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„Aha, dachte ich. Kann ich“

Warum Siv Astrid Vogeler nicht mehr nur Journalistin, sondern auch Life Coach ist

Siv Astrid Vogeler ist jetzt Life Coach. Lebens-Begleiterin. Warum schmeißt eine Journalistin, die einen krisensicheren Job hat, (fast) hin und macht bei teuren Instituten teure Ausbildungen für einen Beruf, dessen Bezeichnung nicht geschützt ist – in einem Feld, in dem sich Tausende und immer mehr tummeln? Die Zahl der Coaches ist in den vergangenen Jahren eklatant in die Höhe geschnellt, etwa 30.000 sollen es mittlerweile allein in Deutschland sein. Sie arbeiten vornehmlich zu Führungsfragen, Selbstreflektion und Persönlichkeitsentwicklung.

Laut einer Umfrage, die ein Roundtable der Couching-Verbände in Deutschland jährlich durchführt, steigt der Frauenanteil unter den Coaches seit Jahren. Eine davon ist jetzt Siv Vogeler, im Herzen Ostfriesin und begeisterte Camperin. Um zu verstehen, warum sie nicht mehr nur textet, sondern auch coacht, muss man in ihrem Berufsleben ganz vorne anfangen.

Wie sind Sie damals zum Journalismus gekommen?

Durch Zufall! Ich habe Germanistik, Geschichte und Politik studiert, wollte zunächst in den schreibenden Journalismus und landete dann über viele Umwege und eine Freundin als Urlaubsvertretung beim WDR, die man damals in den Sekretariaten machen konnte. Nach dieser Zeit bekam ich dann die Möglichkeit eine Ausbildung zur Videojournalistin zu machen und bin danach als Freie geblieben – nur leider bei einer Sendung, die drei Monate lang Sommerpause hatte. Ich muss Ihnen bestimmt nicht sagen, was das heißt.

Und irgendwann dachte ich, dass es das nicht sein kann. Also ging ich zu einer Filmproduktionsfirma. Das war aber auch nichts. Und schließlich landete ich beim Deutschen Hausärzteverband, über eine Bekannte, die dort am Empfang arbeitete. Das hat sie mir aber nicht gesagt. Sondern sie sagte: Ich telefoniere den ganzen Tag lang mit frustrierten Arztehefrauen. Aha, dachte ich. Das kann ich. Arztehefrau ist meine Mutter auch. Und alles ist besser, als nicht zu wissen, wovon ich im Sommer meine Miete bezahlen kann. Es waren wohl auch andere Bewerberinnen da, aber ich hatte den Job relativ schnell.

Foto: privat

Und dann saßen Sie am Empfang???

Ja! In meinem ersten Arbeitsvertrag stand sogar „Telefonistin“. Das war 2005.

War es beim WDR so schlimm, dass Sie die Arbeit dort gegen den Empfang getauscht haben? Nichts gegen Empfang, aber…

Nun ja! Erstens hatte ich beim WDR keinerlei Chance auf eine Festanstellung, weil ich kein Volontariat gemacht hatte. Dazu kamen die drei Monate Sommerpause, die nicht zu füllen waren, wenn man nicht in mehreren Redaktionen den Fuß hatte. Ich hatte einfach Schiss, dass ich die Miete nicht zahlen kann. Die Sicherheit war mir damals wichtiger. Relativ schnell habe ich meinen Tätigkeitsbereich erweitert – und nach zwei Jahren saß ich in der Redaktion, weil eine Kollegin in den Ruhestand ging. Und auf einmal machte ich den „Hausarzt“, alle 14 Tage. Ohne Einarbeitung, ohne Vertretung. Ich bin von meinen Eltern sehr liebevoll, aber sehr preußisch erzogen worden und wollte funktionieren. Das ging so lange, bis ich mit einem Burnout darniederlag, mit Panikattacken zu tun hatte und mit Infarktverdacht beim Kardiologen saß.

Ich habe mich dann wohl nach Alternativen umgeschaut, aber ich wusste nicht so recht, wonach. Denn so richtig gelernt habe ich nichts, dachte ich, außer meinem Studium.

Ich fürchte, das ist ein Journalisten-Ding zu denken, man könne alles und nichts. Wir können sehr viel, es ist nur nicht so leicht zu greifen.

Ja, das stimmt wohl. Sobald ich beim „Hausarzt“ eingearbeitet war, war auch alles gut. Doch um 2017 hatte ich das Gefühl, ich müsste mich verändern und weiterentwickeln. Und ich wusste: Wenn ich jetzt nicht wechsle, wechsle ich nie – und habe zum ersten Mal gekündigt, entgegen meines Sicherheitsdenkens, ohne etwas Neues zu haben. Ich bekam dann schnell eine Anstellung in einem anderen Verband, doch ich hatte es mit altem Wein in neuen Schläuchen zu tun.

Als ich im Urlaub mehrfach aus dem Büro angerufen wurde, was alles nicht läuft, wusste ich, dass es das auch nicht ist. Also habe ich gekündigt, um mich als virtuelle Assistentin oder Texterin selbständig zu machen. Das war zum 1. März 2020. Und 16 Tage später fuhr die Welt runter. Das war dann eine Vollbremsung.

Hatten Sie etwas Neues?

Nein! Ich war auch nicht beim Arbeitsamt für einen Gründungszuschuss, ich wollte meine Netzwerke aktivieren, ich hatte lediglich zwei Zusagen für Themen. Die wurden mir dann abgesagt. Das hat mich erstmal umgeschmissen, ich war im Schock und dann dachte ich: Du hast all die Jahre, als Du nicht so glücklich warst, etwas zurückgelegt für die schlechten Zeiten, von denen Du nie dachtest, dass sie kommen. Vielleicht sind das jetzt diese schlechten Zeiten.

Hinterm Horizont geht´s weiter. Foto: svm

Und dann?

Habe ich angefangen, einen online-Kurs nach dem anderen zu machen, alles Mögliche. Und eben auch Einiges zur Persönlichkeitsentwicklung. Man konnte bei sämtlichen Speakern Deutschlands zuhören, und dann hörte ich von der Rise Up and Shine-University – und der Ausbildung zum Life Coach. Ich dachte erst, was ist das für ein Name, Rise Up and Shine, wer macht denn so etwas mit, Meditieren. Ich doch nicht! Aber es gab da dieses Corona-Sonderangebot, man hockte sowieso zu Hause, und dann hat es mich gepackt.

Danach ging ich lange mit der Idee schwanger, die einjährige Ausbildung zum Life Coach zu machen, und habe dann die Hälfte meiner Ersparnisse hineingesteckt.

Es ist ja so: Wenn man schöne Geschichten erzählt, macht man die Welt bunter. Doch in einem Verband zu arbeiten, macht die Welt nicht unbedingt besser. Aber oft sagten mir Menschen, ich könne gut zuhören und hätte immer gute Impulse. Das arbeitete in mir, und ich überlegte, ob es vielleicht das ist, was ich künftig machen möchte – auf dem Lebensweg ein Stück begleiten.

Als ich las, dass Sie jetzt auch als Coach tätig sind, dachte ich ehrlicherweise: Oh je, die auch noch. Warum macht sie jetzt auch noch Coach? Alle werden Coach, wir coachen uns bald alle gegenseitig.

Ja, ich mag den Begriff auch nicht. Er kommt ja aus dem Amerikanischen, aus dem Sport, und dort macht er auch Sinn. Aber ich gebe keine Ratschläge, ich helfe eher, die Antworten in sich selbst zu finden. Ich musste aber auch lernen, dass Coach kein geschützter Begriff ist und sich jeder so nennen darf.

Wo ist die Abgrenzung zur Therapie?

Ich arbeite nur mit gesunden Menschen, die selbstwirksam sind. Ich kann keine Depressionen, keine Traumata behandeln.

Man ist als Klient dann darauf angewiesen zu sagen, dass der Coach sagt: Bitte suchen Sie sich professionelle Hilfe.

Das ist in der Tat ein riesiges Problem. In meiner Ausbildung ging es als Erstes sehr ausführlich darum, wie ich einen gesunden Menschen erkenne.

Aber wenn ich damit Geld verdienen will und muss, dann gehört schon was dazu, einen Klienten abzulehnen!

Ja, das stimmt. Ich habe auch schon einmal eine Klientin abgelehnt. Natürlich hoffe ich, dass sie wiederkommt. Aber ich will mit den Klienten nicht nach hinten schauen, sondern nach vorne. Ich denke aber, es gibt viele Coaches, die keine scharfe Trennung zwischen ressourcenorientierten Ratschlägen und Begleitung machen.

Wie würden Sie sich denn nennen, wenn Sie den Begriff Coach nicht mögen?

Wenn ich das wüsste! Ich sehe mich als Sparringspartnerin auf dem Weg zu Entscheidungen, und ich habe mich auf die enge Nische der Frauen um die 50 spezialisiert.

Ich bin vielleicht ein gutes Beispiel dafür, dass man auch mit 47 sein Leben auf links drehen und mit 48 nochmals eine Ausbildung macht, ein zweites Standbein schafft.

Wobei ja der eigene Weg nicht unbedingt für die anderen passen muss…

Ja, das ist zweifelsohne so.

Warum haben Sie sich diese Spezialisierung gesucht?

Die Zeit finde ich nicht nur biologisch spannend, weil durch die Wechseljahre ganz viel im Umbruch ist. Die Kinder gehen aus dem Haus, und es dauert einen Moment, bis man sich erlaubt, nur auf sich zu schauen und zu überlegen, worauf man eigentlich Lust hat. Das Empty Nest Syndrom. Ein wunderbarer Name.

Es ist häufig auch die Zeit, in der die eigenen Eltern krank oder pflegebedürftig werden. Man darf hier lernen, dass man immer noch Tochter ist, aber eine andere Verantwortung hat – und nicht in die Rolle der Mutter wechselt, die den Eltern sagt, was sie zu tun haben. Oder: Verlust des Partners. Nach 30 Jahren plötzlich getrennt. Ich habe jetzt auch online eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin angefangen, um hier besser reagieren zu können.

Auf andere mag das wirken, als sei ich ein bisschen schizophren – einerseits das Texten, der Journalismus. Und andererseits das Coachen. Aber für mich passt es. Witzigerweise texte ich für viele Coaches, obwohl ich es darauf überhaupt nicht angelegt hatte.

Sie stehen ganz am Anfang. Denken Sie, dass Sie es schaffen, sich auf diesem unübersichtlichen Markt zu positionieren? Das ist ja immer auch eine Frage, wie gut man sich selbst vermarkten kann.

Das mag ich gar nicht, überhaupt nicht. Mich zu verkaufen fällt mir sehr schwer. Ich bin froh, dass ich bisher über mein Netzwerk sowohl im Coachingbereich als auch beim Texten an Aufträge und Klienten gekommen bin. Ich denke, es kann nur über die sehr spitze Positionierung auf die emotionale Seite der Wechseljahre funktionieren. Ich bin nicht für jeden die Richtige. Und ich denke auch, dass die Coaching Bubble entweder platzt oder es ein geschützter Begriff wird.

Was ist Ihr Wunsch für die nächsten Jahre?

Vielen Frauen Mut zu machen auf ihr Leben zu schauen und nochmals loszugehen. Sich die zweite Lebenshälfte richtig, richtig schön zu machen. Sie sollen sagen: Das soll jetzt eine richtig tolle Reise werden, ich trau mich das.

Mehr Menschen kennenlernen?

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