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Ich wurde auf der Straße bedroht, weil ich fotografierte

Meine Hände zitterten. Ich spürte ich mich hinein und atmete tief durch. Mein Herz pochte so schnell, wie schon lange nicht mehr.

Zwanzig Minuten zuvor war ich auf meinem täglichen Spaziergang an einem Februarabend 2022 in eine der breiten Gassen meines Kiezes Berlin-Kreuzberg eingebogen. Durch die Fensterscheiben alter Kleiderläden hatte ich kleine Straßenszenen aufgenommen. Silhouetten eiliger Leute mit Schirm, mich selbst und Mercedes-Benz Karosserien aus dem letzten Jahrtausend.

Langsam näherte ich mich einem kleinen Imbiss an einer Kreuzung und wollte die Straße überqueren. „Ey du Wichser, was war das?“ Ich drehte mich um. Vor mir hatte sich ein Typ aufgebaut, zwischen seine und meine Nase hätte keine Zeitung gepasst. Er war weiß, trug eine Lederjacke, sprach mit leichtem Berliner Akzent und roch nach Rasierwasser und Aschenbecher.

Er hätte eine Knarre dabei haben können

„Was war … was?“, fragte ich. „Du hast mich fotografiert und ich nehm dir gleich deine Kamera weg.“ Ich ging zwei Schritte zurück. Der starke Geruch, die Größe und Lautstärke seiner Stimme fühlten sich bedrohlich an – und er folgte mir beide Schritte. Auf meinem Display blätterte ich zurück und hielt die Kamera so, dass er draufgucken konnte.

„Ich habe dich nicht fotografiert. Schau mal hier.“ Auf keinem Foto war er zu sehen, aber der Typ würdigte das keines Blickes. „Du mieses *******kind. Ich mach dich fertig! WAS WILLST DU HIER EIGENTLICH, DU SCHEISS RATTE“.

Ich wusste, dass er mir nichts vorwerfen konnte. Trotzdem wollte ich die ohnehin lautstarke Konfrontation nicht eskalieren lassen – schließlich hätte der Typ eine Knarre dabei haben oder ein trainierter Boxer sein können.

Ich versuchte, ihn mit Verständnis zu beruhigen  

„Ich sehe, dass du sehr wütend auf mich bist.“ Vielleicht kann ich ihn mit Empathie besänftigen, dachte ich. „Du mieses Stück *******, was für ein Abschaum, was fällt dir eigentlich ein?“

Wieder ging ich zwei Schritte zurück und er folgte mir. Ich erinnerte mich an einen Satz, den ich vor Jahren in einem Podcast gehört hatte: „Wenn du auf der Straße in eine Auseinandersetzung gerätst, versuche nicht, den Starken zu markieren.“

Ich bin es gewohnt, auf offener Straße angegangen zu werden. Menschen fühlen sich – warum auch immer – von Kameras verunsichert oder sogar bedroht. Selbst wenn ich Leute überhaupt nicht fotografiert habe, löst meine Präsenz mit dem Apparat offenbar bei einer kleinen Gruppe bestimmter Menschen etwas Unbehagliches aus. Beleidigungen und scharfe Drohungen sind für mich nichts Neues. Sie gehören zu meiner Arbeit. Doch diese Aggression setzte mir zu.

Wie ich mich aus der Situation löste

Natürlich hätte ich ihn fragen können, was ihm eigentlich einfalle. Ich hätte zurückschreien, mich vor ihm aufbauen und versuchen können, ihm die Stirn zu bieten. Ich bin 1,83 m groß und gut gebaut. Aber wofür? Was würde ich damit gewinnen?

Ich nahm meine Kamera zur Seite, wie meinen Blick. „Du, es tut mir wirklich leid“, sagte ich in einem freundlichen, aber bewusst unterwürfigen Ton. Ich hatte in der Psychiatrie gelernt, wie ich mit meiner Stimme dominant, freundlich nah, feindselig distanziert und unterwürfig sprechen konnte – und setzte dieses Mittel bewusst ein.

Ich wiederholte meine Entschuldigung und drehte mich zur Straße. Er war immer noch aggressiv, schien jedoch ein bisschen leiser zu werden. Tosender Verkehr rauschte an uns vorbei und einen kurzen Moment überkam mich die Angst, er könne mich vor ein Auto schubsen. Nochmals sagte ich: „Es tut mir leid“, wartete, bis die Straße frei wurde und ging einfach los.

Im Hintergrund vermischte sich sein Fluchen mit den Geräuschen der Stadt. Zwar hatte er nicht aufgehört, mich zu beschimpfen, aber er war stehen geblieben. Ich schaute nicht zurück. Ich lief und lief und lief. Bis ich bemerkte, dass meine Hände zitterten.

Eine Woche später kam ich mit der Kamera an derselben Stelle wieder vorbei und bog nicht in die Straße ein. Mein Puls schlug wieder schneller und ich spürte das Adrenalin. Ich hatte Angst. Als abends darauf wieder vor der Wahl stand, bog ich in die Straße ein. Eines würde ich ihm nicht geben: Zu bestimmen, wann ich wo fotografiere. Im Abendlicht ließ ich mir Zeit, wagte mich an den Kiosk und machte diese Aufnahme.

Während ich diese Zeilen schreibe, stelle ich mir viele Fragen. Habe ich richtig gehandelt? Was hätte ich anders machen können? Wie wäre die Situation ausgegangen, wäre ich eine Frau gewesen, Person of Color, Afghane oder ein trans Mann? 

Außerdem bin ich nicht frei von den Erwartungen der Gesellschaft, wie ein „richtiger Mann“ reagiert hätte. Der Gedanke taucht auf, ich habe den Kampf verloren, wäre wie ein Schwächling davongerannt.

Nein, denke ich. Ich habe die Situation gut gelöst. Ich muss niemandem beweisen, ein starker Typ zu sein. Und ich muss auch kein unnötiges Risiko eingehen, wenn ich nicht einschätzen kann, wozu mein Gegenüber in der Lage ist. Ich bin mit mir zufrieden. Und stolz auf das Foto.

Zwei Dinge habe ich mir vorgenommen. Nächstes Mal, wenn ich so heftig angegangen werde, rufe ich hinterher die Polizei. Und: Ich werde diese Gegend weiterhin besuchen und dort Fotos machen. Schließlich ist Kreuzberg auch mein Kiez.