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Der Verein Pro Mater Sano aus Frankfurt kümmert sich um krebskranke Mütter

Sie haben Krebs: Niemand will diese drei Worte hören. Als Charlotte Arnold sie hört, ist sie Anfang 30 und in der zehnten Woche schwanger. Aus dem Traum einer unbeschwerten Schwangerschaft und Vorfreude auf den Start ins Abenteuer Mutterschaft wird für die Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Frankfurt ein Albtraum. Sie bekommt Chemotherapie und Bestrahlung, bekommt ihre Tochter, viel Unterstützung von Familie und Freunden - und lernt alle Tücken und Lücken des deutschen Versorgungssystems kennen.

Spätestens als sie den Krebs hinter sich gelassen hat, ist ihr Widerspruchsgeist geweckt. Charlotte Arnold motiviert Familie und Freunde, mit ihr einen Verein zu gründen, der sich um krebskranke Mütter mit kleinen Kindern kümmert, der mit diesen Müttern für Reha-Maßnahmen, Haushaltshilfen und was individuell in der Erkrankung wichtig ist, zu streiten: Pro Mater Sano.

Fotos: Pro Mater Sano

Mittlerweile betreut er Mütter in ganz Deutschland. Wöchentlich kommen neue Frauen hinzu, sie wenden sich vom Allgäu bis zur Küste an den Verein. Die bisher jüngste Mutter war 23 Jahre alt, die älteste 44. Oft begleitet Pro Mater Sano sie über viele Monate. Charlotte Arnold ist Vorständin, kümmert sich um alle rechtlichen Belange und um die Vereinsarbeit, und sie ist als eine von zwei Vereinsmitgliedern Ansprechpartnerin für die Frauen. Ein riesiges Pensum. Die Fehler im System machen Charlotte Arnold ärgerlich – und kämpferisch.

Wer war die letzte Frau, der ihr helfen konntet?

Da muss ich überlegen! Es waren sehr viele, und wir teilen uns die Anfragen ein wenig auf im Team von Pro Mater Sano. Ich habe zudem viele Frauen, die ich sehr lange begleite, weil sie nicht nur eine Frage haben. Wenn sie am Anfang ihrer Erkrankung zu uns kommen, begleiten wir sie oft ein oder eineinhalb Jahre. Zuletzt ging es zum Beispiel um eine Reha-Maßnahme, um die wir sehr lange gekämpft haben, dass wir diese bewilligt bekommen. Das haben wir jetzt geschafft, und ich freue mich sehr, dass die Mama jetzt mit ihrem Kind in eine Reha gehen kann.

Kampf ist wahrscheinlich ein gutes Stichwort.

Ja, vor allem für mich. Das Thema Reha war ja für mich damals in meiner eigenen Erkrankung ein Punkt, bei dem ich gesagt habe, das muss anders gehen, es gibt hier eine riesige Lücke. Ich bin damals ja in der Schwangerschaft erkrankt, der Brustkrebs wurde in der 10. Woche festgestellt, und hatte während der Schwangerschaft und nach der Entbindung Chemotherapie und Bestrahlung. Im Anschluss hätte ich eine Anschluss-Heilbehandlung machen können, aber meine Tochter war erst drei Monate alt…

… und die Reha ist nur alleine vorgesehen…

… und ich wollte nicht ohne mein Kind weg. Gleichzeitig hätte es mir vielleicht gutgetan. Jahre später kann ich das reflektieren. Vielleicht war damals auch der Gedanke dahinter, was die Menschen denken, wenn ich mein Kind allein zurücklasse. Als Mutter hat man heute anders zu sein. Rückblickend kann ich gar nicht mehr sagen, ob es mein eigener Wunsch war, nicht ohne mein Kind in die Reha zu fahren, oder ob mir das gesellschaftlich anerzogen war. Aber natürlich ist man zu dem Zeitpunkt auch total durcheinander.

Das ist ja ein sehr vielschichtiges Problem. Einerseits: wie manage ich meine Erkrankung, andererseits: die gesellschaftliche Rolle der Frau und Mutter.

Das ist aber eben auch Teil der Schwierigkeit, denen sich erkrankte Frauen ausgesetzt sehen. Die Mama hat eine ganz wichtige Rolle. Woher diese Rolle kommt, ist eine andere Frage, aber der Hauptteil der Erziehung, die Hausarbeit, die Carearbeit liegt nun einmal bei den Frauen. Wenn nun die Frau schwer krank wird, kommt das Familiensystem quasi zum Erliegen. Wenn dann keine Hilfen da sind, und damit meine ich nicht nur finanzielle, sondern auch tatsächliche in Form von Freunden oder Familie, wird es sehr schwer.

Denn das Thema Haushaltshilfe, das ich selbst auch während meiner Erkrankung gestreift habe, ist ein eigenes für sich. Ich hatte damals eine Haushaltshilfe beantragt, während ich hochschwanger war und Chemotherapie bekam. Ich hatte aber das Kreuzchen falsch gesetzt, so dass die Krankenkasse sagte, ich könne eine Haushaltshilfe bekommen, habe aber die Übelkeit nicht wegen der Schwangerschaft, sondern der Chemotherapie, deshalb könne man mir keine Haushaltshilfe wegen Schwangerschaftsbeschwerden bewilligen. Da habe ich gemerkt: Die Familien werden oft allein gelassen. Ich hatte zwar kein Kind, aber im Haushalt fallen ja dennoch tagtäglich so viele Aufgaben an. Deswegen fungieren wir auch in diesem Punkt als Wegweiser und Mutmacher.

Wir hatten gerade erst in dieser Woche das Thema Haushaltshilfe bei einer Mutter aus Süddeutschland. Das Ob war gar nicht so schwierig, aber das Wie! Mit dem Wie wollte die Krankenkasse nichts zu tun haben, doch die Mutter hat sich mit unserer Unterstützung mehrfach an die Krankenkasse gewandt, bis sie doch bei der Organisation behilflich waren.

Und das will einfach nicht in meinen Kopf hinein – oder doch, wenn ich genau darüber nachdenke, verstehe ich es schon: Es hat etwas mit Ressourcen zu tun, mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Leistungsträger. Es wird immer erstmal versucht abzuwimmeln.

Euer Ziel ist es, sowohl ein Guide zu sein, aber auch die Angebote konkret zu schaffen?

Ja, wobei wir selbst keine Haushaltshilfen stellen. Wir würden sie aber mitfinanzieren. Wir versuchen aber erstmal das auszuschöpfen, was geht, und weitere Stellen anzufragen: das Jugendamt, Familienhilfen. Man hat ja heute einen Rechtsanspruch, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Und auch hier werden die Frauen im ersten Schritt immer abgewimmelt. Und hier bleiben wir als Verein mit unserer Beharrlichkeit und unserer Erfahrung dran, und das gibt den Frauen den Mut und die Kraft, selbst auch dranzubleiben.

Ihr finanziert euch selbst über Spenden?

Jein. Man muss permanent präsent sein und am Ball bleiben. Ich freue mich natürlich, wenn ich über das Thema sprechen kann, weil ich damit nicht nur die Frauen erreiche, sondern auch Partner, Familie, Freunde. Gerade wenn es zum Beispiel um das Thema Krankenkasse geht, bekommen wir oft gespiegelt, dass Menschen gar nicht wissen, dass es nicht so einfach ist, die Unterstützung zu bekommen. So bekommen wir auch oft Spenden von unerwarteter Seite, das hätte ich nicht gedacht, weil es so viele tolle Organisationen gibt und wir ein junger Verein sind. Ich merke, dass das Thema Mütter und Krebs eine Awareness hat oder bekommt in der Gesellschaft.

Was motiviert euch?

Wir sind ja alle ehrenamtlich engagiert, mit Familien und Freunden. Ich sage immer: Wir waren ein weißes Blatt Papier, und wir haben es bemalt. Jede hat sich eingebracht mit ihrer Expertise. Was mich antreibt, ist das beschriebene Defizit und die Last, die die Mama zu tragen hat, wenn sie schwer krank ist. Worüber so viele Frauen gar nicht reden, ist, wie hart dieser Care Job ist, bei dem man an alles denken muss. Wenn dann noch eine so harte Therapie wie die Chemotherapie hinzukommt, ist das einfach hart. Und wenn Frauen und Familien dann nicht die richtige Unterstützung bekommen, ist das einfach schrecklich.

Woher kennst Du Deine „Mitstreiterinnen“?

Das sind zum großen Teil Freundinnen, die mich auch durch die Krankheit begleitet haben. Es war immer jemand dabei bei meinen Chemos, das war ganz toll, ich wurde von meinen Freunden und der Familie getragen. Es sind aber auch viele Menschen dabei, die ich an einem Punkt meiner Lebensreise getroffen habe. Und meine Familie sind natürlich auch Vereinsmitglieder. Meine Mutter war mit Mitte 40 ebenfalls erkrankt. Mein Brustkrebs ist tatsächlich genetisch bedingt, aber ich habe den Gendefekt von meinem Vater. Ist das verrückt?

Habt ihr eure Tochter testen lassen?

Das darf man noch nicht.

Würdet ihr es tun?

Das habe ich letztens gerade erst wieder besprochen! Und ich glaube: nicht. Ich würde verrückt werden und immer nur warten, wann kommt der Krebs, wann kommt er? Das muss sie selbst entscheiden.

Wie seid ihr auf den Namen des Vereins gekommen? Lateinisch ist er nicht korrekt, aber es klingt gut.

Da sind wir beim springenden Punkt. Wir wollten das O am Ende haben, und dass es grammatikalisch nicht korrekt ist, wissen die wenigsten. Er klingt schön, steht für die Gesundheit der Mutter, für ein gesundes Leben der Mutter. Man kann es nicht eins zu eins übersetzen, aber das ist so sinngemäß, was dahintersteht.

Ich finde, gerade das Unperfekte passt zu dem Leben der Mütter, die ich begleitet.

Ja, und dass das so unperfekt ist, war uns erstmal egal. Der Name war schön, was dahintersteht, war uns so wichtig. Wir hatten tatsächlich unterschätzt, dass es Menschen gibt, die sich darüber echauffieren, dass der Name nicht korrekt ist. Eine Person hatte sich richtig festgebissen, die wollte, dass wir den Namen ändern. Wenn die Leute so viel Energie haben, sich da reinzuhängen, wäre es doch toll, wenn sie ihre Energie anderweitig einsetzen würden.

Warum war das O am Ende wichtig?

O steht für rund und weich. Vielleicht ist diese Sichtweise auch schon wieder veraltet, aber für uns war das stimmig, weil man ja auch rund und weich und weiblich sein darf, gerade auch in der Schwangerschaft.

Warum betont ihr auf eurer Internet-Startseite eigens, dass ihr diskret seid? Ist das nicht selbstverständlich?

Es schämen sich ganz viele Frauen, dass sie krank sind, den Haushalt nicht mehr weiterführen und die Kinder nicht mehr versorgen können. Alle Frauen, die uns kontaktieren, sagen ein Mal zu mir: Anderen geht es doch viel schlechter. Und ich sage: Nein. Jetzt zählst Du. Du bist jetzt die wichtigste Person in Deinem Leben. Du kannst nur die Mutter sein, die Du sein möchtest, wenn Du jetzt die wichtigste Person bist in Deinem Leben. Das ist superschwer. Gerade für Frauen ist es superschwer zu sagen: Ich bin krank, und ich kann jetzt nicht mehr so wie vorher. Das ist ein ganz langer Weg, sich das einzugestehen. Das ist schon die erste Hürde, bei uns anzurufen. Manche Frauen brauchen dafür Monate. Das ist auch Teil unserer Arbeit, Barrieren abzubauen, zu signalisieren: genau dafür sind wir da. Wir sind Wegbegleiterinnen, unterstützen im Notfall finanziell.

Ich kenne das Schamgefühl selbst auch. Ich habe meine Erkrankung lange Zeit versucht zu vertuschen, bei meinem letzten Arbeitgeber habe ich nie, nicht ein einziges Mal über meine Erkrankung gesprochen, und das war mir wichtig, dass das niemand erfährt. Ich sehe das auch bei vielen Frauen, die zu uns kommen, diese Schwierigkeit, es überhaupt den Freunden zu sagen.

Deswegen sage ich: diese Erkrankung ist vielschichtig und emotional. Und deswegen sind die Hürden so groß, die Hilfen anzunehmen, und deswegen versuchen wir den Frauen die Hürden zu nehmen.

Wie geht es Dir heute?

Ganz gut! Ich nehme noch Tamoxifen, mache die Anti-Hormon-Therapie. Das ist mitunter auch nicht so schön, aber mit den Nebenwirkungen kann man leben in der Abwägung Nebenwirkungen versus mein Leben. Ich bin auch an einem Punkt, an dem ich nochmals neu entscheide, ob ich noch eine Mastektomie machen lassen, weil ich ja immer noch vergleichsweise jung bin.

Ich wünsche mir, dass wir weiter Frauen helfen können, dass wir gesehen werden. Wir sind sehr, sehr dankbar für jede noch so kleine Spende dankbar. Wir halten die administrativen Kosten superklein, übernehmen sie zum großen Teil selbst, es kommt im Grunde eins zu eins bei den Frauen an. Wir wachsen, durch die größere Aufmerksamkeit, aber wir müssen es so stemmen, dass wir uns selbst nicht verbrennen. Deswegen wünsche ich mir hier eine Balance.

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