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Humor in der Erziehung: Von Kindern, Eltern und anderen Affen

Liebe Leser*innen,

heute lest ihr einen Text, den ich bereits vor zwei Wochen beim Zeit Magazin Online veröffentlicht habe (Öffnet in neuem Fenster). Allerdings hinter der Paywall. Heute hier im Newsletter ganz kostenfrei. Ich veröffentliche übrigens die unredigierte Version, die (noch) eine Spur kindischer ist als den Text, der dann final beim Zeit Magazin erschien. Außerdem habe ich mir eine neue Überschrift ausgedacht.

Sidenote (oder auch Zeit-Notiz): Ich mag es, wenn die Zeit mir eine Anfrage stellt. Ich bin zwar ein sehr fauler Schreiber, aber doch eitel genug, um dort veröffentlicht zu werden. Also siegt meist Eitelkeit über Faulheit und ich schreibe wohl oder übel einen Text. Und wie immer: Ist der Text erst einmal fertig, freue ich mich darüber sehr.

Zum Leben gehört eben auch, zu wissen, wie man sich ab und an geschickt selbst überlistet.


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Von Kindern, Eltern und anderen Affen

Ich bin Gagschreiber. Ich schreibe manchmal humorvolle Bücher. Ich mache Lustiges auf Instagram. Und ich habe einen Sohn. Passt das zusammen? Aber hallo! Fast alles ist leichter, wenn man Kinder mit Humor erzieht. Es ist sogar bitter nötig. Nur Kinder, aber keinen Humor zu haben, ist vermutlich der direkte Weg in die Verzweiflung. Lasen Sie uns heute also gemeinsam lernen, etwas humorvoller im Umgang mit unseren potenziellen Erben zu werden.

Aber wo fangen wir an? Vielleicht bei etwas, das Kindern noch mehr lieben als ihre Eltern: Bildschirme.

In letzter Zeit ist mir wiederholt ein kurzer Videoschnipsel auf Instagram begegnet. Menschen, die noch zu jung für das Zeit Magazin sind, nennen es auch „Reel“. In diesem Reel redet John Cleese, der berühmte britische Komiker (Monty Python) über Kreativität.

John Cleese, das nur am Rande, hat seine letzte Tour „Last time to see me before I die“ genannt. Wir lernen daraus, dass Humor immer angebracht ist. Am Anfang – also im Umgang mit Kindern – in der Mitte – also im Umgang mit dem Leben und all seinen Widrigkeiten – und vielleicht vor allem auch am Ende – also im Umgang mit dem Tod. Oder, im Falle von John Cleese, eben kurz vor dem Ende. Hoffentlich – alles Gute von meiner Seite – vielleicht auch in seinem Fall ein gutes Stück VOR kurz vor dem Ende.

Ich wollte übrigens googlen, ob er ein Ritter des britischen Empire ist, aber das stellte sich als gar nicht so einfach bei jemandem heraus, zu dessen berühmteste Filme die „Ritter der Kokosnuss“ gehören. Trotzdem gefunden! Ist er nicht, hat er abgelehnt.

Dass eine Affenart nach ihm benannt wurde, erlaubte er jedoch ausdrücklich. Der „Bemaraha woolly lemur“ hat seitdem das Glück oder Pech, unter Affen-Wissenschaftlern „Avahi cleesei“ genannt zu werden.

Jetzt denken Sie vermutlich, ich bin gerade abgeschweift wie der prächtige Schwanz eines Lemuren. Das stimmt. Aber ich komme gleich zum Punkt. Nicht ohne kurz zu schmunzeln, weil nun in einem Text für die Zeit der Begriff „prächtiger Schwanz“ steht. Steht. Ha ha.

Jetzt aber zum Video. Aber eigentlich sind wir schon genau im Thema, denn ich mache in diesem Text bisher exakt das, was in diesem Video von John Cleese gefordert wird: Auf eine kindliche Art die Gedanken schweifen lassen, ohne ein konkretes Ziel zu haben. Einfach ein wenig Spielen, wenn man so will.

Denn exakt dies, so Nicht-Ritter John Cleese, sei die wichtigste Vorrausetzung für Kreativität. Studien haben ergeben, dass Kreativität – ab einem gewissen Level – kaum noch mit dem Intelligenzquotienten verknüpft ist (ich könnte auch IQ schreiben, aber der Text braucht eine Mindestlänge an Zeichen). Die als am kreativsten angesehen Wissenschaftler*innen, Architekten*innen oder Autoren*innen zeigten sich nicht klüger als die weniger kreativen Kolleg*innen ihrer Branche. Doch sie hatten ihnen eines voraus: Nämlich genau die erwähnte Bereitschaft, mit ihren Gedanken zu spielen wie ein Kind mit Lego, Sand oder dem eigenen Pullermann. Ohne einen weiteren Grund außer dem Spaß am Spiel – und am Pullermann.

Ungefähr das Gleiche gilt meiner Erfahrung nach für Humor. Denn Humor ist im Wesentlichen nichts anderes als Kreativität. Die Pointe, also das, was viele von uns witzig finden, ist nichts anderes als eine Überraschung. Eine Abweichung von dem, was wir erwarten würden. Ein Ausbruch aus dem „Normalen“.

Wenn die Lehrerin "Tut mir leid Fritzchen, aber mehr als eine Fünf kann ich dir in Französisch nicht geben" sagt und Fritzchen dann traurig ist, ist das kein Witz.

Der Witz braucht die Überraschung, die Kreativität. Dann wird aus einer kleinen Geschichte ein Scherz. Zum Beispiel so: "Tut mir leid Fritzchen, aber mehr als eine Fünf kann ich dir in Französisch nicht geben." Fritzchen: "Gracias."

Noch einen? Gerne!

Warum hat sich Fritzchen so gefreut, als er nach sieben Monaten mit dem Puzzle fertig war? Weil auf der Verpackung drei bis fünf Jahre stand.

Halten wir an dieser Stelle fest, dass ich in meinen Zeit-Text nun nicht mehr nur der prächtige Schwanz steht, sondern auch zwei Fritzchen-Witze. Mein kindliches Gemüt spürt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Neben diesem kleinen Fazit sollten wir aber auch überlegen, was wir aus dem bisher Gelernten mitnehmen können.

Ich schlage folgendes vor: Um mit Kindern aber auch mit der gesamten oft viel zu anstrengenden Welt kreativ und humorvoll umzugehen, sollten sie bereit sein, das Kind in Ihnen wiederzufinden. Das Kind in Ihnen muss nämlich keine Heimat finden, sondern nur Kreativität und Scherze. Oder anders ausgedrückt: Es sinkt für Sie: das Niveau!

Sie müssen Ihrem Kind auf Augenhöhe begegnen – und weil sich die kleinen Scheißer nicht zu Ihnen hochstrecken können, müssen sie eben zu ihnen runterkommen. Das ist der Trick.

Ich habe in den mittlerweile sechs Jahren mit Kind eine Erfahrung gemacht, die ich hier gerne teilen möchte: Kinder merken es, wenn man sich wirklich darauf einlässt, im Kopf wieder Kind zu sein. Sie haben ein Gespür dafür und denken etwas Ähnliches wie: Das ist einer von uns! Dem können wir vertrauen.

Kleines Beispiel: Sie können vor einer Matschpfütze stehen und den Kindern sagen: „Schaut mal, das ist lustig, da kann man Spritzen und Toben und die Hose komplett verschmutzen.“ Das ist okay. Aber so richtig kindlich wird es erst, wenn Sie mit Ihrem Fuß ausholen und ohne Rücksicht auf Verluste oder die neuen Sneaker selbst in die Pfütze treten.

Keine Angst. Sie müssen das nicht immer machen. Verzichten Sie gerne darauf, wenn Sie später noch ein Bewerbungsgespräch haben oder ein Meeting leiten müssen.

Ungefähr genauso funktioniert das auch mit dem Humor und Spaß. Werden Sie wieder Kind. Fangen sie an, wieder über Fürze zu lachen (mit dem Kind, nicht mit dem Partner). Malen Sie mit der Ketchup-Flasche ein witziges Bild auf die Spaghetti. Starten Sie mit Ihrem Kind einen Wettbewerb, wer denselben Pullover die meisten Tage hintereinander anziehen kann. Nehmen Sie die Fingerfarbe und gestalten Sie damit den Parkettboden neu.

Entdecken Sie alles, was Sie als Kind schon liebten, wieder neu. Wir wollten, als wir klein waren, doch alle Zeichentrick schauen, Videospiele zocken und ungesunde Dinge essen. Irgendwann geriet das etwas in den Hintergrund, weil so Kram wie Verlieben, Schule, Beruf, Wohnung, Übergangsjacken und Altersvorsorge mit monatlichen Beiträgen in den MSCI World dazwischenkamen.

Ein Kind zu haben ist die beste Möglichkeit, den unendlichen Spaß der Kindheit wieder hervorzuholen und stückweise selbst wieder ein Kind zu werden. Machen Sie sich wieder zum Affen. Wie John Cleese.

Ich kann versprechen, diese Methode wird funktionieren. Es wird lustig werden. Allerdings hat sie auch einen Nachteil: Im Gegensatz zu einem Kind sind Erwachsene sich viel mehr über die Konsequenzen bewusst.

Es ist nicht ganz einfach, unbeschwert den Boden mit Farbe zu bemalen, wenn man weiß, dass die Sauerei auch wieder jemand wegputzen muss und dieser Jemand meist nicht das Kind ist. Da muss man ein bisschen abwägen – aber im Zweifel für die Fingerfarbe.

Richtig schwierig wird es allerdings bei den wirklich ernsten Dingen. Das Kind hat sich in der Kita furchtbar danebenbenommen. Oder es hat denn Teller mit Spaghetti und Ketchup absichtlich auf den Boden fallen lassen, weil es lieber Pommes hätte. Auch dann humorvoll reagieren? Nein. Es gibt unzählige Dinge auf dieser Welt, die wir mit Humor und Kreativität betrachten sollten. Aber eine der wichtigsten Regeln des Humors ist zu wissen, wann ein Witz unpassend ist. Wenn es ernst ist.

Mein Kind weiß, dass ich zu nahezu jedem Spaß bereit bin. Dass ich jederzeit in die Pfütze treten würde. Dass ich zumindest ein ernsthafter Konkurrent bei einem Pullover-Trage-Wettbewerb sein kann. Dass ich mich selbst schneller in einen Sechsjährigen verwandeln kann als er Peppa Wutz sagt.

Aber mein Kind weiß auch ziemlich genau, wann es ernst ist. Nämlich dann, wenn Papa kein Kind ist und auch kein Kind sein möchte. Und vielleicht weiß es das gerade deshalb so gut, weil ich ansonsten zu jedem Scheiß bereit bin. Denn abgesehen von ein paar ganz wesentlichen Dingen – bitte nicht in der Kita ausrasten und keine Teller runterschmeißen, nur weil man Lust auf Pommes hat – gibt es sehr viele Gelegenheiten, das Leben mit Humor zu nehmen.

Mein Sohn kommt dieses Jahr in die Schule. Irgendwann wird er vielleicht Französisch haben. Und wenn er dann eine Fünf mit nach Hause bringt, werde ich ihm sagen: "Merde! So wirst du dich in Madrid niemals verständigen können. Aber Hauptsache, irgendwann wird ein Affe nach dir benannt."
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Herzlich

Peter

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Vielen Dank übrigens an alle, die das schon genutzt haben! Ich habe mich sehr gefreut.

💻 Peter Wittkamp

Hier noch eine kleine Bio, die ich natürlich selbst geschrieben habe, aber in der dritten Person, damit es so aussieht, als würde jemand anderes Biographien über mich schreiben. Das ist leider noch nicht der Fall.

Peter Wittkamp, Jahrgang 1981, ist erster Autor und Gagschreiber der heute show online. Außerdem war er jahrelang Texter und Ideengeber der mehrfach preisgekrönten Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG.  Ab und an schreibt er auch ein Buch. Zuletzt über seine Zwangsstörung mit dem Titel "Für mich soll es Neurosen regnen" (Öffnet in neuem Fenster)und den Desinformator (Öffnet in neuem Fenster).  

Daneben berät er Unternehmen und Agenturen, wenn sie etwas Kreatives, Humorvolles oder Digitales machen möchten. Außerdem ist er als Vortragsredner buchbar.

Er twittert regelmäßig als @diktator (Öffnet in neuem Fenster), postet mittlerweile aber fast lieber auf Insta (Öffnet in neuem Fenster). Sein supersüßer Sohn hält ihn fälschlicherweise für den besten Papa der Welt.

So! Und für alle, die bis hier gelesen haben und den Newsletter noch nicht abonnieren:

Ach ja, hier noch eine Übersicht über alle bisherigen Texte:

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