem im Südwesten entlang des Oberrheins etabliert. Ansonsten tauchen sie nur vereinzelt auf. Bis vor Kurzem war der nördlichste Ort mit einer etablierten Population noch Jena in Thüringen, etwa 250 Kilometer südlich von Berlin. Doch die Tigermücken drängen immer weiter nach Norden.

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Anfang September 2021 landen auf Werners Tisch drei Exemplare der Tigermücke, die in einer Kleingartenanlage im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick ­gefangen wurden. Jetzt ist für Werner und das Team vor allem eines entscheidend: Kommen die Tiere von einem Ort, an dem bisher noch keine Tigermücken gefunden wurden? Falls ja, muss dort nach Eiern und Larven gesucht werden. Denn die sind unmissverständlicher Hinweis, dass sich eine Population ausbreitet – die dringend bekämpft werden muss.

In Berlin gab es bislang nur Sichtungen einzelner Exemplare, keine Population. Werner informiert ihren Mückenatlas-Kollegen Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI). Gemeinsam fahren sie nach Berlin in die Kleingartenanlage. Sie suchen im Umkreis des Fundorts nach Hinweisen auf eine Vermehrung der Tiere. Tigermücken fliegen nicht besonders weit, vielleicht hundert bis zweihundert Meter, das macht die Suche leichter.

Fast zwei Monate lang fahren Werner und Kampen jede Woche nach Treptow-Köpenick, stellen Fallen auf und fischen mit Käschern in Regentonnen nach Larven. Um sich zu vermehren, sind Tigermücken auf Brutstätten angewiesen, an denen sich über längeren Zeitraum Wasser sammelt. Sie nutzen vor allem künstliche Wasserstellen: Regentonnen, Schubkarren, Vasen, Vogeltränken, Gießkannen. Alles, was es in Kleingartenanlagen im Überfluss gibt.

Ihre Eier kleben die Mücken knapp oberhalb der Wasseroberfläche an den Gefäßrand. Wenn der Pegel steigt und die Eier unter Wasser geraten, schlüpfen die Larven. Das passiert oft erst nach Monaten. Die Eier sind sehr resistent gegenüber Kälte und Trockenheit – so überleben sie auch problemlos die Einschleppung in andere Kontinente, wenn sie etwa auf der Innenseite von Autoreifen kleben.

Überall Larven

Werner und Kampen finden tatsächlich ausgewachsene Tiere sowie einige Larven. Nicht besonders viele, aber genug um zu wissen: Die Gefahr, dass sich eine Population etabliert, ist groß. Kampen informiert das Gesundheitsamt von Treptow-Köpenick. Dort entscheidet man, den Winter abzuwarten, Kälte mögen Tigermücken nämlich gar nicht. Das Ei-Stadium ist ihre einzige Chance, zu überwintern. Da nur so wenige Mücken gefunden wurden, hofft man aber, dass sie über den Winter wieder verschwinden werden.

Ein knappes Jahr später, im Juni und Juli 2022, erreichen das ZALF mehrere Einsendungen von Tigermücken, aus derselben Kleingartenanlage in Berlin, diesmal aus unterschiedlichen Ecken. Werner und Kampen fahren erneut hin und informieren die Mitarbeiter*innen des Bezirksamts.

Gemeinsam stellen sie diesmal systematischer Fallen auf, untersuchen Wasserstellen – und finden wieder einige Tiere und Larven. Ein paar Wochen später: noch eine Einsendung an den Mückenatlas, wieder aus dem Kleingarten, wieder aus einer anderen Ecke. Kampen verabredet sich mit dem Einsender, Stefan Gransow.

Gransow empfängt Kampen in der Kleingartenparzelle und führt ihn hinter die Hütte. Sofort werden sie von aggressiven Tigermücken attackiert. Kampen entdeckt einige mit Wasser gefüllte Gefäße. Mit einem Käscher fischt er in ihnen herum. Er findet die Tiere überall, in einer kleinen Plastikwanne, in einem Blumentopf. Überall Larven, und extrem viele.

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💌 Ausgabe #18: 7 Krankheiten, die uns die Klimakrise bringt (Öffnet in neuem Fenster)

Jetzt ist ohne Zweifel klar: Die Tigermücke hat es geschafft, zu überwintern. Damit ist Berlin der nördlichste Punkt, an dem eine Population nachgewiesen werden konnte. Kampen gibt dem Gesundheitsamt zu verstehen, dass die Behörde jetzt unbedingt handeln müsse. Das Monitoring müsse weitergeführt werden, vor allem aber müsse dringend eine systematische Bekämpfung eingeleitet werden. Sonst würden sich die Mücken rasant vermehren.

„Die Klimakrise erhöht das Risiko durch die Tigermücke ganz klar“, sagt Kampen. Nicht nur, weil sich die Bedingungen für Viren verbessern. Auch weil es den wärmeliebenden Tigermücken immer besser gelingt, sich anzusiedeln, dichte Populationen zu bilden und für eine immer längere Periode im Jahr aktiv zu sein.

Obwohl das Risiko so oder so steigen werde, sei es wichtig, die Tigermücken so gut es geht zu bekämpfen. „Wir gehen nicht davon aus, dass niemals eine Übertragung von Viren stattfinden wird. Aber wir können die Gefahr hinauszögern und reduzieren“, sagt Kampen. „Wenn wir nichts gegen die Tigermücke unternehmen, wird das Risiko deutlich zunehmen.“

Ein ganz anderes Leben

In Berlin starten in diesem Jahr mit Beginn der neuen Mückensaison die Maßnahmen zur Bekämpfung der Tigermücke. Mitarbeiter*innen des Gesundheitsamts stellen in der Kleingartenanlage weiträumig Fallen auf und führen Stichproben durch, um frühzeitig neue Populationen aufzuspüren.

Um Larven abzutöten, soll während des ganzen Sommers regelmäßig ein Insektizid in die Brutgewässer ausgebracht werden. Außerdem sollen die Menschen vor Ort dabei helfen, potenzielle Brutstätten zu eliminieren, also alle möglichen Wasseransammlungen aus dem Weg zu schaffen.

Man kann sich vorstellen, wie schwer das in einer Kleingartenanlage ist: Regenrinnen, Regentonnen, Gießkannen, Schubkarren, Blumentöpfe, Flaschen, Aschenbecher, Abflussrinnen – alles kann der Tigermücke zur Vermehrung dienen. Ihr reichen selbst winzige Gefäße aus, auch ein kleiner Untertopf oder eine achtlos weggeworfene Cola-Dose. Die Biologin Werner glaubt deshalb nicht, dass man die Tigermücke in Berlin wieder loswird.

Und tatsächlich sind in diesem Jahr bereits Tigermücken und ihre Eier gefunden worden: in mittlerweile fünf verschiedenen Kleingartenanlagen.

Als Gransow in Osttimor lebte, habe er ganz schön damit zu tun gehabt, die Moskitonetze dicht zu kriegen, Wasserstellen zu beseitigen und sich vor Stichen zu schützen, sobald er nach draußen ging, sagt er. Heute befürchte er, dass man sich irgendwann auch hier ständig Gedanken um solche Dinge machen muss. „Bald denkt man nach jedem Stich, dass man eine Krankheit hat“, sagt Gransow. Und das wäre dann plötzlich ein ganz anderes Leben.

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