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WeinLetter #70: Sophie Christmann und das radikale Schrumpfen

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #70. Heute gibt's: Das große Interview mit Sophie Christmann. Sie führt mit ihrem Vater Steffen das Top-Weingut in Gimmeldingen in der Pfalz. Sie gehen einen Weg, der ziemlich spannend ist. Sie reduzieren ihre Fläche. Sie bereinigen ihr Angebot um Grauburgunder und Weißburgunder und konzentrieren sich nur noch auf Riesling und Spätburgunder. Sie brechen mit der VDP-Qualitätspyramide und verkaufen nur noch Lagenweine - obwohl Steffen Christmann VDP-Präsident ist. Was steckt dahinter? WeinLetter-Autor Philipp Bohn hat mit Sophie Christmann ein langes Gespräch geführt über harte Strategieprozesse, Degrowth und die Orientierung an Schweizer Luxusuhren-Marken. Sie sagt: “Wir wollten bei der Qualität wachsen und nicht bei der Menge.” Ist sie damit Vorbild für die gesamte Weinbranche? +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

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Die Winzerin Sophie Christmann im Porträt

“Wir haben uns die Frage gestellt, wo wir in zehn Jahren sein wollen”: Sophie Christmann, 30, Winzerin in der Pfalz FOTO: ANNA ZIEGLER

“Die Weinbranche braucht Know-how von außen”

Interview Philipp Bohn

WeinLetter: Sophie Christmann, welches große Thema beschäftigt Sie gerade als Winzerin?

Sophie Christmann: Ganz klar der Megatrend Nachhaltigkeit und Klimawandel. Unsere Weinwelt war die vergangenen Jahrzehnte sehr auf Wachstum ausgerichtet. Viele Betriebe sind sehr groß geworden. Mit der Folge, dass sie auf eine günstige Kostenstruktur angewiesen sind. Das funktioniert aber in der jetzigen Situation nicht mehr, wenn die Absatzpreise sinken, aber die Produktionskosten steigen. Ich frage mich dabei: Wie gehen wir damit um? Weiterwachsen und Kosten senken oder gibt es einen anderen Weg?

WeinLetter: Was ist Ihre Antwort?

Sophie Christmann: Degrowth. Wir haben unsere Fläche reduziert und mehrere Hektar verpachtet.

WeinLetter: Was war die Idee dahinter?

Sophie Christmann: Mit meinem Betriebseinstieg 2018 haben wir mit externer Unterstützung einen Strategieprozess angestoßen und auch das Thema Nachhaltigkeit im Fokus gehabt. Ich war 24 Jahre alt. Damit war klar, dass ich noch längere Zeit mit meinem Vater das Unternehmen führen werde.

WeinLetter: Mit Ihrem Vater Steffen Christmann, 58, seit 2007 Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter. Kurz VDP.

Sophie Christmann: Da haben wir uns die Frage gestellt, wo wir in zehn Jahren sein wollen. Der Prozess hat fünf bis sechs Jahre gedauert. Die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen haben großen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft und damit auch die Weinbranche, etwa weiterer Kostendruck in der Produktion oder weniger Restaurantbesuche. Das konnten auch wir nicht vorhersehen. Aber wir sind in der Lage gut aufgestellt.

WeinLetter: Wie denn genau?

Sophie Christmann: Wie viele Betriebe sind wir schleichend weitergewachsen. Nicht extrem, aber kontinuierlich. Wird eine gute Parzelle angeboten, greift man als Winzerin in der Regel zu. Aber so ging das nicht weiter. Wir wollten uns mehr auf einzelne Lagen und Rebsorten fokussieren. Wir wollten bei der Qualität wachsen und nicht bei der Menge. So sind wir weniger abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Dynamik.

Das ist Sophie Christmann

Vater Steffen und Tochter Sophie Christmann stehen zwischen Rebstöcken im Weinberg und lächeln

“Wir haben diese Sorten für unseren Erfolg nicht mehr benötigt: Steffen und Sophie Christmann FOTO: ANNA ZIEGLER

Geboren: 1. August 1993

Die Ausbildung: B.Sc. Weinbau und Oenologie, Hochschule Geisenheim

Die Aufgaben im Weingut: Alles - vor allem Rotwein & Kommunikation.

Die Wein-Prägung: „Die erste wirkliche bleibende Erinnerung an guten Wein war eine 1993er Wehlener Sonnenuhr Auslese von J.J. Prüm“, sagt Sophie Christmann. „Wirklich prägt mich als Winzerin aber der laufende intensive Austausch in meinem Winzerumfeld. Ich habe besonders guten Kontakt zu Wittmann, Bürklin-Wolf, Wehrheim, den Rings-Brüdern, Huber, Keller oder Rebholz. Da bestehen sehr enge, ehrliche und gewachsene Beziehungen. Das beeinflusst mich am meisten.“

In den Sozialen Medien: https://www.instagram.com/sophie_christmann

WeinLetter: Welche Dynamiken spielten noch eine Rolle?

Sophie Christmann: Corona war ein wichtiger Impuls für unseren Entscheidungsprozess. Das Gastronomiegeschäft ist weggebrochen und damit der Absatz von offen ausgeschenkten Weinen. Dies betraf vor allem Grau- und Weißburgunder. Wir haben dadurch praktisch erlebt, dass wir diese Sorten für unseren wirtschaftlichen Gesamterfolg überhaupt nicht benötigen. Wir konnten ohne sie leben. Wir haben unseren Rebspiegel deshalb ganz auf Riesling und Spätburgunder fokussiert.

WeinLetter: Was bedeutete das für Ihre Preisstruktur?

Sophie Christmann: Wir wollten uns mit dem Fokus auf Qualität und Herkunft aus dem Einstiegssegment rausziehen. Im Weingut steigen wir jetzt mit 20 Euro für Basisweine und mit 38 Euro im Sektgut Christmann & Kauffmann ein. Als die Überlegung, das Weingut umzustrukturieren und zu verkleinern im Raum stand, kam eine große Supermarktkette auf uns zu. Sie wollten einen Riesling für ihre Premiumabteilung mit uns machen, also 50.000 Flaschen für 9,90 Euro. Das war ein guter Impuls eine Entscheidung zu treffen.

WeinLetter: Sie lehnten das Angebot ab. Sie wollten lieber downsizen. Würden Sie diese Strategie auch anderen Weingütern weiterempfehlen?

Sophie Christmann: Jeder muss seine eigene Strategie entwickeln. Für Christmann funktioniert der Ansatz, weil wir einfach nie eine übermäßige Größe erreicht haben. Wir sind von 24 Hektar auf 19 Hektar geschrumpft. Mit 60 bis 80 Hektar ist Schrumpfen auf 20 Hektar und weniger ein riesiger Schritt, der sich über Jahrzehnte streckt.

WeinLetter: Der Top-Riesling der Lage Idig kostet 70 Euro. In der Pfalz steht Riesling der Lage Kirchenstück des Weinguts Bürklin-Wolf mit 300 Euro an Platz 1. Wie weit wollen Sie denn gehen mit Preis und Qualität?

Sophie Christmann: Pricing ist für mich ein wichtiges Thema. Ist der Idig mit 70 Euro teuer oder preiswert? Die Lagen Idig und Kirchenstück von Bürklin-Wolf unterscheiden sich sehr bei der Fläche und damit den produzierten Flaschen. Wir bringen jährlich 12.000 bis 13.000 Flaschen aus der Idig-Kernparzelle auf den Markt. Beim Kirchenstück sind das wahrscheinlich eher um die 1.000 Flaschen. So eine kleine Menge aus bester Lage kann man zu einem hohen Preis ohne künstliche Verknappung verkaufen. Wir wollen keinen Sekundärmarkt mit hohen Preisaufschlägen wie im Burgund schaffen.

WeinLetter: Aber was ist Ihr Zielmarkt? Geht es um Premium-Weine für einen lokalen Markt oder Luxus-Weine für einen internationalen Markt?

Sophie Christmann: Wir bedienen Premium. Ob wir uns in den Luxusbereich entwickeln, steht noch nicht fest. Das muss auch nicht sein. Wir werden sehen und möchten vor allem unserer Arbeit als Winzer treu bleiben. Unser Leben soll nah an der Rebe und dem Weinberg sein und sich nicht zu viel um Marketing und Vertrieb drehen.

WeinLetter: Bei aller Bedeutung für den lokalen Markt ist Riesling global ein deutsches Nischenprodukt. Ist das ein Problem für internationale Expansion?

Sophie Christmann: Das sehe ich nicht problematisch. Wir haben im Topbereich mit Riesling und Spätburgunder nur zwei Sorten. Das ist leicht zur erklären. Und die Kunden kriegen im Vergleich zu Frankreich, USA und anderen Märkten viel Wein für relativ wenig Geld. Wir können und wollen nicht in kurzer Zeit große Sprünge machen.

WeinLetter: Und welche Sorte ist international gefragter?

Sophie Christmann: Tatsächlich ist unser Spätburgunder international überbuchter als Riesling. Spätburgunder ist als Pinot Noir international bekannt. Die Leute müssen sich nur an eine weitere Herkunft gewöhnen. Und sind sie einmal bei uns, überzeugen wir sie auch vom Riesling.

Das ist das Weingut Christmann und der Idig

Weinberg in der Pfalz

24 auf 19 Hektar reduziert: Der Idig ist die Toplage des Weinguts Christmanns FOTO: FABIAN PELLEGRINI

Das Weingut: Das Gimmeldinger Weingut wurde 1798 vom „Deidesheimer Kreis“ gegründet, einer politischen Gruppierung im Umfeld des Deidesheimer Weinguts Reichsrat von Buhl. Über die folgenden Jahrzehnte entwickelte sich ein Gutsbetrieb mittlerer Größe. Eduard Christmann nahm nach seiner Einheirat 1894 die Umbenennung des Betriebs vor.

Die Familie: In der siebten und achten Generation führen Steffen und Sophie Christmann den Betrieb. Steffen Christmann ist seit 2007 auch Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP).

Die Fläche und der Rebspiegel: 19 Hektar ausschließlich mit Riesling und Spätburgunder bestockt.

Die besondere Lage: Für die Christmanns ist der Idig (Opens in a new window) als historische Große Lage Herz und Zentrum ihres Weinguts. Die auf vier Hektar erzeugten Rieslinge und Spätburgunder finden jedes Jahr nationale und internationale Anerkennung. Der Weinberg fällt für Pfälzer Verhältnisse steil nach Südosten ab. Das etwas windige Mikroklima kühlt und trocknet die Trauben und hält sie lange gesund.

Etikett auf einer Weinflasche

Aus der Lage Idig macht das Weingut Christmann Riesling - und auch Spätburgunder FOTO: ANNA ZIEGLER

WeinLetter: Das Weingut Christmann hat sich von der Basis der VDP-Qualitätspyramide verabschiedet. Es gibt keine Guts- und Ortsweine mehr. Es gibt jetzt Große Gewächse, Erste Gewächse sowie Einstiegsweine „Aus den Lagen“. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Sophie Christmann: Das hat supergut funktioniert. Es wurde gut aufgenommen von unseren Händlern und Kunden. Wir haben eigentlich nur aufgehört, Ortsweine zu machen. Übrigens hätte ich lieber Orts- statt Gutsweine weitergemacht. Das würde besser zu unserem sehr ausgeprägten Terroir-Denken passen. Aber die Dörfer, in denen wir unsere Weinberge haben, sind einfach sehr klein. So würden zahlreiche Ortsweine in kleinen Auflagen entstehen.

WeinLetter: Herkunft ist zentral für eine Premium-Marketingstrategie. Mit Ihrem neusten Produkt, den Sekt von Christmann & Kauffmann, nutzen Sie Elemente des Luxusgüter-Marketings. Die Sektjahrgänge von Christmann & Kauffmann werden einmal pro Jahr gedroppt, also ohne große Ankündigung und auch mit viraler Aufmerksamkeit in den sozialen Medien auf den Markt gebracht. Den ersten Jahrgang gab‘s ausschließlich im offenen Ausschank in ausgewählten Weinbars. Wie sind Sie darauf gekommen?

Sophie Christmann: Im Nachhinein wirkt es, als wären wir mit dem Gastronomie-Drop einem großen Masterplan gefolgt.

WeinLetter: Den hatten Sie nicht?

Sophie Christmann: Tatsächlich war es das Ergebnis mehrerer zwingender Umstände. Zunächst hatten wir nur jeweils 400 Flaschen von unseren ersten beiden Sekten. Wir hatten überwältigend viele Anmeldungen allein bei unserem Newsletter, so dass ein reiner Verkauf gar keine Option war. Wir hätten zu wenig Menschen glücklich machen können. Die ersten Flaschen waren als Vorschau gedacht und lagen deshalb eher kürzer auf der Hefe. Daher wollten wir, dass Kunden beim ersten Kontakt eine Begleitung haben, um das Produkt etwas einzuordnen. So lag der Release über die Gastronomie auf der Hand. Die Leute haben das dann unheimlich viel und intensiv über die sozialen Medien, vor allem Instagram, geteilt. Im Nachhinein war es das Beste, was wir aus PR-Sicht hätten machen können.

WeinLetter: Was hat Sie bei diesem Vorgehen inspiriert?

Sophie Christmann: Ich hole meine Inspiration auch außerhalb der Weinwelt. Vor einiger Zeit war ich beim Online Marketing Rockstars-Festival in Hamburg.

WeinLetter: Einer digitalen Marketingmesse. Was hat die mit Wein zu tun?

Sophie Christmann: Dort wurde eine Kampagne der Schweizer Luxusuhrenmarke IWC vorgestellt. IWC hatte riesige dreidimensional wirkende Uhr-Animationen an zentralen Plätzen großer Weltstädte installiert. Times Square in New York, Piccadilly Circus in London. Sie haben getrackt, wie oft die Motive gefilmt, fotografiert und in den Sozialen Medien geteilt wurden. Also welche Reichweite sie erreicht haben. Das Ergebnis war, dass sie durch User Generated Content viel mehr Reichweite hatten, als wenn sie das Budget direkt in Social-Media-Marketing ausgegeben hätten. Auch wenn die Installationen sehr teuer waren, hatten sie viel mehr Reichweite erzielt als durch klassisches Marketingbudget. So war das auch bei unserem Sekt-Drop.

WeinLetter: Bei Ihrer Neugründung Christmann & Kauffmann haben Sie sich den Investor Achim Berg dazu geholt, ein Senior Partner der Beratungsgesellschaft McKinsey. Was war die Überlegung?

Sophie Christmann: Die reine Finanzierung hätten wir sicherlich auch so geschafft. Achim ist ein total Weinnerd und war schon länger auf der Suche nach einem Invest im Weinbereich. So haben wir ihn angesprochen und gefragt, ob er Lust hat, mitzumachen. Mir macht es viel Spaß, mit ihm unsere Strategie zu diskutieren. Er ist für uns also eher Smart Capital. Es ging uns um seine Perspektive als Berater und Manager in der globalen Luxus- und Modeindustrie. Solches Wissen tut der Weinbranche grundsätzlich gut. Für einen Kleinbetrieb wie ein Weingut ist Beratung auf diesem Niveau eigentlich zu teuer. Aber es gibt viele kompetente Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft mit Spaß am Wein. Viele von ihnen suchen engeren Kontakt zur Weinbranche. Und die Weinbranche braucht dieses Know-how von außen, um mit Innovation und Qualität statt mit Masse zu wachsen.

Die Winzerin Sophie Christmann läuft mit ihrem Vater Steffen durch einen Weinberg

Wir möchten unserer Arbeit als Winzer treu bleiben”: Sophie Christmann mit ihrem Vater Steffen FOTO: ANNA ZIEGLER

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