Zeit für Optimismus
Gibt es in dem Schrecken der Gegenwart auch ein paar Dinge, die Hoffnung machen? Ja! Lasst uns ein paar Minuten auf die positiven Tendenzen konzentrieren.
Die Abendnachrichten sind so etwas wie die tägliche Liveübertragung von der Apokalypse. Krieg in der Ukraine, Direktschaltung zum Massaker des Tages, danach geht es gleich weiter zur Energiekrise. Gas knapp, Strom knapp, womöglich bleiben im Winter die Wohnungen kalt. Irgendein Politiker erklärt etwas, versucht den Eindruck des Handelns zu erwecken, er bemüht sich gewiss sehr, aber strahlt dennoch eine gewisse Hilflosigkeit aus. Galoppierende Inflation, Mietpreise, die durch die Decke gehen – vor den Empfangsgeräten sitzen Nachrichtenkonsumenten, die bangen, ob sie überhaupt noch ihre Rechnungen bezahlen können. Dazu: Hitzewellen, Klimakrise. Lodernde Wälder in Frankreich, glühende Hitze in Spanien, ausgetrocknete Flüsse. In Italien müssen sie schon wählen, ob man mit dem spärlichen Restwasser die Kraftwerke betreibt oder doch die Landwirtschaft bewässert. Der Geist der Dystopie liegt über allem und eine tiefe Depression, ein Pessimismus ergreift die Menschen. „Glaubst du überhaupt noch, dass die Klimakatastrophe abgewendet werden kann?“, fragte mich eine Freundin unlängst und berichtete von einer gemeinsamen Bekannten, der der Krieg emotional gerade den Rest gegeben hat. Die findet nämlich, dass sowieso alles den Bach runter geht, die multiplen Krisen so tief sind, dass realistischerweise auf Rettung nicht mehr zu hoffen ist. Großer Kladderadatsch – dass in einem Alle gegen Alle die pluralistischen Demokratien kollabieren, sei doch einfach realistischer, als dass das nicht geschehe. Da bleibt nur mehr eins: Ins Bett, Decke drüber, Licht aus, Depression.
Es gibt natürlich genügend Anlass zu Pessimismus. Es wäre auch frivol hier mit einem „alles nicht so schlimm“ zu antworten, allein in einer Zeit, in der in der Ukraine täglich hunderte Menschen im Krieg sterben.
Aber weil ein rein negativistisches Empfinden uns nur fertig macht und auch völlig kontraproduktiv ist, weil es lähmt, will ich hier ein paar Tendenzen und Vektoren im Kräfteparallelogramm der Gegenwart suchen, die auch durchaus positiv sind.
Krieg ist nicht mehr akzeptiert
Vor ein paar Tagen habe ich mich mit einem alten Freund getroffen, einem früheren hochrangigen Grünenpolitiker. „Eines sehe ich positiv“, sagte er. „Putin und sein Regime tun, was früher in Europa völlig üblich war. Sie führen Krieg aus machtpolitischen Gründen, um Territorium zu erobern. Dabei gibt es zig-tausende Tote. Früher wäre das alles ganz normal gewesen, aber jetzt gibt es einen Aufschrei, man ist nicht mehr bereit, so etwas zu akzeptieren.“ Das zeige immerhin, wie pazifiziert alle unsere Gesellschaften geworden sind, dass Krieg, Invasion aus reiner, kalter Machtpolitik einfach nicht mehr geht. Die einhellige Reaktion des Westens, von Europa bis in die USA, ist ein Fortschritt. Selbst zynische Realpolitik ist nur mehr schwer zu verkaufen.
Nun kann man gewiss einwenden, dass es da schon eine gewisse westliche Doppelmoral gibt. Beim Einmarsch der USA und ihrer Allianz der Willigen im Irak blieb ein solcher Aufschrei aus, obwohl es auch um nichts anderes gegangen ist als um geostrategische Ziele und die anderslautenden Motive – wie die berühmten irakischen Massenvernichtungswaffen und die brutale Saddam-Diktatur – entweder erfunden oder nur vorgeschoben waren. Dieser Einwand ist sicher nicht falsch, betrifft aber eigentlich vor allem diesen einen Krieg der USA und einer Handvoll Alliierter, den uns George W. Bush eingebrockt hat. Gut, dass der weg ist. Auch dieser Krieg wurde ja kritisiert, nicht nur von Demonstranten auf der Straße, Gerhard Schröder hat sich als Kanzler damals dagegen gestemmt, ja, der heute so in Verruf geratene Schröder. Soll man auch nicht ganz vergessen.
Kriege, wie der gegen das afghanische Taliban-Regime nach dem 9/11-Anschlägen haben schon stärkere, auch menschenrechtliche Motivationen vorzuweisen, ganz zu schweigen von Interventionen in Bürgerkriege wie in Libyen oder im Kosovo, wo die wesentliche Motivation war, Massenmorde zu verhindern beziehungsweise zu beenden. Manche dieser Interventionen waren ein Fehler oder zumindest nicht zu Ende gedacht, liefen furchtbar aus dem Ruder, waren auch von einem Geist der Hegemonie getragen, dieser scheinbar wohlmeinenden Schwundform des früheren Imperialismus. Und von mehr als nur eine Prise Machtarroganz vergiftet. Alles schon wahr.
Aber bei allem für und wider: Dass ein solcher Krieg und solche Gräueltaten, ein solcher Bruch von internationalem Recht nicht mehr mit einem Achselzucken zynisch hingenommen wird, ist auch, bei aller Tragik des Gesamtgeschehens, ein Fortschritt, den wir nicht ignorieren sollten.
Kickstart für die Energiewende
Auch wenn die ökonomischen Folgen im Moment dramatisch sind, die Energieversorgung plötzlich in Frage steht und es einen Gas- und daraus folgend einen Strompreisschock gibt, der die Inflation hochtreibt, aber auch die gewohnten Routinen unserer Produktionsprozesse zerreißt – so kann man doch damit rechnen, dass sich unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften in überschaubarerer Zeit daran angepasst haben werden. Und diese Anpassungen werden nicht unbedingt zu einer schlechteren Welt – etwa mit mehr Armut, weniger Wohlstand – führen, sie können auch einen Fortschritt bedeuten.
Die Energieeffizienz wird ganz schnell steigen. Einsparungspotential gibt es in jeder Firma, jedem Gewerbe, in jedem Haushalt, sogar ohne große Investitionen. Ein ganz kleines Beispiel nur: Es gibt noch immer sehr viele Supermärkte mit offenen Kühlregalen, die nicht nur Butter, Milch und Joghurt kühlen, sondern gleich die ganze Einkaufsetage, weil sie die Kälte einfach rausblasen, sodass man sich beim Edeka fast eine Lungenentzündung holt. Jetzt rüsten viele Supermärkte hektisch um, auf Kühlregale mit verschlossenen Glastüren, die man nur kurz öffnet, wenn man sich die Milch raus holt. Solange der Strom und die Energie billig waren, haben auch private Haushalte nicht so auf den Verbrauch geachtet. Und für viele Unternehmen waren bei niedrigen Energiekosten Investitionen, die die Effizienz steigern, von der Kostenseite her nicht wirklich wirtschaftlich. Das hat sich jetzt geändert. Ich müsste mich schon sehr wundern, wenn es hier nicht Sparpotenzial von zehn Prozent gibt.
All das wird ein kräftiger Anschub für die Dekarbonisierung werden. Im Neubau auf Fernwärme umstellen. Windkraft. Solarpanele auf jedes Dach. Jedes Haus zu einem Sonnenkraftwerk. Es gibt ja unendlich viele Möglichkeiten. Die Bahnen experimentieren mit Photovoltaik-Zellen in den Schienentrassen. Vielleicht ist das eine blöde Idee. Man wird sehen. Oder denken wir nur an die tausenden, fußballfeldgroßen Parkplätze in den Gewerbegebieten, vor den Supermärkten, den Einkaufszentren, den Ikeas und Mediamärkten. Diese Parkplätze sind heute schon hässlich. Wenn man sie mit Pergolas überdacht, auf denen oben Solarpaneele montiert werden, macht das nicht einmal das architektonische Gesamtbild schlechter – das ist heute schon so übel, da stört das nicht die Bohne. Klar, kurzfristig gibt es hier Kapazitätsprobleme: es braucht die Paneele, es braucht Handwerker, die sie montieren, es braucht die Leitungskapazitäten, um den Strom ins Netz zu bringen. Der wunderbare, innovative Chef des AMS – des Arbeitsamtes – in Niederösterreich ist jetzt dazu übergegangen, Arbeitslosen anzubieten,
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