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Politik in der Polykrise: bad boyfriends, oder wenn Alle an Allem scheitern

Source: ideogram.ai (Opens in a new window). Prompt: “an abstract image depicting failure”. It added the “rich white dude washing his hands of his failure”-dimension all by itself :)

12/09/2024


Liebe Leute,

was haben das ethische Unterbietungsgequäke von Olaf Scholz und Fritze Merz in der “Migrations- und Asylfrage” (wer ist das größere Arschloch?-Frage more like), die weitgehende Handlungsunfäihgkeit der Welt angesichts des praktischen und ethischen Ausnahmezustands im Gaza, die nicht-Lösung der Wohn- und Mietfrage in unseren Städten, die globale Klimapolitik, Macrons Auflösung der Nationalversammlung and all the fucked up shit he has done since, und die deutsche Nichtreaktion auf den ersten faschistischen Wahlsieg in Deutschland seit den 1930ern gemeinsam? In allen Fällen wird hier gerade massiv gescheitert, und die darauf folgenden politischen Diskurse sind von einer krassen ethischen Verrohung, ziemlich viel blame game, zunehmender Irrationalität und Faktenfreiheit gezeichnet – es wird im Grunde immer ekelhafter, politischen Diskussionen zuzuhören, und immer anstrengender, an ihnen teilzunehmen.

Es gibt aber noch einen zweiten Punkt: sie haben nicht nur alle das Scheitern gemeinsam, sondern, und das ist der springende Punkt, das sind auch alles Krisen/Probleme, deren Lösung jene an der Macht uns immer wieder versprochen haben.

Who's your daddy?

That makes sense: nehmen wir mal die repräsentativen Demokratien, die es in den meisten OECD-Ländern gibt. Was auch immer sonst noch “die Politik” dort leistet (z.B. Besteuerung, Geld ausgeben, Sozialstaat desorganisieren, Umverteilung von unten nach oben organisieren), hat sie auch und besonders in der Polykrise – wo Alles sehr schnell sehr scary wird, und “Transformationsüberforderung” einer der dominanten gesellschaftlichen Affekte geworden ist - “eine emotionale Service-Funktion. Wenn Menschen die Politik verantwortlich machen können, sind sie nicht selbst verantwortlich (Opens in a new window).”

Wir leben also in einer Situation, in der wir als Subjekte an der gesellschaftlichen “Basis” immer mehr Angst (Opens in a new window) haben, immer mehr uns anstrengt, in die Ecke drängt, heraus- und eben überfordert, wo neue Probleme entstehen, die wir mit immer mehr Wucht verdrängen müssen, weil sie immer größer werden, wo alte Probleme immer größer werden, und wir haben verfickt nochmal keine Ahnung, wie wir diese Probleme lösen sollen. Entweder, weil sie objektív durch uns als einzelne Subjekte nicht lösbar sind, oder, weil das, was wir zu ihrer Lösung als Subjekte tun müssten, zu anstrengend oder auch objektiv durch uns nicht leistbar ist.

Das stresst, und in so einer Situation schaut man sich natürlich nach Hilfe um, nach “Autoritäten”, die möglicherweise klüger und weiser sind, die Ressourcen haben, die bei der Problemlösung helfen. Man schaut um sich herum, und man schaut natürlich “nach oben”. Da sehen manche dann ihre Partner*innen, manche (if you've got crazy daddy issues like I do) ihre Väter, manche sehen da Gott und Religion, aber wir alle sehen dabei den Staat, in unserem Fall den repräsentativen Parteiendemokratie- und Rechtsstaat. Der steht in einem gegebenen Territorium conceptually speaking über Allen, repräsentiert diese, und ist qua staatliches Gewaltmonopol und Repräsentationsprinzip also auch dafür verantwortlich, die Probleme zu lösen, die wir nicht lösen können.

Something doesn't work? If you can't fix it, go ask your daddy, or your father (not the same thing ;)), or your god, or the state. One of them will fix it.

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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

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Problemlösung in der Polykrise

All das ergibt grundsätzlich Sinn, und hat ja auch ne ganze Zeit lang leidlich funktioniert. Klar gab es schon immer “neue” Probleme, oder alte eskalierten, die Probleme haben Angst gemacht, dann fühlten sich Menschen überfordert und protestierten, zündeten Zeugs an, vermutlich gab es auch all diese gesellschaftlichen “Polarisierungsdynamiken”, die wir heute kennen (Brüche gehen durch Familien, romantische Beziehungen hören auf, weil man sich auf unterschiedlichen Seiten wichtiger Debatten befindet), vermutlich nahm auch “damals” dann Gewalt in der Gesellschaft zu, hatten Menschen Angst vor eskalierenden Konflikten.

Aber: das war alles vor dem, was wir jetzt etwas beschönigend “Polykrise” nennen, und was zusammengefasst heißt, dass wir als... ok, ich sag mal Weltgesellschaft, oder als Gesellschaften-in-der-Welt, actually trifft es auf jede Art von Subjekt auf jeder gesellschaftlichen Ebene/scale zu, dass wir Alle also vor so vielen megakomplexen, miteinander verschränkten Krisen und Problemen stehen, dass die alten Problemlösungsmechanismen (dazu gleich mehr) nicht mehr funktionieren, u.a., weil das Ineinandergreifen der verschiedenen Krisen die Lösung jeder einzelnen zunehmend schwierig bis unmöglich macht.

Das beste Beispiel hierfür ist das Verhältnis der globalen sozial-ökologischen Krisen, die wir erleben – nicht nur Klima, auch und vor allem Biodiversität, Landnutzung, und einiges mehr – zu innergesellschaftlichen Verteilungskämpfen, ob es nun um Löhne, Mieten oder Migration geht. Traditionell haben wir in den verähltnismäßig reichen Externalisierungsgesellschaften des globalen Nordens das so gemacht, dass wir unsere innergesellschaftlichen Kompromisse durch die Verteilung von Bakshish aus der expandierte Überausbeutung des globalen Südens schmierten, oder auch durch innere Landnahme (Luxemburg), die Erweiterung der Sphäre der Kapitalakkumulation “nach innen”, z.B. durch zunehmende Inwertsetzung unserer Körper durch beauty products, cosmetic surgery, etc.

However: in einer Welt, in der wir mehrere planetare Grenzen schon überschritten haben, wird es immer schwieriger, neue Räume für neue Kapitalakkumulation zu erschließen, oder neue Senken zu finden, die man zumüllen kann.

Die Atmosphäre? Kinda done being our dumping ground, jede weitere Tonne CO2 wird ziemlich umgehend bestraft. Das Meer? Hat die letzten Jahrzehnte brav immer mehr Energie und Hitze aufgesogen, und ist jetzt auch kinda done, im Grunde kippen die Ozeane langsam in eine Situation, in der sie keine Senke mehr sind, sondern Treiber der Erhitzung. Die “Länder des globalen Südens”? Haben einerseits immer weniger Lust, unsere Müllkippen und untergebutterte Ressourcenlieferanten zu sein, sind aber andererseits auch immer besser darin, verschiedene imperiale Zentren gegeneinander auszuspielen. Die “innere Peripherie”, sprich, ländliche Regionen im Inland? Sind zunehmend in offener Revolte gegen die Städte, schaut nur mal auf die Landkarten in Frankreich, in den USA, in Deutschland, wo die Faschos stark sind.

In short: in der Polykrise ist natürlich nicht jedes politische Großproblem unlösbar, aber die Tendenz geht zur Unlösbarkeit, so dass, ceteris paribus, die Aussage möglich ist: in der Polykrise werden Probleme tendenziell unlösbar.


...wahlen ihre #badboyfriends selber.”

Zurück zu uns gestressten, überforderten Subjekten, zu unseren Bedürfnissen und Wünschen: wir suchen also einen Akteur, den wir verantwortlich machen können, und – wir nutzen hier gerade mal das Konstrukt des “Gesellschaftsvertrags”, weil viele Menschen die Gesellschaft genau so zu verstehen gelernt haben – im Rahmen des existierenden “liberalen” Gesellschaftsvertrages ergibt es auch Sinn, diesen Akteur im repräsentativen Parteienstaat BRD zu suchen.

Ich erwähne den Parteienstaat, weil deren Konkurrenz untereinander jetzt sehr wichtig wird: alle paar Jahre, 4 bei uns, wollen die Parteien, die zwischen den Wahlen den Staat organisieren, unsere Stimmen haben. Ich habe schon mehrfach erklärt, dass dieser Prozess nicht auf rationalen, sondern emotionalen symbolischen Zuschreibungen und Resonanzen basiert.

D.h., wenn wir megagestresst sind und Angst haben, werden wir zu denen tendieren, die a) “unseren Schmerz fühlen” (Bill Clinton famously “felt our pain”), und b) versprechen, die Probleme zu lösen, die uns stressen, auch und gerade dann, wenn sie wissen, dass sie diese Probleme never, ever lösen können werden. Glaubt Ihr denn, Olaf Scholz (Opens in a new window) dachte 2021, er würde danach wirklich als “Klimakanzler” regieren? No way, der versprach das nur, damit die Leute, die irgendwie das mit dem Klima wichtig, aber nicht zu wichtig fanden, ihn wählen würden.

Er machte (und diesen Move stell ich jetzt einfach mal als stellvertretend für viele Sätze vieler Politiker*innen in vielen Wahlkämpfen) uns also ein Versprechen, machte uns eine ganze Reihe von Versprechen, die er nun nicht einhalten kann. Klimaschutz und Frieden, Gesundheit und Glück oder so ähnlich. Dass er sie nicht lösen kann, ist nicht mal seine Schuld, die Union, die AfD, die LINKEN, auch die könnten die Probleme nicht lösen, weil halt Polykrise, aber sie werden nur dann gewählt, wenn sie ausreichend Menschen irgendwie davon überzeugen können, sie zu wählen, weil diese Menschen glauben, dass ihre Probleme gelöst werden.

Und was wird ein Akteur, der in einer Beziehung ein verbindlich gegebenes Versprechen nicht einlösen kann? Richtig, der wird ganz schnell zum “bad boyfriend”: angesichts (Opens in a new window) der Nichterfüllung rechtlich oder emotional verbindlicher Versprechen erlebt das seine Versprechen nicht-erfüllende Subjekt sein eigenes Verhalten als schuldhaft oder gar schamvoll, zumindest aber erlebt es “kognitive Dissonanz”, weil sein Verhalten sich nicht mit seinen Ansprüchen deckt. Scham und Schuld lauern auch jenseits der bloßen Versprechen, es kann ja sein, dass Olaf wirklich dachte, er würde als Klimakanzler regieren, dass er wirklich Klimaschutz vorantreiben wollte: in diesem Fall wäre er dann nicht an seinen Versprechen, sondern an seinen eigenen Erwartungen gescheitert, aber in beiden Fällen: wäre er gescheitert.

Failed men...

Und es gibt wenig unangenehmeres, irrationaleres, schwächeres und darin gefährlicheres, als ein Subjekt, das sein eigenes Scheitern wahrnimmt, ohne damit emotional umgehen zu können. Dann folgen genau die Projektion von Schuld auf Andere, die wir aus dem Klimadiskurs kennen, aber auch aus dem enthemmten, verrohten Arschlochgegröle, das als “Asyldebatte” durchgeht. Wenn ein Problem unlösbar ist, bleibt nur Schuldzuweisung, denn das sind die einzigen “Stakes”, die es dann noch gibt. Der Wagen ist an die Wand gefahren, rette sich wer kann, und das einzige, was in der Beziehung (politischen, institutionellen, romantischen) noch zu verhandeln ist, ist die Verteilung der verbleibenden Quanta von Schuld. Nicht “Verantwortung”, weil die gibt's nur in noch funktionierenden Beziehungen und lösbaren Konflikten. Deshalb wird sich Politik im Kollaps zunehmend um Schuldzuweisungen drehen, wer's verbockt hat, und ein endloser Beziehungskonflikt werden.

It'll be hell.

Euer Tadzio, froh, seine bad boyfriends weit hinter sich gelassen zu haben :)

p.s.: hier könnt Ihr mein Buch vorbestellen, da steht noch mehr zu diesen Themen drin:

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