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Ich mach´ mein (Tauch)Ding

Journalistin Nicole Kraß aus Bayern lebt und schreibt über „Tauchen mit Handicap“

Für Nicole Kraß ist die Freiheit nicht über den Wolken, sondern unter der Wasseroberfläche grenzenlos. Sie ist leidenschaftliche Taucherin. Die 52-Jährige aus dem oberbayerischen Eitensheim bei Eichstätt hat schon 1995 in Griechenland Feuer fürs Wasser gefangen. Doch wie das Leben manchmal so spielt, hörte sie bald wieder damit auf - um Jahre später in einer sehr besonderen Lebenssituation wieder anzufangen. 

Heute betreibt Nicole Kraß den Blog tauchen-mit-handicap.de – als Informations-, Mutmacher- und Herzensmedium. Die freiberufliche Journalistin bekam vor fünf Jahren die Diagnose Multiple Sklerose. MS, das ist eine nicht heilbare, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Für Nicole Kraß kein Grund, ihre Träume nicht zu leben - und sie hat viele Träume.

Nicole, wir kreisen heute um drei große Themen in deinem Leben: Journalismus, Tauchen und Deine MS-Erkrankung. Ich möchte mit dem Journalismus beginnen. Warum bist Du Journalistin geworden?

Ich denke, Journalistin wird man nicht, Journalistin ist man. Ich habe erst eine Ausbildung gemacht, dann als duales Studium BWL studiert und bin so hineingerutscht. Ursprünglich wollte ich Reisejournalistin werden, bin aber dann doch einen anderen Weg gegangen. Was mir am meisten Spaß gemacht hat, war das Radio, dort bin ich auch bei einem Privatsender eineinhalb Jahre lang hängengeblieben. Nach meinem Studium bin ich bei der Nachrichtenagentur Reuters gelandet. Das war sehr lehrreich, aber letztlich hat mir die Kreativität gefehlt. Ich habe aber die Fähigkeit, aus allem das Gute zu ziehen, und so war der Job bei Reuters eine gute Vorbereitung auf meine spätere Tätigkeit für ein Unternehmen, bei dem ich ein Kundenmagazin im Wirtschaftsbereich verantwortet habe.

Fotos: Tauchen mit Handicap

Die Fähigkeit, aus allem das Gute zu ziehen – das ist Dein Lebensmotto geworden, oder?

Ja, irgendwie schon. Vielleicht hatte ich sie aber auch schon immer. Ich hatte verschiedene Erkrankungen, unter anderem eine Knieverletzung, und war dabei, mich gerade ein wenig zu erholen, da kam die Diagnose Multiple Sklerose. Das ist lebensverändernd. Ein gebrochener Fuß kann heilen, aber das ist bei der MS nicht so. Man kann viel für sich tun, aber die MS ist unberechenbar, es wird nie wieder so wie vorher. Damit muss man erst einmal umgehen können. Mittlerweile sage ich mir: Nimm das Beste mit aus Deinem Leben, und alles andere ergibt sich von selbst.

MS ist die Krankheit der 1000 Gesichter. Welches hat sie bei Dir?

Sie hat bei mir gleich eines ihrer unberechenbaren Gesichter gezeigt, indem ich sehr spät erkrankt bin. Als ich 2017 die Diagnose bekam, war ich 46 Jahre alt. Die meisten Diagnosen werden im Alter zwischen 20 und 40 Jahren gestellt. Im Moment ist meine MS noch sehr gnädig, denn ich habe keine Einschränkungen, die man mir sofort ansieht. Das ist aber auch ein Problem, denn man gilt oft erst als eingeschränkt, wenn man den Kopf unter dem Arm trägt. Meine Beine und Arme funktionieren noch, aber alles wesentlich schlechter. Es geht vieles langsamer und die Möglichkeit, dass es morgen ganz anders ist, ist immer da. Die ist natürlich bei jedem Menschen da, aber ich versuche in meinem Fall, so lange es geht, das zu machen, was ich gerne mache. Das gelingt mir im Moment ganz gut.

Und dazu gehört das Tauchen.

Das macht mich absolut glücklich! Beim Tauchen bin ich frei von Sorgen, und alle Gedanken an das, was kommen könnte, sind unter Wasser nicht da. Ich fühle mich tatsächlich, als würde ich zur Unterwasserwelt gehören. Ich fühle mich wohl, wenn ich einfach mal nichts höre. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich zwei Leben: eines über und eines unter Wasser. Dort fühle ich mich befreit und anders glücklich als über Wasser. Das war tatsächlich auch der Auslöser, meine Liebe zum Schreiben und meine Liebe zum Tauchen zu verbinden. Ich gehe nicht ständig tauchen, aber wenn, ist es einfach wunderbar.

Du hast in etwa parallel zur Diagnose MS Deinen Tauchschein gemacht, ist das richtig?

Nicht ganz. Ich habe meinen Tauchschein 1995 gemacht, während eines Griechenland-Aufenthalts, aber dann habe ich ihn jahrelang liegenlassen. Ich wollte dann mit einer Freundin, die witzigerweise durch mich zum Tauchen gekommen war, endlich wieder richtig toll tauchen gehen in einem Traumurlaub auf Bali. Wir haben detailliert alles geplant. Dann kam die Diagnose dazwischen. Eine der ersten Fragen, die ich dem Arzt gestellt habe, war, ob ich meinen Tauchurlaub machen kann! Und er sagte: Schränken Sie sich nicht ein.

Was ja ein superwichtiger Satz ist in einer solchen Situation.

Ein unglaublich wichtiger Satz! Phänomenal! Er hat mir aber auch ganz klar gesagt: Frau Krass, Sie sind krank, und damit müssen Sie jetzt leben – aber er war nicht von oben herab und hat sich sehr viel Zeit genommen. Doch dieser eine Satz war so mutmachend, denn plötzlich ist deine ganze Lebensplanung über den Haufen geworfen. Doch wir haben den Urlaub angetreten, wenn auch nicht auf Bali, sondern auf den Philippinen, und das war wunderbar. Das Feuer war entfacht, und ich habe beschlossen, das mache ich jetzt jedes Jahr. Ich mache mein Tauchding.

Welche Rolle hat die Diagnose dafür gespielt, dass Dein Feuer entfacht wurde?

Eine große. Ich hatte Angst, wie es weitergeht. Das erste halbe Jahr nach der Diagnose war nicht schön, ich habe als Nebenwirkung eines Medikaments auch noch viele Haare verloren. Doch dann kam der Tauchurlaub, ich habe Zuversicht gewonnen und gesagt: Das möchte ich mir jetzt gönnen. Ich hatte danach einen Folgeschub, der mich ziemlich überrascht hat, weil ich bis dahin ja nicht wusste, wie sich das anfühlt. Doch ich habe einen weiteren Tauchurlaub auf einem Tauchschiff angetreten und auf dem Nebenschiff einen Rollstuhlfahrer entdeckt, der sich völlig selbständig alleine fertig gemacht hat zum Tauchen. Er hat sich ganz allein auf das Beiboot gesetzt, was mir schon ohne Einschränkungen der Beine schwerfällt! Das hat mich sehr beeindruckt.

Ich versuche mich nicht einzuschränken, sage aber vor jedem Tauchgang ganz klar, dass ich MS habe und eben doch gewisse Einschränkungen habe.

Und wie sind die Reaktionen?

Ich habe noch nie etwas Blödes gehört. Man hilft sich unter Tauchern ja ohnehin, und mit dieser Diagnose lernt man, auf sich zu hören. Das muss man lernen, das ist ein Eigenschutz.

Welche Einschränkungen hast Du beim Tauchen durch Deine MS?

Auch positiver Stress kann sich negativ auswirken. Ich hatte einmal einen Schub nicht völlig auskuriert, bin trotzdem tauchen gegangen und das hätte ich besser sein gelassen. Bei diesem Tauchgang ging ganz viel schief, auch für gesunde Menschen. Wir hatten viel Wellengang, mir wurde schlecht auf dem Schiff, ich musste unbedingt ins Wasser, damit die Übelkeit vergeht, obwohl ich geschwächt war. Seitdem lasse ich tauchen, wenn es mir nicht gut geht, denn sonst ist Tauchen tatsächlich gefährlich. Es war mir eine Lehre.

Wie war der Schritt vom Tauchen als Hobby zum Blog über Tauchen mit Handicap?

Dazu haben mich Taucher auf einer Tauchsafari ermutigt! Im November 2021 war ich auf einem Tauchschiff, wir haben uns sehr persönlich unterhalten, und eine Taucherin motivierte mich, einen Blog zu beginnen. Ich war erst skeptisch, dass ich selbst viel zu wenig tauche, doch sie überzeugte mich, vor Ort nach einem Tauchclub zu schauen, in Seen zu tauchen. Ich wollte erst nicht, doch ich bin hineingestolpert.

Man muss manchmal Dinge ausprobieren, und wenn es nichts ist, kann man es ja auch wieder lassen. Ich bin jetzt Mitglied in einem Verein und soll mich dort ums Thema Tauchen mit Handicap kümmern. Ich habe sogar einen Buddy-Kurs gemacht, um anderen Tauchern helfen zu können.

Wenn man einmal mit etwas anfängt, was man gerne macht – in meinem Fall das Tauchen und das Schreiben –, dann läuft es von alleine. Ich schreibe jetzt einfach nicht für Kunden, sondern für meine Leser*innen, für mich, und so, wie ich bin. Mittlerweile stelle ich auch Menschen mit Behinderung auf meinem Blog vor. Ich hatte nämlich recherchiert, welche Angebote es zum Thema Tauchen mit Handicap gibt, und habe so gut wie nichts gefunden. Das hat mich sehr frustriert.

So kam ein Thema zum anderen, man macht ein Fass auf und es entwickelt sich eine Dynamik. Ich habe einfach geschaut, was passiert. Das ist für mich sehr untypisch, denn eigentlich bin ich sehr strukturiert. Ich überlasse wenig dem Zufall. Aber meine Erkrankung hat mir gezeigt, dass das Leben auch anders funktionieren kann und gar nicht so schlecht. Mit einer chronischen Erkrankung musst Du umdenken und flexibler werden, weil es sowieso anders kommen kann, als man denkt. Ich arbeite daran, noch geduldiger zu werden, aber ich lasse Dinge auch einfach mal auf mich zukommen, mit denen ich nicht gerechnet hätte.

Wie den Buddy-Kurs?

Ja genau! Und als ich diesen Kurs gemacht habe, hatte ich einen Mit-Teilnehmer, der auf meinem Blog von diesem Angebot gelesen hatte!

Wie gehst Du vor bei Deinem Blog?

Anfangs wollte ich einen Artikel pro Woche veröffentlichen, aber das war illusorisch. Mittlerweile habe ich entschieden, dass ich mich von einigen Kunden verabschiede, um mehr Zeit für mein eigenes Projekt zu haben.

Verdienst Du Geld mit Deinem Portal?

Nein, ich durfte aber einen Gastbeitrag schreiben, der honoriert wurde. Ich schreibe ganz gerne, wie gut mir das Tauchen tut. Gerade für MS-Patient*innen mit Spastiken kann das wunderbar funktionieren. Das eine ist also das Mut machen, das andere das Tauchen, und irgendwo dazwischen bin ich platziert.

Wie oft kommst Du zum Tauchen?

So oft wie möglich hier vor Ort. Und ich mache einmal im Jahr eine Tauchreise auf einem Tauchschiff. Das ist mein Highlight. Dieses Jahr bin ich auch im Familienurlaub auf Griechenland tauchen gewesen.

Wo geht die nächste Tauchreise hin?

Die nächste Tauchreise geht nach Saudi-Arabien, eine Woche Tauchsafari im Roten Meer, zusammen mit der örtlichen Tauchschule.

Fotografierst Du unter Wasser?

Ich fotografiere über Wasser, aber unter Wasser können das andere besser.

Was sind Deine nächsten Pläne in Bezug auf das Tauchen?

Ich will mit meinen 50plus den Dive Master absolvieren, den Rettungstaucher, um für andere besser da sein zu können. Ich möchte Taucher sicher begleiten, die in den Verein kommen, die eine Erkrankung hatten, einen Unfall, und jetzt wieder einsteigen wollen. Diese Taucher*innen freuen sich, wenn sie auf jemanden treffen, der weiß, worauf es im Umgang mit Behinderungen ankommt.

Du hast ja schon durch Deine Erkrankung gezeigt, dass Du Grenzen überwinden kannst.

Ja, das stimmt wohl. Es gibt gerade beim Tauchen keine Altersgrenze. Wie schon mein Arzt gesagt hat: Schränken Sie sich nicht ein. Man kann jederzeit das Beste für sich aus seinem Leben machen, seine Träume leben, statt zu sagen: Ach, hätte ich doch nur.

Und so haben sowohl Deine Erkrankung als auch das Tauchen Deinem Leben eine völlig neue Richtung gegeben!

Absolut, eine wunderbare Richtung! Ich bin fast froh, dass es so gekommen ist, denn ich bin ja nicht erst in den letzten Jahren zum Tauchen gekommen, sondern schon vor einem Vierteljahrhundert. Jetzt darf ich das erleben, und kann ich mir auch mal so eine Tauchreise leisten. Das hätte ich vielleicht früher nicht gekonnt. Ich habe immer die Tendenz, mich zu rechtfertigen, aber das muss ich gar nicht. Ich tue die Dinge, die mir guttun. Hinzu kommt: Meine Kinder sind jetzt größer und selbständiger – und jetzt ist endlich mal die Zeit für mich.

www.tauchen-mit-handicap.de

Mehr Menschen kennenlernen?

www.vonmachzumensch.de