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Harris, Trump, und die Kritik der nörgeligen Männlichkeit

Bild: der durchschnittliche Wähler einer faschistischen Partei kurz vor der Stimmabgabe.

31/10/2024


Liebe Leute,

eigentlich ist der Anlass für diesen Text der drohende Erfolg des Senilofaschisten Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen nächste Woche. Denn dass ein administrativ inkompetenter, mehrfach gescheiterter und verurteilter, zunehmend verwirrt und gleichzeitig zunehmend brutal dahrredender Protodiktator mit einer im Sinne der “gesellschaftlichen Mitte” durchaus vernünfigten Kandidatin wie Kamala Harris derzeit gleichauf liegt, bedarf auf jeden Fall einer Erklärung. Und wie üblich, wenn wir in die USA schauen, schauen wir in einem gewissen Sinne auch in unsere politische Zukunft. Wir wissen mittlerweile, dass “Geschlecht” in der amerikanischen Politik derzeit eine riesige Rolle spielt (Öffnet in neuem Fenster), dass, sollte Trump gewinnen, es die Männer des Landes gewesen sein werden, die ihr Land dem Faschismus ausgeliefert haben, und sollte Harris gewinnen, es mal wieder die Frauen, vor allem schwarze, vor allem junge Frauen gewesen sein, die das Land vor dem Abgrund gerettet haben werden. Is there something wrong with American men?

Aber es geht ja eigentlich um Männlichkeit, und nicht amerikanische Männlichkeit, also fange ich – irgendwie dem Thema “nörgelige Männlichkeit” auch angemessener – nicht mit einer großen Geschichte über die politische Zukunft des mächtigsten Landes der Welt an, sondern mit einer von hier, vom deutschen Bildungsbürgertum und seinem Buchpreis, einer Geschichte, die bei mir ausgeprägte Fremdmännerscham auslöste. Den Deutschen Buchpreis gewann nämlich dieses Jahr die Schriftstellerin und Performancekünstlerin Martina Hefter mit “Hey guten morgen, wie geht es dir? (Öffnet in neuem Fenster)”, aber die mediale Debatte um den Buchpreis wurde zunächst nicht von ihr bestimmt, sondern von der urpeinlichen Intervention eines gekränkten Mannes, der sich darüber aufregte, nicht den ihm scheinbar zustehenden Preis gewonnen zu haben.

Infantile “temper tantrums”

Diese Intervention funktionierte so gut, hatte so viel Resonanz, weil der kleine Wurm mit seinem “Wääääääh, eine Frau hat einen Preis gewonnen, aber ich wollte den Preis doch haben!” an ein unter Männern weit verbreitetes Ressentiment andockt, dass ihnen ständig irgendetwas weggenommen würde, das ihnen quasi von Natur aus zustünde, weshalb jede Situation, in dem das Gewünschte nicht bei den Dudes landet, halt einfach falsch sei, an abomination, anathema, ein Affront gegen Gott und die Normalität. Egal, wie lächerlich das Gesagte (er rief wohl, es sei “eine Schande für die Literatur”, dass sein Buch den Preis nicht bekommen habe – dude, listen to yourself), egal, wie kleinkindlich der emotionale Affekt, der darin steckt, egal, wie irrational die Intervention, Männer tendieren immer stärker dazu, sich auch über gesellschaftliche Konfliktlinien wie race und class hinaus, mit anderen Männern zu vernetzen, um gemeinsam über das Fortschreiten der Zeit und den Aufstieg gesellschaftlicher Subjekte zu nörgeln, die ihnen ihre Privilegien streitig machen (oder auch nur: sie hinterfragen, was ja an sich schon ausreichend Anlass dafür bietet, sich wie ein Dreijähriger auf den Boden zu schmeißen und “NEINNEINNEIN” zu brüllen).

In Abgrenzung zur bekannteren “toxischen Männlichkeit” nenne ich dieses Phänomen “nörgelige Männlichkeit”: sie ist sehr viel weiter verbreitet, als erstere – denn der Ablauf ist: erst wird genörgelt, dann wird's brutal und toxisch, also ist die nörgelige Männlichkeit sozusagen der ekelhafte Urschleim, aus dem die toxische Männlichkeit aufsteigt. Sie stellt in der Form nörgeliger Ressentiments unter Männern, deren Verunsicherung nicht so sehr daraus entsteht, dass sie “nicht mehr wissen, wie man richtig Mann ist”, sondern daher, dass sie halt nicht mehr so viele Privilegien haben, wie früher, ihnen als Ehemännern z.B. der Körper ihrer Frau nicht mehr “gehört”, eine der affektiven Produktivkräfte des rechten Projekts dar. Angesichts der Tatsache, dass “Mann sein” und “Privilegien haben” im Patriarchat nunmal eng zusammenhängt, entsteht die bekannte “Krise der Männlichkeit” und daher die nörgelige Männlichkeit vor allem aus dem Verlust relativer Privilegien.

Und wenn es bei den US Wahlen nächste Woche richtig schlecht läuft, könnte nörgelige Männlichkeit der Grund sein, warum die älteste funktionierende Demokratie dieser Welt, dazu noch die residuale globale Hegemonialmacht einen debilen Mythomanen zum Diktator auf Lebenszeit wählt (Trump selbst hat damit gedroht/gelockt, dass dies die letzte Wahl sein könnte – natürlich in der Form der Projektion, aber die Übersetzung davon ist ja offensichtlich). Also lohnt es sich, da mal ein bisschen genauer hinzuschauen.

Black men for Trump

Vorweg: warum Frauen ankündigen, mehrheitlich Kamala Harris (58%) anstatt Trump (37%) zu wählen (Öffnet in neuem Fenster), ist ziemlich offensichtlich, dafür braucht es keine komplizierte freudomarxistische Erklärung. Harris steht für “the right to chose” (eine Abtreibung zu haben), eine der zentralen gesellschaftlichspolitischen Fragen, in denen die Republikaner sich weit rechts der Mehrheitsmeinung gestellt haben; schon der Kandidat Trump I war bekannt als ein sexual predator, den “grab them by the pussy”-Skandal hat wohl kaum eine vergessen; und auch im ganz klassischen ökonomischen Sinne haben Frauen in den USA mehrheitlich kein Interesse an einem immer weiter demontierten Sozialstaat, und die von Trump angekündigten erneuten gigantischen tax cuts würden genau in diese Richtung wirken.

Und bei den Männern, bei denen 52% für Trump, 40% für Harris sind? Vielleicht ist die Frage nicht fokussiert genug, daher nochmal eine Verfeinerung: wie steht es um die african-american Männer, die für Trump sind? Dazu zuerst ein paar Zahlen: 2016 erhielt Trump 7% der “black votes”, 2020 waren es dann 9%, aber 2024 sind es plötzlich 15% (Öffnet in neuem Fenster), von denen die allermeisten Männer sind: eine viel diskutierte Umfrage ergab gerade, dass ein Viertel aller afroamerikanischen Männer plane, Trump ihre Stimme zu geben. Das lag hinter Barack Obamas Wahlkampfauftritt in einem Friseurladen (Öffnet in neuem Fenster), einem “barber shop”, ein wichtiger Ort in black male US culture, den er dafür nutzte, seinen “brothers” die Leviten zu lesen: “Part of it makes me think - and I´m speaking to men directly - part of it makes me think that, well, you just aren´t feeling the idea of having a woman as president, and you´re coming up with other alternatives and other reasons for that. You're coming up with all kinds of reasons and excuses. I've got a problem with that.'”

Warum Obamas Fokus auf die “gender divide”? Weil es ansonsten ziemlich schwierig ist, sich den wachsenden Support für Trump unter african american men zu erklären: Trumps Einstieg in die Politik fand während der Amtszeit Barack Obamas statt, als ein Großteil des weißen Amerikas riesige Angst vor einem gesellschaftlichen Kontrollverlust erlebte (die Tea Party war ein Ausdruck dieser Angst: “Huch, wie bitte? Ein Nachfahre derjenigen, die bis vor kurzem noch unsere Baumwolle zu pflücken hatten, sitzt jetzt im Weißen Haus und sagt mir, was ich zu tun habe – und erinnert uns dabei gleichzeitig durch seine bloße Gegenwart daran, dass wir seine Vorfahren versklavt haben, und nur so unseren relativen Wohlstand anhäufen konnten...”), sein erstes Thema war die rassistische Verschwörungstheorie, Obama sei kein “Amerikaner”, er sei in Kenya geboren.

Der politische Trump-Brand bedeutet also schon immer “Rassismus”, und er hat diese Bedeutung nicht verloren. Was nochmal die Frage stellt, warum immer mehr derjenigen, die von einer rassistischen, mutmaßlich faschistischen Trump-administration ökonomisch und anderweitig negativ betroffen wären, ihn trotzdem wählen wollen. Wir Linke kennen diese Frage schon lange, meist in der Form von “warum wählen biodeutsche Arbeiter*innen genau die neoliberalen Faschos, die sie komplett ausbluten würden?”

It's no longer the economy, stupid

Natürlich hat diese Frage immer viele Antworten, Wahlentscheidungen haben immer eine Reihe von Gründen, und eigentlich müsste ich jetzt erstmal Daten suchen, die den offensichtlichen “it's the economy, stupid”-Konter entkräften, denn es kann ja durchaus sein, dass in den letzten acht Jahren das Los schwarzer Männer relativ zu dem schwarzer Frauen derart verschlechtert hat, dass es die o.g. Divergenz erklärt. Dann müsste ich noch eine statistische Regressionsanalyse durchführen, um die relative Relevanz ökonomischer vs. nichtökonomischer Faktoren zu bestimmen, aber wie Ihr Euch denken könnt, geht das weit über meine Fähigkeiten hinaus.

Ich mache es mir stattdessen einfach, und nutze einen “proxy indicator”, der hoffentlich Rückschlüsse auf dahinter liegende Zusammenhänge ermöglicht – in diesem Fall nehme ich das “ad spending” einer Kampagne, und schaue mir an, worauf die gerade fokussieren, in der Annahme, dass die Kampagne über die besten Daten verfügt, und aufgrund dieser (relativ) rationale Entscheidungen über die Nutzung ihrer knappen finanziellen Ressourcen trifft.

Und da finden wir am 26.10. folgenden spannenden Nugget (Öffnet in neuem Fenster): “Trump hat in den letzten fünf Wochen 29 Millionen US$ für Anti-Trans-Werbung ausgegeben, verglichen mit 5 Mio US$ für wirtschaftsorientierte Fernsehwerbung im gleichen Zeitraum.” D.h., Trumps Kampagne hält die Message “wie jetzt, wenn MANN/FRAU nicht die grundsätzliche ontologische Binarität ist, dann sind WIR eventuell nicht die Krone der Schöpfung? Das geht nun wirklich nicht!” für sechsmal so wichtig wie eine, in der es um ökonomisches Abgehängtwerden geht. Sie hält gekränkte und daher nörgelige Männlichkeit, um deren direkte Ansprache, um deren politische Mobilisierung es in anti-trans-Werbung geht, also für eine sechsmal so effektiv mobilisierende Kraft, wie “ökonomische Themen”. Sie versteht, dass die Existenz von trans Menschen cis Männern zwar nichts ökonomisches “wegnimmt”, sie aber doch existenziell verunsichert, genauso, wie Heteromänner davon existentiell verunsichert werden können, von einer Frau oder einem schwuler Mann “gealphat” oder auch dominiert zu werden.

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Nörgelige Männlichkeit im Blick der Konflikttheorie

Und genau hierin liegt das Problem: ginge es bei der Faschisierung immer größerer Teile reicher Gesellschaften nämlich um rein ökonomische Probleme, könnten wir uns vorstellen, diese durch kluge Umverteilung zu lösen – auch, wenn es gerade schwierig sein dürfte, für größere Umverteilungsprojekte (die nicht von unten nach oben verlaufen) Mehrheiten zu organisieren. Aber es geht hier nicht um die Ökonomie im materiellen Sinne, es geht um das, was der große marxistische Historiker E.P.Thompson als “moral economy (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnete: “a consistent traditional view of social norms and obligations, of the proper economic functions of several parties in the community”. Es geht darum, was Menschen für richtig, legitim, für angemessen und überhaupt für “common sense” halten.

Das mag jetzt erstmal ein Bisschen überraschend klingen für diejenigen, die in der Erklärung oder Vorhersage gesellschaftlicher Konflikte noch bei der “Verelendungstheorie” festhängen, daher hier ein kurzer Abriss von “Konflikttheorien”.

Verelendungstheorie: Wenn ich frage, “wann entstehen gesellschaftliche Konflikte?” ist die erste, die intuitive Antwort “wenn es Menschen schlechter geht, und zwar so schlecht, dass sie richtige Not spüren”. Klar, Leuten geht es ok, und wenn es ihnen dann anfängt, schlechter zu gehen, hauen sie auf die Kacke. Nachvollziehbar. Aber: nicht wahr, im Sinne von nicht empirisch belegbar. Für jedes Beispiel, wo arme Menschen sich gegen die Reichen, die sie bis aufs Blut ausbeuten, auflehnen, gibt es fünf Beispiele von armen Menschen, die inmitten von Überfluss elendiglich krepieren, weil sie ihre Armut und der Anderen Reichtum für legitim halten.

Relative deprivation theory: Damit war die Verelendungstheorie zumindest in der Akademie widerlegt, und eine neue Idee entstand – dass Gruppen von Menschen dann anfangen, gegeneinander zu kämpfen, wenn es einer der Gruppen sicht- und erlebbar zunehmend schlechter geht, als der anderen. Diese These hatte den Vorteil, dass sie “Verlendung” nicht in Isolation betrachtete, sondern eben “relativ” zum Schicksal anderer Gruppen, wobei die Konfliktdynamik dann nicht aus der erlebten Armut oder Elend entsteht, sondern aus der Differenz zwischen dem eigenen Erleben, und dem Erleben anderer. Aber auch hier fehlte: ein Verständnis der Tatsache, dass sich Konflikte nicht ausschließlich aus den messbaren Unterschieden zwischen Gruppen erklären lassen, denn wenn die relativ ärmere Gruppe es als “ihr Los” ansieht, “unten” zu sein, und der mächtigeren Gruppe zuzuarbeiten, dann wird aus der “relativen Deprivation” kein Konflikt entstehen.

Moral economy: Seitdem haben wir gelernt, dass Konflikte zwar immer multikausal sind, aber die wichtigste und stärkste Erklärung dafür im Gefühl, in der Erfahrung einer community liegt, dass ihre “traditional rights or customs” in Frage gestellt werden, und sie diese verteidigen müssen: zum Beispiel im frühneuzeitlichen Europa, wo steigende Getreidepreise immer wieder zu steigenden Brotpreisen, und die dann zu häufigen “bread riots” führten, in denen die community preistreibende oder warenhortende Bäckereien angriff und plünderte, und oft auch darüber hinaus ging. Denn: im Rahmen der “moral economy” dieser Orte war es die Aufgabe, die Rolle, die Funktion des Bäckers, die community mit Brot zu versorgen. Als der Kapitalismus begann, mittlelalterliche Wirtschaften zu transformieren, entstand das Profitmotiv als gesellschaftliches movens, wurde aber in vielen communities abgelehnt und bekämpft, weil moral economy. Wenn der Bäcker zu hohe Preise verlangt, erfüllt er seine Funktion nicht mehr, und kann daher legitimerweise angegriffen werden, dachten sich die Teilnehmenden dieser Riots.

Zurück zur nörgeligen Männlichkeit

Ich glaube dementsprechend, dass es vor allem die “moral economy of masculinity” ist, die erklärt, wieso immer mehr Männer ohne allzuviel damit zu hadern zu Faschisten werden, oder zumindest zu seinen nützlichen Idioten: wenn eine Frau regiert, also “über” den Männern steht, ist das im Rahmen dieser moral economy falsch, denn das ist nicht der Ort, der einer Frau im Rahmen der “traditional rights or customs” zusteht.

Aber noch viel wichtiger: wenn eine Frau “oben” sitzt, wäre das für eher traditionell orientierte Männer ein ständiger Beweis ihres eigenen Scheiterns an den unerfüllbaren Ansprüchen, die das Patriarchat (und seine moralische Ökonomie) an Männer stellen: immer rational sein, immer führen, immer stark sein, immer verantwortlich sein, immer der beste sein, immer schützen. Das begründet die Angst der Männer vor der weiblichen Präsidentin: die Angst, dadurch ständig mit dem eigenen Scheitern konfrontiert zu werden.

Dafür muss Kamala Harris nicht mal die “gender card” spielen, diese dämliche Wahrnehmung entsteht einfach nur dadurch, dass Männer “über sich” eine Frau erkennen. Denn diese Wahrnehmung führt sofort zur beliebten “Scham”, denn der nichtführende Mann verhält sich ja auch wieder nicht according to “traditional rights or customs”, verhält sich also “falsch” gegenüber den unerfüllbaren Ansprüchen, die uns männlich sozialisierten von Kindesbein an vermittelt werden.

Wenn Scham da ist, wird auch wieder verdrängt, was dann zu Irrationalität und Brutalität führt, also zu den Dynamiken, die wiederum den Faschismus verstärken. Und das bedeutet, um zum Ende zu kommen: diese Problematik ist im Grunde nicht auflösbar, denn sie ist nicht im ökonomischen Sinne “rational”. Es ist irrational, dass Männer glauben, ihnen stünden diese Privilegien zu, aber der Glaube daran ist ein reales gesellschaftliches Movens. Und so lange Männer dafür kämpfen, in der gesellschaftlichen Geschlechterhierarchie “ganz oben” zu stehen, unter anderem und vor allem, weil sie das nirgendwo sonst tun (daher: black men for Trump und white working class men for Trump), werden sie den Rest von uns, der der Meinung ist, das sollte nicht so sein, bis aufs Blut bekämpfen. Das ist nur eine der Dynamiken, die weiter die gesellschaftliche Arschlochisierung und Faschisierung vorantreiben werden.

Mit von Männern genervten (und sie dummerweise trotzdem liebenden und begehrenden) schwulen Grüßen,

Euer Tadzio



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