“Lohnt sich Klimaaktivismus noch?” Vorbereitung auf ein Klimabewegungsgespräch

Symbolbild Klimastreik.
Quelle: ideogram.ai (Abre numa nova janela), prompt: “a town square that's empty after a climate demonstration, except for a few banners still hanging, and signs lying around. In the centre of the image, a tumbleweed.”
24.04.2025
Liebe Leute,
am Samstag findet in Berlin das taz lab (Abre numa nova janela)statt, und ich bin eingeladen, um 9:00 Uhr morgens – sorry, war auch nicht meine Idee, ist aber meine Zeit ;) - zusammen mit Carla Hinrichs (Neue Generation), moderiert von Susanne Schwarz (taz), die täuschend einfach formulierte, aber inhaltlich ziemlich komplexe Frage zu diskutieren: lohnt sich Klimaaktivismus noch? (Abre numa nova janela)
Und weil ich mir dachte: naja, viele von Euch sind nicht in Berlin, haben am Samstag keine Zeit, und/oder wollen/können nicht die Ticketpreise bezahlen (fun fact: sogar die Onlineteilnahme kostet Geld, aber wir Referent*innen kriegen keines – go figure); und weil ich mir gerne eine etwas weniger verdrängungsreflexinduzierende Antwort als ein einfaches “nein” überlegen würde (meiner Erfahrung nach führt das in Streitgesprächen dazu, dass sich das verdrängungsaffine Publikum dann eher mit der Person solidarisiert, die ihm die Sachen sagt, die es weniger ungern hören will), mache ich heute mal was ungewöhnliches: ich formuliere meine Antwort vor, das macht's dann auch meinerseits unwahrscheinlicher, Menschen, die nervige Verdrängungsfragen stellen, nicht den Kopf abzubeißen, wie ich das z.B. beim taz Café (Abre numa nova janela) mal gemacht habe, wo ich mein Buch vorstellen durfte. Das war nicht cool, das würde ich gerne vermeiden. So here goes.
“Klimaaktivismus” gegen die Klimakatastrophe
“Lieber Tadzio”, so oder ähnlich wird Susanne mich wohl fragen, “Du sagst, die Klimakatastrophe ist unaufhaltbar, weshalb Du nicht mehr für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehst. Lohnt sich Klimaaktivismus überhaupt noch (Abre numa nova janela)?”
Zuerst mal: ja, die Klimakatastrophe ist unaufhaltbar ist, und ja, “für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen” bringt nix mehr. Stimmt zwar beides, aber die Kausalität ist nicht “Klimakatastrophe ist da, deshalb bringt es nix mehr, für eine bessere Klimapolitik auf die Straße zu gehen”. Wenn dem so wäre, wenn der einzige Grund, warum ich nicht mehr auf Klimastreiks et al gehe, der wäre, dass der Klimakollaps schon hier ist, dann hätte ich ein Problem. Dann hätten nämlich all die recht, die mir immer wieder diesen alten Satz der globalen Klimabewegung zurufen (als hätte ich selbst ihn nicht schon hunderte Male gerufen, ungefähr so oft wie diesen mittlerweile unaushaltbar nervigen Slogan “What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!”), dementsprechen “jedes Zehntelgrad (verhinderte Erwärmung) zählt”. Dieser Satz stimmt. Was aber nicht stimmt, ist die dahinterliegende Annahme, es gäbe einen politischen Pfad zu einer Reduktion der kommenden Erwärmung um ein oder gar mehrere Zehntel Grad Celsius (oder wie Stefan Rahmstorf sie gerne nennt: “Lösungen (Abre numa nova janela)): diesen gibt es nicht, und zwar nicht, weil “die Klimakatastrophe (schon da) ist”, sondern, weil wir als Gesellschaft(en) keinen Bock auf Klimaschutz haben, egal, wie oft wir in Umfragen betonen, doch auf jeden Fall megakrassdolle dafür zu sein, dass das Klima geschützt wird. Halt nur: von jemand anderem, auf deren Kosten, so mögen wir Klimaschutz.
Der Grund, warum es nichts mehr bringt, für “bessere Klimapolitik auf die Straße zu gehen”, ist dementsprechend nicht physikalisch oder klimatologisch: er ist psychologisch.
Klimaaktivismus in der Verdrängungsgesellschaft
Zuerst mal Begriffsklärung: Ich wiederhole den Satz aus der Eventeinladung “für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen” immer wieder, weil er, wie ich finde, ziemlich gut das beschreibt, was ich gerne “klassischen Klimaaktivismus” nenne. Klimaaktivismus also, der darin besteht, in irgendeiner Form “auf die Straße zu gehen” (ob im Rahmen einer Blockade, einer Demo oder einer Kundgebung ist da egal), um so mehr Aufmerksamkeit für die, oder mehr Zustimmung zur, Forderung nach mehr Klimaschutz zu pushen, der dann über Gesetze und Verordnungen umgesetzt würde. Die “Wirkungskette”, auf die solche Kampagnen setzen, ist folgende: mehr Leute / mehr Aktion auf der Straße führen zu gesellschaftlichen Reflexionsprozessen, zu einer Meinungsbildung in Richtung mehr Klimaschutz. Irgendwann, z.B. unter eine klimakrisenedingten Extremwetterkatastrophe (vgl. den Effekt von Fukushima) wird der Druck der veränderten Bevölkerungsmeinung auf die Politik / Entscheidungsträger*innen so stark werden, dass diese dazu gezwungen sind, die Forderung der Bewegung umzusetzen.
Das haben wir, die Klimabewegung, frühestens von 2008, spätestens von 2015 (die erste bundesweit sichtbare und resonante Antikohleaktion von Ende Gelände) an immer wieder versucht. Zuerst wurden wir ignoriert (2008 - 2014), dann wurden wir umarmt (2015 - 2019), dann wurden wir bekämpft (2022 – 2025). Wir führen also seit mindestens zehn Jahren eine Art Gespräch mit dem fossilen Mehrheitsdeutschland, ein Gespräch, auf das Deutschland mittlerweile keine Lust mehr hat. Denn Deutschland ist, wie wir mittlerweile alle wissen, am Klimaschutz ebenso gescheitert, wie jede andere reiche Gesellschaft auf der Welt (wenn mir jetzt jemand irgendwas von Norwegen und deren Verbrennerverbot, oder vom dänischen Windenergieausbau erzählt, würde ich darauf verweisen, dass Norwegen ein “petro-state” ist, dessen Reichtum aus dem Verkauf von Nordseeöl und -gas kommt, und dass Dänemark vor allem klimaschädliche Landwirtschaft betreibt, und dadurch reich wird). Und an unser Scheitern wollen wir nicht erinnert werden. Und da das Gespräch, das die Klimabewegung mit Deutschland führt, immer wieder auf das Thema Klimaschutz zurückkommen muss, also auf das Thema, an dem wir gescheitert sind, wird uns jede Aktion, jede Demo der Klimabewegung, in der Menschen “für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen”, an unser Scheitern erinnern, mithin negative Gefühle auslösen. Negative Gefühle will niemand spüren, also wird die Reaktion auf unseren Aktivismus im besten Fall Ignoranz sein, im schlechtesten Fall aggressive Gegenwehr derjenigen, die eben nicht an ihr Scheitern erinnert werden wollen. Nicht durch Aktionen, nicht durch Demos, nicht durch quasiparlamentarische “Bürger*innenräte”.
Deutschland hat fertig mit Klimaschutz, und zwar schon seit Jahren. Wer dies verdrängt, deren Realitätsverweigerung ist nicht weniger nervig, als die der Klimaleugner*innen.
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Klimaaktivismus im Kollaps
Aber ich kann “Klimaaktivismus” auch anders deklinieren, mein noch etwas tapsiger Versuch letztes Jahr lautete: “Klimakampf 2.0 (Abre numa nova janela)”. Im Kern dieses Versuchs liegt die Einsicht, dass alle Klimabewegungsstrategien, von Ende Gelände über Fridays for Future bis zur Letzten Generation, die nicht auf die Verteidigung eines bestimmten Ortes zielten (Hambi, Danni, Lützerath), appellative Strategien waren. D.h., sie konnten ihren anvisierten Policyerfolg nie selbst erkämpfen, sie mussten immer die Vermittlung über die Mehrheitsmeinung und staatliche Politiken wählen. Diese Art appellativen Aktivismus besteht im Grunde darin, die Mehrheitsgesellschaft an bestimmte Versprechen zu erinnern, und mit verschiedenen Mitteln darauf zu pochen, dass diese eingehalten werden. Da aber das Einhalten der Versprechen zu teuer und schwierig wäre, wird das an seine nicht-eingehaltenen-Versprechen erinnerte Subjekt sich vom Aktivismus abwenden, wird er gerade nicht zur positiven Meinungsverschiebung führen, sondern wird im schlimmsten Fall aktiv die Arschlochisierung der Gesellschaft vorantreiben, weil er nörgeligen Trotz auslöst, wie zum Beispiel in den rechtsradikalen Teilen der Bauernproteste.
So betrachtet wird zwar einerseits klar, dass das “fürs Klima auf die Straße gehen” halt wirklich nichts Gutes mehr bringen kann; andererseits aber auch, dass es natürlich Arten von “Klimaaktivismus” gibt, die sich noch lohnen. Meist ist das dann die Art von Aktivismus, die eben nicht appellativ ist, sondern selbst die Macht aufbaut, eine Veränderung herbeizuführen, oder etwas schlechtes zu verhindern. Es sollte also niemand aufhören, gegen Autobahnausbauten zu kämpfen (z.B. in Frankfurt am Main oder Berlin), sich für eine Bürger*innenenergiewende einzusetzen (Stichwort Balkonsolar), oder sich in der Mieten- und Recht-auf-Stadt zu engagieren. Das ist die Art von Aktivismus, die durchaus direke positive Klimaeffekte haben kann (weniger Autobahn = weniger Autoverkehr), gerade weil sie die Gesellschaft nicht an schon lange gebrochene Versprechen erinnert. Im Grunde funktioniert “Aktivismus” nur noch, wenn er nicht dazu führt, dass eine sich ohnehin schon schlecht fühlende Gesellschaft sich noch schlechter fühlen muss.
Außerdem gibt es natürlich die Art von Klimaaktivismus, für die sich langsam der Begriff “solidarisches Preppen” (z.B. hier (Abre numa nova janela), hier (Abre numa nova janela) und hier (Abre numa nova janela)) etabliert zu haben scheint, und um die es ganz zentral beim Kollapscamp (Abre numa nova janela) Ende August (28. - 31.8.) im nordbrandenburgischen Kuhlmühle gehen wird, und für das der Orgaprozess versprochen hat, dass ein vorläufiges Programm sowie Anmeldung und Ticketshop spätestens Ende Mai auf einer renovierten und aufgeposhten Website online sind (ich hab letztes Jahr einen “Mobilisierungstext (Abre numa nova janela)” dazu geschrieben). Der Untertitel des Camps ist Programm, er lautet “solidarisch und handlungsfähig in der Katastrophe”. Beim “solidarischen Preppen” geht es darum, die Katastrophe selbst als strategischen Raum zu verstehen, als Situation, in der es mehr, nicht weniger KlimaUNgerechtigkeit gibt, in der es für eine Klimagerechtigkeitsbewegung mehr zu tun gibt, nicht weniger. Aber dieses “mehr” ist halt kein “noch häufiger auf die Straße gehen, um irgendwas zu verlangen, dass im harten Rechtsruck, nein, in der rapiden Faschisierung und Arschlochisierung des Landes ohnehin nicht 'von oben' kommen wird”, sondern ein praktisches Organisieren von Fähigkeiten (einschließlich emotionaler Fähigkeiten, denn ohne Akzeptanz kommt mensch gar nicht an den Punkt, sich diese Frage zu stellen) und Netzwerken, die ausgelegt sind, dafür zu sorgen, dass in der Katastrophe – eigentlich egal, welcher Katastrophe – alle Menschen sicher durch die Katastrophe kommen.
Ich würde soweit gehen, zu sagen, dass sich um diese Einsicht herum gerade ein neuer Flügel der alten Klimabewegung konstituiert, ein Flügel, der verstanden hat, dass der Klimakampf zwar weitergeht, aber er sich fundamental verändern und auf die neue Welt einstellen muss: die Kollapsbewegung (Abre numa nova janela). Sonst ergeht's der Klimabewegung so, wie es vielen Linken gerade in der Kriegs- und Geopolitikfrage geht: wer die neue Welt immer nur durch die Brille der alten betrachtet, der kann daraus nur falsche Schlussfolgerungen ziehen. Und um ständig falsch zu liegen, dafür gibt's einfach zu viel zu tun – auch und vor allem für Klimaaktivist*innen.
Was meint “lohnt sich” überhaupt?
Am Ende lege ich aber vielleicht auch einfach die falsche Metrik an: ich frage “was kann Klimaaktivismus materiell erreichen?”, aber mir ist aufgefallen, dass viele Menschen vor allem im bürgerlichen Klimaspektrum eine etwas andere Definition von “lohnt sich” haben. Diese Metrik scheint zu sein: das, was mich gut fühlen lässt, ist das, was sich lohnt. Das ist eine Position, die ich implizit in vielen Diskussionen mit eher bürgerlichen Menschen aus der Klimabewegung heraushöre, so eine Art “egal, was passiert, ich pflanze nen Baum, Bäume pflanzen ist immer richtig, und solang ich mich nur richtig verhalten habe, ist alles gut, muss ich mich nicht schlecht fühlen.”
Wem das ausreicht, die kann gerne weiter mit dem machen, was ich oben “klassischen Klimaaktivismus” genannt habe, denn dann lohnt der sich tatsächlich (zumindest, wenn es einen nicht runterzieht, dass man mit ein paar hunderten Menschen dort steht, wo man vor einigen Jahren noch mit 1,4 Millionen stand, so geschehen beim letzten Klimastreik): er macht im besten Fall, dass man sich nicht schlecht fühlen muss, dass man die Hände von der kollektiven Mitverantwortung für das kommende Ende unserer Welt (such as it is today – nein, es werden nicht alle Menschen sterben, aber unsere Welt wird enden, und das relativ bald) reinwaschen kann. Und um diesen emotionalen stake geht es nicht nur in der offiziellen Politik immer mehr, darum geht es auch immer mehr in Bewegung, und in allen anderen politischen Feldern in der eskalierenden Polykrise (Abre numa nova janela).
Ob “Klimaaktivismus” sich lohnt hängt also auch davon ab, was man vom Aktivismus erwartet: eine spürbare Verbesserung der Welt? Dann hör auf mit dem klassischen Klimaaktivismus, join our Klimakampf 2.0. Da gibt's dann auch wieder Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit, anstatt winziger Klimastreiks, ungehörter Aktionen oder sich brutal marginal anfühlender aktivistischer Malversuche. Moralische Selbstbefriedigung, die mittlerweile keinerlei positiven Effekte im Sinne der Klimagerechtigkeit haben muss? Dann mach gerne weiter mit dem klassischen Klimaaktivismus. Aber dann wird's halt ungefähr so traurig wie die letzten Klimastreiks oder die letzten Straßenblockaden.
Ich freu mich auf die Diskussion am Samstag, vielleicht schauen ein paar von Euch ja vorbei. Trotz der hohen Ticketpreise.
Mit gespannten Grüßen,
Euer Tadzio
p.s.: für Kurzentschlossene: heute Abend, 19:30, lese ich in der Buchhandlung Eulenspiegel in Bielefeld aus meinem Buch. Kommt vorbei und diskutiert mit :) https://www.bielefeld.jetzt/node/1016434 (Abre numa nova janela)
