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Solidarische Kollapspolitik: Ermächtigung durch Akzeptanz

(Source: https://justcollapse.org/ (Öffnet in neuem Fenster))

Liebe Leute,

ich hatte ne schöne aber anstrengende Woche, mit einem spannenden Event zu Geschichte und Zukunft der Antikohlebewegung im Rheinland (Öffnet in neuem Fenster), einem zweistündigen Gespräch über Klimaaktivismus an der Evangelischen Hochschule in Berlin, und einem “just transition (Öffnet in neuem Fenster)”-Workshop mit afrikanischen Klimaaktivist*innen auf dem Weg zur COP28. Ich bin dementsprechend platt, und wollte diese Woche eigentlich mal Newsletterpause machen, aber

  • Erstens verdichten sich diese Woche schon wieder die News über den gerade stattfindenden Klimakollaps ganz extrem – wir haben nicht nur den wärmsten Oktober und (vermutlich) das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen (Öffnet in neuem Fenster), es könnte sogar das wärmste Jahr der letzten 125.000 Jahre (Öffnet in neuem Fenster)sein, also seitdem wir literally noch in höhlen wohnten;

  • Zweitens las ich heute morgen von Überflutungen in Nordfrankreich (Öffnet in neuem Fenster), die 200.000 Menschen in Gefahr bringen, und drohen, die Not- und Rettungsdienste zu überlasten, und dachte mir: damn, auf so eine Situation vorbereitet zu sein, horizontale Netzwerke für Katastrophenhilfe aufgebaut zu haben, die es den Rettungsdiensten erlauben, sich auf die wirklichen Notfälle zu konzentrieren, und Menschen schon vor dem Eintreffen dieser Dienste auch in der Katastrophe handlungsfähig machen, ermächtigen, das wäre die Art von solidarischer Kollapspolitik, deren Umrisse ich gerade versuche, zu verstehen;

  • Drittens verdichtet sich derzeit überall, ob in der breiteren Öffentlichkeit, der Klimawissenschaft, sogar der Klimabubble, die Diskussion um eben jenen Kollaps und “linke”/solidarische Kollapspolitik, aber die Debatte ist derzeit noch vor allem von (oft selbstverschuldetem – h/t Kant) Unwissen und Verdrängung geprägt, was dazu führt, dass wir von #TeamJustCollapse immer wieder aktiv missverstanden werden.

Also sehe ich mich ein klein Bisschen in der Pflicht, anzufangen, ein paar Punkte über “Klimagerechtigkeit im (Klima-)Kollaps” zu systematisieren, damit wir die strategische Debatte fokussierter und produktiver führen können. So here we go...

Das Gegenteil von Defätismus

Can I be honest with you? Seit meinem "der Kollaps ist hier (Öffnet in neuem Fenster)"-Text werde ich aus der Klimabubble, sogar aus der Klimawissenschaft, die es echt besser weiß, immer wieder als defätistisch, demotivierend und entmächtigend kritisiert, und gefragt, wie Menschen denn auf Basis von Fakten anstatt von magischem Denken Klimapolitik machen sollen. Und: das nervt.

Es zeigt einerseits, dass genau die selben Verdrängungsdynamiken in der Klimabubble existieren, wie im Rest der Verdrängungsgesellschaft (which, funny enough, is partly what that text was about), andererseits trifft es mich durchaus, weil ich natürlich das genaue Gegenteil erreichen will: erfolgversprechende Strategien vorschlagen, Menschen zu neuem Denken motivieren, und dazu beitragen, dass wir eine mächtige Bewegung wirkungsmächtiger Menschen sind.

Wenn ich also bisher oft missverstanden wurde, kann ich das zwar auf existierende Verdrängungsgdynamiken schieben, aber das bringt die Debatte nicht weiter. Besser nochmal versuchen, meine bisher über eine Reihe von Texten und Videos verstreuten Punkte re: solidarische Kollapspolitik so zu systematisieren und darzustellen, dass sie in Euren Köpfen ein klareres Bild ergibt, als ich bisher in der Lage war, zu zeichnen.

Echte Hoffnung statt schlechtes Hopium

Zuerst einmal ist es, wie bei jedem Problem und zu Beginn jeder Therapie (oder auch eines Entzugs, chose your metaphor), wichtig, das Problem anzuerkennen, womit ich im ersten Schritt gar nicht den Klimakollaps oder andere Kollapsdynamiken und -tendenzen meine, sondern vor allem unsere Angst (Öffnet in neuem Fenster) davor, dass “die Gesellschaft”, “die Welt”, “die Zivilisation”, “die Menschheit” kollabiert. Außerdem natürlich die Angst vor den Dingen, die zu tun sind, um diese Kollapse weniger schrecklich enden zu lassen, und um sich darauf vorzubereiten; und die Schuld und Scham die wir fühlen, weil wir diese Dinge nicht tun. Im zweiten Schritt, nachdem wir unsere Ängste anerkannt haben, wird es dann möglich, sich mit den Realitäten des Kollaps, oder besser, der Kollapse auseinanderzusetzen, die wir derzeit erleben, und die auf uns zukommen.

Das bedeutet nämlich, dass wir dann in den Trauerprozess einsteigen können, der es uns ermöglichen soll, die Klimafrage rational zu diskutieren, anstatt im dummen und zunehmend brutalen Modus der Verdrängungsgesellschaft. Ziemlich vereinfacht formuliert müssen wir uns als Gesellschaft und als Individuen durch die fünf Stadien der Trauer (Öffnet in neuem Fenster) durchkämpfen, bis hin zur Akzeptanz. Denn jenseits der Akzeptanz der Realität und der tatsächlichen Schrecken und Gefahren, die vor uns liegen, da liegen auch wieder hoffnungsvolle Geschichten, wie diejenigen, die ich begonnen habe, aus Schweden zu erzählen (viel von dem intellektuellen Rohmaterial ist noch nicht verarbeitet, coming up in the next weeks). Jenseits der Akzeptanz liegt auch wieder echte Hoffnung, nicht nur schlechtes Hopium. Die positiven Geschichten kommen nach der Trauer. Es wäre nur falsch zu glauben, dass sie anstatt der Trauer kommen.

Das Selbe gilt für die Klimabewegung, deren “schuldfreies Scheitern” ich schon lange konstatiere, ein Scheitern, dass übrigens nur aus der strategischen Perspektive unser eigenes ist, aus der ethischen Perspektive ist es, wie Reinhard Steurer immer wieder betont, eigentlich das Scheitern von Gesellschaft und Politik. Either way: die Klimabewegung in Europa enstand um 2008 herum, und setzte sich u.a. das Ziel, zur Verhinderung des Klimakollaps beizutragen, und der ist nunmal da. Aber das heißt nicht, dass unsere Kämpfe sinnlos waren, oder, dass wir jetzt mit dem Kämpfen aufhören sollten. Es heißt, dass auch die Bewegung durch diesen Trauerprozess hindurch muss, um sich neu zu verpuppen, den nächsten Bewegungszyklus loszutreten: the movement will rise again, rise, like a phoenix (Öffnet in neuem Fenster), weil sich Bewegungen eben genau so bewegen: in Zyklen, durch Niederlagen, durch produktives Scheitern, aber immer mit Liebe, Solidarität, und Hoffnung.

Kollaps konkret: System- vs. Subjektperspektive

Ok, klar, das sind alles Zukunftsperspektiven, momentan liegen wir eher am Boden und lecken unsere Wunden, als dass wir mit neuen Strategien in die Offensive (Öffnet in neuem Fenster) gehen können. Daher bin ich nach Schweden gefahren, ein Land, in dem derzeit ein weitgehender “Sicherheitskollaps” stattfindet (oder zumindest wahrgenommen wird (Öffnet in neuem Fenster)), wo alte Genoss*innen von mir eine Gruppe namens “Zusammen Preppen (Öffnet in neuem Fenster)” gegründet haben, und sich weg von eher durch Überzeugung als durch Betroffenheit motivierten Kämpfen und Praktiken in Richtung bedürfnisorientierte Politik bewegen. Ich bin in diesem Sinne also in die Zukunft gefahren, um herauszufinden: wie kann es nicht nach, sondern im Kollaps weitergehen, für linke, für solidarische, für klimagerechte Bewegungen und Politiken?

Bevor es hier weitergeht, muss ich erstmal einen wichtigen konzeptionellen Punkt setzen: was ist eigentlich ein Kollaps, was kollabiert, und wie stellt sich das aus der Perspektive nicht des kollabierenden Systems dar, sondern der Subjekte, die wir organisieren, mit denen zusammen wir die Welt verbessern wollen?

Kollaps (Öffnet in neuem Fenster)” im Sinne der Systemtheorie bedeutet erstmal, dass in einem System (wikipedia: “etwas, dessen Struktur aus verschiedenen Komponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht, die aufgrund bestimmter geordneter und funktionaler Beziehungen untereinander als gemeinsames Ganzes betrachtet werden und so von anderem abgrenzbar sind”) die funktionalen Beziehungen zwischen seinen Komponenten zusammenbrechen, was dazu führt, dass das System die Fähigkeit verliert, sich so wie bisher zu reproduzieren. Weniger abstrakt: Kollaps heißt, dass Dinge (nicht: Gegenstände, eher sowas wie “Wasserversorgung”, “Krankenhäuser), die bisher funktonierten, nicht mehr funktionieren, oder nur selten und unvollständig. Dass das, was Du bisher für normal gehalten hast (zur Arbeit kommen, Essen kaufen, Geld abheben, nicht erschossen werden), plötzlich außerordentlich und schwierig wird.

Kollaps ist nicht, wenn alle tot sind; Kollaps ist, wenn es keine Selbstverständlichkeiten mehr gibt. Wenn Du nicht mehr zur Arbeit fahren kannst, entweder, weil Du keine Arbeit mehr hast, oder, weil Mobilität nicht mehr funktioniert. Kollaps ist, wenn Du nicht mehr einkaufen kannst, entweder, weil Du kein Geld mehr hast, oder nix mehr in den Supermarktregalen liegt. Kollaps ist, wenn sich Bürgerwehren gründen, um Gesetze und gemeinschaftliche Regeln durchzusetzen, weil der Staat nicht mehr in der Lage oder willens ist, diese auf seinem gesamten Territorium durch die Exekutive durchsetzen zu lassen.

Und weil wir als konkrete, phyische Subjekte (Körper) an der Kreuzung unzähliger Systeme leben (große sind: Nahrungsmittel-, Wasser-, etc., aber das kann man auch wirklich ins kleinste runterbrechen – Dein Kiez kann als System funktionieren, Deine Straße und Dein Freund*innenkreis), stellt sich “Kollaps” halt für die meisten nicht als ein großes, kataklysmisches Event dar, sondern als das manchmal ruckhafte, manchmal eher schleichende Verschwinden von Normalitäten, und ganz konkret das nicht-mehr-einfach-erhältlich-Sein notwendiger Güter und Dienstleistungen. Zum Beispiel Sicherheit, medizinische Versorgung, Wasser oder Essen.

Solidarische Kollapspolitik ist Klimantifa

Die einfache Schlussfolgerung aus dem oben geschriebenen ist: Wir müssen lernen, sowas effektiv, solidarisch und offen zu organisieren, genau, wie die Genoss*innen von Preppa Tillsammans (Öffnet in neuem Fenster)anfangen, das tun. Aber im Kern einer Agenda des "solidarischen Preppens", der “just collapse politics” steht die Einsicht, dass es beim "Preppen" nicht um Vorräte geht, sondern um Beziehungen. Preppen benennt zuerst einmal nichts mehr als “Vorbereitung aus Krisen und Katastrophen”, und ist nicht per se Nazikram – könnte es aber nachhaltig werden und bleiben, wenn wir nicht bald in die Puschen kommen.

Und wie kommen wir in die Puschen? Klar, mit einem neuen Bewegungszyklus, einer Bewegung, die ernst nimmt, dass die globalen sozialökologischen Katastrophen (nicht nur Klima, sondern auch Biodiversität et al) einhergehen mit einem massiven Anstieg der faschistischen Bedrohung (Öffnet in neuem Fenster), und bisher waren es eben vor allem die Rechten, die die berechtigten Ängste vieler Menschen vor Zukunft und Kollaps instrumentalisiert und zur politischen Produktivkraft ihres Projekts gemacht haben.

Das bedeutet: wir dürfen selbst, und in der politischen Kommunikation diese Ängste nicht verdrängen, sondern müssen sie anerkennen. Müssen zur Akzeptanz und durch die Akzeptanz vorwärts zur realistischen Hoffnung, einer Hoffnung auf Gemeinsamkeit, Solidarität, Menschlichkeit in einer dunkler werdenden Welt, anstatt einer falschen Hoffnung, die auf Bullshit und Verdrängung aufbaut, und die immer entmächtigender werden wird, je mehr der Kollaps Realiät wird.

What I'm saying is: wer glaubt, dass die Realität des Klimakollaps anzuerkennen, defätistisch ist, baut seine Strategien auf Selbstbetrug auf; nur, wer weiß, was auf uns zukommt, kann sich, kann uns so darauf vorbereiten, dass wir den Kollaps nicht den Nazis überlassen. Und wer den Kollaps, also die Zukunft, den Nazis überlasst, der hat aufgegeben, der ist defätistisch, der demotiviert.

In diesem Sinne: let's let truth and grief set us free to keep on fighting for a better world!


Euer Tadzio

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