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WeinLetter #82: Der Frost-Frust der deutschen Weingüter

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #82. Heute gibt’s: Brrrrr, Frost! Bis zu Minus 5 Grad hatte es in den Tagen rund um den 22 April. Und zack: Jetzt “bibbern” so viele Weingüter in Deutschland um die 2024er Ernte. In den Weinbergen sind viele Knospen erfroren. Aus! Jetzt ist Nachtfrost an einem 22. April nichts Ungewöhnliches. Gab’s immer schon. Komm mir also nicht mit Klimawandel und Wissenschaft! Sorry, Old White Boys, es ist auch da: Klimawandel. Nur an anderer Stelle im Kalender. Weil die Vegetation wegen der Erderwärmung immer früher einsetzt. Ja, genau, Anfang März saßen die ersten im T-Shirt vor ihrem Latte. Also treiben die Reben viel früher aus als der Frost das erlaubt. Darüber spreche ich mit Manfred Stoll. Er arbeitete selbst mal im Weingut am Stein in Franken. Ehe er sich der Wissenschaft hingab. Er ist Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. Er sagt im Interview: “Die Wetterextreme nehmen in Zeiten des Klimawandels zu.” Und dabei hat das Wein-Jahr für die Winzer:innen gerade mal mit Frost extrem begonnen. Es wird der ein oder andere Mehltau noch vorbeischauen. Was gegen Extreme wie Frost hilft, ob Agriphotovoltaik die Zukunft ist - plus alle Infos zur Frost-Bilanz: Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Aber vor allem: 

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

Unentschieden im Weinberg: Oben ist eine erfrorene Knospe zu sehen, unten eine intakte Knospe FOTO: HELMUT DOLDE

“Die Abhängigkeit vom Klima erfordert Kreativität”

Interview Thilo Knott

WeinLetter: Herr Stoll, in diesen Tagen hat der späte April-Frost in einigen Anbaugebieten bis zu 100 Prozent der Weinberge geschädigt. Für viele Winzer:innen ist die Ernte 2024 quasi schon vorbei. Können Sie jungen Menschen noch empfehlen, Winzerin oder Winzer zu werden?

Manfred Stoll: Unbedingt, gerade weil es ein Zusammenarbeiten mit der Natur ist. Die Abhängigkeit vom Wetter, vom Klima erfordert doch gerade Kreativität. Es ist im Prinzip der einzige Beruf in der Landwirtschaft, bei dem Winzer:innen die gesamte Prozesskette gestalten und dessen Endprodukt, der Wein, kein Verfallsdatum hat. Anders als ein Gärtner oder Florist. Als Winzerin oder Winzer stellst du ein Produkt her, das eine ganz andere Zeitspanne in sich trägt. Da sprechen wir von Jahren, von Jahrzehnten. Das ist einmalig.

WeinLetter:Dieser Aprilfrost war besonders schlimm. Es hat die Winzer:innen in einem kaum gekannten Ausmaß erwischt. Obwohl Frost bis in den frühen Mai, bis zu den Eisheiligen durchaus normal ist. Was ist passiert?

Manfred Stoll: Es sind die extremen Folgen des Klimawandels. Das Problem ist tatsächlich zunächst nicht der Frost. Das Problem sind die prinzipiell höheren Temperaturen. Der Winter 23/24 lag um 3,8 Grad über dem Mittelwert der international gültigen Referenzperiode von 1961 bis 1990.

WeinLetter: Wozu führt das?

Manfred Stoll: Die generell höheren Temperaturen führen zu einem viel früheren Austrieb der Rebstöcke. Im März saßen wir doch schon im T-Shirt auf der Terrasse, der Riesling hier im Rheingau ist deshalb schon am 15. April ausgetrieben, der Müller-Thurgau, zum Vergleich, noch vier Tage früher. Das war alles eine Woche bis zehn Tage früher als der Durchschnitt der Jahre.

WeinLetter: Zu früh für den späten Frost.

Manfred Stoll: Je früher der Austrieb erfolgt, desto größer ist das Spätfrostrisiko. Die phänologische Uhr tickt jetzt einfach anders. Der Austrieb hat sich durch den Klimawandel um zwei Tage pro Dekade nach vorne verschoben. Bei der Ernte sind es sogar fünf Tage pro Dekade. Weil die Vegetation unter höheren Temperaturen etwa im Sommer dann auch die Frucht schneller reifen lässt. Die Zuckereinlagerung, die das Mostgewicht bestimmt, hat deutlich an Tempo zugenommen.

“Es sind die extremen Folgen des Klimawandels”: Manfred Stoll FOTO: HOCHSCHULE GEISENHEIM

Das ist Manfred Stoll

Manfred Stoll leitet seit 2009 das Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. Er ist gelernter Winzer, hat zwei Jahre im Weingut am Stein in Franken gearbeitet, strebte aber früh eine wissenschaftliche Laufbahn an. Nach seinem Weinbaustudium in Geisenheim und der allgemeinen Biologie in Würzburg machte er Station an den Universitäten in Adelaide, Australien, und Dundee in Schottland, ehe er nach Geisenheim zurückkehrte und als Professor für allgemeinen Weinbau lehrt. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Interaktion zwischen Rebe und Umwelt. Er ist u. a. Mitherausgeber des Standardwerks „Deutsches Weinbau Jahrbuch“.

WeinLetter: Auf Fotos war zu sehen, wie in den Weinbergen die Wachskerzen aufgestellt waren. Das sieht vordergründig romantisch aus, war aber das letzte Fünkchen Hoffnung, oder?

Manfred Stoll: Genau. Das Frostereignis ist ein rein physikalischer Schaden: Das Wasser gefriert in den Zellen der Organe der Rebe, wenn die Temperaturen unter Minus 0,5 Grad liegen, dann haben Sie grünes, kaputtes Gewebe. Es hatte aber in Teilen Deutschlands Minus 5 Grad, dagegen kommen sie mit den Kerzen nicht an.

“Dagegen kommen sie mit den Kerzen nicht an”: Weinbergsfeuer mit 180 Frostschutzkerzen in einer Muscaris-Junganlage in Weinböhle (2023) SYMBOLFOTO: SCHLOSS WACKERBARTH

WeinLetter: Was hätten die Winzerinnen und Winzer tun können?

Manfred Stoll: Helikopter-Einsatz hätte nichts gebracht. Es gab Vollmond, die Nacht war glasklar, da gab es keine Luftschichten, die man aufwirbeln hätte können, um Wärme zu erzeugen. Man hätte die Knospen in Eis einpacken können.

WeinLetter: Mit Eis gegen Frost?

Manfred Stoll: Durch eine Frostberegnung  schafft man quasi eine Schutzschicht, die tatsächlich „wärmt“. Aber da benötigen Sie zwischen 15.000 und 40.000 Liter Wasser pro Hektar und pro Stunde, um diesen Eismantel aufzubauen. Das ist äußerst kostspielig und aufwändig.

“Man hätte die Knospen in Eis packen können”: Schutzberegnung gegen den Frost SYMBOLFOTO: DEUTSCHES WEININSTITUT

WeinLetter: Gibt es nicht strukturelle Maßnahmen, die die Gefahr von Frost schon viel früher bannt als drei Tage vor den Minusgraden in der Wetter-App?

Manfred Stoll: Klar, der Frostschutz beginnt im Winter beim Rebschnitt. Hier setzen die Winzerinnen und Winzer mittlerweile häufiger den Minimalschnitt im Spalier an. Mit diesem Schnittverfahren bleiben 100 statt 10 Knospen stehen. Das verlangsamt den Austrieb. Wenn es dann doch Frost geben sollte, gehen vielleicht nicht alle Knospen oder Triebe kaputt. Oder sie lassen eine Frostrute stehen, die nach oben wächst. Denn alles, was in die Höhe wächst, ist weiter weg vom Frost am Boden.

WeinLetter: Das gilt auch für die Umkehrerziehung?

Manfred Stoll: Ja. Hier wächst die Frucht von oben nach unten. Die Knospen wären in dem Fall in 1,80 Meter Höhe. Das machen in Deutschland aber nur sehr wenige Betriebe.

WeinLetter: Herr Stoll, Frost ist erst der Auftakt der Gefahren für die Weinbranche. Zuletzt gingen Ernten mal wegen extremer Trockenheit kaputt, mal durch extreme Niederschläge. Der Rebdruck ist ein permanenter Begleiter, oder?

Manfred Stoll: Die Wetterextreme nehmen in Zeiten des Klimawandels zu. Nehmen Sie den Niederschlag. Die reine Niederschlagsmenge ist im Schnitt über die Jahre nahezu gleichgeblieben. Aber heute habe ich an einem Ort extreme Mengen an Niederschlag oder er kommt gleich in Form von Hagel. Diese Extreme führen zu Ertragsausfall und wirtschaftlichen Einbußen. 

WeinLetter: Was ist mit dem Einsatz neuer Technologien im Kampf gegen den Klimawandel? Sie forschen in Geisenheim selbst mit einer Agriphotovoltaik-Anlage.

Manfred Stoll: Diese Anlage garantiert tatsächlich einen Weinanbau unter deutlich geschützteren Bedingungen. Es gibt unter den lichtdurchlässigen Modulen weniger Sonnenstrahlung, es gibt weniger Verdunstung und damit einen deutlich besseren Bodenwassergehalt. Die Reben wachsen bei geringeren Temperaturen langsamer, weil die Photosynthese schwächer ist. Sonnenbrand gibt’s auch nicht, weil die semitransparenten Module Schatten spenden. Und dann wird am Tag Strom erzeugt, um die Anlage zu betreiben, das Weingut mit Strom zu versorgen oder in das örtliche Netz einzuspeisen.

“Das ist ein Zurück in die Zukunft”: Die Hochschule Geisenheim forscht mit der Agriphotovoltaik-Anlage FOTO: HOCHSCHULE GEISENHEIM

WeinLetter: Hört sich nach Zukunft an.

Manfred Stoll: Das ist ein Zurück in die Zukunft, weil wir hier Bedingungen wie vor 20, 30 Jahren erzeugen. Und es ist ein Schritt in die Zukunft, weil wir gleichzeitig unsere eigene Energie erzeugen.

WeinLetter: Der Konsum von Wein geht in Deutschland wie international zurück. Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert aber Investitionen und damit finanzielle Belastungen für die Betriebe. Geht das zusammen?

Manfred Stoll: Sie müssen in jedem Unternehmen fortlaufend investieren. Baue ich eine Vinothek für die Weintouristen? Benötige ich einen neuen Traktor? Oder baue ich mir eine Photovoltaik-Anlage in meinen Weinberg? Aber wenn sich die Investition nicht rechnet, stehe ich da und lebe von der Substanz. Die derzeitige Situation mit weltweiter Überproduktion und sinkender Nachfrage schränkt die Investitionsfreude gerade ein.

WeinLetter: Was läuft falsch?

Manfred Stoll: Die Wertschätzung gegenüber Wein, gegenüber einem landwirtschaftlich hochwertigem, regional erzeugtem Produkt ist zu gering und nicht angemessen. Nur: Der Preisdruck aufgrund von Überproduktionen senkt automatisch die Preise für Wein. Das wiederum beeinflusst wiederum die Wertschätzung – nach unten. Und da sind wir wieder bei der Frage, ob man jungen Menschen den Beruf der Winzerin oder des Winzers ans Herz legen kann.

WeinLetter: Nochmal: Können Sie?

Manfred Stoll: Immer noch unbedingt. Es gehört ein gewisser Idealismus dazu, denn die Bezahlung in der Landwirtschaft war noch nie allzu groß. Aber das Weinhandwerk unterlag schon immer einem gewissen Strukturwandel. Mechanisierung des Handwerks. Veränderung der Rebsorten. Und jetzt sind es eben die Veränderungen in der Produktionsweise, die durch den Klimawandel notwendig werden. Ich kann hier als Winzerin oder als Winzer die komplette Produktionskette verantworten: Das kann einen nur motivieren!

https://www.instagram.com/p/C6L-JiRKWOe/?img_index=1 (Opens in a new window)

Alle Fakten zum Frost und den Folgen für die Winzer:innen

von Thilo Knott

1. In welchen Weinanbaugebieten schlug der Frost besonders hart zu?

Sie haben es mit dem Feuer von kleinen Wachskerzen versucht, um den Schaden abzuwenden. Doch die Wärme war zu gering, um die Frostschäden abzuhalten. Denn in der Nacht von 22. auf 23. April sank die Temperatur in einigen Anbaugebieten auf Minus 2,5 Grad, teilweise sogar auf Minus 5 Grad. Zu viel für die Triebe an den Rebstöcken – sie erfroren. Besonders betroffen war der Osten: In den Anbaugebieten Saale-Unstrut und Sachsen rechnen sie mit einem Schaden von bis zu 100 Prozent. Der Vorsitzende des Weinbauverbands Sachsen, Felix Hößelbarth, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Ernte 2024 ist größtenteils passé.“ Rheingau und Pfalz hat es weniger getroffen. Dagegen sind im Ahrtal oder der Hessischen Bergstraße viele Betriebe von massiven Frostschäden betroffen. (Eine Übersicht über die Schäden gibt das Deutsche Weininstitut (Opens in a new window))

2. Wie groß wird der Frostschaden für Obst- und Weinbau?

Die Vereinigte Hagelversicherung macht sich gerade ein Bild von den Schäden im Obst- und Weinbau. Die Versicherung rechnet im Obst- und im Weinbau mit Ausfällen in Höhe von 500 Millionen Euro.

https://www.instagram.com/p/C6HcfoPr9gx/?img_index=1 (Opens in a new window)

3. Was sagen die betroffenen Winzerinnen und Winzer?

Die Social-Media-Accounts vieler Weingüter liefen voll mit Fotos und Berichten aus der Frost-Nacht auf den 23. April. Das Nahe-Weingut Maximin Grünhaus postet auf Instagram, dass sie in den Frostnächsten 100 Prozent der Triebe erfroren sind. „Die Arbeit mit der Natur bedeutet, dass man lernen muss, Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann, und dass man an gute Zeiten in der Zukunft glauben sollte.“ Das Weingut Toni Jost hat ein Foto mit Feuertöpfen in ihren Weinbergen gepostet und geschrieben: „Ein wunderschönes Spektakel, wenn es nicht so ernst gewesen wäre.“ Die Jungfelder seien davongekommen, doch vier Hektar Weinberge seien erfroren. „Hier werden wir 2024 – wenn überhaupt – nur noch einen Bruchteil der üblichen Trauben ernten.“

4. Wenn die Frostschäden so groß sind: Gibt es dann wirklich keine Ernte?

Wenn von dem April-Nachtfrost - sagen wir - 80 Prozent der Knospen erforen sind, dann heißt das nicht automatisch, dass 80 Prozent der Ernte verloren sind. Erstens: Viele Winzer:innen lassen an einem Rebstock eine so genannte Frostrute unangebunden stehen, die nach oben wächst und sich so eventuell dem Frost entzogen hat (siehe Interview oben). Und dann sagt der Winzer Helmut Dolde: “Ist ein Haupttrieb abgefroren, können sich an seiner Basis Nebenknospen entwickeln.” Auch die Weinberge des Württembergers waren massiv betroffen. Der Schaden sei überall sehr groß, bilanziert er. Und doch: Dolde zum Beispiel ist spezialisiert auf Silvaner. Diese Rebsorte entwickle jetzt links und rechts Nebenknospen, weil die Hauptknospe erfroren ist. Normalerweise ist der Austrieb der Nebenknospen gehemmt, solange der Haupttrieb wächst. Eine von den Nebenknospen bricht er aus, damit die andere Knospe genügend Nährstoffe bekommt. “Diese Nebenaugen sind bei Silvaner ausreichend fruchtbar, sie entwickeln nur kleinere Trauben als sonst”, sagt Dolde. Die Rebsorte Chardonnay hingegen entwickelt aus den Nebenknospen keine Trauben mehr. Einmal abgefroren, ist der Ertrag  für das Jahr verloren. “Da wachsen nur Blätter”, sagt er.

“Die Arbeit im Weinberg wird jetzt sehr intensiv bis zur Ernte. Es gibt Austriebe an allen unmöglichen Stellen, die laufend ausgebrochen werden müssen”, sagt Helmut Dolde. Und dann: Er hat irgendwann ein wildes Sammelsurium an verschiedenen Traubengenerationen. “Ich habe durch den Frost jetzt zwei Generationen an Trauben im Herbst, die ich unterschiedlich behandeln muss. Die Trauben aus den Nebenknospen sind 3 Wochen hinterher. Ich habe jetzt mehr Geschäft.”

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