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Ich habe in den letzten fünf Wochen

fünf Mal versucht, einen Newsletter zu schreiben. Meistens fange ich an, brauche eine Stunde, manchmal auch zwei oder drei, und ich schicke den Text ab. Beim erneuten Lesen stelle ich dann fest, dass noch ein paar Fehler im Text sind. Ich denke dann aber jedes Mal, dass ein persönlicher Newsletter wie dieser kein Ort für Perfektion ist, sondern eher einem Maschinenraum gleichen soll, in dem Dinge entstehen, entwickelt und verworfen werden.

Dass es dieses Mal so lange gedauert hat, lässt sich leicht durch zeitliche Gründe erklären. Seit ich aus dem Urlaub zurück und wieder am Schreibtisch bin, befinde ich mich nahezu ausschließlich in einem Modus des Erledigens. Ich hatte mir für die ersten Wochen eine umfangreiche Aufgabe vorgenommen, die kritische Durchsicht des Buchs Politik im Zeitnotstand von Jürgen P. Rinderspacher, von dem ich in meinem letzten Newsletter gesprochen habe. (Si apre in una nuova finestra)

Ich war nicht sicher, ob es möglich ist, sich über drei Wochen auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren. Denn das war angesichts der Länge und der Komplexität des Inhalts notwendig. Es gelang mir aber natürlicht nicht. Kurz nachdem ich mit der Lektüre begann, erfuhr ich, dass es in Deutschland bald den bisher größten Test der 4-Tage-Woche geben soll. Das war keine unbedeutende Nachricht, dass die Organisation 4 Day Week Global (Si apre in una nuova finestra) nach dem Aufsehen erregenden Pilotversuch in Großbritannien nun auch ein ähnliches Projekt in Deutschland initiieren würde. Ich arbeitete mehrere Tage an einem exklusiven Bericht für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (Si apre in una nuova finestra), der in den Folgetagen von zahlreichen Nachrichtenmedien deutschlandweit aufgegriffen wurde (um nicht zu sagen, meist nahezu 1:1 abgeschrieben wurde).

Ich wollte auch hier über dieses Projekt berichten, fand aber keine Zeit. Ich bekam dann noch eine Bronchitis, konnte sie nicht auskurieren, ein Magazin fragte, ob ich vielleicht etwas für die nächste Ausgabe schreiben könnte, ich wollte gerne, schlug einige Ideen vor und vereinbarte zwei Texte. Es ist nur ein Bruchteil der Aufgaben, mit denen ich es in den letzten Wochen und jetzt gerade zu tun habe. Aber das muss ich nicht vertiefen, jede*r kennt das. Ich möchte auch auf etwas anderes hinaus.

Es kommt mir gerade vor, als wäre ich, aber auch mein gesamtes Umfeld mal wieder tief in die Zeitarmut gerutscht. Eine Freundin schreibt mir, dass sie endlich mal ein Wochenende ohne Kind hatte, es aber genutzt hat, um ihren Unterricht vorzubereiten. Eine andere ärgert sich, dass sie zu wenig Schlaf bekommt, weil sie erst spätabends Zeit für sich findet und nicht darauf verzichten möchte. Andere Freunde melden sich nicht oder reagieren nicht auf Nachrichten. Ich nehme das manchmal persönlich, aber ein anderes Gefühl sagt mir, dass sie aktuell zu viel zu tun und zu wenig freie Zeit haben. Ich muss selbst noch zahlreiche Nachrichten beantworten.

Dieser Erledigungsmodus, in dem ich mich und alle Eltern, aber natürlich nicht nur Eltern befinden, gibt im besten Fall eine sinnvolle Struktur und das Gefühl von Wirksamkeit und persönlichem Erfolg. Wenn alles ineinandergreift, man Dinge erledigt bekommt und Aufgaben abhaken kann, ist das ein schönes Gefühl: Es ereignet sich etwas, man wird gebraucht, man steht mitten im Leben. Vielleicht sind dies, diese manchmal so unglaublich anstrengenden Jahre, die sogenannte Rush hour des Lebens, sogar die Zeit, von der ich einmal sagen werde: Das waren meine intensivsten Jahre, das war das Leben. Nun sind die Kinder groß, wo ist nur die Zeit geblieben?

Aber ich weiß es nicht, vielleicht ist es auch ganz anders. Denn der Erledigungsmodus unterliegt mehreren Gefahren, und allen bin ich gerade ausgesetzt: Eine besteht darin, dass Zeit für Erholung fehlt. Meine Frau und ich sind seit Wochen krank, ich erlebe das auch in meinem Umfeld. Überall wird gehustet, Erzieher*innen in der Kita fallen aus. Vielen Menschen fehlt gerade die Möglichkeit, gesund zu werden.

Die zweite Gefahr des Erledigungsmodus ist die Gefahr, das eigentliche Leben zu verpassen. Anfang des Jahres habe ich ein für mich persönlich sehr wertvolles Gespräch mit der Philosophin Natalie Knapp geführt. Ein Teil dieses Gesprächs, in dem es um den Umgang mit Unsicherheit geht, ist auch als Interview hier im Newsletter erschienen. (Si apre in una nuova finestra)

Natalie Knapp, die sich in ihrem Buch Der unendliche Augenblick intensiv mit dem Wesen der Zeit auseinandersetzt, unterscheidet die Erlebniszeit und die Erledigungszeit: In der Erlebniszeit gehen wir voll in der Gegenwart auf. Das heißt, in der Tätigkeit oder der Erfahrung, die wir gerade machen. Dann bestimmen nicht wir, wie lange dieses Erlebnis dauert, sondern die Dauer ergibt sich wie von selbst aus dem natürlichen Verlauf der Tätigkeit. Es hat keinen Sinn, sie zu beschleunigen.

Titelfoto: Lena Nikcevic (Si apre in una nuova finestra)

Dann gibt es die anderen Tätigkeiten, die wir abarbeiten und die einem ständigen Beschleunigungsdruck unterliegen, weil es schlicht darum geht, sie zu erledigen. Die Erfüllung bei diesen Tätigkeiten liegt nicht in der Tätigkeit selbst, sondern darin, den Haken dahinter zu setzen und alles irgendwie hinzubekommen. Das ist die Erledigungszeit.

Die Erlebniszeiten sind die wichtigsten im Leben, sagt Natalie Knapp. Sie sagt nicht: Es kommt darauf an, dass wir viel erleben. Sondern vielmehr, dass wir erleben. Es kommt nicht darauf an, dass wir möglichst viele glückliche, freudige Momente erleben. Wichtig sind auch die Krisenmomente, Zeiten der Trauer, des Verlusts, der Unsicherheit, die uns tief berühren und die uns deshalb viel bedeuten.

Demnach besteht eine Verschwendung von Lebenszeit nicht darin, die falschen Dinge zu tun, sondern die Dinge, die wir tun, gar nicht richtig zu spüren, sie nicht zu bemerken oder ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Also darin, dass unsere Wahrnehmung flüchtig bleibt und sich nichts richtig einprägt und wir nicht einmal merken, wie Lebenszeit verrinnt, weil wir uns den falschen Dingen widmen oder den Dingen falsch widmen.

Und ich glaube, dies passiert bei mir gerade. Ich merke, dass sich der Zwang, Dinge zu erledigen nicht gut verträgt mir der Tatsache, dass ich meine Aufmerksamkeit eigentlich für etwas anderes brauche als für die täglichen Aufgaben, die ich zu erledigen habe. Und das ist die Gefahr des permanenten Erledigungsmodus. Dass irgendwann die Dinge, die unter der Oberfläche liegen und nach Auseinandersetzung verlangen, nicht mehr zurückgedrängt werden können. Dass wir die Fassade der Geschäftigkeit nicht länger aufrechterhalten können, weil wir uns längst in einer Krisensituation befinden.

Und damit komme ich zu dem eigentlichen Grund dafür, warum es mir nicht gelungen ist, einen Newsletter zu verschicken. Ich hätte genügend Themen gehabt, über die ich schreiben könnte, aber das, was mich gerade wirklich beschäftigt, liegt in einem anderen Lebensbereich. Mein Newsletter ist eine persönliche Form. Und hätte ich, wie vor einger Zeit geplant, über die 4-Tage-Woche geschrieben, hätte ich geichzeitig unsichtbar gemacht, was mich wirklich beschäftigt. Ich hätte das unsichtbar gemacht, was in unserer Gesellschaft allzu häufig unsichtbar gemacht wird: die Arbeit mit unseren Kindern. Die unglaublich emotionalen Herausforderungen, die sich in der Betreuung und Pflege von Kindern (und natürlich anderen Menschen) ergeben, aber auch durch die Auseinandersetzung mit dem System, das um sie herum existiert: die Behörden, Institutionen, Kitas, Schulen, Arzt- und Therapiepraxen, Pflegedienste und -einrichtungen usw.

Ich bin sicher, dass viele, vielleicht fast alle Leser*innen, die diesen Text aus einem inhaltlichen und fachlichen Interesse lesen, gerade an mindestens einen Menschen denken können, für den sie Sorge tragen. Ein Mensch, der auf sie angewiesen ist. Sehr, sehr viele Menschen übernehmen Care-Verantwortung, aber wie und wie viel sprechen wir eigentlich darüber? Die unzähligen Tätigkeiten, die mit der Betreuung und Pflege anderer Menschen verbunden sind, werden mit Begriffen wie Care, Mental Load oder emotionale Arbeit zusammengefasst, als käme es nicht darauf an, sie einzeln zu benennen.

Gleichzeitig werden aber unsere beruflichen Aktivitäten bis ins letzte Detail mal kritisch, mal selbstzweifelnd, mal selbstdarstellend reflektiert. Bei Linked In, in dafür geschaffenen Magazinen, in New-Work-Bubbles, auf Konferenzen und in Coachings denken wir darüber nach, wie wir uns am besten entfalten, wirksam werden und Wert schöpfen. Aber wie viel Öffentlichkeit gibt es eigentlich für Care-Arbeit? Wie sichtbar ist das, was wir da jeden Tag tun? Wie sichtbar sind die emotionalen Folgen dieser Tätigkeiten? Warum gibt es Linked In für Karrieremenschen, aber nicht für Eltern und Pflegende?

Ich versuche, diese Tätigkeiten in meinem Newsletter gelegentlich sichtbar zu machen, meine Kinder tauchen in fast jeder Ausgabe auf. Anders als in den Hunderten Zeitungsartikeln, die ich in meinem Leben schon veröffentlicht habe und die teilweise von mehreren Hunderttausend Menschen gelesen werden, kann ich mich in meinem Newsletter nicht hinter einer Autorenzeile verstecken. Ich möchte es auch nicht.

Der Grund dafür, warum ich fünf Newsletter angefangen habe und keinen beendet (außer diesen gleich) und dass viele Menschen noch auf eine Antwort von mir warten, dass ich berufliche Aufträge gerade (noch) nicht erfüllen kann, ließe sich einfach erklären mit: Ich habe keine Zeit. Ich habe zu viel zu tun. Doch die Wahrheit ist, dass ich gerade woanders gebraucht werde, an mehreren Baustellen in meiner Familie.

Ich muss mich um die Gesundheit von schwer erkrankten Familienangehörigen sorgen. Und ich muss mich um meine Tochter kümmern, die aufgrund ihres Downsyndroms, nein: aufgrund der fehlenden Inklusionsbereitschaft und -fähigkeit dieser Gesellschaft, gerade Schwierigkeiten in der Kita hat. Wir müssen entscheiden, welche Schule sie besucht, was wegen des gerade genannten Grundes eine der schwersten Entscheidungen ist, die wir jemals treffen mussten. Sie ist gerade krank zu Hause, meine Frau ist krank, ich bin krank. Warum sollte ich in so einer Situation über den Pilotversuch zur 4-Tage-Woche schreiben? Warum soll ich einen beruflichen Wert schöpfen, wenn es auf die familiäre Wertschöpfung gerade viel mehr ankommt? Natürlich zwingt mich niemand, einen Newsletter zu versenden. Aber soll ich wirklich nichts schreiben und warten, bis sich die Wogen geglättet haben und alles wieder in Ordnung ist? Sind wir in der Unordnung handlungsunfähig, sprach- und wirkungslos?

Ich komme damit doch noch einmal zur 4-Tage-Woche und werde auch in meinem Newsletter später noch einmal ausführlicher darüber sprechen. Das ist schlicht und einfach notwendig, so lange es noch Personen wie Uli Hoeneß gibt, die in großen Zeitungsinterviews sagen: (Si apre in una nuova finestra) "Aber wenn es in Deutschland die größte Diskussion ist, dass wir die Viertagewoche einführen wollen, dann habe ich damit ein Problem. Ich finde, wir sollten in der aktuellen Lage nicht weniger, sondern mehr arbeiten."

Uli Hoeneß hat bekanntlich eine Wurstfabrik. Wir brauchen aber nicht mehr Wurst, und auch nicht mehr Zeitungsinterviews mit ehemaligen Fußballfunktionären, sondern eine Aufwertung von Betreuungs-, Pflege-, Haushalts- und emotionaler Arbeit. Das bedeutet, mehr darüber zu sprechen und diesen Lebensbereich aus der Privatsphäre ins Licht der Öffentlichkeit zu holen. Dann würden wir auch erkennen, dass eine 4-Tage-Woche nicht genug ist. Es gibt Phasen, in denen anderes schlicht wichtiger ist als die berufliche Arbeit. Das Modell der 4-Tage-Woche gibt einen anderen, besseren Rhythmus vor als die 5-Tage-Woche. Doch manchmal sind auch drei freie Tage nicht genug. Es braucht andere Lösungen, die echte Auszeiten vom Beruf ermöglichen und den Schwerpunkt noch weiter vom Berufsleben hin zu anderen Lebensbereichen verlagern, und es gibt sie. Mit etwas mehr Zeit und etwas mehr Kraft komme ich darauf zurück.

Ich habe nicht viel mehr als eine Stunde gebraucht, um diesen Newsletter zu schreiben. Er ist mäßig strukturiert, vielleicht sind ein paar Fehler drin, manches wiederholt sich mit Dingen, die ich schon mal gesagt habe, manches ist nicht differenziert genug und nicht tief genug ausgeführt. Vielleicht ist deutlich geworden, was ich sagen möchte, vielleicht auch nicht. Aber dann ist diese Newsletterausgabe immerhin ein Zeugnis davon, dass manchmal nicht nur die Zeit knapp ist, um das Beste zu geben, sondern auch die Kraft, die Aufmerksamkeit und geistige Kapazität. Ich werde gerade woanders gebraucht, und das müssen wir Sorgenden, Pflegenden, Betreuenden, Tröstenden, Aufbauenden, Kraftspendenden viel, viel öfter und offensiver kommunizieren.

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