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"Die Zeit ist aus den Fugen" - zur Wahl Trumps, Rache, Trash TV und dem Konzept der "Hauntology"

Einen Text zum mich immer wieder neu beschäftigenden Konzept "Hauntology" ausgerechnet parallel zum Ausgang der US-Wahl zu schreiben erscheint mir passend.

Donald Trump installiert sich wiedergängerisch erneut im Präsidentenamt bzw. begibt sich nach der Wahl auf den Weg dorthin. Er inszeniert sich als Verkörperung einer glorreichen Vergangenheit - "Make America Great Again" -, in der die erdrückende Herrschaft einer weißen, sich als christlich behauptenden und männlich dominierten Mittel- und Oberschicht zu Größe geführt habe. Eine, die durch Segregation, Entrechtung von Minderheiten wie Queers und einer Ökonomie, die sich gegen staatliche Eingriffe behauptete, hell erstrahlt sei.

TRUMP UND TRASH TV

 Als Immobilienmogul in einer Zeit gestartet, da mit Wohnraum in Elendsvierteln wie der Bronx Geschäfte gemacht wurden - die Netflix-Serie "The Get Down (Opens in a new window)" über den frühen Hip Hop arbeitet zur Illustration des Szenarios mit eingeschnittenem Dokumentarmaterial -, erlangte er Popularität mit einer Hire & Fire-Show im Trash TV. Er weiß diese Ebene des Entertainment seitdem gekonnt zu bespielen.

 Die Firma MME, in der ich einst angestellt war und tolle Sachen produzieren durfte, bediente auch diesen Markt - meine ehemaligen Chefs ließen sich nach einer BILD-Schlagzeile den Titel "Pfui TV!" über eine ihrer Sendungen dieses als Titel schützen, auch wenn ein Format daraus nie entstand. Sie setzten einen "TV-Höhepunkt", als das Gemächt von Gotthilf Fischer für "Banzaii" vor laufender Kamera gewogen wurde. Durch manche Produktionen zog sich ein Spiel mit der Verachtung des Publikums, das darauf setzt, dass diese den ultimativen Trash, die schmutzige Schmierenkomödie, das falsche Pathos und das "es ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist" goutieren würde. Weil TV Unterhaltung sei, nicht Information.

 Eine zwielichtige Schurkenfigur mit viel Macht, also Trump, kommt nicht erst seit J.R. Ewing gut an als Held nicht enden wollender Serien; im Falle Trumps zudem eine, die in teils zombieesk wirkenden Inszenierungen inhaltlich an US-Mythen wie "The Birth of a Nation (Opens in a new window)" von D.W. Griffith anknüpft und diese Ursprungserzählungen mit offener Aggression gegen gesellschaftliche Minderheiten verknüpft. Frei nach dem Motto "erfolgreich ist, was polarisiert".

 Die mafiöse Rücksichtslosigkeit des Bald-wieder-Präsidenten erscheint manches Mal wie aus B-Movies geklaut - oder diese klauten bei der Mafia, kann ja auch sein - und fügt sich gut in von Ayn Rand (Opens in a new window) formulierte "Ethiken" eines totalisierten Egoismus ein. In den USA erreichten ihre Bücher eine Gesamtauflage von 30 Millionen Exemplaren. In fachphilosophischen Kreisen kaum rezipiert, wussten die oft in Romanform geschriebenen Werke libertäres, also auf staatliche Eingriffe komplett verzichtendes Denken zu inspirieren. Dieses findet in den USA viele Anhänger und wird auch vom argentinischen Präsidenten Javier Milei derzeit exekutiert. Hinter JD Vance, Kandidat für das Vizepräsidentenamt und ebenfalls durch einen Roman bzw. eine Autobiographie bekannt geworden, die “Hillbilly Elegie”, steht der Milliardär Peter Thiel als Mentor. In dessen Umfeld kursieren Visionen einer Unternehmer-Diktatur als Staatsform. Politiker, alle korrupt, könnten so was wie regieren eh nicht. Staaten müssten wie KOnzerne gelenkt werden.

 Die “Hillbilly Elegie” berichtet ergänzend kitschig vom Leben der weißen, vernachlässigten Landbevölkerung z.B. in Kentucky, einem Stoff, der sich auch durch diverse True Crime-Formate als sozialer Hintergrund zieht: White Trash und "Landeier", die auf die schiefe Bahn geraten. Die "Waltons" 2020. Diese lebten in Virginia, in den "Blue Rigde Mountains". Heute würden sie vielleicht Trump wählen und versunkene Größe imaginieren, deren Teil sie doch gewesen seien.

RACHE UND VERGELTUNG

 Um nun vor allem nach Rache zu streben - so der profilierte Journalist, Autor und TV-Dokumentarist Dirk Laabs auf X:

Mit Dirk Laabs habe ich bei zwei Produktionen zusammengearbeitet, beide noch für die MME - damals füllte ich die Rolle als Executive Producer aus, eine Mischung aus Redaktionsleitung und Steuerung der Gesamtproduktion. Beide Filme, die Dirk formidabel gestaltete, passen zur Wiederwahl Trumps. "Style Clash - Disco vs. Punk" (ZDF/ARTE 2008) begab sich in die späten 70er Jahre, als Disco-Musik, ein queerer und schwarzer Sound, nicht nur von reaktionären Rock-Fans, sondern auch von Punk-Fanzines als "Plastikmusik" heftig bekämpft wurde. Laabs integrierte die in den Zehnerjahren in Deutschland noch kaum bekannte "Disco Demolition Night (Opens in a new window)" in Chicago in seinen 52Minüter. Hier initiierte ein Radiomoderator die Verbrennung von Schallplatten, Donna Summer, Chic, Bee Gees - zu schwul, zu schwarz, in einem Stadion in Chicago. Eben diese Haltung zeigt sich heute bei den Trump-Wähler*innen, nunmehr vor auch stark gegen trans gerichtet.

 Der andere Film bildete einen Teil der Reihe "Who's afraid of America", ebenfalls 2008, die für einen Adolf Grimme-Preis nominiert wurde. Der Film von Dirk Laabs - ich habe keine Kopie mehr, aus der Erinnerung berichtet - beschäftigte sich mit Gewalt in den USA und ging beeindruckend tatsächlich dorthin, wo es gewaltig weh tun könnte - in jene Viertel der Metropolen, in denen Knast-Sozialisation vor allem bei Schwarzen und Latinos beinahe die Regel war und fast täglich jemand erschossen wurde. Ich erinnere mich auch an die Aufzeichnung eines Anrufes im Süden der USA, ich meine bei der Polizei, da mehr oder minder live zu hören war, wie jemand einen Eindringling in seinem Vorgarten erschoss - und das rechtlich auch durfte.

 All diese Szenarien erfuhren popkulturelle Verarbeitungen - auch die Unternehmermythen, nicht nur in "Dallas" und "Denver Clan", die Lust an der Intrige, dem Skandal, der Gemeinheit und natürlich, wie schon im Western, immer wieder auch Rache und Vergeltung. Gerade in der Gang-Kriminalität keine Randerscheinung und wie z.B.  im Falle des Tod es 2Pacs Teil der Hip Hop-Historie und -Mythologie.

 Es scheint mir nicht falsch zu sein, dass - bis hin zu den absurden Attacken Trumps auf "die Eliten", zu denen er selbst gehört - gespenstisch und eine unheimlichen Rahmen bildend, allerlei populäre Tropen, Formen des Storytellings, seinen Erfolg mit evozieren.

Progressive Kräfte sind sich hierfür oft zu fein; nicht zufällig erschien jedoch vor der Wahl Obamas die sehr erfolgreiche Serie "The Wire", die zu großen Teilen in jenen Milieus rund um Drogenhandel und Gang-Rivalitäten spielt, die Dirk Laabs für "Who's afraid of America" aufsuchte. Ein ultrarealistisches Bild zeichnete "The Wire"; diese im Außermoralischen situierten Erzählweisen sind in den USA und teilweise Großbritannien, ebenso Produktionen aus asiatischen Ländern wie Indien, Singapur, Südkorea, Japan, üblich. In Deutschland geht es immer nur um die Wiederherstellung der Ordnung, so dass Korruption, Ambivalenz und zwielichtige Figuren wenn, dann nur auf Verbrecher-Seite erscheinen. Vielleicht vernachlässigen progressive Kräfte zu sehr diese außermoralischen Formen des Storytellings. Es könnte derzeit helfen,, sie produktiv zu nutzen.

HAUNTOLOGY BEI DERRIDA

 All diese Motive und Erzählungen - dass Trump im Drive Inn von MacDonalds posierte erschien mir auch weniger arbeiteraffin als mit Pop-Mythologie spielend - geistern wie auch Trump selbst durch allerlei mediale Produktionen. Jaques Derrida erfand für diesen Spuk des Vergangenen in der Gegenwart den Begriff Hauntology (hier bereits in der englischen Übersetzung).

 In "Marx' Gespenster" entwickelt das Konzept so verquast wie tiefsinnig. Derrida verstrickt dabei immer in Wortspiele, heideggernd die buchstäblichen Bedeutungen von Begriffen parallel in verschiedenen Sprache erst aufdeckend, um sie sodann zu dekonstruieren und eine Philosophie der Zeit zu entfalten. Eine, die nicht in Linearität oder Entwicklungslogik der Historie sich präsentiert, sondern als Kritik dessen, was Derrida "Präsenzmetaphysik" nennt. Diese Kritik zieht sich durch sein Gesamtwerk. Diese Anwesenheit bei sich, die Präsenz des Subjekts in Situation bildet das Ziel seiner Kritik. En Detail - es ist in der Durchführung auch exzessiv kompliziert - kann ich das hier mal eben so weder re- noch dekonstruieren.

  "Hauntology" ist eine Verbindung aus "haunted", heimgesucht von Geistern und Gespenstern, und Ontologie, der philosophische Lehre vom Sein. In "Marx' Gespenster" geht Derrida aus vom berühmten ersten Satz des "Kommunistischen Manifests": "Ein Gespenst geht um in Europa das Gespenst des Kommunismus". Er schrub das Buch, basierend auf einem Vortrag, direkt nach der Implosion des Sowjetimperiums vor allem, um das Unabgegoltene, nicht Eingelöste der marxistischen Utopie zu retten, ohne trotzig einfach die Programmatik reformulieren zu wollen. Er verbindet seinen mäandernden Gedankengang mit Kommentaren zu Shakespeares "Hamlet" und einer Idee der Gerechtigkeit, die keine des Rechts oder der Rache sei - hier taucht die Rache als Gerechtigkeit wieder auf; als Genugtuung, dass dem Anderen jenes Leid widerführe, das mir, uns, wem auch immer zugefügt wurde.

 Ich habe es "Marx' Gespenster" als ein Plädoyer dafür gelesen, den Opfern der Historie Gerechtigkeit ebenso widerfahren zu lassen wie dem Werk von Marx. Ganz ohne Rache und Vergeltung. Einfach, indem man sie überhaupt bemerkt. Der "Auftakt", erster Abschnitt des Buches, weist dezidiert in diese Richtung. Hamlet zeichnet Derrida als Figur, die nach Erscheinen des Geistes seines Vaters Rache üben soll, aber nicht will.

 Die Begriffe "Geist" wie "Gespenst" spielt Derrida in allerlei Variationen durch, dabei die Doppelbedeutung von "Geist" lustvoll sezierend. In Hegels "Phänomenologie des Geistes" bedeutet dieses Wort etwas anderes als in Spukgeschichten - oder auch nicht? Im Englischen schreiben Philosophen eher von "mind" - was im Deutschen dann mit "Philosophie des Geistes" übersetzt wird und eher "Bewusstseinsphilosophie" meint. In "Bewusstsein" stecken immer auch Wissen, und was wissen Geister? Oder Gespenster? Das, was war. Sie erscheinen als Fragmente, Verzerrungen, unaufgelöster wie auch unerlöster konservierter Vorgänge aus der Vergangenheit. Zugleich stellt Derrida fest, dass die Frage nach dem Zukünftigen ohne die Vergangenheit nicht auskomme, weil sie ihr notwendig voraus gehe - in unserem Denken -; sei es kausal oder einfach nur auf einer "geistigen", also gedachten Zeitachse angesiedelt. Das, was wir Gegenwart nennen, ist der Zukunft zugewandt so immer auch auf etwas bezogen, was nicht mehr ist und eben doch eine Rolle spielt, anwesend ist in Abwesenheit. Leni Riefenstahl lebt nicht mehr und geistert sehr gruselig derzeit doch als audiovisuell aufgezeichnet in einem sehenswerten Dokumentarfilm über die Kinoleinwand.

HAUNTOLOGY IM POP-DISKURS

Diese Anwesenheit des Abwesenden in allen Aufzeichnungsmitteln, sei es Film, Tonband, auf Festplatten, Fotos und auf Vinyl gepresst, führte zum Erfolg dieses der "Hauntology" im Popjournalismus. Die Stimme von Caruso können wir hören, obwohl er längst tot ist, und sogar digital weiterbearbeiten - habe ich gerade in meiner Musiksoftware gemacht. Man kann die Stimme von den begleitenden Orchestern lösen, dann umschneiden, beschleunigen, mit Effekten versehen und Beats unterlegen - aber Caruso geistert immer noch in meinem Programm "Logic" herum. Seit dem Dub, einer durch Umkopierprozesse und Effektorgien rund um Reggae auf Jamaica entstandenen Produktionsweise, verschob sich auch die Frage nach dem "Original", analog zu Warhols Siebdrucken. Während man bei der Callas noch angibt, wann und wo die Aufnahme dieser realen Person aufgezeichnet wurde, bei Elvis noch zu hören ist, wann er die Tür zum Treppenhaus öffnete, während er einsang und die Originalbänder irgendwo archiviert sind, hat sich bei fortschreitender Digitalisierung, im Sampling und anderen Praxen trotz aller Rechtstreitigkeiten ein Raum voller Gespenster entwickelt, die, ihrer Leiblichkeit beraubt, immer weiter mutieren zu Entitäten, die einen eigenen virtuellen Raum bespielen. Um diese Entitäten gruppieren sich - wie die Zuschauer im Kino, die Leni Riefenstahls Lügen und Drohungen gegen Journalisten lauschen -, individuelle und kollektive Erinnerungen. Diese können trügen, Geschichte umschreiben, und sie machen das auch dann, wenn gründliche Historiker im Falle der von ihnen eingeordneten und reflektierten Quellen zu ganz anderen Schlüssen kommen. Erinnerungen können trügen und wirken doch. Kaum ein anderes Feld dürfte derzeit umkämpfter sein als das der selektiven Erinnerungspflege als Geschichtspolitik. Wie in der US-Wahl: ein idealisiertes, weißes, cis und Heteroamerika müht sich, die eigene Dominanz mit all dem Lynchen, Elektroschocktherapien, einer weiterhin existierenden Knastindustrie, die vor allem Nicht-Weiße diszipliniert, zum Goldenen Zeitalter zu verklären. Die Politiken von Friedrich Merz oder auch der AfD folgen einer ähnlichen Logik.

 Vor allem die Popjournalisten und -theoretiker Mark Fisher und Simon Reynolds haben "Hauntology" rund um Musik und auch Film erkundet und es schon in den Zehnerjahren als beinahe modisch behauptet in der Kunst und Pop-Szene. Sie selbst widmeten sich z.B. den Musiken - oder auch akustischen Collagen - z.B. des Ghost Box-Labels, das mit den Sounds vor allem aus TV- und Filmproduktionen der 70er Jahre, der Zeit der Kindheit der Künstler, spielte und so geisterhaft Erinnerungen an das eigene Heranwachsen inmitten des Medialen in ihren Werken herumspuken ließ. Beide Autoren verknüpfen es mit Trauer um ein Verschwinden der Zukunft aus musikalischen Welten, in denen alles nur noch retro sei und - wie in den Nullerjahren bei Amy Winehouse - viel Aufwand betrieben würde, die Sounds der 60er Jahre möglichst originalgetreu zu rekonstruieren. Diese elektrisierende Ekstase, die beide noch bei Jungle und Breakbeat der 90er Jahre empfunden haben, sei nun "Zeitschleifen-Kulten" gewichen, in denen nur noch das Gestern recyclet würde. Prozesse, die durch eine in ihrer Ästhetik erstaunlich regressiven und rückwärtsgewandten, verkitschten KI-Bildproduktion gerade verstärkt werden. Konservativer kann ja vieles gar nicht sein als das, was von diversen Programmen gerade ausgeworfen wird.

 Mark Fisher folgt - z.B. in einer Analyse des Musikeinsatzes von Stephen Kings "Shining" und der Verfilmung von Tony Morrisons "Beloved" bzw. “Menschenkind” - noch einer anderen Stoßrichtung von Derridas Analysen. Es blieb nicht nur die kommunistische Utopie selbst seltsam geisterhaft im real-existierenden Kommunismus. Derrida lässt auch die Gespenster vergangenen historischen Unrechts sein Buch heimsuchen, die, deren Stimme allenfalls verzerrt in der Gegenwart erscheint, die spektral nur sichtbar werden - und sei es, wie im Film "The Zone of Interest (Opens in a new window)" , als Schreie hinter der Mauer von Auschwitz. Es existieren auch abgwegige Interpretationen von Kubricks Verfilmung von "Shining", die eine Holocaust-Analogie hineininterpretieren wollen.

Fisher verweist eher auf Visionen eines nie existenten, "heilen" Nordamerika der Gatsby-Zeit, als noch in vermeintlicher Unschuld geprotzt und gefeiert werden konnte (auch ein Trump- Motiv, im "Overlook"-Hotel bereits inszeniert) - und verweist als Ergänzung auf die Verfilmung von Morrisons "Menschenkind", das die psychischen und physischen Folgen der Sklaverei thematisiert. Von wegen Unschuld.

DIE RACHE DER MARGINALISIERTEN

Wie so oft bei Stephen King verbirgt sich hinter "Shining" das verdrängte Erbe der Natives und schlägt gnadenlos zurück - im "Friedhof der Kuscheltiere", wo auf einem Friedhof der First Nations vergrabene Wesen als Wiedergänger sich an den Menschen rächen, ja, auch wieder Rache. Diese Motive ziehen sich durch das Gesamtwerk von King. In "Sara" ("Bag of Bones") schlägt eine einst vergewaltigte schwarze Sängerin als Gespenst zurück, in "Es" sind es buchstäblich werdende Erinnerungen an B-Movies, die die Opfer des Monsters heimsuchen. Gleichzeitig versieht King die lustigen Clowns im Zirkus mit Horror. In Deutschland produzieren vermutlich so wenige nur solche Arten von Horror-Filmen, weil sich das "3. Reich" dazwischenschieben würde und keiner sich traut, sich rächende Geister von Juden, Sinti und Roma den Hausmeister des Kanzleramts in den Wahnsinn zu treiben oder genüßlich meucheln zu lassen. Vermutlich würde das vollends wieder gut gewordene deutsche Publikum dabei auch keinerlei Befriedigung empfinden, einer solchen Story bei Netflix zuzusehen. Ich schon.

Diese Stimmen vergangenen Leids sind gerade auch in der Popmusik ständig zu hören, ohne dass es noch jemand zur Kenntnis nimmt. Die gesamte Tradition des "souligen" Gesangs bis hin zu Casting-Shows und Adele trägt geisterhaft in sich Erbe des Gospels. Dieser entstand unter Bedingungen der Sklaverei in den Kirchen neben den Baumwollfeldern und Plantagen. Jene, die oft weder lesen noch schreiben lernen durften, sozialisierten sich hinein in die Religion derer, die sie quälten - und deuteten sie oftmals um. Sie integrierten das ekstatische "in Zungen sprechen" westafrikanischer Kukte, verbanden die Heiligen mit senegalesischen, so würde man heute sagen, und Voodoo-Gottheiten oder identifizierten sich, so in "Go down, Moses", mit den aus Ägypten ins gelobte Land ziehenden Juden des Alten Testaments - klar, als Bild für die Flucht vor der Sklaverei.

DER SPUK IN DEN SOUNDS UND BILDERN

 Ich habe bei "Native Instruments" ein Abonnement für jeden Monat neueste Sounds aus deren Produktionen. Jüngst erschien eine neue Version des in vielen Musiksoftwares integrierbaren Samplers "Kontakt". Vieles dessen, was auch in den Charts zu hören ist, entstammt dessen Bibliothek bzw. Weiterverarbeitungen dieser Sounds. Nun etablierte die Firma noch einen "Sampler im Sampler" namens "Leap". Ziemlich tricky und anwenderfreundlich können hier Sample-Packs in Produktionen auf Beat gespielt werden. Eines der Pakete heißt "Soul Gold". Es sind viele wehmütige Gesangs-Samples, die auf Schlagzeug-Kits z.B. aus der Welt des Hip Hop und Keyboard-Sounds aus der House-Historie mittels cooler Controller und deren Pads gespielt werden können. Ich habe ein wenig damit herumgespielt, und herausgekommen ist der folgende Track:

https://www.youtube.com/watch?v=odJw-QLdVVE (Opens in a new window)

 Die Gesangsfetzen, rhythmisch zusammen mit avancierten Chord-Presets arrangiert, die der Blues-Kadenz folgen, angeordnet und garniert mit allerlei Sounds, die ich per Keyboard selbst einspielte, kombiniert mit in der Software selbständig angeklickten Drumpatterns, entstammen diesem Sample-Pack. Wie immer bei schwarzer Musik läuft die Historie da automatisch mit. Da sind Spurenelemente von Morrisons  "Menschenkind" zu hören, sie spuken hintergründig mit.

 Durch diese Bastelei mit den Sounds kam ich erst wieder auf das "Hauntology"-Konzept. Es ist diese mehrfach aus den Fugen geratene Zeit, die hier hörbar wird in anonymen Stimmen, die ihr historisches Erbe nicht vollends abstreifen können, neu kontextualisieren und als Anwesenheit des Abwesenden durch meinen Computer spuken. Analoges kann auch bei House-Music- und Disco-Sounds gehört werden, denkt man ihre Genese im BPoC-Kontext der Gay Clubs von New York in den 70ern und dem Chicago der 80er. Die Akkorde, die die Software mir anbietet, sind konventionalisierte Harmonien des Blues, einer Form, die durch Schellack-Platten für ein weißes Publikum in den 30er Jahren aufbereitet wurden als Vorspiegeln von "rawness" in der angeblich "ursprünglich" schwarzen Musik. Das verbindet sich nahtlos mit dem, was ich oben als "Gospel" schrub, die Spirituals singenden Chöre begegneten ja auch einer weißen Dominanzkultur unter Bedingungen der Segregation, schon durch den Ort "Kirche" in diese eingewoben.

 Das alles spukte nun durch meine Musikproduktion, also begab ich mich auf die Suche nach passenden Bildern. Hier fand ich solche in Stock Footage-Datenbanken, die ähnliche Formatierungen durchliefen. Teilweise wurde der Spuk des Ungleichzeitigen noch eine Umdrehung weiter gedrechselt in den für Stock-Footage typischen Stilisierungen. Sie ähneln oft Werbe-Ästhetik. So inszenierten die Regisseur*innen vom Cottonbro Studio, wieder spukt das Baumwollfeld, bei Pexels frei verfügbar ein an Kings "Pennywise" orientierter, jedoch schwarzer Horror-Clown, der noch den so berühmten roten Luftballon schweben lässt und trotzig raucht.

 Eingeschnitten habe ich zudem Bilder aus dem Instagram-Account von Gabriel Darku (Opens in a new window), Darsteller u.a. in der nur eingeschränkt empfehlenswerten Netflix-Serie "October Faction". In dieser spielt er einen Schwulen, der sich durch mystische Welten kämpft. In seinem Instagram-Account teilt er viele Posts zu "Black Lives Matters", auch die kurze Sequenz mit dem aus der Reihe tretenden Streichholz in dem Video stammt von dort. Die Fotos von ihm, die ich hineinmontiert habe, kommentierte e so, dass er den menschlichen Körper als Kunstwerk, einer Skulptur gleich, betrachte. Die eingenommenen Posen ähneln ein wenig denen antiker Statuen - fehlt nur die Diskus-Scheibe. Auch gespenstisch. Ganz auf Hauntology getrimmt fiel mir jedoch zugleich der Horror-Film "Get Out (Opens in a new window)" ein, in dem sich Weiße in die Leiber von schwarzen Menschen teleportieren lassen und deren Bewusstsein verdrängen - aus Neid auf die Schönheit der Körper.

 Die extrem stilisierten Aufnahmen den jungen Mannes mit der Totenkopfschminke scheinen mir das mexikanische Totenfest zu zitieren; ein Ritus des Gedenkens, in dem aztekische Riten in das christliche Allerheiligen eingeflochten wurden. Sie ließen sich den Unterworfenen einfach nicht austreiben. Analogien zu Halloween scheinen mir deutlich zu sein. Drumherum bastelte ich dann Ruinen und verfallene Häuser, klassische Orte des Spuks.

 Hauntology zeigt sich in all diesen Bildern. So ästhetisiert sie sind, die Anwesenheit des Abwesenden als aus den Fugen geratener Zeit bleibt sichtbar - wenn man bereit ist, sie zu entziffern.

 Ich glaube mit Derrida, dass diese Spurensuche politisch relevant ist. Vielleicht noch mehr nach der massiven Gegenreaktion auf solche Praxen, die sich in der wiedergängerischen Wahl Trumps zum US-Präsidenten zeigen.

 In ästhetischen und auch journalistischen Praxen hat sie erfolgen - eine Reflektion des eingesetzten Materials. Einer Zukunft zugewandt, die nicht nur abstrakte Menschenrechte verkündet, um sie sodann nicht einzuhalten - sondern im Sinne der Gerechtigkeit für die Unterworfenen, Ausgebeuteten, Versklavten und Ermordeten deren Spuk sieht, hört und ernstnimmt.

 Das Gegenteil also der Programmatik jener Neuen Rechten, die derzeit nie existente Vergangenheiten als Richtschnur für die Gegenwart etablieren will und das Leid der Historie als Verpflichtung für verantwortungsvolles Handeln allenfalls instrumentell noch bedenkt, dabei stets auf dem Weg zu einer erneuten Transformation des Grauens ...

 

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Topic Medien

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