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Die Klimahufeisenerzählung, oder: Männer, die die Welt verdrängen

12/11/2024

Liebe Leute

Ich zitter' gerade vor Frustration, weil Ottmar “Otti” Edenhofer, seineszeichens klimaneoliberaler Chef des weltbekannten und deutschlandweit führenden Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PiK), in einem längeren Interview mit dem Spiegel (Abre numa nova janela) schon wieder die "Schuld" für das Scheitern der Gesellschaft am politischen Projekt, an der “Menschheitsaufgabe Klimaschutz” - also auch sein eigenes Scheitern - auf die Schultern der Klimabewegung legt.

Zuerst mal Ottis ganzes Zitat:

"Die Klimabewegung hat es nicht ausreichend geschafft, Klimapolitik dauerhaft mehrheitsfähig zu machen. Sie wurde als zu abgrenzend, belehrend und moralisierend wahrgenommen. Es war auch ein Fehler der Klimabewegung, die Kapitalismuskritik zu einer Identitätsfrage zu machen. Einige suggerierten, die Klimakrise sei nicht ohne eine Revolution zu lösen. Das führt nicht zu tragfähigen Kompromissen. Man hat das Klimathema damit überladen. Das fällt nun auf uns zurück."

Alter, was für ein peinlicher boomer Abfuck.

Ottis Kapitalismuskritikkritik

Bevor ich zur Kritik der “Klimahufeisenerzählung” komme, die Edenhofer hier an den Start bringt, muss ich als langjähriger (alter?) Antikapitalist kurz auf die Rolle eingehen, die der Begriff “Kapitalismuskritik” für ihn spielt. Nicht, weil sein “Argument” besonders stichhaltig ist, sondern, weil es zeigt, worum es hier geht: nicht um politische Analyse, sondern um Selbstentlastung, um das “blame game”, auf das Politik in der Polykrise immer mehr reduziert ist, weil immer weniger gesellschaftliche Probleme überhaupt noch politisch lösbar sind (Abre numa nova janela).

Wenn ich das richtig lese, argumentiert Otti, dass der Grund, warum es keine tragfähigen Kompromisse für mehr Klimaschutz gegeben habe, eine Überladung des Klimathemas durch identitären Antikapitalismus war. Ok, das ist offensichtlicher Quatsch, weil der Grund, warum es keine tragfähigen Klimaschutzkompromisse zum Beispiel im Kohlekampf gab (2038 ist KEIN tragfähiger Kompromiss im Sinne des Klimaschutz), natürlich nicht der Antikapitalismus von z.B. Ende Gelände war, sondern die realen materiellen Bedingungen im Kohlesektor, und ihr Verhältnis zum Zeitdruck der Klimafrage. Tatsächlich haben wir Antikaps in der Antikohlebewegung und später in der Klimabewegung unseren Antikapitalismus gar nicht besonders hoch gehängt, ihn zumindest nicht zum Ausschlusskriterium für Bündnisse gemacht, weil, wären wir paar Tausend Hanselns ja auch schön blöd gewesen.

Nein, der riesige moderate Mehrheitsflügel der Klimabewegung war nie antikapitalistisch, und die paar antikapitalistischen Positionen, die es in der Debatte gab und gibt, sind nie und nimmer so gewichtig und einflussreich, dass es einen hypervernetzten Player wie Edenhofer, der mit dem PiK einen der stärksten Vereine der globalen Klimadiskussionschampionsleague leitet, auch nur mildly bothern müsste.

Der Antikapitalismus war also seit 2019 keine besonders starke Kraft in der Klimabewegung, und 2024 gibt es eigentlich keine hörbaren antikapitalistischen Stimmen in der Debatte (zumindest nicht mehr, seit Deutschland Greta Thunberg z (Abre numa nova janela)ur Häretikerin erklärt hat). In der Klimaanalyse aber sieht das ganz anders aus. Da ist es so, dass es nur eine Variable gibt, die den Anstieg oder Rückgang globaler Treibhausgasemissionen erklärt, das globale Wirtschaftswachstum. Wächst die Weltwirtschaft, steigen die Treibhausgase ziemlich genau dem entsprechend an, schrumpft die Weltwirtschaft, sinken die Treibhausgase dementsprechend. It's as simple as that.

Otti weiß also, dass der Kapitalismus das Problem verursacht, kann sich aber wegen seines eigenen identitären Nichtantikapitalismus (ungefähr: “Ich bin keiner von denen, die in der Klima- oder anderen Debatten gleich mit der Kapitalismus- und dann Revolutionskeule kommen, ich bin einer von denen, mit denen man konstruktive Lösungen suchen kann, egal, wie sehr man qua Geschäftsmodell vom Problem profitiert, dass wir zusammen lösen wollen.”) in der Hinsicht nicht ehrlich machen, sich nicht als Kapitalismuskritiker positionieren. Das geht halt einfach nicht, wenn man da ist, wo der Otti ist, und da hinwill, wo er hin will. Also sieht er, dass Teenager vor dem Schulabschluss wahrhaftiger über das Problem kommunizieren, als er, was ihm megapeinlich ist. Also faucht er die Kapitalismuskritiker*innen an, weil er selbst einer sein müsste, das aber nicht kann. Die übliche Projektion nörgerliger, gescheiterter Männer.

Klimahufeisenerzählung

Zum zweiten Punkt: ich warne seit Monaten davor (Abre numa nova janela), dass "die Mitte" schon bald ihr Scheitern beim Klimaschutz auf "die Ränder", "die Populisten", "die Extremen/Irrationalen" etc schieben wird, indem sie eine neue Form des Hufeisenmythos (Abre numa nova janela) an den Start bringt. Wir erinnern uns: nach der deutschen Urkatastrophe musste die deutsche Mitte sich von der Schuld reinwaschen, weil Schuld sich scheiße anfühlt, und Verantwortung zu übernehmen viel zu teuer und schwierig wäre. Also wurde die absurde Mär von der schönen, klugen, aber doch allzu schwachen Weimarer Republik erzählt, die zwischen den Extremen schuldlos aufgerieben wurde. Die Mitte hatte die Macht den Nazis nicht freundlich übergeben (real), sondern die Nazis und die Kommunisten haben zusammen die gute Mitte zerstört (not real).

Alles große, historische Scheitern muss auf andere geschoben werden, vor allem, wenn der Gescheiterte männlich sozialisiert ist (noch schlimmer, wenn bürgerlich), weil Scheitern keinen Platz in klassischen Männerrollen hat, und dass fast alle Männer sich an denen immer noch abarbeiten, beweisen unter anderem die Wahlergebnisse in den USA (“nörgelige Männlichkeit (Abre numa nova janela)”). Und wenn “die Mitte” scheitert, hat sie dank der vulgärsoziologischen “Extremismustheorie” immer gleich die notwendige Schuldverschiebungsrichtung in den moralischen Navi einprogrammiert: einmal nach rechts, einmal nach links, immer nach unten. Also bedeutet das Scheitern der Mitte am Klimaschutz, dass die Schuldigen dafür höchstwahrscheinlich bei Rechts- und Linksradikalen zu finden sind.

Auf rechts ist das natürlich sehr einfach: Trumps ekelhaftes Fulminieren über waltötende Windräder, sein “drill, baby, drill”-Fetisch, und der allgemeine rechte Klimahate sind die perfekten Projektionsziele des eigenen Klimascheiterns. Aber so einfach, wie es sich seit dem Beginn der Ära Trump II die Libs und moderates machen, ist es nicht: Trump hat auch nicht mehr gebohrt, als Biden, Bush Junior nicht mehr, als Obama. Harris und Trump unterstützen beide das Fracking von fossilem Gas wholeheartedly, und ob Trump zur COP29 in der genozidalen Petrodiktatur Aserbaidschan fährt, macht den Kohl des Klimascheiterns dort auch nicht fetter. Either way, der Antiklimafaschismus macht es der Mitte leicht, den “dump it on the right”-move zu machen, er will ja die Todesfahrt beschleunigen, und die wenigen Kleinstpolicies, die das Klima schützen sollen, abräumen. Für die Mitte sind die ein ziemlich guter Villain, weil das große Megaböse oft die Aufmerksamkeit weglenken kann, vom eher banalen, alltäglichen Bösen des fossilen Wachstumskapitalismus, den auch die moderates in realitas unterstützen (“solang noch nichts anderes da ist, müssen wir ja wachsen”).

Der “dump it on the left”-move ist hier zugegebenermaßen ein bisschen schwieriger, aber ich sage ja immer: es gibt nichts an Verdrängung, das dem verdrängenden Hirn nicht zuzutrauen ist. Weil Verdrängung – wie z.B. faschistische Diskurse – irrational und faktenfrei ist, kann sie alles behaupten.

Zum Beispiel behauptete Peter Unfried (Abre numa nova janela), Doyen des schwarzgrünen Flügels in der taz, vor einigen Monaten, die Erderhitzung würde “weder rechts außen, noch links außen” ins Konzept passen, um daraus zu schlussfolgern, dass es nun endlich mal ein paar vernünftiger (sprich: zentristischer) Erwachsener bräuchte, um sich hinzusetzen, und einen rationalen Kompromiss zu finden. Dass das Ende März 2024 noch nicht passiert war, war by extension wohl die Schuld von “rechts außen” und “links außen”. Ich bin wahrlich kein Fan derjenigen rechts außen, aber am Klimascheitern der deutschen Externalisierungsgesellschaft sind die nun wirklich nicht schuld. Das hat das gesellschaftliche Zentrum schon ganz allein in den Sand gesetzt, das waren eher GroKo, VDA und IGM, als Höcke, AfD und NPD (entschuldigt diesen analytisch nicht ganz sauberen Dreiklang, er drängte sich mir ein wenig auf ;)).

Und den selben Move macht Otti auch in diesem Interview: er unterstellt, ohne es genau zu sagen, dass ein paar tausende “zu radikale” Klimaaktivist*innen – was natürlich zuvordererst die Letzte Generation, die “Klimakleber” meint, aber auch Fridays und Greta, als Deutschland denen noch zuhörte – dafür gesorgt hätten, dass die Menschheit ganz im allgemeinen sich von der “Menschheitsaufgabe” Klimaschutz abwand.

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Victim blaming

Aber schon letztes Jahr, als wir schon einmal darüber diskutierten, ob die Aktionen der LG wirklich der Grund für das gesellschaftliche Abwenden vom Klimaschutz war – übrigens eine Debatte, die jedes Mal wieder auftauchen wird, wenn die Mitte ihr eigenes Scheitern wahrnimmt – habe ich mich gefragt, welche dieser zwei möglichen Antworten auf die Frage, was die Gesellschaft davon abgehalten hat, das Megatransformationsprojekt Klimaschutz/Dekarbonisierung/Degrowth anzugehen, wahrscheinlicher wirkt?

Antwort 1: dass es wahnsinnig aufwändig und wohlstandsgefährdend ist, Emissionen radikal zu reduzieren?

Antwort 2: dass ein paar Menschen auf Straßen klebten, und so Menschen mehrere Minuten Zeit auf dem Weg zur Arbeit kosteten?

Verzeiht mir, wenn ich das jetzt nicht weiter diskutiere, es ist natürlich Antwort 1. Ihr erkennt aber hoffentlich auch, warum es so attraktiv ist, Option 2 zu wählen, wie Unfried und Edenhofer das tun, wie es auch Cameron Abadi, stellvertretender Chefredakteur des einflussreichen IB-Magazins Foreign Policy in seinem Buch Climate Radicals (Abre numa nova janela) tut: der Untertitel sagt alles, “why our environmental politics isn't working”. Well, duh: “because of those Radicals, because of those whose demands make us feel bad, because we know they're right, but we can't get ourselves to admit it”.

Und genau darum geht es in immer mehr politischen Diskursen: nicht mehr ums Lösen, weil Lösungen immer häufiger politisch nicht möglich sind. Alle, vor allem die Mächtigen wissen: wir haben's verkackt, jetzt bleibt nur noch, Schuldige zu finden, diese aufzuhängen oder auszustoßen. Auf jeden Fall muss vermieden werden, sich damit zu befassen, was mann selbst falsch gemacht haben könnte, wo mann selbst unzulänglich war. Sich selbst mit seinen Fehlern auseinanderzusetzen, ist für die meisten Männer/Weißen/Heten/cis etc, für die meisten Privilegierten wie Kryptonit. It takes away their/our power.

Am Ende degradiert die Mitte sich ethisch und intellektuell immer mehr, wird im Grunde wie die Rechten, die alles auf Migrant*innen schieben: nur schiebt die Mitte das Scheitern auf die Ränder, weil es einfacher ist, neben und unter sich zu zeigen, und zu sagen "die sind Schuld", als bei sich und seinen eigenen Leuten nicht die Schuld, aber den Fehler zu suchen und zu sagen "hey, hier haben wir's verkackt, hier konnten wir nicht weiter." Das ist die Verdrängungsgesellschaft, deren Chefklimaresearchinstitut Ottmar Edenhofer leitet.

Am Ende ist die Klimabewegung Schuld am Klimakollaps, die Migrant*innen am Faschismus reicher Länder, Frauen werden schuld sein, dass sie nicht genügend die Incels sexuell befriedigt und sie so zu Faschos gemacht zu haben...

Alle schuld: außer der Mitte. Der geht's gut.

Mit von diesen nörgeligen Mittemännern total genervten Grüßen,

Euer Tadzio

p.s.: Reminder für die Berliner*innen unter Euch: heute um 19:00 bin ich mit Susanne Schwarz, Klimaredakteurin der taz, im taz Café, und wir diskutieren dort mein Buch. Come all, come many :) Hier der Link zur Veranstaltung, die auch gestreamt werden wird: https://taz.de/HEUTE-taz-Talk-ueber-Klimaaktivismus/!vn6044861/ (Abre numa nova janela)

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